28.11.2022

Lockdown: Staat muss Gastronomen keine Entschädigung zahlen

BGH, Urteil vom 17.03.2022 – III ZR 79/21

Lockdown: Staat muss Gastronomen keine Entschädigung zahlen

BGH, Urteil vom 17.03.2022 – III ZR 79/21

Ein Beitrag aus »RdW – Das Recht der Wirtschaft« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »RdW – Das Recht der Wirtschaft« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Der Bundesgerichtshof entschied, dass Gastronomen, die während des Lockdowns in der Corona-Pandemie ihre Betriebe schließen und aufgrund dessen Einnahmeausfälle verbuchen mussten, keinen Anspruch gegen den Staat auf Entschädigung haben.[1] In einem Fall aus Brandenburg können die Beschwerdeführer nun nur noch Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen.

Die Betreiber des Schlosses Diedersdorf – einem Hotel mit Restaurants und Biergarten südlich von Berlin – mussten wie auch andere Gastronomen ihren Betrieb während des Lockdowns in der Corona-Pandemie schließen.

Nur der Verkauf von Speisen außer Haus blieb möglich. Weder die Betreiber noch ihre Beschäftigten waren an Corona erkrankt. Die Investitionsbank zahlte dem Betrieb 60.000 € als staatliche Soforthilfe. Das genüge nicht, so der Anwalt der Familie. Die Summe decke lediglich einen Teil des durch die Schließung entstandenen Einnahmeausfalls. Pro Tag seien dem Betrieb während der Schließung mehr als 5.000 € verloren gegangen. Die Betreiber verklagten das Land Brandenburg, sie mit mehr als 27.000 € zu entschädigen.


Die Familie hatte keinen Erfolg: Weder das Landgericht Potsdam noch das Brandenburgische Oberlandesgericht sprachen der Familie eine Entschädigung zu.

BGH: Keine Entschädigung nach Infektionsschutzgesetz

Auch in Karlsruhe scheiterte der Betrieb mit seinem Anliegen. Die Richter entschieden, dass der Staat keine Entschädigung zahlen muss. Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) sehe weder in unmittelbarer noch in indirekter Anwendung eine Entschädigung für den Betrieb vor. Zwar gewährt § 56 IfSG eine Entschädigung für Verdienstausfälle, aber nur für „Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern“. In dem Gastro-Hotelbetrieb hatte sich aber niemand mit dem Coronavirus infiziert. Die Familie fühlte sich ungerecht behandelt. Wie könne es sein, dass man, wenn man seinen Betrieb gut führe, seine Mitarbeiter schütze und keine Infektion habe, schlechter gestellt werde als ein solcher Betrieb, der einen Coronafall hat, fragte der Anwalt der Schlossbetreiber.

Auch weitere Vorschriften nicht einschlägig

Auch weitere Normen des IfSG seien nicht einschlägig. § 28 gebe Betroffenen keinen Anspruch auf Entschädigung. § 65 sieht zwar Entschädigungen vor, allerdings für Maßnahmen, die übertragbare Krankheiten verhüten sollen. Mit den Corona-Schutzverordnungen sollte das Virus bekämpft werden; die Krankheit hatte sich zum Zeitpunkt, als die erste Verordnung im März 2020 in Kraft getreten war, bereits ausgebreitet.

Die Richter erwogen auch eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 56 und 65 IfSG – verwarfen diese aber. Für eine Auslegung müsse ein Gesetz mehrdeutig sein. Dies sei hier aber nicht der Fall; der Wortlaut der Normen sei eindeutig und die Grenze einer jeden Gesetzesauslegung sei der Wortlaut.

Auch würde eine Auslegung dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers widersprechen, argumentierten die Richter, denn man habe nur ausnahmsweise aus Gründen der Billigkeit eine Entschädigung für Störer im infektionsschutzrechtlichen Sinn vorgesehen. Auch eine analoge Anwendung der Vorschriften scheide aus – es fehle bereits an einer dafür notwendigen planwidrigen Regelungslücke.

Den infektionsschutzrechtlichen Entschädigungstatbeständen liege die abschließende gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, Entschädigungen auf wenige Fälle punktuell zu begrenzen und Erweiterungen ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen, dies ergebe sich insbesondere aus ihrer Entstehungsgeschichte und der Gesetzgebungstätigkeit während der Corona-Pandemie. Darüber hinaus seien die Interessenlagen zwischen den Entschädigungsregelungen nach §§ 56, 65 IfSG und flächendeckenden Betriebsschließungen, die auf gegenüber der Allgemeinheit getroffenen Schutzmaßnahmen beruhten, nicht vergleichbar.

Ordnungsrecht und richterrechtliches Haftungsinstitut scheiden ebenfalls aus. Das Ordnungsrecht des Landes Brandenburg helfe den Betroffenen hier ebenfalls nicht weiter. Als spezialgesetzliche Regelung der Gefahrenabwehr gehe das Infektionsschutzgesetz vor und entfalte eine Sperrwirkung.

Ansprüche aus dem richterrechtlich entwickelten Haftungsinstitut des enteignenden Eingriffs würden daran scheitern, dass das den Normen zugrundeliegende und gesetzgeberisch als abschließend gedachte Konzept einer punktuellen Entschädigung im Bereich der Eigentumseingriffe nicht durch die Gewährung richterrechtlicher Ansprüche unterlaufen werden dürfe, heißt es in der Entscheidung.

Staat hat mit Corona-Soforthilfen Pflicht Genüge getan

Auch andere Ansprüche verneinten die Richter. Sie führten aus, dass Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschaftsbereiche keine Aufgabe der Staatshaftung seien. Aus dem Sozialstaatsprinzip folge vielmehr, dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mittrage, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden seien und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen würden. Hieraus folge zunächst nur die Pflicht zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen sei. Dieser Pflicht habe der Gesetzgeber mit den Soforthilfen Genüge getan.

Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht möglich

Die Entscheidung aus Karlsruhe hat für die gesamte Gastro-Branche eine große Bedeutung. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband sprach von rund 40 % Umsatzeinbußen während der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021. Zwar flossen staatliche Soforthilfen, zum Teil wurden diese aber erst stark verzögert ausgezahlt, für manche Betriebe – vor allem für die kleineren – kam die Hilfe zu spät. Nachbarschaftsinitiativen riefen dazu auf, den Lieblingsitaliener an der Ecke zu unterstützen, beispielsweise durch Spenden, den Kauf von Gutscheinen oder regelmäßige Bestellungen. Viele Lokale konnte die nachbarschaftliche Hilfe aber auch nicht durch die Pandemie retten.

Schloss Diedersdorf kann gegen das Urteil Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen. Die Betreiber kündigten jedoch bereits an, dass sie nicht sicher seien, den weiteren Weg vor den Gerichten zu beschreiten. Mit den Verfahren seien weitere Kosten verbunden, die dem Betrieb bereits fehlten.

 

Entnommen aus RdW-Kurzreport, 9/2022, Rn. 143.

[1] BGH, Urteil vom 17.03.2022 – III ZR 79/21.

 
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