24.11.2022

Scheitern gehört zum Leben

Rennen der Hersteller um einen Corona-Impfstoff

Scheitern gehört zum Leben

Rennen der Hersteller um einen Corona-Impfstoff

Wo liegen Ihre Schwächen, wo Ihre Stärken? | © Thomas Reimer - stock.adobe.com
Wo liegen Ihre Schwächen, wo Ihre Stärken? | © Thomas Reimer - stock.adobe.com

Als 2021 das Rennen der Hersteller um einen Corona-Impfstoff begann, war das von Ingmar Hoerr 2000 gegründete Tübinger Biotech-Unternehmen CureVac ganz vorne dabei. Die Hoffnungen erfüllten sich aber nicht und CureVac musste seinen ersten Corona-Impfstoff aus dem Zulassungsverfahren zurückziehen. Im folgenden Gastbeitrag erzählt Ingmar Hoerr von den Anfängen seines Unternehmens und wie er mit Misserfolgen umgegangen ist.

In Bezug auf das Scheitern bin ich ein Experte. Ich muss dabei einfach nur die Gründungsjahre der CureVac reflektieren. Wie oft sind wir mit hängenden Mundwinkeln nach Gesprächen mit Risikokapitalinvestoren zurückgekommen. Wie häufig sind wir wahrhaft entwürdigend behandelt worden.

Einmal ist ein Investor in München nach unserem Pitch grußlos aufgestanden und hat den Raum verlassen und uns mit seinem Assistenten allein zurückgelassen: für uns eine herbe Enttäuschung. Hatten wir doch die Relevanz der wissenschaftlichen Daten gesehen und diese glaubhaft und wissenschaftlich fundiert präsentiert. Und trotzdem hat uns keiner geglaubt.


Hier sind wir also gescheitert. Aber irgendwann zahlt sich Hartnäckigkeit aus. Wenn das Gegenüber nicht verstehen will oder kann, dann müssen wir uns ein anderes Gegenüber suchen. Niemals die Authentizität und den Glauben aufgeben.

In unserem Fall hatten wir über einen Mittelsmann auf einer Konferenz Friedrich von Bohlen, einen Biotechunternehmer, getroffen. Das war zum ersten Mal ein Gespräch auf Augenhöhe und wir konnten ihn elektrisieren. Ich kann mich noch exakt an seinen Wortlaut erinnern: „Ingmar, wenn das wirklich funktioniert, dann haben wir eine Revolution in der Medizin.“

Friedrich von Bohlen war auch der Grund dafür, dass wir mit dem SAP-Gründer Dietmar Hopp sprechen konnten. Dietmar Hopp wiederum war die Grundlage für ein Gespräch und Investment von Bill Gates. Bill Gates war ein elementarer Baustein für die Zusammenarbeit mit Elon Musk.

Das ist in Kürze die Geschichte der CureVac-Gründung. Wie aber übersteht man die schlaflosen Nächte, in denen man überschlägt, wann man den Mitarbeitern sagen muss, dass kein Geld mehr für sie vorhanden ist?

Erfolgsfaktor 1: Grenzerfahrungen

Ich habe kein Universalrezept und kann nur von mir ausgehen. Ein wesentlicher Punkt war, dass ich immer aus dem Mainstream ausgebrochen bin und an den Grenzen unterwegs war. Wenn möglich habe ich Autobahnen gemieden und mir lieber die Zeit genommen, Nebenstrecken zu fahren. Ich war immer hungrig, problematische Situationen zu meistern und süchtig nach dem immensen Glücksgefühl danach, es geschafft zu haben.

Ich war in mir und habe mich kennengelernt. Ein kluger Kopf sagte einmal: „Die kürzeste Reise zu dir selbst führt um die Welt“. Das stimmt. Man kann es als Metapher sehen, es gibt je nach Vorlieben auch andere Bereiche, die gleichwertig mit einer Reise sind. Es ist eine Reise zu sich selbst.

Für mich war es tatsächlich eine Reise, nach Indien nach dem Abitur und ganz bewusst allein. Einmal richtig mit mir selbst und bei mir selbst. Mit meinen 20 Jahren überkamen mich schnell Selbstzweifel, als ich frühmorgens am Ausgang des Flughafens in Mumbai über Dutzende schlafende Körper gestolpert bin. Ich habe mich erstmal gar nicht getraut, aus dem Terminal zu gehen. Drei Monate später war das ein selbstverständliches Bild. Es ist eine pragmatische Lebensweise in Indien: Wenn man müde ist, legt man sich hin und schläft. Das waren Rikscha-Fahrer, Flugreisende, die spät in der Nacht ankamen, Flughafenangestellte in ihrer Pause. Ein Synonym dafür, dass man das Leben nicht so leben muss, wie wir das in Deutschland gewohnt sind.

So darf man Verhaltensweisen als nicht in Stein gemeißelt sehen. Sich Öffnen und Zulassen von neuen Erfahrungen ist das eigentliche Geheimnis des Erfolgs. In solchen extremen Situationen kann man sich kennenlernen. Vor allem beim Umgang mit dem Gefühl des Unwohlseins.

Erfolgsfaktor 2: Stärken und Schwächen kennenlernen

Es ist wichtig, sich mit seinen Stärken und Schwächen auseinanderzusetzen. Man sollte sich diese bewusst machen und sich dabei vor allem auf seine Stärken konzentrieren. Aber in unserer deutschen Kultur fixieren wir uns auf Schwächen. Das ist prinzipiell auch in Ordnung, wenn wir nicht vergessen, genauer die Stärken zu betrachten.

Wesentlicher Grundsatz ist hierbei, dass aus Schwächen selten Stärken werden können – das ist völlig normal. Aber wie ist es, wenn wir uns primär auf unsere Stärken fokussieren und diese gezielt ausbauen? Wenn wir richtig gut in etwas sind, zum Beispiel Kreativität. Warum nicht diese Gabe bewusst ausschöpfen und Raum dafür geben? Natürlich dürfen wir unsere Schwächen nicht ausblenden. Aber wichtig ist es zunächst, überhaupt einmal darüber zu reflektieren. Und mit Schwächen kann man umgehen und sie kompensieren.

Das ist ohnehin die Grundlage des erfolgreichen Managements. Teams sind optimal besetzt, wenn jeweils die Stärken der Individuen zum Zuge kommen und die Schwächen durch andere Mitglieder kompensiert werden, die sich gerade hier in ihrem individuellen Stärkeprofil befinden.

Erfolgsfaktor 3: Resilienz

Resilienz ist bereits seit Jahren ein Modewort in der Führungsbranche. Gegoogelt heißt das „psychische Widerstandskraft; Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen“.

Wie schon erwähnt gehen viele Dinge selten geradlinig. Es ist extrem belastend zu sehen, wie sich bestimmte Faktoren immer wieder zum Unguten verändern, vor allem wenn sie ständig zurückkehren.

Hier kann man dann natürlich fragen, ob man sich noch im eigenen Stärkefeld befindet. Wichtig aber und geradezu verpflichtend für Führungskräfte ist es, Abhilfe zu schaffen.

Natürlich muss es Raum für Verbesserungen geben. Aber es muss ein klares Ziel sein, dass diese Verbesserungen fruchten, dass eine objektive Messbarkeit erzeugt wird. Das macht es leichter, unangenehme Entscheidungen zu treffen.

Erfolgsfaktor 4: Entscheidungen

Managen heißt entscheiden. Wir kennen das alle: Wir verbringen viel Zeit in Meetings, mit dem positiven Gefühl am Ende, dass wir uns jetzt über die aktuellen Themen gut ausgetauscht haben. Mit dem Effekt, dass das Vorstandsbüro auf Nachfrage einiger Mitarbeiter nach konkreten Entscheidungen sagt, „ist auf der Agenda“.

Entsprechend war es ein eisernes Gesetz, die Meetings auf das Allernotwendigste zu reduzieren. Jeder Agendapunkt wurde belegt: Was, Wer, Wann.

Erfolgsfaktor 5: Mit Angst umgehen

Das hört sich jetzt sehr einfach an, aber wie oft werden diese Meetings dafür verwendet, um die Zeitlinien einfach zu schieben. Auch gibt es leicht die Kultur, dass einige Dinge der Nicht-Erreichung schon lange vor dem eigentlichen Meilenstein gesehen werden, aber Angst herrscht, sich damit auseinandersetzen. „Wird schon gutgehen, ich schau da nächste Woche nochmal drauf …“.

Mitarbeiter spüren das schon lange vorher, es herrscht aber Angst, Kassandra zu sein und die unliebsame Botschaft zu überbringen. Mitarbeiter müssen ermutigt werden, mit solchen Gefühlen an die interne Öffentlichkeit zu treten. Wenn das Gefühl „Angst“ keimt, dann kann man das sofort objektivieren und die Gründe ausfindig machen. In diesem Fall sollte rechtzeitig Abhilfe geschaffen und die Mitarbeiter ausgezeichnet werden, die den Mut haben, schlechte Botschaften zu übermitteln.

Erfolgsfaktor 6: Vertrauen erzeugen

Gerade in den ersten Tagen stand CureVac mehrmals vor der Insolvenz. Das braucht man nicht verschleiern, die Mitarbeiter merken das schon am eigenen Auftreten. Mitarbeiter lesen die kleinsten Zeichen und interpretieren diese sofort. Da hilft nur Offenheit und die Einbeziehung der Mitarbeiter – so gut es geht – ohne Panik zu verbreiten.

Der Umgang mit den Mitarbeitern und deren Achtung erzeugt Vertrauen, ohne dass das Statement „wenn es richtig schlecht läuft, sagen wir das dann noch rechtzeitig“ zur Farce wird. Die Mitarbeiter dürfen und müssen darauf vertrauen, dass sie bei grundsätzlichen Problemen wie der Konkursgefahr einbezogen werden, auf Augenhöhe.

Erfolgsfaktor 7: Von anderen lernen, heißt scheitern lernen

Es gibt in der Geschichte unzählige bekannte Persönlichkeiten, die gescheitert sind:

Julius Caesar wurde sogar ermordet und scheiterte damit final. Diejenigen, die nicht ermordet werden, stehen immer wieder auf und machen weiter. Nelson Mandela ist so ein Beispiel.

Die Kunst hierbei ist, sich eine weitere Chance zu erkämpfen und die gleichen Fehler nicht nochmals zu machen. Und sich zum eigenen Fehlverhalten offen zu bekennen, ohne es anderen in die Schuhe zu schieben. Mit solch ungewöhnlicher Offensive nimmt man den Kritikern von vornherein Wind aus den Segeln.

 

Dr. Ingmar Hoerr

Mitglied des Kuratoriums des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie
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