23.11.2020

Vereinfachtes Verfahren im SGB II aus Anlass der Corona-Pandemie

„Erhebliches Vermögen“ steht jedoch einer Leistungsbewilligung entgegen

Vereinfachtes Verfahren im SGB II aus Anlass der Corona-Pandemie

„Erhebliches Vermögen“ steht jedoch einer Leistungsbewilligung entgegen

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Das Landessozialgericht Bayern (LSG) hat im einstweiligen Rechtsschutz Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für einen Selbstständigen auch unter den Bedingungen der Corona-Gesetzgebung abgelehnt. Es handelt sich um eine der ersten Gerichtsentscheidungen zum „vereinfachten Verfahren“ nach § 67 SGB II.

Ein Selbstständiger beantragte ergänzend ALG II

In dem Eilverfahren begehrte ein Selbstständiger, der Fortbildungen für Berufskraftfahrer durchführt, ergänzende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Der Leistungsberechtigte bezog bereits seit Jahren entsprechende Leistungen. Nachdem das Jobcenter eine Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (DRV KBS) erhielt und auf die Existenz eines bisher nicht angegebenen Bankkontos aufmerksam wurde, hob das Jobcenter für die Zeit von Dezember 2019 bis März 2020 die Leistungsbewilligung auf. Gegen die Aufhebung legte der Leistungsberechtigte Widerspruch ein. Am Sozialgericht München (SG) ist ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches anhängig.

Selbstständiger verweigerte Angaben zu seinem Vermögen

Unterdessen beantragte der Mann die Gewährung von Leistungen ab April 2020. Er gab an, dass er keinen Gewinn aus seiner selbstständigen Tätigkeit erwarte. Der Aufforderung des Jobcenters, Kontoauszüge vorzulegen, kam der Mann nicht nach. Er vertrat die Auffassung, dass die Vermögensprüfung ab 01.04.2020 bis 31.10.2020 wegen der Coronakrise aufgehoben worden sei. Daher sei eine Konto- bzw. Vermögenseinsicht der Jobcenter für diesen Zeitraum nicht nötig. Der Leistungsberechtigte verfolgte dieses Anliegen schließlich im einsteiligen Rechtsschutz vor dem LSG weiter.


Vorübergehende Unbeachtlichkeit von Vermögen

Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass die Vermutung nach § 67 Abs. 2 SGB II, dass kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, nicht eintritt, wenn der Antragsteller keine Eigenangaben zum Vermögen macht. § 67 SGB II sieht als befristete Sonderregelung ein vereinfachtes Verfahren für Bewilligungszeiträume vor, die in den Monaten März bis Juni 2020 beginnen. Für die genannten Zeiträume bestehen Erleichterungen u. a. hinsichtlich des eine Hilfebedürftigkeit reduzierenden bzw. ausschließenden Vermögens, der Übernahme von Wohnkosten sowie Erleichterungen bei der Berücksichtigung von Einkommen und ein Dispens vom Antragserfordernis.

Sonderregelungen aus Anlass der Corona-Pandemie

Nach § 67 Abs. 1 SGB II wird im Rahmen der Leistungsgewährung Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt. Die Regelung soll sicherstellen, dass die durch die Corona-Krise wirtschaftlich besonders Betroffenen angesichts des voraussichtlich nur vorübergehenden Bezugs von Grundsicherungsleistungen nicht zunächst ihre Ersparnisse aufbrauchen müssen. Des Weiteren soll sich die Leistungsbewilligung nicht durch die häufig zeitaufwändige Prüfung der Vermögensverhältnisse verzögern (vgl. BT-Drs. 19/18107).

„Erhebliches Vermögen“ steht einer Leistungsbewilligung entgegen

Mitnahmeeffekten soll vorgebeugt werden, indem Vermögen doch zu berücksichtigen ist, wenn es „erheblich“ ist. Die Schwelle zur Erheblichkeit ist nicht im Gesetz beziffert. Nach den Vorstellungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) wie auch der Bundesagentur für Arbeit (BA) lässt sich die Grenze mit Blick auf das Wohngeldrecht bestimmen. Danach liegt erhebliches Vermögen vor, wenn das sofort verwertbare Vermögen (Barmittel und sonstige liquide Mittel) 60 000€ für das erste zu berücksichtigende Haushaltsmitglied sowie jeweils 30 000€ für jedes weitere Haushaltsmitglied übersteigt (siehe BA, Weisung zu § 67 SGB II, Stand 22.04.2020, https://www.arbeitsagentur.de/datei/ba146402.pdf).

Ausreichend ist eine Eigenerklärung zu den Vermögensverhältnissen

Nach der gesetzlichen Regelung soll vermutet werden, dass kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, wenn dies vom Antragsteller im Antrag erklärt wird. Ermittlungen von Amts wegen sind indes eröffnet, wenn im Rahmen der Antragstellung eine Erklärung zu den Vermögensverhältnissen verweigert wird. Daher konnte im Verfahren des LSG das Vorliegen erheblichen Vermögens nicht verneint werden. Der Mann lehnte es im Antragsverfahren ab, eine Erklärung zum vorhandenen Vermögen abzugeben. Von dem Jobcenter waren vor diesem Hintergrund auch keine vertieften Ermittlungen zu dem sofort verwertbaren Vermögen zu erwarten. Wenn ein Antragsteller nicht ausreichend mitwirkt und die Behörde ihre Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat, ist nach den Beweislastregeln zu entscheiden. Danach trifft die objektive Beweislast denjenigen, der einen Leistungsanspruch geltend macht, dessen Tatbestandsvoraussetzungen nur er nachweisen kann.

Verlängerung der Bewilligungsdauer

Auch eine Verlängerung des vorausliegenden Bewilligungszeitraums scheidet aus. Zur Entlastung der Jobcenter in der Corona-Krise sieht § 67 Abs. 5 SGB II eine Verlängerung der Leistungsgewährung auch ohne Fortzahlungsantrag vor. Nach dieser Vorschrift ist für Leistungen nach dem SGB II, deren Bewilligungszeitraum in der Zeit vom 31.03.2020 bis vor dem 31.08.2020 endet, für deren Weiterbewilligung abweichend von § 37 SGB II kein erneuter Antrag erforderlich. Der zuletzt gestellte Antrag gilt insoweit einmalig für einen weiteren Bewilligungszeitraum fort. Die Leistungen werden unter Annahme unveränderter Verhältnisse für zwölf Monate weiter bewilligt. Soweit die vorausgegangene Bewilligung vorläufig erfolgt ist, ergeht auch die Weiterbewilligungsentscheidung nach § 41 a SGB II aus demselben Grund für sechs Monate vorläufig.

Antragsfiktion setzt einen nahtlosen Leistungsbezug voraus

Diese Regelung gilt hier nicht, da für den unmittelbar vorausgegangenen Zeitraum ab Dezember 2019 Leistungen nicht bewilligt wurden, sondern die Leistungsbewilligung aufgehoben wurde. Das Jobcenter hat den Bewilligungsbescheid ab Dezember 2019 gem. § 45 SGB X aufgehoben. Der Bescheid ist sofort vollziehbar. Das Widerspruchsverfahren hat gem. § 39 Nr. SGB II keine aufschiebende Wirkung. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem SG, mit dem der Leistungsberechtigte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid begehrt, ist noch offen.

Das LSG vertrat die Auffassung, dass § 67 Abs. 5 SGB II nicht anwendbar ist, wenn eine Leistungsbewilligung nach § 45 SGB X aufgehoben wurde und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht angeordnet ist.

 

Landessozialgericht Bayern, Beschluss vom 20.04.2020 – L 16 AS 170/20 B ER –.

Fundstelle BW 2020/275

 

Dr. Martin Kellner

Richter am Sozialgericht Freiburg i. Br.
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