23.11.2020

Kein generelles Versammlungsverbot aufgrund Corona-Verordnung

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Kein generelles Versammlungsverbot aufgrund Corona-Verordnung

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Der Beschwerdeführer (B) meldete mit einem Schreiben vom 04.04.2020 bei der Stadt (Antragsgegnerin) mehrere Versammlungen unter dem Motto „Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen“ an. Als Termine waren der 14. bis 17.04.2020 jeweils von 14 bis 18 Uhr vorgesehen. Es wurden ca. 30 Teilnehmer erwartet.

Geplant waren eine zweistündige Auftaktveranstaltung und ein anschließender Aufzug mit Zwischenkundgebungen. Ordner sollten mit markierten Startpositionen für ausreichenden Abstand zu den Teilnehmern sorgen und Hinweisschilder sollten an die Einhaltung von Abständen erinnern. Die Stadt verbot die Versammlungen und ordnete die sofortige Vollziehung des Verbots an. Sie stützte das Verbot auf § 15 Versammlungsgesetz (VersG) und auf § 1 der hessischen Corona-Verordnung, die öffentliche Verhaltensweisen unabhängig von der Personenzahl untersagen würde.

Widerspruch und Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vor dem Verwaltungsgericht Gießen (VG) hatten keinen Erfolg, ebenso wenig wie die Beschwerde vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (HessVGH).


Am 14.04.2020 erhob B Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und beantragte den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG). Das BVerfG hat entschieden, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt wird und die Stadt über das Verbot der Versammlung für den 16. und 17.04.2020 erneut zu entscheiden hat.

Die behördliche Ermessenentscheidung nach § 15 VersG

Das BVerfG hat die Aufgabe, die Beachtung der Grundrechte zu sichern. Art. 8 GG gewährleistet für alle Deutschen das Recht, sich ohne Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Dieses Recht kann für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden.

Die hessische Corona-Verordnung enthält kein generelles Verbot von Versammlungen unter freiem Himmel. Dennoch ging die Stadt Gießen bei ihrem Verbot davon aus, dass die Corona-Verordnung auch öffentliche Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz unterbinden will.

Die Stadt hatte bei ihrer Verbotsverfügung verkannt, dass die Vorschrift des § 1 der hessischen Corona-Verordnung der Behörde für die Ausübung des in § 15 VersG eingeräumten Ermessens einen Entscheidungsspielraum belässt. Die Stadt Gießen hat daher unter Berücksichtigung ihres pflichtgemäßen Ermessens erneut darüber zu entscheiden, ob sie die Versammlungen am 16. und 17.04.2020 von bestimmten Auflagen abhängig macht oder falls solche Auflagen als unzureichend angesehen werden, die Versammlungen verbietet.

 

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15.04.2020 – 1 BvR 828/20 –.

Fundstelle He 2020/179

 
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