15.05.2012

Vergleichen oder verklagen?

Umgang mit Schäden aus spekulativen Derivaten

Vergleichen oder verklagen?

Umgang mit Schäden aus spekulativen Derivaten

Viele Kommunen haben toxische Merkmale der abgeschlossenen Geschäfte nicht erkannt. | © Schlierner - Fotolia
Viele Kommunen haben toxische Merkmale der abgeschlossenen Geschäfte nicht erkannt. | © Schlierner - Fotolia

Nach der Empfehlung des Sächsischen Innenministeriums, Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Abschluss derivativer Zinsgeschäfte prüfen zu lassen, folgte nun eine klare Regelung. Zinsderivate, die nicht der Zinsabsicherung dienen, werden als spekulative Geschäfte für unzulässig erklärt. Diese Regelung ist mit öffentlicher Bekanntmachung vom 01.03.2012 im sächsischen Amtsblatt zur Änderung der VwV kommunaler Hauswirtschaft sowie der VwV kommunaler Hauswirtschaft-Doppik in Kraft getreten. Zugleich enthält die Bekanntmachung den Hinweis, dass eine Änderung der Sächsischen Gemeindeordnung vorangetrieben wird, die neben der Unzulässigkeit des Abschlusses spekulativer Geschäfte auch deren zivilrechtliche Nichtigkeit vorsieht. Damit soll nun Gesetzesgrundlage finden, was in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes schon seit Mitte der fünfziger Jahre entwickelt wurde: Geschäfte, die außerhalb des Wirkungskreises einer öffentlich-rechtlich organisierten Einheit abgeschlossen werden, sind zivilrechtlich unwirksam. Gleichwohl abgeschlossene Geschäfte sind rückabzuwickeln und die empfangenen Leistungen einander zurückzugewähren.

Hunderte Kommunen betroffen

Dieser unmissverständliche Vorstoß des Sächsischen Staatsministeriums des Innern resultiert aus den teilweise existenzbedrohenden Schwierigkeiten, in die Kommunen, die in den letzten Jahren Zinsderivate abgeschlossen haben, geraten sind. Bundesweit sind hunderte Kommunen und kommunale Versorgungsunternehmen von den schädlichen Folgen vermeintlich absichernder oder optimierender Zinsderivate betroffen. Sie wollten ihre Zinslast senken und sind den Empfehlungen ihrer Banken gefolgt. Die Banken konstruierten jedoch hochspekulative Wetten und verkauften diese getarnt als zulässige Swaps. Was für die Kommunen sinnvoll und berechenbar daherkam, gerät nun aus den Fugen und reißt Löcher in Milliardenhöhe in kommunale Haushalte.

Jetzt stehen Kommunen und Kommunalunternehmen vor der Herausforderung des Umgangs mit toxischen Derivaten. Die Hoffnung, dass sich die verlustreichen Folgen des Abschlusses solcher Geschäfte schon irgendwie „regeln“ lassen, schwindet immer mehr – die Schäden werden größer und die Kämmerer sehen sich in Entscheidungszwang. Vergleichen oder verklagen? Das scheint nun die entscheidende Frage zu sein.


Vergleiche

Auseinandersetzungen um spekulative Finanzderivate im Zusammenhang mit von der Deutschen Bank in der Vergangenheit abgeschlossenen sog. Spread Ladder Swaps wurden mittlerweile zunehmend verglichen. Dabei hat die Bank, nicht zuletzt gezwungen durch das erste Swap-Urteil des BGH (BGH, Urt. v. 22.03.2011; Az.: XI ZR 33/10), Entgegenkommen gezeigt. Laut Presseberichten sahen die Vergleiche mit der Deutschen Bank hinsichtlich Spread Ladder Swaps eine überwiegende Kompensation der mit diesen Swaps erlittenen Schäden vor.

Was allerdings, befeuert durch die aktuellen Regelungen in Sachsen, den Kommunen und Kommunalunternehmen derzeit von der LBBW (Landesbank Baden-Württemberg) als Rechtsnachfolgerin der SachsenLB zur Bereinigung von Swap-Schäden angeboten wird, erhöht die Gefahren für Kommunen. Solche Angebote können daher kaum als eine gütliche Einigung verstanden werden. Werden die Risiken toxischer Zinsswaps in Form negativer Marktwerte immer offensichtlicher, spielt die Bank die Bedeutung dieser Marktwerte herunter, rät zur Fortführung oder bietet die Umstrukturierung der Swaps an.

So geschieht es aktuell in Sachsen. Die LBBW-Vertreter ziehen durch die Lande und wollen sich „vergleichen“. Die Vergleiche jedoch, die derzeit offensichtlich flächendeckend angeboten werden, dürften den Kommunen im Ergebnis weiter schaden. Dabei versucht die LBBW, ihre Angebote zu befördern, indem sie darauf hinweist, dass das Land Sachsen diese gutheiße. Diese Strategie der LBBW veranlasste das Innenministerium in Sachsen zuletzt, die Kommunen mit hoher Priorität darüber zu informieren, dass zwar ein Gespräch mit Vertretern der LBBW stattgefunden hätte, man jedoch gerade keine Einschätzung oder gar Empfehlung zu den Vorschlägen der LBBW abgegeben habe. Vielmehr habe man darauf aufmerksam gemacht, dass jede Kommune eigenverantwortlich ihren Umgang mit problematischen Zinsderivaten prüfen und entscheiden müsse, ob ein Rechtsstreit begonnen oder ein Vergleich angestrebt werde.

Im Gegensatz zu Standardzinsswaps, die durchaus sinnvoll im kommunalen Finanzmanagement eingesetzt werden können, bergen die aktuell problematischen Swaps enormes Risikopotenzial. Diese Swaps wurden bereits so strukturiert, dass ihr jeweiliges Chancen-Risiko-Profil für die Kommunen nicht erkennbar war. Häufig beginnen solche Swaps mit einer „Lockzinsperiode“, die bis zu zwei Jahre dauert, oder gewähren einen sonstigen Barwertvorteil. Dass solche Derivate dabei einen bereits anfänglich negativen Marktwert hatten, wurde verschwiegen. Dieser und die Aufklärung darüber war jedoch elementarer Bestandteil der Gerichtsverhandlung vor dem Bundesgerichtshof und der dann folgenden Entscheidung des BGH im März 2011. Im „Normalfall“ betrug der anfängliche negative Marktwert wohl zwischen 3 – 5% der Bezugssumme. Aktuell jedoch tun sich tiefe Gräben auf und es wurden bereits Produkte im kommunalen Bereich analysiert, die einen anfänglichen negativen Marktwert von fast 60% der Bezugssumme aufwiesen. Hier hat man sich vorsätzlich an Geldern der Steuerzahler bereichert und erwartet nun auch noch Vertrauen für zukünftige Regelungen.

Lösung durch Umstrukturierung?

Wenn sich die Kommunen nicht mehr zum Stillhalten bewegen lassen, weil das Vertrauen in die von den Banken gebetsmühlenartig vorgetragenen, die Risiken aus den Swaps relativierenden Einschätzungen des Marktes schwindet, bietet die Bank meist einen „Vergleich“ an. Nur bestehen die Lösungsvorschläge der Banken häufig lediglich in einer Umstrukturierung der bestehenden Swaps.

Häufig gibt es wieder eine Lockzinsperiode, so dass die Kommunen in den Glauben gebracht werden, jetzt werde alles gut. Fast immer jedoch steigt für ein solches „Entgegenkommen“ der Banken im Gegenzug das Risiko für die Kommunen, etwa durch Verlängerung der Vertragslaufzeit oder die Anpassung von Zinssätzen und sonstigen Berechnungsparametern für die übernommenen Leistungspflichten.

Die Kommune hat also lediglich die Möglichkeit, kurz zu verschnaufen und erhält eine neue, äußerst geringe Chance auf Verbesserung der Situation. Diese Chance wird jedoch mit der Erhöhung des Risikos aufgewogen – und das ist im negativen Marktwert des neuen Swaps sichtbar. Durch solche Vergleiche werden die aus den risikoreichen Zinsderivaten resultierenden Schwierigkeiten und Verlustrisiken also nur in die Zukunft verschoben, nicht jedoch gelöst. Dies mag zwar auf den ersten Blick für manchen rein politisch denkenden Verantwortlichen verlockend scheinen, bürdet die Lösung des Problems aber nur der nächsten Generation auf und lässt die Bürger der Gemeinde im Regen stehen.

Klagen

Ob Klagen sinnvoll und den Vergleichsangeboten der LBBW vorzuziehen sind, muss letztlich jede Kommune selbst entscheiden. Bei der Entscheidung sollte jedoch Folgendes beachtet werden: Was deutschen Kommunen und kommunalen Versorgungsunternehmen passiert ist, hat Methode und passierte mit vollem Kalkül der Banken. Von den Kommunen wurde nicht „gezockt“, sondern versucht, Schulden durch Zinseinsparungen abzubauen. Die Not der Kommunen und der Druck zur Haushaltskonsolidierung erhöhten den Wunsch nach vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Banken. Und dass man da die vermeintlich helfende Hand der Landesbanken nicht ausschlug, ist nicht nur verständlich, sondern nachvollziehbar.

Wer klagen will, braucht einen langen Atem und muss sich über das Prozesskostenrisiko im Klaren sein. Denn noch immer gilt in Deutschland: Vor Gericht und auf hoher See ist alles möglich. Eine Garantie gibt es nicht, wenngleich die Entscheidung des BGH zu Swaps auch für die Kommunen enorme Auswirkungen hat. (Ein Kurzleitfaden zu der Bedeutung des Urteils ist in der Kanzlei Rössner abzufragen: info@roessner.de)

Ein Ansatzpunkt für die Prüfung, ob auch die eigene Kommune oder das eigene Unternehmen bewusst aktiv geschädigt wurde, ist die Analyse der abgeschlossenen Geschäfte. Typische Erkennungsmerkmale toxischer Produkte sind:

  • Nutzung positiv besetzter Bezeichnungen wie z.B. „Swap mit Bonus“ oder „Zinsswap mit Chance“
  • Banken nutzen bei der Ansprache zum Vertrieb gern den Begriff „Zinsoptimierung“ oder „Flexibilisierung kommunaler Finanzen“
  • Rekursive Zinsberechnung (sog. „Memory-Effekt“)
  • Zinsberechnung über Formeln mit Hebeln
  • Zinsberechnung ohne inhaltlichen Bezug zum Grundgeschäft
  • Nachträgliche Zinsfeststellung (sog. „in Arrears“ – hier wird der Zinssatz am Ende einer Zahlungsperiode und nicht am Beginn festgelegt – Abkürzung häufig „i.A.“)
  • Anfängliche „Lockzinsperiode“ mit garantierten Überschüssen
  • Einseitige Wandlungs- oder Kündigungsrechte der Bank
  • Keine Offenlegung des anfänglichen negativen Marktwertes oder beispielsweise Margen zu Lasten des Kunden
  • Rücksimulation von Basiswerten
  • Prognosen aufgrund von Rückberechnungen
  • Erste Zahlung nach 3 Jahren (es greift dann bereits die Verjährungsproblematik)

Wenn alle oder einige dieser Punkte auf ein abgeschlossenes Produkt zutreffen, ist die Wahrscheinlichkeit, bewusst von der Bank geschädigt worden zu sein, groß. Gleichermaßen sind eben diese Argumente die Punkte, die bei einer Klageeinreichung beleuchtet und durch die Rechtsprechung verankert werden müssen.

Fazit

Ob der Klage- oder der Vergleichsweg einzuschlagen ist, hängt vom Einzelfall ab. Fest steht aber, dass Geschädigte ein Bewusstsein für ihre „Opferrolle“ entwickeln müssen. Die Lage der Kommunen und kommunalen Versorger ist bewusst ausgenutzt und Vertrauen missbraucht worden. Dabei waren die Produkte der Banken lediglich für die Banken verständlich, da nur sie als Strukturier die Ingredienzien des Giftcocktails kannten. Selbst ein routinierter Kämmerer war nicht in der Lage, das Risiko vollumfänglich einzuschätzen, in das die Bank die Kommune durch ihre Empfehlung brachte.

In Bezug auf Vergleiche ist daher Vorsicht geboten. Wer hier nicht dem schlechten Geld auch noch gutes hinterherwerfen möchte, muss die Vorschläge der Banker eingehend beleuchten. Sonst wird aus einem vorhandenen Schaden in der Gegenwart ein noch höherer Schaden in der Zukunft. Dass ein Vergleich einer langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzung im Zweifel vorzuziehen ist, liegt auf der Hand. Nur muss der Vergleich das widerspiegeln, was im Einzelfall regelmäßig passiert ist: Eine bewusste Schädigung der Kommunen und Kommunalunternehmen durch eine zu Lasten der Kommunen bewusst unfaire Ausgestaltung der Chancen und Risiken in einem Derivat. Vor diesem Hintergrund muss ein Vergleich in erster Linie eine substantielle Kompensation der mit solchen Derivaten bereits erlittenen Schäden darstellen und darf nicht zu einer Verschiebung der Schäden in die Zukunft führen, was faktisch weitere lukrative Geschäfte für die Bank bedeutet. Ist dies nicht gewährleistet, ist eine Klage ernsthaft zu erwägen.

Hinweis der Redaktion: Die Kanzlei (seit über 35 Jahren spezialisiert auf Bank- und Kapitalmarktrecht) hat das BGH-Urteil vom 22.03.2011 gegen die Deutsche Bank erstritten. Aktuell werden durch Rössner Rechtsanwälte eine Vielzahl geschädigter Kommunen deutschlandweit vertreten. SAM Sachsen Asset Management GmbH mit Sitz in Leipzig begutachtet bundesweit spekulative Finanzderivate von Kommunen.

Treffen Sie Vertreter unseres Strategischen Partners auf dem PUBLICUS-Kongress 2012 „Blickpunkt Kommune – Chancen und Risiken in Zeiten der Krise“ am 21. Mai im Haus der Geschichte in Stuttgart. Nähere Informationen zu Themen und Referenten unter www.publicus-boorberg.de

 

Jan Hartlieb

Geschäftsführer der SAM Sachsen Asset Management GmbH
 

Dr. Jochen Weck

Seniorpartner Rössner Rechtsanwälte, München
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