19.07.2018

Der Sport sollte seine rechtlichen Probleme selbst lösen

Interview mit Dr. Felix Brych, Jurist und FIFA-Schiedsrichter

Der Sport sollte seine rechtlichen Probleme selbst lösen

Interview mit Dr. Felix Brych, Jurist und FIFA-Schiedsrichter

Auch Schiedsrichter stehen ständig unter Beobachtung.      |    © Hutch - stock.adobe.com
Auch Schiedsrichter stehen ständig unter Beobachtung. | © Hutch - stock.adobe.com

Weit über 240 Spiele in der 1. Fußballbundesliga hat Dr. Felix Brych schon geleitet; insgesamt kann er auf über 600 Einsätze als Schiedsrichter im Profi-Fußball zurückblicken. Besonders seien die Leitung des Finales der UEFA Championsleague 2017 und des DFB-Pokalfinales 2015 genannt, die Teilnahme an den olympischen Sommerspielen 2012 sowie an Welt- und Europameisterschaften. Von Experten und Medienvertretern aus 91 Ländern wurde er 2017 zum Weltschiedsrichter des Jahres gewählt – ein Höhepunkt seiner bisherigen Karriere. Vom Fußball-Weltverband FIFA wurde er als einziger deutscher Schiedsrichter für die WM-Endrunde in Russland nominiert. Angefangen hatte alles 1993, als der gebürtige Münchener im Alter von 18 Jahren erstmals an einem Schiedsrichter-Lehrgang teilnahm und zunächst Begegnungen in Nachwuchsligen leitete. Aber nicht nur als Unparteiischer qualifizierte er sich weiter: Neben seiner Schiedsrichtertätigkeit absolvierte er ein Jurastudium, das er 2004 mit einer Doktorarbeit über die »Förderung des Berufssports durch Kommunen« abschloss.

Wir wollten von ihm wissen, wie sich die Bereiche Sport und Recht überschneiden, von welchen Erfahrungen des einen im jeweils anderen Feld er profitieren kann und wie er die Zukunft des Schiedsrichterwesens sieht. Das Interview ist dem aktuellen „Wirtschaftsführer für junge Juristen“ entnommen. Das Interview führte Stefanie Assmann.

Wie darf man sich die Karriere eines Schiedsrichters vorstellen? Folgt man einer Berufung und wie wird diese Berufung dann zum Beruf?


Felix Brych: So kann man es sagen. Natürlich braucht man vor allem eine Leidenschaft zum Fußball. Und es gehört sicherlich auch eine große Portion Passion dazu, denn es ist mitunter ein steiniger Weg aus dem Amateurbereich bis in die Bundesliga. Ich selbst habe bis zu einer Verletzung aktiv Fußball gespielt und nebenbei schon immer die Klassenspiele an der Schule als Schiedsrichter geleitet. Irgendwann habe ich die offizielle Schiedsrichter-Prüfung gemacht – dann ging es richtig los.

Helfen Ihnen Ihre juristischen Fähigkeiten bei der Ausübung der Schiedsrichtertätigkeit und konnten Sie umgekehrt in Ihrer juristischen Ausbildung von Ihren Erfahrungen als Unparteiischer profitieren?

Felix Brych: Nicht unbedingt. Das eine hat mit dem anderen grundsätzlich nichts zu tun, sonst wären ja alle Schiedsrichter auch Juristen. Vielleicht ist der Neutralitäts- und Gerechtigkeitssinn, den man als Jurist hat, ein kleiner Vorteil und auch der Bezug zu einem Regelwerk. Als Schiedsrichter muss man in Sekundenbruchteilen handeln, dabei spielen Intuition und Spontanität eine Rolle. Als Jurist hat man für die Entscheidungsfindung mehr Zeit und kann sich dezidierter und detaillierter mit einem Sachverhalt auseinandersetzen.

Als Schiedsrichter ersparen Sie sich das zuweilen aufwendige Aktenstudium des Richters oder Rechtsanwalts. Aber wie bereiten Sie sich auf ein Spiel vor?

Felix Brych: Ähnlich. Ich bereite mich auch als Schiedsrichter intensiv auf meine Spiele vor. Ich studiere mit meinem Team und mit Hilfe eines Fußball Coaches die Taktiken der Mannschaften und die Charakteristika der Spieler. Ich schaue mir bisweilen die vergangenen Spiele der beteiligten Mannschaften an, um Dinge antizipieren zu können und auf gewisse Ereignisse bestmöglich vorbereitet zu sein. Das geschieht alles digital. Akten haben wir Schiedsrichter heutzutage nicht mehr.

Anders als ein Richter können Sie über anstehende Entscheidungen auf dem Spielfeld nicht lange nachdenken. Wie geht man damit um, und vor allem wie kommt man mit Fehlentscheidungen zurecht?

Felix Brych: Wenn ein Schiedsrichter über die Konsequenzen einer möglichen Entscheidung nachdenkt, kann er in Schwierigkeiten kommen. Das führt zu sogenannten Konzessionsentscheidungen, die in der Öffentlichkeit gerne kritisiert werden. Die Kunst eines Schiedsrichters ist es, etwas wahrzunehmen und dann sofort und in Sekundenschnelle zu entscheiden. Hier spielt die Vorbereitung eine große und wichtige Rolle. Je mehr der Schiedsrichter über das Spiel und die Spieler weiß, umso schneller kann er entscheiden und umso weniger kann er überrascht werden. Fehlentscheidungen gehören leider dazu. Man darf aber keine Angst vor Fehlern haben und muss diese möglichst schnell verarbeiten.

Bei Ihren Entscheidungen auf dem Fußballplatz verfügen Sie ja auch noch über zwei Hilfen an der Seitenlinie. Sind das Referendare oder eher Beisitzer?

Felix Brych: Deutlich mehr als Referendare. Auch deutlich mehr als Beisitzer. Der Begriff Schöffen trifft es vielleicht am besten. Ich arbeite mit meinen Assistenten seit sechs Jahren permanent zusammen. Sie nehmen eine elementare Rolle in meinem Team ein und sind für mich ein wichtiger Bestandteil bei jeglicher Entscheidungsfindung, nicht nur beim Abseits.

Die wenigsten Schiedsrichter pfeifen hauptamtlich. Lässt sich die Tätigkeit als Schiedsrichter mit einem Vollzeitjob als Jurist vereinbaren? Wie flexibel muss ein Arbeitgeber sein, der einen Schiedsrichter beschäftigt?

Felix Brych: Eine Vollzeit-Tätigkeit neben der Aufgabe als Bundesliga-Schiedsrichter geht in der heutigen Zeit leider nicht mehr. Die taktische und körperliche Vorbeugung, gepaart mit großer Reisetätigkeit, nimmt zu viel Zeit ein. Die meisten Schiedsrichter arbeiten nur noch in Teilzeit. Ich habe mit dem Bayerischen Fußballverband einen idealen Arbeitgeber gefunden, der mir die nötige Zeit und Flexibilität einräumt.

Es wird immer wieder diskutiert, ob der DFB nicht auf höchster Ebene Profischiedsrichter beschäftigen sollte. Was halten Sie von einer solchen Idee?

Felix Brych: Im Endeffekt sind wir heute schon Profis. Wie viel jeder einzelne überdies noch einem zivilen Beruf nachgeht, muss er selbst wissen. Ich habe immer zumindest in Teilzeit gearbeitet. Das war für mich wichtig als Ausgleich und als Sicherheit.

Emotionen auf den Rängen und Ausschreitungen bei den Fans – wie gefährlich leben Schiedsrichter eigentlich und hören Anfeindungen gegen sie nach Abpfiff im Stadion auf?

Felix Brych: In der Bundesliga ist es kein Problem. Im Amateurbereich bisweilen leider schon. Man hört ja immer wieder von körperlichen Übergriffen auf Schiedsrichter auf Dorfsportplätzen. Natürlich ist das bei 80.000 Spielen jede Woche eher eine Ausnahme – aber jeder Übergriff ist einer zu viel. Was alle Schiedsrichter in der heutigen Zeit betrifft, sind Anfeindungen über das Internet oder soziale Netzwerke. Davor kann man sich schwer schützen. Man muss einen Weg finden, damit zu leben. Das wird mit der Zeit einfacher, berührt einen Menschen aber immer irgendwie, wenn man es mitbekommt.

Wie wird man als Schiedsrichter Spielen zugeordnet und gibt es Partien, die man nicht pfeifen möchte, etwa weil man mit einem Verein schlechte Erfahrung gemacht hat oder im Hinblick auf den Austragungsort?

Felix Brych: Die Ansetzungsarithmetik ist ein elementares und diffiziles Thema. Der Schiedsrichter muss ja ein Unparteiischer sein, wie es das Wort schon vorgibt. Hier gibt es auf jedem Level sogenannte Schiedsrichter-Kommissionen, die die Schiedsrichter zu den einzelnen Spielen ansetzen. Als Aktiver hat man darauf keinen Einfluss und kann auch keine Wünsche äußern.

Was kann die Neutralität eines Unparteiischen gefährden und wie leben Sie damit, Spiele vom FC Bayern aus Neutralitätsgründen nicht pfeifen zu dürfen?

Felix Brych: Es geht um geografische Herkunft, also den Geburtsort und den Wohnsitz. Ich persönlich finde es gut, nicht in München eingesetzt zu werden. Da wäre ich nicht unparteiisch, weil München meine Heimatstadt ist. Auch wenn wir generell neutral sind, würde mich das zusätzlich unter Druck setzen. Das brauche ich nicht, der Job ist ja auch so schon schwierig genug.

Immer wieder rufen Sportler ordentliche Gerichte an; genannt seien z. B. das berühmte Bosman-Urteil des EuGH sowie die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen betreffend Heinz Müller. Inwieweit denken Sie, dass das allgemeine Privatrecht in die Welt des Fußballs eingreifen kann und muss?

Felix Brych: Grundsätzlich finde ich, dass der Sport seine rechtlichen Probleme selbst lösen sollte. Daher gibt es ja auch eine eigene Sportgerichtsbarkeit, der sich alle Spieler und Vereine durch die Teilnahme am Spielbetrieb unterwerfen. Allerdings darf der Sport kein vollends rechtsfreier Raum sein, sodass es in seltenen Einzelfällen auch zu zivilrechtlichen Auseinandersetzungen kommt. Hierbei sollte es sich um krasse Ausnahmen handeln, die Grenze darf nicht verwischen und/oder missbraucht werden. Darauf sollten alle achten, auch die Hüter des Privatrechts.

Auch die übelsten Fouls werden nach einem dem Sport eigenen Sanktionssytem geahndet, im Fußball etwa mit gelben Karten, Platzverweisen und Sperren. Haben Sie als Schiedsrichter schon derart grobe Regelverstöße erlebt, die Ihrer Ansicht nach zu einer staatlich verordneten Strafe hätten führen müssen, etwa Schadensersatz, Schmerzensgeld oder Strafen wegen Körperverletzung?

Felix Brych: Ich kenne solche Fälle aus eigener Erfahrung nicht, aber aus dem Internet.

Sie haben als Schiedsrichter bereits viel erreicht und sind sowohl national wie international sehr gefragt. Können Sie sich berufliche Herausforderungen nach dem Pfeifen vorstellen, etwa im Verband oder gar eine Tätigkeit im juristischen Bereich?

Felix Brych: Natürlich. Jura hat mir sehr viel Spaß gemacht. Zurzeit kann ich einem Beruf als Jurist nicht voll nachgehen. Die Ausübung von Leistungssport nimmt viel körperliche und geistige Kraft in Anspruch, ist aber vor allem biologisch zeitlich begrenzt. Irgendwann ist der Körper nicht mehr in der Lage, den extrem hohen Anforderungen standzuhalten und der Geist etwas müde. Ich muss meine aktive Zeit entsprechend nutzen und viele Dinge, auch private, hintanstellen. Danach bin ich wieder offen für alles.

 

Hinweis der Redaktion: Das Interview ist dem „„Wirtschaftsführer für junge Juristen“ entnommen. Die Gesamtausgabe finden Sie HIER. Das Interview führte Stefanie Assmann. Bitte beachten Sie: Fragen zum Video beweis waren zum Zeitpunkt des Interviews leider nicht zugelassen.

Die Print-Ausgabe des »Wirtschaftsführers für junge Juristen« (ISSN 2511 – 5960) ist in gut geführten juristischen Fach- und Universitätsbuchhandlungen kostenlos erhältlich. Ein Bezug direkt über den Verlag ist bei Einsendung eines ausreichend frankierten Rückumschlages (1,45  €) für Format DIN A4 ebenfalls möglich. Bitte senden Sie diesen, beschriftet mit Ihrer Adresse, an: RICHARD BOORBERG VERLAG GmbH & Co KG, Herr Birger Graf, Scharrstraße 2, 70563 Stuttgart

 

 

 

Dr. Felix Brych

Schiedsrichter im Profifußball, Abteilungsleiter Bayerischer Fußballverband, München

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