19.11.2020

Geschäftsstellen von Kreisparlamenten müssen Schreiben weiterleiten

Auch Schreiben von Privatpersonen fallen unter die Regelung des Artikel 17 Grundgesetz

Geschäftsstellen von Kreisparlamenten müssen Schreiben weiterleiten

Auch Schreiben von Privatpersonen fallen unter die Regelung des Artikel 17 Grundgesetz

Das Petitionsrecht garantiert ein „Grundrecht auf ungehinderten Zugang zum Repräsentationsorgan.“ ©wesel-fotalia.com
Das Petitionsrecht garantiert ein „Grundrecht auf ungehinderten Zugang zum Repräsentationsorgan.“ ©wesel-fotalia.com

Kreisparlamente sind Volksvertretungen im Sinne des Artikel 17 Grundgesetz. Somit sind die Geschäftsstellen dazu verpflichtet, auch Schreiben von Privatpersonen an die Mitglieder weiterzuleiten.

Der 8. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) hat die bislang höchstrichterlich nicht entschiedene Frage bejaht, wonach Kreistage als kommunale Vertretungen auch als Volksvertretungen im Sinne des Art. 17 Grundgesetz (GG) anzusehen sind (Urteil v. 08.05.2020 – 8 C 12.19). Damit ist die Praxis eines Landratsamtes als Geschäftsstelle des Kreistages nicht zu vereinbaren, bei ihm eingehende Schreiben von Privatpersonen generell nicht an die Mitglieder des Kreistages weiterzuleiten. Ob einzelne Kreisräte als zuständige Stelle im Sinne des Petitionsrechtes anzusehen sind, ließ das BVerwG offen.

Der Ausgangsfall

Der Kläger des Ausgangsverfahrens wandte sich mit persönlich adressierten Briefen neben anderen Personen an die einzelnen Mitglieder des Kreistages des beklagten Landkreises. Die Briefe enthielten die Aufforderung an die Adressaten, ihre kommunalpolitischen Einflussmöglichkeiten geltend zu machen, um vom Kläger befürchtete illegale Waffenexporte einer Firma mit Sitz im Kreisgebiet zu verhindern. Diese Schreiben gingen beim Landratsamt des Beklagten und damit in diesem Falle auch der Geschäftsstelle des Kreistages ein. Ein Teil der an die Kreisräte gerichteten Schreiben ging diesen zu, wovon der Beklagte Kenntnis erhielt. Die übrigen an die Kreisräte gerichteten Schreiben wurden an den Kläger mit dem Hinweis zurückgeschickt, dass es der Praxis des Beklagten entspreche, Schreiben und andere Einsendungen von Privatpersonen an Kreisräte grundsätzlich nicht an diese weiterzuleiten.


Hiergegen hat der Kläger Klage auf Feststellung erhoben, dass das Landratsamt verpflichtet gewesen sei, seine an die Kreisräte gerichteten Schreiben an diese weiterzuleiten. Das Verwaltungsgericht bejahte diese Verpflichtung nur für den Fall, soweit es dem Kläger nicht möglich gewesen sei, zu den Kreistagsmitgliedern auf andere Weise Kontakt aufzunehmen (VG Freiburg, Urteil v. 27.09.2017 – 1 K 3746/16).

Der vom Beklagten angerufene Verwaltungsgerichtshof wies die Klage mangels Rechtsgrundlage insgesamt ab. Der Kläger könne sich nicht auf Art. 3 Abs.1 GG berufen, da der Beklagte auch in der Vergangenheit keine Schreiben von Privatpersonen an die Kreisräte weitergeleitet habe. Da der Kläger sein Begehren an die einzelnen Kreistagsmitglieder gerichtet habe, sei auch der Schutzbereich des Art. 17 GG nicht eröffnet, da diese weder Volksvertretung im Sinne dieser Vorschrift noch zuständige Stellen seien (VHG BW, Urteil v. 27.11.2018 – 1 S 2712/17 = VBlBW 2019, 240).

Das BVerwG hingegen stellte in seinem Urteil fest, dass das Landratsamt verpflichtet war, die streitgegenständlichen Schreiben des Klägers an die Mitglieder des Kreistages weiterzuleiten.

Begründung

Nach Art. 17 GG hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen oder an die Volksvertretung zu wenden. Unter Bitten sind Forderungen oder Vorschläge zu verstehen, die auf ein Handeln oder Unterlassen von mit staatlichen Aufgaben betrauten staatlichen Organen, Behörden etc. gerichtet sind.  Unter Beschwerden sind Beanstandungen, die sich gegen ein Handeln oder Unterlassen dieser Stellen wenden, zu subsumieren. Nach Auffassung des BVerwG steht es jedermann frei, „sich durch eine Petition für die Förderung welchen Anliegens auch immer einzusetzen“.

Für die Unterscheidung zwischen Volksvertretungen und zuständigen Stellen im Sinne des Art. 17 GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entscheidend, „das Letztere nur im Rahmen ihrer jeweiligen sachlichen, örtlichen und instanziellen Zuständigkeit tätig werden können, während die Vertretungen sich mit allen Themen im Rahmen der Verbandskompetenz befassen dürfen“. Das, so das BVerwG, „trifft auch auf kommunale Vertretungen zu“.

Waren vorliegend die Schreiben des Klägers bei entsprechender Auslegung des Inhalts auch als über die einzelnen Mitglieder an den Kreistag gerichtete Bitten zu verstehen, lag nach Meinung des BVerwG „eine Petition im Sinne des Art. 17 GG vor, weil auch Kreistage als Volksvertretungen im Sinne dieser Gewährleistung zählen“.

Das BVerwG begründet dies u.a. damit, dass Art. 17 GG jedermann einen freien und ungehinderten Zugang zum Staat gewährleistet. Das Petitionsrecht verbrieft damit ein „Grundrecht auf ungehinderten Zugang zum Repräsentationsorgan der jeweiligen Gebietskörperschaft“, unabhängig davon, „ob die Gebietskörperschaft als Staat oder als Kommune verfasst ist“.

Das BVerwG ließ letztlich aber offen, ob vorliegend „von einer Petition an den Kreistag auszugehen ist oder ob die einzelnen Kreisräte entgegen der Auffassung der Vorinstanz zuständige Stellen im Sinne des Art. 17 GG sein könnten“. Ebenso blieb die Frage unbeantwortet, ob Art. 17 GG dem Kläger als Absender der Schreiben ein subjektives Recht vermittelt, wonach alle persönlich an Kreistagsmitglieder adressierte Sendungen an diese weiterzuleiten sind.

Im konkreten Falle konnte das BVerwG diese Frage offenlassen, da sich nach seiner Ansicht dieser Anspruch auf Weiterleitung der Schreiben „jedenfalls“ aus Art. 3 Abs. 1 GG ergab, wonach jede Ungleichbehandlung ohne zureichenden Sachgrund unzulässig ist. Das BVerwG sah hier eine Ungleichbehandlung in der Tatsache begründet, dass die Poststelle des Landratsamtes, ob bewusst oder versehentlich, Schreiben des Klägers an einzelne Kreistagsmitglieder weitergeleitet hatte. Insoweit gebot der Grundsatz der Gleichbehandlung, „alle Kreisräte gleichermaßen in die Lage zu versetzen, den Inhalt der Schreiben des Klägers zu würdigen und zu entscheiden, ob es sich dabei um eine Petition im Sinne von Art. 17 GG handelt und an wen diese gegebenenfalls gerichtet und weiterzuleiten war“.

Das Gericht hat in diesem Falle nicht abschließend geklärt, ob ein Weiterleitungsanspruch aufgrund der Adressierung der Schreiben ausscheidet. Es stellte aber klar, dass die bisherige Verwaltungspraxis des Beklagten, an Kreisräte adressierte Briefe von Privatpersonen grundsätzlich nicht weiterzuleiten, nicht mit Art.17 GG in Einklang steht. Denn dadurch wird auch der Zugang von Schreiben, die eine Bitte oder Beschwerde im Sinne des Art. 17 GG an den Kreistag enthalten, verhindert. „In solchen Fällen ist die Petition vom Kreisrat an den Kreistag weiterzuleiten; sofern kein Petitionsausschuss eingerichtet wurde, ist sie im Plenum zu behandeln“. Nur so kann der mit dem Petitionsgrundrecht vermittelte Anspruch des Petenten, „dass die angegangene Stelle seine Petition entgegennimmt, deren Inhalt zur Kenntnis nimmt, sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit prüft und sich nachvollziehbar und diskriminierungsfrei mit dem Anliegen befasst“, gewährleistet werden. Schließlich müsse sie nach Abschluss der Prüfung „die Petition auf nachvollziehbare Weise erledigen“.

Das BVerwG belegt seine Auffassung u.a. mit Hinweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung und kommt zum Schluss, dass „die Praxis des Beklagten, Kreistagsmitgliedern Schreiben von Privatpersonen generell vorzuenthalten „ das aus der Pflicht zur Entgegennahme der Petition abzuleitende Verbot, den Zugang eines Petitionsschreibens zu demjenigen, an den sich die Bitte oder Beschwerde richtet, zu verhindern“, verletzt.

Fazit

Obwohl das Urteil des BVerwG auf der Grundlage der konkreten Fallgestaltung nicht in jeglicher Hinsicht Klarheit schafft, hat es im Hinblick auf die Gewährleistung des Petitionsrechtes für die kommunale Praxis eine große Bedeutung.

Es stellt höchstrichterlich fest, dass kommunale Vertretungen, ob auf Gemeinde- oder Kreisebene, auch Volksvertretungen im Sinne des § 17 GG sind, was in der verfassungsrechtlichen Kommentarliteratur schon bislang so gesehen wurde (vgl. u.a. Maunz/Dürig/Klein, 90. EL Februar 2020, GG Art. 17 Rn.103; Jarass in Jarass/Pieroth, 16. Aufl. 2020, GG § 17 Rn. 6; v. Münch/Kunig/Uerpmann-Wittzack, 6. Aufl. 2012, GG Art. 17 Rn. 24; Sachs/Pagenkopf, 8. Aufl. 2018, GG Art. 17 Rn. 10; vgl. auch Krings, Die Petitionsfreiheit nach Art. 17 GG, JUS 2004, 474, 476; vgl. zu den hiervon abweichenden Meinungen u.a.: Aker, in: Aker/Hafner/Notheis, Gemeindeordnung, Gemeindehaushaltsverordnung Baden-Württemberg, 2. Aufl. 2019, § 24 Rn. 5 m.w.N.).

Da an einzelne Gemeinde- oder Kreisräte persönlich adressierte schriftliche Bitten oder Beschwerden von Privatpersonen bei entsprechender Auslegung auch an die Vertretungen selbst gerichtete Petitionen im Sinne des Art. 17 GG darstellen können, ist von einer grundsätzlichen Verpflichtung der Geschäftsstellen der Vertretungen zur Weiterleitung solcher Schreiben an die Mitglieder auszugehen. Dies auch unbeschadet des damit verbundenen Arbeitsaufwandes für die Geschäftsstellen. Folgerichtig empfiehlt auch das baden-württembergische Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration in einer Stellungnahme „im Regelfall“ entsprechende Schreiben weiterzuleiten.

Obwohl vom BVerwG offengelassen, ist davon auszugehen, dass die einzelnen Mitglieder der kommunalen Vertretungen mangels eigener Entscheidungskompetenz nicht als zuständige Stellen im Sinne des Art. 17 GG anzusehen sind. Ihnen obliegt aber die Verpflichtung zur Weiterleitung entsprechender Eingaben „an den wirklichen Adressaten“, also ggf. an die Vertretung selbst oder, soweit eingerichtet, einen Petitionsausschuss (vgl. hierzu u. a. auch Maunz/Dürig/Klein a.a.O. Rn. 111; Jarass a.a.O.; Krings, a.a.O. jeweils m.w.N.).

Abschließend sei auf die bereits angesprochene Stellungnahme des baden-württembergischen Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration verwiesen, welche sich mit den Schlussfolgerungen aus dem Urteil des BVerwG für die Behandlung von Kommunalpetitionen in der  Praxis der Kommunen beschäftigt (vgl. Rundschreiben R 34273/2020 vom 02.011.2020 des Städtetages Baden-Württemberg).

Dr. Herbert O. Zinell

Dr. Herbert O. Zinell

Senator E.h. Dr. Herbert O. Zinell, Ministerialdirektor a.D. und Oberbürgermeister a.D
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