16.07.2018

Was geht der Sport die Juristen an?

Sport und Sportrecht

Was geht der Sport die Juristen an?

Sport und Sportrecht

Was der Richter im Recht, ist der Schiedsrichter im Sport.      |    © besjunior - stock.adobe.com
Was der Richter im Recht, ist der Schiedsrichter im Sport. | © besjunior - stock.adobe.com

Das Sportrecht – das Sportverbandsrecht und das staatliche Recht, das für den Sport relevant ist – ist längst zu einem praktisch und wissenschaftlich wichtigen Arbeitsfeld für Juristen geworden. Mehrere Habilitationsschriften, Lehrstühle für Sportrecht, zahlreiche Dissertationen, Monografien, Zeitschriften, Lexika, Handbücher, also alles, was ein Rechtsgebiet etabliert, und eine umfangreiche nationale und internationale richterliche Tätigkeit belegen, dass das Sportrecht in der Juristenwelt angekommen ist. Ob diese Entwicklung ihre Krönung durch die Aufnahme des Sports in das Grundgesetz finden wird, ist derzeit eher zweifelhaft. Die deutschen Landesverfassungen haben sich aber fast alle einer Sportförderungsklausel geöffnet, das Europäische Gemeinschaftsrecht auch (Art. 165 Abs. 2 AEUV).
Es wäre freilich übertrieben, würde man behaupten, die Juristen – und dabei sind im Folgenden die juristischen Berufe gemeint, die des Richters also, des Rechtsanwalts, des Staatsanwalts und des Rechtswissenschaftlers – wären im Sport immer willkommen. Denn auch die Welt des Sports wird eine andere, wenn sich die Juristen ihrer annehmen (Christoph Dipper). Es sind aber überwiegend nicht die Juristen, die dem Sport Probleme aufdrängen, sondern es ist der Sport, der nach den Juristen ruft, um seine Probleme zu lösen.

Die sog. Konstitutionalisierung des Sportrechts

Der Sport kannte, als das Grundgesetz 1949 startete, nur Sportregeln. Das Grundgesetz bewertete den Sport nicht als einen Lebensbereich, dem es ein Grundrecht oder eine Staatszielbestimmung oder auch nur eine Kompetenzzuweisung gönnte. Heute bewegt sich der Sport in einem dichten Geflecht von eigengesetzten Statuten und staatlichem Recht, das Recht der EU längst eingeschlossen.
Der Sport in Deutschland ist allerdings spät auf die Juristen gekommen, übrigens auch deshalb, weil seine wichtigste Sportart – der Fußball – später als in anderen europäischen Ländern professionell wurde. Der Prozess der Verrechtlichung, die Ausdehnung des Rechts auf den gesamten Sachverhalt Sport mit einer ursprünglich unvorstellbaren Breiten- und Tiefendimension, drängt sich als Summe der Entwicklung der vergangenen sechs Jahrzehnte auf. Dieser Prozess hat vor allem den gesamten Spitzensport erfasst, und dabei den Fußball mit besonderer Wucht. Die Deutschen brechen in diesen Jahrzehnten in den Rechtsschutzstaat auf. Dabei kommt ihnen ein Phänomen zugute, das die Juristen Konstitutionalisierung der Rechtsordnung nennen. 1958 werden bekanntlich im sog. Lüth-Urteil die Grundrechte als Elemente einer objektiven Wertordnung durch das BVerfG konstituiert, die alle Bereiche des Rechts erfasst, und auch das Sportverbandsrecht kann sich diesem Geltungsanspruch nicht entziehen.
Richter, Rechtsanwälte und Rechtswissenschaftler betreten den Raum des Sports und verändern ihn erheblich. Dabei wird vor allem der Sportler sichtbar und nachhaltig zum Grundrechtsträger. Es ist insbesondere das Grundrecht der Berufsfreiheit, das im Zuge der Professionalisierung des Leistungssports – diese Professionalisierung wurde vor allem durch die Medien und deren Finanzkraft ermöglicht – die Sportrechtslandschaft neu aufmischt.

Die »Verrechtsstaatlichung« des Sports und der Sportgerichtsbarkeit

Hatte das Sportrecht – die Wettbewerbs- und Spielregeln also und die Organisation des Sportbetriebs (kurz Sportverbandsrecht genannt) – als verbandsautonome Sonderrechtsordnung in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik zunächst eine unauffällige Existenz, so änderte sich dies in den 1970er Jahren – beispielhaft im Fußball und mit Ausstrahlungswirkung in die gesamte professionelle Sportlandschaft hinein. Der deutsche Fußball wurde durch einen Manipulationsskandal erschüttert, und der DFB reagierte mit Aufklärung und harten Sanktionen. Die dadurch hervorgerufene Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen der damals kritisch als Verbandsstrafgewalt bezeichneten Verbandsmacht begann. Am Ende stand eine Art Verrechtsstaatlichung der Verfahrensordnungen des Sports durch Anpassung an das staatliche Prozessrecht. Die Verbände haben diese Entwicklung unter gleichzeitiger Intensivierung ihres Regelwerks – eine Art Binnenverrechtlichung der Sportgerichtsbarkeit und des Sports – hingenommen, um ihre Teilrechtsordnungen und deren Anwendung durch eigene Rechtsorgane gegenüber der staatlichen Justiz zu sichern. Es ist das gemeinsame Verdienst von staatlicher Justiz und Rechtswissenschaft, dass die Verbandsgerichtsbarkeit heute allen rechtsstaatlichen Ansprüchen formal und inhaltlich genügt.


Der Sport als Bühne der juristischen Berufe

Heute werden die Sportrechtsprobleme der Verbände, Vereine und Athleten durch zahlreiche juristische Berufsgruppen bewältigt. Allerdings haben die meisten der über 90.000 Sportvereine in Deutschland nicht wirklich Geld für juristischen Rat. Eigene Justiziariate sind sogar bei den nationalen Sportfachverbänden in Deutschland nicht durchgehend vorhanden. Nicht alle Verbände sind juristisch so optimiert wie der DFB oder die DFL. Die meisten Vereine sichern sich bei Rechtsanwälten, wenn Bedarf besteht, Rechtsrat. Auch größere Vereine mit eigenem Justiziariat engagieren bei rechtlich komplizierten Vorgängen, etwa bei der Gestaltung von Profiverträgen, sportrechtskompetente Kanzleien. In größeren Kanzleien finden sich häufig Spezialisten für das Sportrecht, manche Kanzleien sind ausschließlich auf sportrechtliche Beratung spezialisiert. Die Mandanten sind nicht immer eine einfache Klientel. Die Athleten gelten ab einem bestimmten Leistungsniveau als sehr egoistisch orientiertes Klientel, Sportführer sehen sich gerne als Sportfürsten, die sich nur widerwillig dem für alle geltenden Recht unterwerfen. Sportidole und Trainer fühlen sich oft von den allgemeinen Rechtsgeboten, insbesondere denen der StVO, befreit. Es ist dann Sache der Rechtsanwälte, Mandanten fürsorglich, aber zugleich distanziert und als Organ der Rechtspflege zu beraten und ihre Interessen professionell durchzusetzen. Für die Juristen gleich welcher Couleur ist das Sportverbandsrecht eine reizvolle juristische Herausforderung, weil dessen gestufte Hierarchie vom Athleten oder vom Vereinsmitglied über Verein und nationalem Verband zur internationalen Ebene, modifiziert noch durch das Neben- und Miteinander von Fachverbänden und olympischer Organisation, spannende Rechtsfragen aufwirft. Hinzu kommt das Mit- und Nebeneinander von Sportgerichtsbarkeit, Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Rechtsschutzgewährung. Der Rechtsanwalt ist nicht selten Richter in der Form des Sportschiedsrichters, der aufgrund einer Schiedsvereinbarung tätig wird. Das gilt vor allem für die deutsche Sportschiedsgerichtsbarkeit. Aber auch beim Sportschiedsgericht der Welt, dem Court of Arbitration for Sport (CAS) in Lausanne, der letzten irdischen Instanz des Sportrechts in internationalen Streitigkeiten, sind auf der weltweiten Schiedsrichterliste zahlreiche Rechtsanwälte zu finden. Allerdings sind die Erfahrungen der Juristen und insbesondere der Rechtsanwälte mit staatlichen Gerichten in Sportrechtsfragen keineswegs negativ. Sport als Lebensbereich gilt bei den staatlichen Richtern als ein eher spannender Stoff. Dies trifft zumal dann zu, wenn es um prominente Athleten oder öffentlich diskutierte, internationale sportliche Sachverhalte geht. Dem entspricht auf richterlicher Seite ein besonderes Engagement. Das öffentliche Interesse am Fall verleitet im Allgemeinen den Richter in Deutschland nicht dazu, die Distanz zum Fall zu verlieren und sozusagen – wie es in der Fußballsprache heißt – in der mündlichen Verhandlung für die Tribüne zu spielen. In Wangen, Trier, Wustrau und anderswo versucht der organisierte Sport im Übrigen zusammen mit der Justiz in langer und schöner Tradition Richter und Staatsanwälte an die Sachverhalte des Sports heranzuführen. Der Staatsanwalt sieht sich regelmäßig in Deutschland nicht in der Ermittlungspflicht, wenn es um die Ahndung von Körperverletzungen im sportlichen Zweikampf geht. Die Beteiligten wollen eben keine konsequente Verrechtlichung von Spielsituationen (FAZ). Nur vereinzelt kommen schwere Körperverletzungen im Fußball (sog. brutale Fouls) vor die staatlichen Gerichte, interessanterweise selbst im robusten Eishockey nicht. Selten erwachsen dem Staatsanwalt Sternstunden wie im Falle des Fußballwettskandals Hoyzer. Welchen Zugewinn an sinnvollen Aktivitäten dem Staatsanwalt und den in einzelnen Bundesländern eingerichteten Schwerpunktstaatsanwälten für sportspezifische Straftaten, etwa Wettbetrug, das seit Ende 2015 geltende Antidopinggesetz in Deutschland, bringen wird, lässt sich noch nicht absehen.

Der Jurist als Freund und Helfer des Sports und der Sportler

Der Sport benötigt den Juristen, weil dieser Formulierungs- und Durchsetzungshilfe bei den Vorstellungen des Sports über eine sportfreundliche staatliche Gesetzgebung leistet. Juristen ohne Recht kann es nicht geben, aber eben auch nicht Recht ohne Juristen. Der Sport ist dabei Täter und Opfer der Verrechtlichung zugleich. Er fordert selbst zu seinen Gunsten immer wieder staatliches Recht zur Durchsetzung seiner Interessen gegenüber widerstreitenden Belangen, dem Bau-, Planungs- und Immissionsschutzrecht schon lange, will auch im Gesetz lesen, dass der Sport gebührenfreien Zugang zu den kommunalen Sportstätten hat und dass zu Gunsten des Sportstättenbaus Private enteignet werden können. Andererseits gibt es immer wieder Bemühungen des Sports, die staatliche Rechtsordnung abzuschütteln, wenn sie seine Kreise stört, und das gilt besonders für das Kartellrecht als dem natürlichen Feind der monopolistisch organisierten Sportorganisation. Der erfolgreiche Sport dient dem Staat als Bühne für Eigendarstellung in internationalen Wettbewerben, und deshalb kommt er dem Sport auch entgegen, wenn dieser seine Hilfe benötigt. Dies zeigt sich auch an der deutschen Steuerpolitik. Hier steht der Gesetzgeber dem deutschen Spitzensport zur Seite, wenn es darum geht, den Steuerverschonungswünschen der internationalen Sportverbände entgegenzukommen, um zu ermöglichen, dass Deutschland bei der Bewerbung um die Ausrichtung von Sportereignissen, etwa von Endspielen des europäischen Fußballwettbewerbs, konkurrenzfähig bleibt.

Der Jurist im Sport als Kautelarjurist

Die Rolle des Juristen variiert, wenn man vom Sportrecht als Sportverbandsrecht wechselt in das Recht, das grundsätzlich auch für den Sport gilt, wenn und soweit dieser ein wirtschaftlich relevanter Sachverhalt ist. Gemeint sind die Gebiete des Arbeits-, Gesellschafts-, Medien- und Wirtschaftsrechts, in die der Sport mit einer atemberaubenden Dynamik hineingewachsen ist. Dies liegt an einer Entwicklung, die zur Binnenverrechtlichung des Sport hinzugekommen ist: die Ökonomisierung und Kommerzialisierung des Sports einschließlich seiner Europäisierung. Man hat zu Recht gesagt, wo der Sport dem Lebensunterhalt und natürlich nicht nur dem des Sportlers, dient, wächst der Bedarf an Streitentscheidungen, und es geht in vielen Sportarten längst nicht mehr um das tägliche Brot. So ist es vor allem die Vertragsgestaltung, die den Juristen fordert und die sich für ihn auch rechnet: Arbeitsverträge mit Profis, Vereinbarungen über den Verkauf von Senderechten für Sportgroßereignisse in den Fernsehmedien, Vergabe von Werbelizenzen über die Logos und Symbole von FIFA und IOC, Übereinkünfte zwischen kommunalen Stadioneigentümern und stadionnutzenden Vereinen, aber auch der Abschluss von Werbeverträgen zwischen Fußballverbänden und Sportartikelherstellern, alles meist mit ordentlichen Gegenstands- und Streitwerten. Das »Formularbuch für Sportverträge« von Andrea Partikel, 469 Seiten stark (Verlag C. H. Beck, 3. Auflage 2015), gibt längst nicht mehr nur Ratschläge für Mietverträge über Betriebswohnungen für Hallen- und Platzwarte. Es geht um viel mehr, um die Ausgliederung der Profiabteilung aus dem Verein in eine Aktiengesellschaft nach dem Umwandlungsgesetz beispielsweise und andere Sachverhalte von großem wirtschaftlichen Gewicht.

Der »sportmilieunahe« Jurist

Es wird eine Herausforderung für die Juristen bleiben, den autonomen Bereich des Sports – das Spezifikum seiner Regeln, aber auch das seiner Selbstorganisation – zu definieren und diesen Bereich abzuschirmen oder zumindest zu begrenzen gegenüber dem Anspruch des für alle geltenden staatlichen Gesetzes. Das Verhältnis von staatlichem Gesetz und Sportautonomie ist gewissermaßen eine der Grundmelodien des Sportrechts. Dabei muss dem Sport klar sein, dass im gerichtlichen Konflikt mit dem staatlichen Gesetz der Richter – nicht anders als beim Schutzbereich anderer Grundrechte auch – rechtsverbindlich definiert, was zum grundrechtsgeschützten sportlichen Autonomiebereich gehört. Aber der staatliche Richter wird immer auch den Sport fragen, was aus dessen Sicht sportspezifisch und sportnotwendig ist, und dazu gehört auch die Organisation des Sports. Die zentrale Frage bleibt: Welches sportrelevante Recht produziert der Sport selbst und welches der Staat? Dies wird in diesen Tagen wieder sichtbar in der Frage der umstrittenen Rollenverteilung zwischen staatlichem und sportlichem Gesetz bei der Bekämpfung von Sportdoping. Was man sich für den einzelnen Streit- und Konfliktfall aber wünschen darf, ist, dass alle Rechtsfragen im Sport von den Juristen im Geist der Fairness gelöst werden.

Dieser Beitrag stammt aus dem aktuellen Wirtschaftsführer.

 

Prof. (em.) Dr. Udo Steiner

Professor (em.), Universität Regensburg

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