15.05.2012

Nachtfluggegner vs. Flughäfen 1:1

Das BVerwG hat über Nachtflüge entschieden

Nachtfluggegner vs. Flughäfen 1:1

Das BVerwG hat über Nachtflüge entschieden

Nachtflüge: Luftverkehrswirtschaft und Anwohnerinteressen im Konflikt. | © Ancello - Fotolia
Nachtflüge: Luftverkehrswirtschaft und Anwohnerinteressen im Konflikt. | © Ancello - Fotolia

Zunehmende Protestbewegungen gegen deutsche Flughafenentwicklungen führen auch zu mehr Gerichtsentscheidungen. Besonders sensibel ist das Thema Nachtflüge. Die an den Flughäfen Berlin-Brandenburg (Willy Brandt) und Frankfurt/Main geplanten Nachtflugbewegungen waren nunmehr Gegenstand entsprechender Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht. Während das Gericht mit Urteil vom 13.10.2011 (4 A 4000.09) noch den Nachtflugplan für den Berliner Flughafen als zulässig erachtet hat, urteilt es nunmehr am 04.04.2012 (4 C 8.09, 4 C 9.09, 4 C 1.10, 4 C 2.10, 4 C 3.10, 4 C 4.10, 4 C 5.10 und 4 C 6.10), dass die in Frankfurt geplanten Nachtflugbewegungen im Wesentlichen unzulässig sind. Aufgrund dieses aktuellen Urteils dürften sich Fluglärmgegner wieder im Aufwind wähnen; eine Betrachtung der beiden Entscheidungen zeigt indes, dass das Bundesverwaltungsgericht hier eine durchaus einheitliche Linie verfolgt.

Flughafen Willy Brandt

Nach der Rechtsprechung, die das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 13.10.2011 festigt, dauert die flughafenrelevante Nacht von 22:00 bis 6:00 Uhr. Hohe Anforderungen werden an die Zulässigkeit von Flügen in der Nachtkernzeit von 0:00 bis 5:00 Uhr gestellt (nämlich den Nachweis eines standortspezifischen Nachtflugbedarfs), während für eine Nutzung der Nachtrandstunden, also die Zeit von 22:00 bis 24:00 Uhr und 5:00 bis 6:00 Uhr, „nur“ eine besondere Begründung notwendig ist.

Im Berliner Fall ging es im Wesentlichen um geplante Flugbewegungen in den Nachtrandzeiten. An die Darlegung der besonderen Gründe für derartige Flüge stellt das Gericht hohe Anforderungen, die, wie der Fall zeigt, aber von der Verwaltung durchaus bei umsichtiger Planung eingehalten werden können. So fordert die besondere Begründung den Nachweis, dass bestimmter Verkehrsbedarf nicht befriedigend innerhalb der Tagesstunden abgewickelt werden kann. Derartige Gründe können sich zum Beispiel aus den Erfordernissen einer effektiven Flugzeug-Umlaufplanung und den Besonderheiten des Interkontinentalverkehrs ergeben. Hier ist insbesondere die Darlegung einer Nachfrage nach der Zulassung entsprechenden Nachtflugbetriebs von Bedeutung. Je dringlicher ein bestimmter Nachtflugbedarf tatsächlich ist, desto bedeutsamer wird sein Gewicht im Rahmen der Abwägung. Insbesondere gibt das Gericht vor, dass auch innerhalb der Nachtrandstunden die Planung der Nachtflüge vorsehen muss, dass diese mit zunehmender Nähe zu der Nachtkernzeit eine abnehmende Tendenz aufweisen sollen; umgekehrt gilt dies entsprechend für die Wiederaufnahme des Flugbetriebs ab 5:00 Uhr in der Nachtrandzeit vor 6:00 Uhr.


Das Gericht betont aber, dass die für diese Begründung notwendigen Verkehrsprognosen nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegen. Die sorgfältige Planung und Nachweisführung des Nachtflugbedarfs und der Nachtflugsituation am Berliner Flughafen genügt dem Gericht, die geplanten Nachtflüge als zulässig zu erachten. Der neue Berliner Großflughafen Willy Brandt startet insofern ab dem 03.06.2012 mit Nachtflugbetrieb.

Flughafen Frankfurt/Main

Das Gericht legte auch für die geplanten Nachtflüge am Frankfurter Flughafen die gleichen Maßstäbe an. Hierzu trat indes die folgende Besonderheit: Aus Anlass der Ausbaudiskussionen über den Frankfurter Flughafen hatte es ein Mediationsverfahren gegeben, das im Ergebnis zu einer Vorgabe in der Landesentwicklungsplan-Änderung 2007 führte, wonach zwischen 23:00 und 5:00 Uhr täglich durchschnittlich 17 planmäßige Flugbewegungen von Luftfahrzeugen im ausschließlichen Luftfracht- bzw. Luftpostverkehr (nur ausnahmsweise auch im Passagierverkehr) zulässig sind.

Demgegenüber sah der gerichtlich angegriffene Planfeststellungsbeschluss durchschnittlich 150 planmäßige Flugbewegungen je Gesamtnacht (22:00 bis 6:00 Uhr) vor. Bereits mit Urteil vom 21.08.2009 (11 C 227/08 u.a.) hatte der VGH Kassel das beklagte Land Hessen verpflichtet, über Art und Umfang von Nachtflügen neu zu entscheiden und den Planfeststellungsbeschluss insoweit aufgehoben. Mit Beschluss vom 10.10.2011 (11 B 1587/11) hatte der VGH Kassel zudem die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Nachtflugregelung angeordnet. Das BVerwG bestätigte nunmehr in insgesamt acht Musterverfahren von Städten und Gemeinden, Privatpersonen und Gewerbetreibenden sowie einer kommunalen Klinik, dass die aus dem Mediationsverfahren entwickelte Festlegung von 17 Flugbewegungen zwischen 23:00 und 5:00 Uhr (der sogenannten Mediationsnacht) eine starke Vorfestlegung auslöste. Dies führt dazu, dass der planerische Spielraum des beklagten Landes für den Zeitraum zwischen 23:00 und 5:00 Uhr fast gegen null reduziert wird.

Anscheinend konnte das Land in dem Verfahren nunmehr nicht nachweisen, dass hinzutretende neue Umstände von derartigem Gewicht prognostisch ordnungsgemäß eingestellt werden konnten, die ein Abgehen von dem Ergebnis der „Mediationsnacht“ rechtfertigen könnten. Die Zulassung der 17 planmäßigen Flugbewegungen in der Mediationsnacht war zudem wegen fehlender Anhörung der Betroffenen aufzuheben.

Dies führte nunmehr am 04.04.2012 zur Bestätigung der teilweisen Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses durch das Bundesverwaltungsgericht. Bis zur Neubescheidung sind Flüge in der Mediationsnacht damit unzulässig. In den verbleibenden Nachtrandstunden (22.00 bis 23:00 Uhr und 5:00 bis 6:00 Uhr) dürfen nach der Entscheidung des BVerwG allenfalls 133 Flüge abgewickelt werden.

Über die Zulassung eines weitergehenden Kontingents hat das beklagte Land neu zu entscheiden. Dabei müssen jedoch tagähnliche Belastungsspitzen für die Nachtrandstunden in den jeweils betroffenen Überfluggebieten vermieden werden. Für erhebliche Teile des Frankfurter Südens und der benachbarten Kommunen bedeutet dies faktisch ein Nachtflugverbot während der gesamten Nachtstunden (22:00 bis 6:00 Uhr). In dem nunmehr durchzuführenden Planergänzungsverfahren werden daher die betroffenen Städte und Gemeinden ihre politische Forderung nach einem strikten Nachtflugverbot rechtlich durchzusetzen wissen.

Künftige Entwicklungen

Betrachtet man die Angelegenheit nüchtern, wird deutlich, dass die planenden Entscheidungsträger durchaus hinreichende Spielräume haben, Nachtflüge nach den Vorgaben des Gerichtes zu planen; sie haben indes auch die Vorgabe, einen solchen Bedarf regelmäßig zu überprüfen und zu aktualisieren.

Sofern die Berücksichtigung derartiger Umstände ordnungsgemäß geschieht, werden also auch in Zukunft Nachtflüge nicht per se unzulässig sein. Dies zeigen auch Beispiele in anderen europäischen Städten wie z.B. Oslo, wo es seit längerem einen 24-Stunden-Betrieb gibt.

Allerdings sind oftmals die Verhältnisse in anderen Städten nicht mit denen in Frankfurt oder Berlin vergleichbar, sowohl was die Besiedelung der unmittelbaren Flughafen-Umgebung als auch was die Entfernung des Flughafens zum Stadtzentrum angeht.

Die jüngste Entscheidung zum Frankfurter Flughafen dürfte bundesweit Bürgerbewegungen motivieren, schon frühzeitig und nachhaltig Einfluss auf Planungsentwicklungen zu nehmen, um somit Beurteilungsspielräume von Anfang an zu reduzieren. Parallel hierzu wird sicherlich der Druck auf die Luftverkehrsgesellschaften steigen, emissionsärmeres Fluggerät einzusetzen.

In den letzten dreißig Jahren sind zwar zunehmend weniger lärmintensive Flugzeuge im Einsatz und die „Lärmmonster“ werden durch höhere Entgelte bestraft. Dennoch ist mit der wachsenden Zahl an Flugbewegungen der Lärmfaktor derart brisant geworden, dass sich eine Tendenz zur planerischen Regelung der Nachtruhe – zumindest an den besonders stark betroffenen Standorten – nicht mehr verkennen lässt.

Im Übrigen wurde gegen die Entscheidung zum Berliner Flughafen bereits Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht; auch die Anrufung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wird bereits diskutiert. Es bleibt abzuwarten, wie diese Gerichte entscheiden werden.

Eines steht jedoch fest: Solange die Flugverkehrsnutzung in Deutschland weiter zunimmt, wird auch die rechtliche Diskussion über erlaubte Nachtflüge weiter anhalten.

Hinweis der Redaktion: Treffen Sie Vertreter unseres Strategischen Partners auf dem PUBLICUS-Kongress 2012 „Blickpunkt Kommune – Chancen und Risiken in Zeiten der Krise“ am 21. Mai im Haus der Geschichte in Stuttgart. Nähere Informationen zu Themen und Referenten unter www.publicus-boorberg.de

 

Dr. Harald Pott

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Kanzlei Kapellmann und Partner, Berlin, Lehrbeauftragter an der Hochschule für Wirtschaft Berlin
 

Prof. Dr. Stefan Pützenbacher, Notar

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Kanzlei Kapellmann und Partner, Frankfurt am Main; Honorarprofessor für Baurecht an der Frankfurt University of Applied Sciences
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