02.10.2023

Umfang und Grenzen von Meldeauflagen im Versammlungsgeschehen

Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig

Umfang und Grenzen von Meldeauflagen im Versammlungsgeschehen

Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig

Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV

Das Verwaltungsgericht Leipzig hatte im vorliegenden Fall über die Beschränkung von Versammlungsteilnahmen zu urteilen. Weil sich eine Klimaaktivistin mehrfach an Sitzblockaden beteiligte, wurde gegen Sie eine Meldeauflage für Versammlungen angeordnet.

Sachverhalt

Gegen die Antragstellerin A, die aktives Mitglied eines Bündnisses ist, das durch Protestaktionen auf die bestehende Klimakrise aufmerksam machen will, wurde durch die zuständige Behörde für den Zeitraum zwischen dem 5.12.2022 und dem 4.1.2023 eine sofort vollziehbare Meldeauflage verfügt, nach der sie sich täglich um 08.00 Uhr und 17.00 Uhr bei dem für ihren Wohnsitz zuständigen Polizeirevier in L zu melden habe. Grund dafür war die mehrfache Beteiligung an Sitzblockaden, eine nachfolgende Ingewahrsamnahme sowie die Ankündigung weiterer erheblicher Störungen.

GG – Art. 8 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1


SächsPVDG – § 20 Abs. 1

  1. Meldeauflagen, die davon betroffene Personen an der Teilnahme an einer Versammlung hindern sollen, greifen in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG ein. Sie setzen gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 SächsPVDG ein zeitlich oder örtlich begrenztes Geschehen voraus und ihre Verhältnismäßigkeit ist im Lichte der Versammlungsfreiheit besonders zu prüfen.
  2. Die Heranziehung einer Befugnisnorm des allgemeinen Polizeirechts für Meldeauflagen ist grundsätzlich dann zulässig, wenn das bereichsspezifische Versammlungsrecht keine Regelung enthält und dem Zitiergebot Genüge getan wird.

Verwaltungsgericht Leipzig (Beschl. v. 02.01.2023 – 3 L 723/22 – Verlags- Archiv Nr. 2023-08-06)

Aus den Gründen

Soweit das zulässige Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung entfaltet, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene, originäre Ermessenentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen.

Vorliegend überwiegt das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts. Ausgehend von der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung erweist sich der Bescheid des Antragsgegners vom 01.12.2022 aller Voraussicht nach als rechtswidrig.

Rechtsgrundlage für die Anordnung der Meldepflicht ist § 20 Abs. 1 Satz 1 SächsPVDG

Weder sind die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt noch erweist sich die angeordnete Maßnahme als verhältnismäßig. Rechtsgrundlage für die Anordnung der Meldepflicht ist § 20 Abs. 1 Satz 1 SächsPVDG. Danach kann die Polizei gegenüber einer Person zum Zweck der Verhütung von Straftaten anordnen, sich an bestimmten Tagen zu bestimmten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie im Zusammenhang mit einem zeitlich oder örtlich begrenzten Geschehen innerhalb absehbarer Zeit eine ihrer Art nach konkretisierte Straftat begehen wird. Durch diese Vorstellungspflichten soll gesichert werden, dass der oder die Betroffene einen gewissen Aktionsradius nicht überschreiten kann. Ziel dieser Maßnahme ist es, den Betroffenen für eine konkrete Zeit von einem bestimmten Ort zur Verhinderung von Straftaten fernzuhalten.

Die Meldeintervalle werden daher so gewählt, dass der Adressat auch zwischen den Meldezeitpunkten nicht dorthin reisen kann. Als Tatbestandsvoraussetzungen müssen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der bzw. die Betroffene im Zusammenhang mit einem zeitlich oder örtlich begrenzten Geschehen innerhalb absehbarer Zeit eine ihrer Art nach konkretisierte Straftat begeht. Tatsachen sind gegenwärtige oder vergangene Verhältnisse, Zustände oder Geschehnisse, bloße Vermutungen reichen als Prognosegrundlage nicht aus. Auch ist die Meldeauflage immer zeitlich und örtlich bestimmt zu halten. Dabei muss unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit die Zulässigkeit der Meldeauflage unter versammlungsrechtlichen Gesichtspunkten besonders beurteilt werden. Unstreitig greift eine Meldeauflage, die den Betroffenen daran hindern soll, an einer Versammlung teilzunehmen, grundsätzlich auch in sein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG ein.

Meldeauflage muss Grundrechtskonform sein

Auch wenn das Grundrecht die Versammlungsfreiheit nur den friedlichen und/oder waffenlosen Teilnehmern garantiert, genügt die Prognose einer bevorstehenden Straftatbegehung noch nicht, die betreffende Person aus dem Schutz- und Gewährleistungsbereich des hochrangigen Grundrechts auszuschließen. Denn die unvermeidliche Prognoseunsicherheit darf nicht von vornherein zulasten des Grundrechtsträgers gehen. Zudem stellt eine Meldeauflage mit einer mindestens zweimaligen Meldeaufforderung einen Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit nach Art. 11 Abs. 1 GG dar.

Dies vorausgesetzt hält die getroffene Gefahrenprognose einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Es fehlt der Prognoseentscheidung bereits an einem hinreichenden Zusammenhang mit einem zeitlich oder örtlich begrenzten Geschehen. Wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 20 SächsPVDG (LT-Drucksache 6/14791, S. 163) ergibt, hat sich die Meldeauflage in den vergangenen Jahren als gefahrenabwehrrechtliche Maßnahme insbesondere im Vorfeld von Großveranstaltungen etabliert. Sie knüpft an ein örtlich und zeitlich eingrenzbares Geschehen, wie z. B. eine konkrete Sportveranstaltung, an.

Ankündigung von Störaktionen als Grund nicht ausreichend

Dies ist hier nicht zu erkennen. Anders als bei einer Sportveranstaltung sind die Aktionen des Klimabündnisses im Wesentlichen weder zeitlich noch örtlich eingrenzbar, sondern finden in ganz Deutschland verteilt ohne bestimmtes wiederkehrendes Muster oder zeitlichen Zusammenhang und in der Regel ohne Vorankündigung statt. Das Anknüpfen allein an die Ankündigung massiver Störaktionen ab dem 05.12.2022 in Berlin und München reicht dazu nicht aus, zumal sich die für die Antragstellerin angeordnete Meldeauflage auch nicht auf diese Städte beschränkt. Insbesondere in zeitlicher Hinsicht fehlt es an der hinreichenden Eingrenzbarkeit des Geschehens, sodass nicht nachvollzogen werden kann, inwieweit die Meldeauflage bis zum 04.01.2023 tatsächlich von der Gefahrenprognose getragen wird. Konkrete Aktionen in näherer Zukunft sind nicht bekannt, sodass es auch an der Erwartbarkeit der Begehung von Straftaten innerhalb absehbarer Zeit mangelt.

[…]

 

Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Neuen Polizeiarchiv 8/2023, Lz. 762.

 

Prof. Hartmut Brenneisen

Prof./Ltd. Regierungsdirektor a. D., Preetz
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