02.10.2023

Vollzugsmaßnahmen auf dem Gelände des ehemaligen Ortsteils Lützerath

Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen

Vollzugsmaßnahmen auf dem Gelände des ehemaligen Ortsteils Lützerath

Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen

Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV

Eine Klimaaktivistin des Bündnisses „Die Kirche im Dorf lassen“ wandte sich gegen die Allgemeinverfügung des Landkreises Heinsberg. Der Angeklagten wurde unbefugter Aufenthalt auf einem zum Bergbau ausgewiesenem Grundstück angehaftet, welcher nicht mit „zivilem Ungehorsam“ infolge eines „Klimanotstandes“ gerechtfertigt werden könne. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen urteilte in diesem Fall.

Sachverhalt

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin (Klimaktivistin, die für das Bündnis „Die Kirche im Dorf lassen“ Mahnwachen abhielt; Anm. des Verfassers), die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 17/23 gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 20.12.2022 wiederherzustellen, abgelehnt. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem privaten Interesse der Antragstellerin, von der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an deren sofortigen Durchsetzung falle zu Lasten der Antragstellerin aus, weil sich die angegriffene Allgemeinverfügung bei der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig erweise.

Ermächtigungsgrundlage für die Ziffern 1 und 2 der Allgemeinverfügung sei entweder § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW i. V. m. § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW oder aber die ordnungsbehördliche Generalklausel des § 14 Abs. 1 OBG NRW. Die Allgemeinverfügung sei formell rechtmäßig. Der Antragsgegner (Landrat des Kreises Heinsberg) habe als zuständige Behörde gehandelt. Der Bürgermeister der Stadt E. habe gegenüber dem Antragsgegner bereits mit Schreiben vom 08.12.2022 die Durchführung der ihm erteilten Weisung endgültig verweigert, so dass ein Abwarten der ursprünglich gesetzten Frist nicht erforderlich gewesen sei. Die Allgemeinverfügung sei auch materiell rechtmäßig. Es bedürfe keiner Entscheidung, ob die von dem Antragsgegner herangezogene „Energieversorgungssicherheit“ ein eigenes Schutzgut der öffentlichen Sicherheit sei. Denn es liege jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Unverletzlichkeit subjektiver Rechte und Rechtsgüter eine Störung der öffentlichen Sicherheit vor.


Die Beigeladene (Energiekonzern RWE) habe dem Aufenthalt auf den in ihrem Eigentum stehenden bzw. bergrechtlich zur alleinigen Nutzung zugewiesenen Grundstücken widersprochen, weshalb sich der Aufenthalt jedenfalls nach zivilrechtlichen Maßstäben als widerrechtlich darstelle. Der Aufenthalt könne mit „zivilem Ungehorsam“ infolge eines „Klimanotstandes“ nicht gerechtfertigt werden. Ob das ordnungsbehördliche Tätigwerden an der Subsidiaritätsklausel des § 1 Abs. 2 PolG NRW zu messen sei, könne offenbleiben. Denn auch in diesem Fall seien die von den Vorschriften für das ordnungsbehördliche Eingreifen zum Schutz privater Rechte aufgestellten Voraussetzungen nach summarischer Prüfung erfüllt. Zivilgerichtlicher Schutz gegen die sich auf den Grundstücken aufhaltenden Personen sei für die Beigeladene nicht zu erlangen, weil deren Identität nicht bekannt und erwartbar einem stetigen Wechsel unterworfen sei. Ohne ordnungsbehördliche Hilfe würde die Verwirklichung der Rechte der Beigeladenen vereitelt.

Die vom Antragsgegner konkret gewählte Maßnahme sei bei summarischer Prüfung von der Privatrechtsklausel noch gedeckt. Ein Platzverweis nach § 34 Abs. 1 PolG NRW könne auch bei längerfristigen Gefahrenlagen angeordnet werden. Der in der Allgemeinverfügung genannte räumliche Bereich sei auch ein „Ort“ im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW. Er erstrecke sich weder auf das gesamte Gemeindegebiet von E, noch betreffe er mehrere Stadtteile. Der Antragsgegner habe sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner darauf abgestellt habe, der Beigeladenen werde durch die dauerhafte Besetzung der von der Allgemeinverfügung erfassten Grundstücke faktisch ihr Eigentum an Grund und Boden entzogen. Die Allgemeinverfügung sei schließlich verhältnismäßig. Der unter Verweis auf die Anwesenheit von Mitarbeitern der Beigeladenen auf den fraglichen Grundstücken von der Antragstellerin gerügte Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) liege neben der Sache.

Die Allgemeinverfügung diene gerade dem Schutz privater Rechte der Beigeladenen und solle sie in die Lage versetzen, ihre Grundstücke wieder zu nutzen. Ginge man demgegenüber davon aus, dass auf Grundlage von § 34 Abs. 1 PolG NRW keine längerfristigen Platzverweisungen möglich seien, wäre jedenfalls die ordnungsrechtliche Generalklausel heranzuziehen. Die Vorschrift des § 34 Abs. 1 PolG NRW entfalte in diesem Fall keine Sperrwirkung, weil der Gesetzgeber diese atypische Fallkonstellation dann gerade nicht habe erfassen wollen. Eine Sperrwirkung ergebe sich ebenso wenig aus § 34 Abs. 2 PolG NRW; diese Vorschrift sei eine Ausgestaltung des qualifizierten Gesetzesvorbehalts in Art. 11 Abs. 2 GG, betreffe mithin auch nur die damit erfassten freizügigkeitsrelevanten Sachverhalte. Bei einem (hilfsweisen) Rückgriff auf die ordnungsrechtliche Generalklausel lägen schließlich die Voraussetzungen für einen zulässigen Austausch der Ermächtigungsgrundlage vor; die Allgemeinverfügung würde hierdurch nicht in ihrem Wesen verändert. Ordnungsbehördengesetz (OBG) NRW – § 24 Abs. 1 Nr. 12 Polizeigesetz (PolG) NRW – § 34 Abs. 1 Satz 1

Wird die Ausführung einer aufsichtsrechtlichen Weisung zum ordnungsbehördlichen Einschreiten vom Weisungsempfänger (hier: Bürgermeister) endgültig verweigert, kann die Aufsichtsbehörde von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen, ohne den Ablauf einer dem Weisungsempfänger ursprünglich gesetzten Frist abzuwarten. Das staatliche Gewaltmonopol ist jenseits der von Art. 20 Abs. 4 GG abschließend umschriebenen Ausnahmesituationen keiner Relativierung durch jegliche Formen des zivilen Ungehorsams zugänglich. Die zulässige Dauer einer Platzverweisung (§ 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW) hängt von der Art der konkreten Gefahr im Einzelfall ab. Im Einzelfall einer zeitaufwändigen Räumung zur Gefahrenabwehr kann ein Platzverweis von rund sieben Wochen noch „vorübergehend“ sein. Oberverwaltungsgericht NRW (Beschl. v. 09.01.2023 – 5 B 14/23 – Verlags-Archiv Nr. 2023-06-08)

Aus den Gründen

Die von der Antragstellerin vorgebrachten Einwände rechtfertigen keine Abänderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Die Allgemeinverfügung ist formell rechtmäßig. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Bürgermeister der Stadt E. die Durchführung der ihm erteilten Weisung mit am 08.12.2022 übermittelten Schreiben endgültig verweigert hat und deshalb das Abwarten der ursprünglich für ein ordnungsbehördliches Selbsteintrittsrechts des Antragsgegners nicht erforderlich war. Der Einwand der Antragstellerin, der Bürgermeister könne während der laufenden Frist seine Meinung noch ändern und deswegen hätte der Antragsgegner den Fristablauf abwarten müssen, entbehrt jeder Grundlage.

Anhaltspunkte dafür, dass der Bürgermeister seine Meinung möglicherweise noch geändert hätte, sind nicht vorgetragen oder erkennbar. Vielmehr hat der Bürgermeister selbst in dem oben genannten Schreiben seine Auffassung bekräftigt, dass bundes- und landespolitische Entscheidungen zur Energieversorgung dort zu vollziehen seien, wo sie getroffen würden, und der Antragsgegner von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen könne. Die Allgemeinverfügung findet ihre Rechtsgrundlage in § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW i. V. m. § 34 Abs. 1 PolG NRW. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW kann die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten.

Tatbestandsvoraussetzungen für Gefahr der öffentlichen Sicherheit gegeben

Für Ordnungsbehörden gilt diese Vorschrift nach § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW entsprechend, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Diese Vorschriften tragen nach summarischer Prüfung die angegriffene Allgemeinverfügung, die für eine Dauer von gut sieben Wochen für die in den Ziffern 1 und 2 konkret bezeichneten und in der Anlage zur Allgemeinverfügung räumlich gekennzeichneten Flächen der Allgemeinheit den Aufenthalt sowie das Betreten und Befahren untersagt. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht bejaht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW vorliegen und eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben ist.

[…]

 

Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Neuen Polizeiarchiv, 06/2023, Lz. 770.

 

Norbert Klapper

Kriminalhauptkommissar a. D., Steinfurt/W.
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