18.11.2020

Präventions-Paradoxon

Begriff des Sicherheits- und Risikomanagements im neuen Licht

Präventions-Paradoxon

Begriff des Sicherheits- und Risikomanagements im neuen Licht

Das Präventions-Paradoxon tritt nicht auf, wenn Sie mit Prävention ausschließlich das Schadenausmaß reduzieren.  | © rottenman - stock.adobe.com
Das Präventions-Paradoxon tritt nicht auf, wenn Sie mit Prävention ausschließlich das Schadenausmaß reduzieren.  | © rottenman - stock.adobe.com

Werden Sicherheitsmaßnahmen erhöht, dann sinken die Schäden. Paradoxerweise führen sinkende Schäden nicht selten dazu, die Sicherheitsmaßnahmen in Frage zu stellen. Wie können Sie diesem Phänomen entgegenwirken?

Im Sicherheits- und Risikomanagement gibt es eine wesentliche Entscheidung bei der Risikobehandlung: Entweder die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens und/oder dessen Folge (Schadenausmaß) reduzieren? Die Unterschiede werden im Beispiel deutlich:

  • Weil es regnen könnte, nehmen Sie beim Spaziergang eine Jacke mit. Die Jacke reduziert den Schaden, falls es regnet. Sie haben keinen Einfluss darauf, ob es regnen wird, wie im nächsten Beispiel.
  • Wenn sie beim nächtlichen Spaziergang eine Taschenlampe nutzen, reduzieren sie die Wahrscheinlichkeit, dass sie über ein Hindernis stolpern. Wenn Sie stolpern, mildert die Taschenlampe die Folgen des Sturzes nicht, im Vergleich zum ersten Beispiel.

Hier kommt das Paradoxon

Prävention will etwas bewirken, indem sie etwas verhindert. D.h., bei erfolgreicher Prävention treten keine Schäden mehr auf. Genau dieser Erfolg könnte dazu führen, dass die Prävention in Frage gestellt wird. Das ist paradox: Im Beispiel bedeutet es: Nachdem Sie zwei Jahren lang nicht gestürzt sind, verzichten Sie auf die Taschenlampe, weil Sie die Präventionsleistung der Lampe, in Ermangelung von Stürzen, zu gering einschätzen.


Beispiele dieser Art kann jeder Risiko- und Sicherheitsmanager zu Dutzenden aufzählen. Es werden Sicherheitsmaßnahmen hoch gefahren, die Schäden sinken, anstelle von Dank und Anerkennung erhält man jedoch eine Budgetreduzierung. Beispielsweise reduzieren Sie Schäden durch bessere Qualität beim operativen Sicherheitspersonal. Paradoxerweise werden die reduzierten Schäden als Argument für Budgetkürzungen herangezogen.

Das Präventions-Paradoxon tritt nicht auf, wenn Sie mit Prävention ausschließlich das Schadenausmaß reduzieren. Denn hinter dem Paradoxon steht ein Wahrnehmungsfehler, dieser tritt nicht auf, wenn weiterhin Schadenereignisse wahrnehmbar sind und die Prävention nur das Schadenausmaß pro Fall reduziert.

Jedoch kann im umgekehrten Fall das Paradoxon auftreten, zum Beispiel in der aktuellen öffentlichen Debatte zur Covid-19 Prävention: Präventionsmaßnahmen in der Art von Kontaktbeschränkungen reduzieren ausschließlich die Fall-Häufigkeit von Infektionen. Die zuletzt geringer werdende Fall-Häufigkeit wird als Argument herangezogen, die Präventionsmaßnahmen zu lockern. Hier ist der Fehler, dass aus einer geringen Fall-Häufigkeit nicht auf ein geringes Risiko geschlossen werden kann: Denn vielleicht ist die geringe Fall-Häufigkeit vor allem das Ergebnis von erfolgreicher Prävention. Und um ein Risiko zu bestimmen ist die Schadenhäufigkeit nur ein Indikator von vielen, was hier nicht vertieft werden soll.

Praxishinweise:

  • Bad-Practice ist nur Risikobehandlungen zu wählen, die das Schadenausmaß reduzieren. Wenn Sie darauf hinarbeiten, dass weiterhin Schäden stattfinden, aber deren Folgen begrenzt sind, tritt das Präventions-Paradox zwar nicht ein, aber ihre Maßnahmen sind bezüglich Effektivität i.S.v Zielgerichtetheit angreifbar.
  • Heben Sie die verborgenen Schätze in ihrem Risikoregister. Erarbeiten Sie eine belastbare Statistik der Schäden. Ihre „verborgenen Schätze“ sind im Bereich Dunkelfeld, Folgeschäden, Versuche und seltene Ereignisse. Je besser Sie die Leistung von Sicherheitsmaßnahmen in Verbindung zu Schäden und verhinderten Schäden bringen können, desto besser. Beispiele sind „Versuche, ein System zu hacken“ oder die „erkannten Vorbereitungshandlung zu einem Diebstahl“, „Reputationsverluste nach Diebstahl von Kundendokumenten“ und „Folgeschäden durch 2,5 Arbeitsstunden für die Beschaffung und Montage des abhandenkommenden Beamer“.
  • Beachten Sie: Bei „Versuchs-Häufigkeiten“ ist in der Regel das Dunkelfeld größer, im Vergleich zur Häufigkeit bei vollendeten Taten bzw. schlagenden Risiken.
  • Es ist nur in manchen Fällen möglich, dass Sie Schäden aus „Versuchen“ bzw. „Beinahe-Schäden“ quantifizieren, z.B. das bei einer Zaunkontrolle entdeckte Diebesgut im Wert von 3.000 EUR. Es wurde vermutlich fahrlässig oder vorsätzlich so platziert, dass es für einen Dieb von der Zaun-Außenseite greifbar war, was verhindert wurde.

Siehe auch:

Standpunkt: Das Präventionsparadox und der freiheitliche Rechtsstaat. Comeback der Gesundheitspolizei?
 

Christoph Öxle

Senior Expert Physical Security, Personnel Security & Crisis Management bei ZF Friedrichshafen AG
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