04.01.2021

Stärkung der Gesundheitsversorgung

Corona-Pandemie nutzen

Stärkung der Gesundheitsversorgung

Corona-Pandemie nutzen

Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Deutschland verfügt über ein leistungsfähiges Gesundheitssystem. Gleichwohl zeigt die Corona- Pandemie auch die Schwachstellen auf. Dies reicht von der vielfach mangelnden technischen und personellen Ausstattung der Gesundheitsämter über die Strukturfehler der Krankenhausfinanzierung, die mangelhafte ärztliche Versorgung in den strukturschwachen Regionen bis hin zum Rückstand bei den Möglichkeiten der Digitalisierung oder der Vernachlässigung von Prävention und Gesundheitsförderung. Die aufgrund der Pandemie ergriffenen Maßnahmen zur Stärkung des Gesundheitswesens sollten als Bausteine und Grundlage für eine nachhaltige Reform genutzt werden. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat hierzu ein Positionspapier veröffentlicht, das auf der Homepage www.dstgb.de veröffentlicht ist.

Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) stärken

In der Corona-Pandemie hat sich herausgestellt, dass die Gesundheitsämter vor Ort je nach epidemiologischer Lage beim schnellen Anstieg von Neuinfektionen an den Rand ihrer Kapazität kommen können und gekommen sind. Der öffentliche Gesundheitsdienst muss für die Zukunft gestärkt werden. Der ÖGD hat neben der Bekämpfung von Infektionskrankheiten ein breites Aufgabenspektrum zu erfüllen, von den schulärztlichen und sozialpsychologischen Diensten, der Hygienekontrolle in Betrieben und Gaststätten über die Umweltmedizin, die Gesundheitsförderung und Prävention, der Gesundheitsversorgung benachteiligter Gruppen bis zum veterinärmedizinischen Dienst. Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, brauchen die Gesundheitsämter ausreichend Personal – und zwar nicht nur im ärztlichen Bereich – und eine konsequente Digitalisierung. Der von Bund und Ländern unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände beschlossene „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ mit vier Milliarden Euro (3,1 Mrd. Euro zur Personalausstattung und 0,8 Mrd. Euro zur Digitalisierung) ist ein wichtiger und unverzichtbarer Schritt. Dabei ist es wichtig, dass die Maßnahmen möglichst schnell auf den Weg gebracht und umgesetzt werden. Es geht nicht darum, bundesweit einheitliche Gesundheitsämter einzuführen, es sollten aber unverzichtbare Standards in ganz Deutschland gelten. Der Pakt darf aber auch kein einmaliges Strohfeuer bleiben. Die Länder sind gefordert, mit eigenen finanziellen Mitteln den ÖGD nachhaltig zu stärken. Auch muss die Finanzierung nachhaltig sein. Bund und Länder sollten sich, wie im Pakt vereinbart, zeitnah auf eine Verstetigung verständigen.

Zur Stärkung des ÖGD sind folgende Maßnahmen notwendig, die teilweise mit dem Pakt umgesetzt werden:


  • Dauerhafte Ausstattung mit zusätzlichem qualifiziertem Fachpersonal, damit die Aufgaben des breit gefächerten Aufgabenspektrums der Gesundheitsämter erfüllt werden können.
  • Das Förderprogramm ÖGD sollte genutzt werden, um die Digitalisierung in den Gesundheitsämtern voran zu bringen. Neben der notwendigen technischen Aufrüstung des digitalen Meldewesens sollten alle Gesundheitsämter zeitnah mit der notwendigen Hard- und Software auch zum Anschluss an die elektronische Gesundheitskarte ausgerüstet werden.
  • Die Gesundheitsämter brauchen aber auch mehr Unterstützung durch die Länder, nicht nur in finanzieller Hinsicht. In allen Bundesländern sollten funktionsfähige Landesgesundheitsämter, Landeslabore oder Hygieneinstitute zur Beratung und Unterstützung der Gesundheitsämter geschaffen werden.
  • Um den erforderlichen ärztlichen Nachwuchs zu finden, ist es erforderlich, dass der Stellenwert des ÖGD im Medizinstudium durch eine stärkere Verankerung von Themen des öffentlichen Gesundheitswesens/Public Health in den Ausbildungszielen und -inhalten gestärkt wird.
  • Um die Gesundheitsämter in Pandemiefällen möglichst schnell unterstützen zu können, ist ein Konzept von „Gesundheitsreservisten“ umzusetzen. Dabei geht es nicht nur um Ärzte, sondern auch um ausgebildete Kräfte, die Infektionsgeschehen verfolgen, die Versorgung der in Quarantäne befindlichen Personen sicherstellen usw. Des Weiteren muss das Pandemiegeschehen auch eingeübt werden (Plan-Spiele nur mit konkreten Einsätzen vor Ort).

Flächendeckende Krankenhausversorgung sicherstellen, Sektorengrenzen überwinden, Versorgungszentren aufbauen

Die flächendeckende und nicht nur auf Ballungsräume beschränkte Vorhaltung von Krankenhauskapazitäten ist eine Stärke des deutschen Gesundheitswesens. Dies hat sich auch bei der Corona-Pandemie gezeigt. Allerdings wird weiter über die Krankenhausstrukturen gestritten. Richtig ist, dass es eine Überversorgung in Ballungsgebieten gibt. Auf der anderen Seite gilt es, insbesondere die Grund- und Regelversorgung in ländlichen Gebieten zu sichern. Die wohnortnahe Versorgung darf nicht rein ökonomischen Betrachtungen untergeordnet werden. Krankenhäuser dienen vielmehr der medizinischen Daseinsvorsorge der Bevölkerung, insbesondere in den Kommunen, in denen es keine ausreichende Versorgung mit niedergelassenen Haus- und Fachärzten gibt.

Die Bundesregierung stellt drei Mrd. Euro in einem „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“ in eine modernere und bessere Ausstattung der Krankenhäuser in Deutschland zur Verfügung. Weitere 1,3 Mrd. Euro sollen die Länder beisteuern. Der Schwerpunkt liegt dabei auf modernen Notfallkapazitäten, eine bessere digitale Infrastruktur, Ausbau der Telemedizin, die IT- und Cybersicherheit sowie die Stärkung regionaler Versorgungsstrukturen. Seit Anfang der 1970er Jahre sind die Länder für die Finanzierung der Investitionskosten zuständig, dieser Verpflichtung aber nicht ausreichend nachgekommen. Das Zukunftsprogramm kann nur ein notwendiger erster Schritt sein. Die Länder bleiben in der Pflicht, eine auskömmliche Investitionsförderung sicherzustellen.

Statt der Schließung von Krankenhäusern können diese in ambulant/stationäre Zentren umgewandelt werden. In Brandenburg ist mit Mitteln des Innovationfonds ein Krankenhaus entsprechend umgebaut worden: Das Konzept setzt auf eine enge Vernetzung von Haus- und Fachärzten, Krankenhaus, Apotheken, Therapeuten und Pflegediensten. Der Neubau umfasst neben einer modernen Bereitschaftspraxis Untersuchungs- und Behandlungsräume für verschiedene Fachdisziplinen. Die medizinisch notwendigen Versorgungen sollen auf sich ändernde Bedarfe ausgerichtet und aus einer Hand ambulant und stationär erbracht werden. Termine, Therapien oder Notfallmaßnahmen werden von zentraler Stelle koordiniert.

Die vielen, den Krankenhäusern in den letzten Jahren auferlegten Vorgaben, insbesondere die Personalbesetzungsvorgaben, hinderten schon vor der Pandemie die Kliniken in der Ausschöpfung der medizinischen und organisatorischen Leistungsfähigkeit. Als Reaktion auf die Krise hat der Gesetzgeber ausgewählte Dokumentations- und Nachweisverpflichtungen sowie Strukturvorgaben zeitlich befristet ausgesetzt. Die Krankenhäuser sind mit den so gewonnenen Freiräumen verantwortungsvoll umgegangen. Dies zeigt, dass ein Großteil dieser Verpflichtungen auch dauerhaft verzichtbar sind, ohne dass damit die Qualität der Patientenversorgung beeinträchtigt wird. Die Strukturmängel im Krankenhausbereich sind auch auf das derzeitige Entgeltsystem der DRG-Fallpauschalen zurückzuführen. Es muss ein Vergütungssystem auf den Weg gebracht werden, dass sich nicht rein an wirtschaftlicher Effizienz ausrichtet, sondern die Daseinsvorsorgefunktion ausreichend berücksichtigt.

Föderale Verantwortung stärken

Die Länder sollten auch in Zukunft für die Gewährleistung der flächendeckenden medizinischen Versorgung der Bevölkerung verantwortlich sein. Um integrierte sektorenübergreifende Behandlungen etablieren zu können, sollte sich diese Zuständigkeit nicht nur wie bisher auf den klassisch stationären Bereich, sondern auch auf die Planung bzw. Zulassung im ambulanten Bereich erstrecken. Aus der klassischen Krankenhausplanung muss eine sektorenübergreifende Versorgungsplanung werden. Wünschenswert wäre, wenn die Planung und Sicherstellung der medizinischen Versorgung dabei regional und unter Einbeziehung der Kommunen gemeinsam gelöst werden könnte. Nicht nur, dass kommunal getragene Krankenhäuser oder Versorgungszentren wichtige medizinische Leistungserbringer vor Ort sind, die Kommunen können Netzwerke zur besseren gesundheitlichen Versorgung bilden, in die z.B. Akteure der Selbsthilfe, Sportvereine oder Bildungseinrichtungen eingebunden werden. Bereits bestehende kommunale Gesundheitskonferenzen sind unter Einbeziehung der Städte und Gemeinden auszubauen und den Kommunen stärkeres Gewicht einzuräumen.

Digitalisierung weiter vorantreiben

Die Corona Pandemie hat das Digitale Gesundheitswesen einen großen Schritt nach vorne gebracht. So haben über 50% der ambulant tätigen Ärzte Videosprechstunden genutzt oder wollen diese einrichten. Digitale Lösungen müssen in der medizinischen Versorgung Alltag werden. Die Videosprechstunde ist ein effektives Instrument, die Behandlung trotz räumlicher Distanz sicherzustellen. Durch die vermehrte Nutzung kann die ambulante gesundheitliche Versorgung, gerade in den sog. „sprechenden Fachgebieten“, insbesondere in ländlichen Gebieten mit langen Fahrtwegen optimiert und die Versorgungsqualität bei der Erstversorgung der Patienten verbessert werden. Die Eckpunkte für ein Digitalisierungsgesetz enthalten richtige Ansatzpunkte, z.B. die Weiterentwicklung der Videosprechstunde und der Elektronischen Patientenakte sowie die Stärkung telemedizinischer Konzepte.

Gesundheitsförderung & Prävention  ̶̶  Kommunen & Krankenversicherungen müssen an einem Strang ziehen

Das Geschehen um die COVID-19-Pandemie belegt eindrücklich die Notwendigkeit der Gesundheitsförderung und Prävention. Die Förderung von Gesundheit ist nicht alleinige Aufgabe des öffentlichen Gesundheitsdienstes, sondern eine Querschnittsaufgabe. Neben Aspekten der Daseinsvorsorge haben auch andere Bereiche Einfluss auf die Gestaltung und Sicherung gesunder Lebensverhältnisse (z. B. kommunale Mobilitätskonzepte, Radwegeplanungen, Grünflächensicherung, Wohnungsbauprogramme). Gesundheitsförderung und Prävention strahlt in die Stadt- und Raumplanung, Sozialplanung, Umweltplanung, Verkehrsplanung, Pflegeplanung etc. aus. Besonders zielführend sind kleinräumige Ansätze insb. auf Quartiersebene. Es gibt bereits zahlreiche Ansätze der Prävention und Gesundheitsförderung in den Kommunen. Vielfach existieren diese aber nebeneinander und sind nicht aufeinander abgestimmt. Daneben gibt es z. B. in den Kitas, in den Schulen, aber auch den Betrieben vor Ort Präventionsmaßnahmen. Diese zu koordinieren kann zu einem nachhaltigen Gesamtkonzept der Präventions- und Gesundheitsförderung führen. Für diese Vernetzung brauchen die Kommunen teilweise externe Unterstützung. Dies gilt aber auch für die Verbindung mit den Krankenkassen vor Ort. Diese sollten angehalten werden, die Präventionsmaßnahmen vor Ort gezielt zu fördern.

Für die Zukunft wäre es wünschenswert, wenn sich die intersektorale Gesundheitspolitik durchsetzen würde, nachhaltig unterstützt durch ein hoffentlich überarbeitetes Präventionsgesetz und durch die Krankenkassen.

 

Uwe Lübking

Beigeordneter für Recht, Soziales, Bildung und Sport, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Berlin
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