15.05.2012

Urlaub – Was gilt denn nun?

Die neuen Spielregeln für die schönste Zeit des Jahres

Urlaub – Was gilt denn nun?

Die neuen Spielregeln für die schönste Zeit des Jahres

Jüngst gab es ziemlich viel Bewegung im Urlaubsrecht – die Wogen glätten sich langsam wieder. | © Subbotina Anna - Fotolia
Jüngst gab es ziemlich viel Bewegung im Urlaubsrecht – die Wogen glätten sich langsam wieder. | © Subbotina Anna - Fotolia

Im Jahr 2009 sorgte der Europäische Gerichtshof (EuGH) für große Aufregung im Bereich des Urlaubsrechts. Im Rahmen seiner sog. „Schultz-Hoff“-Entscheidung (EuGH, Urt. v. 20.01.2009 – C-350/06) wurde entschieden, dass § 7 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) europarechtskonform dahingehend auszulegen sei, dass gesetzliche Urlaubsansprüche nicht verfielen, wenn Arbeitnehmer aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gehindert gewesen seien, ihren Urlaub im Urlaubsjahr bzw. im Übertragungszeitraum bis zum 31. März des Folgejahres zu nehmen. Die Konsequenz: Der Urlaub eines Langzeiterkrankten kumulierte sich über die Jahre seiner Arbeitsunfähigkeit. Eine Hiobsbotschaft für die Arbeitgeber. Die Folgen dieser und weiterer urlaubsrechtlich relevanter Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit sollen im Folgenden dargestellt und Leitlinien für die zukünftige betriebliche Praxis gegeben werden.

Nun doch: Begrenzung des Übertragungszeitraums

Die weitreichenden Folgen der „Schultz-Hoff“-Entscheidung relativierte der EuGH mit seiner sog. „Schulte“-Entscheidung (EuGH, Urt. v. 22.11.2011 – C-214/10). Die Richter „ruderten zurück“ und machten ausdrücklich klar, dass es „kein Recht auf (unbegrenztes) Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub gebe, die während der Arbeitsunfähigkeit erworben würden“. Vielmehr seien einzelstaatliche Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten – wie etwa Tarifverträge –, die die Möglichkeit der Geltendmachung von Urlaubsansprüchen durch den (langzeiterkrankten) Arbeitnehmer dadurch einschränkten, indem sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsähen und nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlösche, mit dem Europarecht vereinbar. Der EuGH betonte, dass der Urlaubsanspruch zwei Zwecken diene: 1.) der Erholung und 2.) des Verfügens über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit. Ersterer Zweck – die Erholung – könne nur erreicht werden, wenn die Übertragung einen gewissen Zeitraum nicht überschreite. Hier sah der EuGH einen 15-monatigen Zeitraum als eine Zeitspanne an, bei deren Überschreitung der bezahlte Jahresurlaub für den Arbeitnehmer keine positive Wirkung als Erholungszeit mehr habe.

Der Entscheidung des EuGH folgend urteilte das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 21.12.2011 – 10 Sa 19/11), dass Urlaubsansprüche bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres untergingen und bei einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht abzugelten seien. Anders als der Entscheidung des EuGH lag dem vom LAG Baden-Württemberg entschiedenen Sachverhalt jedoch weder eine tarifvertragliche noch eine einzelvertragliche Regelung des Übertragungszeitraums zugrunde.


Nach Ansicht der Richter des LAG Baden-Württemberg sei jedoch auch die gesetzliche Regelung des § 7 Abs. 3 BUrlG entsprechend der Rechtsauffassung des EuGH europarechtskonform auszulegen. Auf eine gesonderte Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien komme es nicht an.

Gegen die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg ist mittlerweile Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt worden. Sollte die Rechtsauffassung der Stuttgarter Richter vom BAG bestätigt werden, so hätte dies zur Folge, dass Urlaubsansprüche bereits qua Gesetz und mithin unabhängig von einer besonderen (tarif)vertraglichen Regelung bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres untergehen. Dies wäre – zumindest aus Arbeitgebersicht – zu begrüßen, weil hierdurch das erhebliche wirtschaftliche Risiko, das langzeiterkrankte Mitarbeiter ohne ihr Zutun urplötzlich verursachen, deutlich begrenzt würde.

Verfall von Urlaubsansprüchen durch Ausschlussfristen

Für ein weiteres „Aufatmen“ sorgten zwei Entscheidungen des BAG vom 9. August 2011. Die erste Entscheidung (BAG, Urt. v. 09.08.2011 – AZR 352/10) befasste sich mit der Frage der zulässigen Anwendbarkeit tariflicher Ausschlussfristen auf den Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG. Das BAG urteilte, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch auch im Falle einer (langandauernden) Arbeitsunfähigkeit mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses fällig würde. Insbesondere würde der Fälligkeitszeitpunkt nicht bis zur (u. U. niemals eintretenden) Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit hinausgeschoben. Dieser – rein monetäre – Abgeltungsanspruch unterliege zudem den tarifvertraglichen Ausschlussfristen. Dies bedeutet, dass sich der vormalige Urlaubsanspruch bei Ende des Arbeitsverhältnisses in einen reinen Urlaubsabgeltungsanspruch umwandelt, der dann zeitgleich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch fällig wird. In diesem Moment beginnt die jeweilige (tarifvertragliche) Ausschlussfrist zu laufen. Besteht eine beispielsweise sechsmonatige tarifvertragliche Ausschlussfrist, so muss der Arbeitnehmer den Urlaubsabgeltungsanspruch spätestens sechs Monate nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend machen; anderenfalls verfällt der Urlaubsabgeltungsanspruch.

Unseres Erachtens ist die Wertung der Entscheidung auch auf individualvertragliche Ausschlussfristen übertragbar. Der Vereinbarung von Ausschlussfristen im Arbeitsvertrag kommt damit besondere Relevanz zu. Ob jedoch auch hier eine kürzere – ansonsten zulässige – dreimonatige individualvertragliche Ausschlussfrist von den Gerichten als noch zulässig angesehen werden wird, ist offen. Bei Fehlen einer einzel-/tarifvertraglichen Ausschlussfrist bleibt es bei der gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren.

Verfall bei Wiedergenesung

Im Rahmen der zweiten getroffenen Entscheidung (BAG, Urt. v. 09.08.2011 – AZR 425/10) verwies das BAG auf die gesetzliche Regelung, dass nicht genommener Urlaub grundsätzlich am Ende des Urlaubsjahres verfiele, wenn kein Übertragungsgrund nach § 7 Abs. 3 BUrlG vorliege. Gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG sind als gesetzliche Übertragungsgründe dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe definiert. War ein Arbeitnehmer langzeiterkrankt und nimmt seine Arbeit wieder auf, so tritt der Urlaubsanspruch, der aus einem früheren Urlaubsjahr übertragen wird, zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der zu Beginn des Jahres entsteht. Diese beiden Komponenten bilden nach Auffassung des BAG einen einheitlichen Urlaubsanspruch, auf den sodann insgesamt die Regel des § 7 Abs. 3 BUrlG anzuwenden sei.

Der Urlaubsanspruch erlischt mithin auch bei einer langwierigen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bei fehlendem Übertragungsgrund, wenn der Arbeitnehmer so rechtzeitig gesund und arbeitsfähig wird, dass er in der verbleibenden Zeit, also bis zum Jahresende bzw. Ende des Übertragungszeitraums am 31. März des Folgejahres, seinen Urlaub nehmen kann. Anderenfalls käme es zu einer nicht gerechtfertigten Privilegierung des ehemals erkrankten, nun aber genesenen Arbeitnehmers gegenüber den übrigen Arbeitnehmern. Das Europarecht steht dieser zeitlichen Befristung nach Auffassung des BAG nicht entgegen, sofern der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hat, den Urlaubsanspruch vor dem Ende des Übertragungszeitraums (also dem 31. März des Folgejahres) zu realisieren.

Es bleibt somit festzuhalten, dass Arbeitnehmer, die nach einer Langzeiterkrankung ins Unternehmen zurückkehren, gut beraten sind, ihren angesparten Urlaub im laufenden Urlaubsjahr zu nehmen, weil sie andernfalls Gefahr laufen, dass dieser spätestens zum 31. März des Folgejahres verfällt. Auch dies stellt eine deutliche Begrenzung des arbeitgeberseitigen Risikos dar, welches sich durch die „Schultz-Hoff“-Entscheidung des EuGH ergeben hatte.

Keine Abgeltung bei Tod des Arbeitnehmers

In einer Entscheidung des BAG vom 20. September 2011 (BAG, Urt. v. 20.09.2011 – 9 AZR 416/10) hatte sich das Gericht mit der Frage zu beschäftigen, ob der Tod des Arbeitnehmers einen Fall der Beendigung und damit zugleich der Umwandlung des Urlaubsanspruches in einen (monetären) Urlaubsabgeltungsanspruch darstellt. Relevanz hat diese Frage für eine mögliche Vererbbarkeit des – doch ggf. „teuren“ – Urlaubsabgeltungsanspruchs. Das BAG hat hier geurteilt, dass eine Umwandlung des Urlaubsanspruchs in einen Urlaubsabgeltungsanspruch stets voraussetze, dass der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch lebe. Nur dann bestünde bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein noch offener Urlaubsanspruch, der überhaupt umgewandelt werden könne.

Ist ein Arbeitnehmer (langzeit)erkrankt und stirbt er, bevor das Arbeitsverhältnis beendet worden ist, so wandelt sich der aufgelaufene Urlaubsanspruch nicht in einen Urlaubsabgeltungsanspruch um; es entsteht also auch kein Urlaubsabgeltungsanspruch, der in die Erbmasse fallen könnte. Ausreichend ist umgekehrt aber, dass der Arbeitnehmer die Beendigung des Arbeitsverhältnisses um einen Tag „überlebt“. In diesem Fall ist der Urlaubsabgeltungsanspruch des Arbeitnehmers entstanden und kann als solcher sodann auch vererbt werden.

Unzulässigkeit altersabhängiger Staffelung der Urlaubsdauer

Schließlich hat das BAG mit Urteil vom 20. März 2012 (BAG, Urt. v. 20.03.2012 – 9 AZR 529/10) jedoch entschieden, dass eine altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer gegen das Verbot der Benachteiligung wegen Alters verstoße und damit unzulässig sei.

Gegenstand der Entscheidung war die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD, die bis zum vollendeten 30. Lebensjahr einen Urlaubsanspruch in Höhe von 26 Arbeitstagen, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr einen Urlaubsanspruch in Höhe von 29 Arbeitstagen und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr einen Urlaubsanspruch in Höhe von 30 Arbeitstagen vorsah.

Nach Ansicht der Richter benachteiligt die Differenzierung der Urlaubsdauer nach dem Lebensalter in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD Beschäftigte, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unmittelbar und verstößt damit gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters. Die tarifliche Urlaubsstaffelung verfolge nicht das legitime Ziel, einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Menschen Rechnung zu tragen.

Ein gesteigertes Erholungsbedürfnis von Beschäftigten bereits ab dem 30. bzw. 40. Lebensjahr ließe sich zudem auch kaum begründen. Der Verstoß der in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD angeordneten Staffelung der Urlaubsdauer gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters könne nur beseitigt werden, indem die Dauer des Urlaubs der wegen ihres Alters diskriminierten Beschäftigten in der Art und Weise „nach oben“ angepasst werde, dass auch ihr Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage beträgt.

Zwar hat das BAG das gesteigerte Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer grundsätzlich als legitimes Regelungsziel anerkannt, doch sollte eine altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer auch zukünftig nur dort erfolgen, wo ein gesteigertes Erholungsbedürfnis der Arbeitnehmer tatsächlich besteht und auch konkret nachgewiesen werden kann. Ansonsten heißt es: Gleicher Urlaub für alle!

Insofern ist es verwunderlich, dass die Neuregelung des TVöD, die in Kenntnis der Entscheidung des BAG erfolgte, abermals eine altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer (vor dem vollendeten 55. Lebensjahr: 29 Arbeitstage, ab dem vollendeten 55. Lebensjahr: 30 Arbeitstage) vorsieht. Ein pauschal gesteigertes Erholungsbedürfnis von Mitarbeitern ab 55 Lebensjahren ist nicht erkennbar.

Es bleibt somit abzuwarten, ob die nunmehrige tarifliche Regelung einer gerichtlichen Prüfung standhalten würde. Ebenso bleibt abzuwarten, ob die ebenfalls im neuen TVöD enthaltene Bestandsschutzklausel für Mitarbeiter der Jahrgänge 1958 bis 1972, die die Rechtslage des alten TVöD teilweise fortschreibt, einer gerichtlichen Überprüfung standhalten würde.

Fazit

Auch wenn es wohl kaum einen Bereich des Arbeitsrechts gibt, der derzeit derart in Bewegung ist wie das Urlaubsrecht, scheinen sich die Wogen wieder zu glätten. Nachdem sich die Arbeitgeber eine Zeitlang erheblichen Ansprüchen der Arbeitnehmer ausgesetzt sahen, hat der EuGH seine missverständliche Rechtsprechung nunmehr korrigiert und zu einer Befriedung im Urlaubsrecht beigetragen.

Und auch die sonstigen Entscheidungen der vergangenen Wochen zeigen, dass die Gerichte bemüht sind, den Urlaub wieder zu dem zu machen, was er ist: die schönste Zeit des Jahres.

Hinweis der Redaktion: Treffen Sie Vertreter unseres Strategischen Partners auf dem PUBLICUS-Kongress 2012 „Blickpunkt Kommune – Chancen und Risiken in Zeiten der Krise“ am 21. Mai im Haus der Geschichte in Stuttgart. Nähere Informationen zu Themen und Referenten unter www.publicus-boorberg.de

 

Dr. Eva Rütz

Rechtsanwältin, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln
 

Thorsten Tilch

Rechtsanwalt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Leipzig
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