07.11.2022

Wenn Masken fehlen und der Chef hustet: Arbeitgeberhaftung für Corona-Arbeitsschutz

AG Siegburg, Urteil vom 30.03.2022 – 3 Ca 1848/21

Wenn Masken fehlen und der Chef hustet: Arbeitgeberhaftung für Corona-Arbeitsschutz

AG Siegburg, Urteil vom 30.03.2022 – 3 Ca 1848/21

Ein Beitrag aus »RdW – Das Recht der Wirtschaft« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
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Haben Arbeitnehmer Ansprüche auf Ausgleich von Infektionsfolgen oder Quarantäne-Nachteilen gegen ihren Arbeitgeber, wenn dieser pflichtwidrig den SARS-CoV-2-Arbeitsschutz vernachlässigt hat?

In einem Arbeitsverhältnis sitzen Arbeitgeber am längeren Hebel. Sie haben das Weisungsrecht, organisieren die Betriebsabläufe und stellen Arbeitsmittel und -ausrüstung. Dieser Machtposition stehen Schutzvorschriften und Arbeitgeberpflichten gegenüber, die in der Pandemie nochmals nachgeschärft wurden.

Laut § 618 Abs. 1 BGB sind Arbeitsbedingungen und -abläufe so zu regeln, dass Arbeitnehmer soweit möglich gegen Gesundheitsgefahren geschützt sind. Diese Pflichten wurden während der Pandemie durch den SARSCoV-2-Arbeitsschutzstandard und die Arbeitsschutzregel den Infektionsgefahren angepasst. Der Arbeitgeber, seine Vertreter und Beauftragten sind verpflichtet, erforderliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die die Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Verletzungen dieser Pflicht, etwa wenn man Beschäftigte Tätigkeiten aufnehmen lässt, bevor die erforderliche persönliche Schutzausrüstung bereitgestellt wurde, können Geldbußen von bis zu 25.000 € nach sich ziehen. Werden durch vorsätzliches Handeln Leben oder Gesundheit von Beschäftigten gefährdet, droht Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr (§ 26 ArbSchG).


Versäumnisse beim Gesundheitsschutz in Zeiten der Corona-Pandemie

Die Pandemie mischte den Arbeitsschutz auf: Der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard gab allgemeine Regeln vor, die Berufsgenossenschaften ergänzten sie mit branchenspezifischen Vorgaben. Doch nicht überall hielt man sich an aufwändige Hygienekonzepte, Abstands- und Maskenpflichten. Was gilt und wer haftet, wenn dies zu Lasten der Arbeitnehmer ging?

Kommt es durch eine Pflichtwidrigkeit des Unternehmens zu einer Corona-Infektion, ist es für die Haftung gegenüber dem Arbeitnehmer wichtig, ob sie als Arbeitsunfall gilt. Denn aufgrund des Haftungsprivilegs des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haftet der Arbeitgeber bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten nur bei deren vorsätzlicher Herbeiführung für Personenschäden. Sonst sind sie durch die Berufsunfallversicherung abgedeckt.

Rechtsprechung zur Haftung bei Corona-Arbeitsschutzverstößen

Was kommt von den Gerichten? Das AG Siegburg hat recht salopp, aber mittlerweile rechtskräftig entschieden, dass schwer infizierte Arbeitnehmer nur Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld haben, wenn sie minutiös nachweisen, dass der Arbeitgeber die Infektion pflichtwidrig kausal verursacht hat.

Dabei hat es die Latte für die Kausalität so hoch angelegt, dass es das Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII links liegen lassen konnte. Es ging um eine Krankenschwester, die Bewohner eines Pflegeheimes betreute und vortrug, dafür weder Schutzkleidung noch Maske erhalten zu haben – auch andere Corona-Hygienemaßnahmen habe das Heim nicht eingehalten. Sie erkrankte schwer an Corona und musste in ein künstliches Koma versetzt und notbeatmet werden.

Das Gericht prüfte nicht, ob die vorgeschriebenen Hygieneschutzmaßnahmen eingehalten wurden, da nicht bewiesen sei, dass mögliche Defizite für die Ansteckung ursächlich waren. Ein ärztliches Attest, wonach sich die Klägerin am Arbeitsplatz infiziert habe, überzeugte nicht: Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Ärztin zu dieser Feststellung gekommen sei, da sie die Klägerin nicht rund um die Uhr begleitet habe und diese sich auch außerhalb ihres Arbeitsplatzes angesteckt haben könnte. Ob die von der Klägerin behaupteten Pflichtverletzungen der Beklagten gegeben waren, konnte daher nach Ansicht des Gerichtes offenbleiben.[1] Nach diesen hohen Anforderungen wäre eine Kausalität der arbeitgeberseitigen Pflichtverletzung für eine COVID-Infektion praktisch nie nachweisbar.

Diese Ansicht lässt die BAG-Rechtsprechung zur Beweislast bei den in § 618 BGB normierten Fürsorge- und Schutzpflichten des Arbeitgebers außer Acht: Der Arbeitnehmer, der einen Schaden erlitten hat, muss nur beweisen, dass ein ordnungswidriger Zustand vorgelegen hat, der geeignet war, den eingetretenen Schaden herbeizuführen. Es ist Sache des Arbeitgebers zu beweisen, dass der ordnungswidrige Zustand für den Schaden unverschuldet oder nicht ursächlich gewesen ist.[2]

Einordnung der Corona-Infektion als Arbeits- oder Dienstunfall

Der Arbeitgeber hätte allerdings auch bei bewiesener Kausalität möglicherweise nicht für den Personenschaden der Krankenschwester wie Schmerzensgeld etc. haften müssen, wenn dieser als Arbeitsunfall einzuordnen wäre.

Dann würde die Haftung des Arbeitgebers vorsätzliches Handeln erfordern, d.h. der Arbeitgeber müsste eine COVID-19-Erkrankung als Folge fehlender Schutzmaßnahmen zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben – letztlich eine Frage der richterlichen Tatsachenbewertung. Eindeutiger wäre die Beurteilung des Anspruchs auf geltend gemachte Vermögensschäden, wie Aufwendungen, die ihrem Ehemann durch Fahrten und Übernachtungen anlässlich seiner Besuche in der Klinik entstanden sind, weil diese nicht unter das Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII fallen.

Die Einordnung einer COVID-19-Infektion als Arbeitsunfall i.S.d. § 8 SGB VII ist allerdings nicht unumstritten. Zwar wurden vergleichbare Ansteckungen wie etwa durch das Hepatitis-C-Virus für Lehrer und medizinisches Personal als Arbeitsunfälle[3] bzw. Dienstunfall[4] anerkannt. Allerdings wurde zunächst vom Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallkassen vertreten, dass Corona aufgrund der Pandemie in den meisten Berufsfeldern kein arbeitsplatzspezifisches Risiko darstellt. Außerhalb besonders gefahrgeneigter Bereiche wie denen der Pflege und der Rettungsdienste verwirkliche sich nur eine Allgemeingefahr, die alle Menschen gleichermaßen bedrohe, deshalb liege kein Arbeitsunfall vor. Damit würden Arbeitgeber auch für fahrlässig im Betrieb verursachte Sars-CoV-2-Infektionen in vielen Branchen haften.

Doch die bisherige Corona-Rechtsprechung geht nicht einhellig in diese Richtung: So entschied das VG Augsburg für den Fall eines Polizeibeamten, eine Infektionskrankheit sei nicht deshalb als Dienstunfall ausgeschlossen, weil sie die Verwirklichung einer allgemeinen Gefahr darstelle: Ein Dienstunfall setze nicht voraus, dass die Berufstätigkeit eine höhere Gefährdung als die der übrigen Bevölkerung mit sich bringt und sich in der Erkrankung eine der konkreten dienstlichen Verrichtung innewohnende typische Gefahr realisiert habe.[5]

Das VG Würzburg hat gegenüber einem infizierten Schuldirektor bei hoher Infektionszahl der von ihm unterrichteten Klasse zwar einen Dienstunfall nach Art. 46 Abs. 1 BayBeamtVG aufgrund fehlender zeitlicher Bestimmbarkeit der Ansteckung abgelehnt.[6] Es hat ihn aber über den Umweg des Art. 46 Abs. 3 dann doch anerkannt. Dieser Absatz begegnet Beweisschwierigkeiten zum Ansteckungszeitpunkt dadurch, dass bestimmte Erkrankungen in Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung als Dienstunfall eingeordnet werden können.

Vorsicht hustender Chef! Haftung für materielle Corona-Folgeschäden

Zu Folgeschäden einer vom Arbeitgeber verschuldeten Quarantäne schließlich entschied das LAG München: Ein Geschäftsführer des Arbeitgebers fuhr hier trotz Erkältungssymptomen mit einer Arbeitnehmerin längere Zeit und ohne Maske im Auto. Das verstieß gegen die SARS-CoV-2-Arbeitschutzregel, wonach ein Sicherheitsabstand von 1,5 m einzuhalten war und man mit Erkältungssymptomen zuhause bleiben sollte. Da gegen die Arbeitnehmerin eine Quarantäneanordnung erging, musste sie ihre geplante Hochzeit verschieben.

Das LAG sprach der vorerst verhinderten Braut Schadensersatz gem. §§ 249, 280 BGB in Höhe von ca. 5.000 € für Miete, Band und Blumen etc. zu.[7]

Nicht nur bezüglich Corona: Arbeitsschutzkontrollen sind lückenhaft

Das seit Anfang 2021 geltende Arbeitsschutzkontrollgesetz soll die behördliche Überprüfung des Arbeitsschutzes stärken. Eine aktuelle Studie von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ ergab, dass in einigen Bundesländern Betriebe im Schnitt nur alle 10 Jahre überprüft werden. Das ist wohl zu selten.

 

 

Entnommen aus RdW-Kurzreport 15/2022, S. 678.

[1] AG Siegburg, Urteil vom 30.03.2022 – 3 Ca 1848/21.

[2] BAG, Urteil vom 14.12.2006 – 8 AZR 628/05; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.07.2020 – 8 Sa 69/19.

[3] BAG, Urteil vom 14.12.2006 – 8 AZR 628/05; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08.01.2009 – 2 Sa 481/08.

[4] VG Karlsruhe, Urteil vom 22.01.2014 – 4 K 1742/11.

[5] VG Augsburg, Urteil vom 21.10.2021 – Au 2 K 20.2494.

[6] VG Würzburg, Urteil vom 26.10.2021 –W 1 K 21.536.

[7] LAG München, Urteil vom 14.02.2022 – 4 Sa 457/21.

 

Dr. Renate Mikus

Assessorin iur. Fachautorin, Freiburg
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