15.02.2012

Überlastet? Einfach mal abschalten!

Netzstabilität: Kraftwerksbetreiber und Industrie können Beitrag leisten

Überlastet? Einfach mal abschalten!

Netzstabilität: Kraftwerksbetreiber und Industrie können Beitrag leisten

Atomausstieg und Energiewende ja, Entgelterhöhungen nein? Sicherheit kostet! | © babimu - Fotolia
Atomausstieg und Energiewende ja, Entgelterhöhungen nein? Sicherheit kostet! | © babimu - Fotolia

Die Stromversorgung hierzulande gilt als eine der sichersten in Europa, ja sogar weltweit. So fiel der Strom bei Letztverbrauchern im Jahre 2010 – statistisch gesehen – nur für knapp 15 Minuten aus. Doch dann kam sie:

Die Energiewende

Mitte des Jahres 2011 beschloss der Gesetzgeber mit der 13. Atomgesetz-Novelle den endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie. Die deutschen Kernkraftwerke gehen danach sukzessive bis zum 31. 12. 2022 vom Netz.

Dies bleibt nicht ohne Folgen für die Versorgungssicherheit: Die Kernkraftwerke in Deutschland decken derzeit durch ihre kontinuierliche Einspeisung einen wesentlichen Teil des Gesamtstrombedarfs ab (sog. Grundlaststrom), der jedoch durch den Atomausstieg künftig nach und nach wegfallen wird.


Gleichzeitig nimmt zwar die Einspeisung aus erneuerbaren Energien stetig zu. Da jedoch die Stromerzeugung aus z. B. Wind- oder Solarkraft aufgrund von wechselnden Witterungsbedingungen starken Schwankungen unterliegt, wird es künftig häufiger zu Transporten durch das deutsche Stromnetz über längere Strecken kommen (müssen).

Nach Einschätzung der Bundesnetzagentur können dadurch in den kommenden zwei Jahren – vor allem in den Wintermonaten und in Süddeutschland – vermehrt Versorgungsengpässe auftreten.

Absehbar wird sich also durch den Wegfall atomarer Erzeugungskapazitäten bei zu erwartendem konstantem Stromverbrauch die Wahrscheinlichkeit von Netzausfällen erhöhen. Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB), denen nach § 13 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) die Systemverantwortung für das deutsche Stromnetz obliegt, stehen also angesichts der Energiewende nunmehr vor erheblichen Herausforderungen.

Handlungsmöglichkeiten der ÜNB

Der Gesetzgeber hat die Gefahr künftiger Versorgungsengpässe erkannt und die Handlungsmöglichkeiten der ÜNB nach § 13 EnWG den Herausforderungen der Energiewende angepasst. Da die Netzstabilität bekanntlich vom permanenten Gleichgewicht der Einspeisungen und Entnahmen abhängt, wurde nicht nur die naheliegende Möglichkeit eines Abrufs von Erzeugungsleistung konkretisiert, sondern wurden zusätzlich auch Anreize für die vermehrte Einbindung industrieller Lasten geschaffen:

Auf der Erzeugungsseite erlaubt der neue § 13 Abs. 1a EnWG den ÜNB, bei kritischen Netzzuständen gegen angemessene Vergütung auf betriebsbereite oder aus der Kaltreserve zu aktivierende Kraftwerke zuzugreifen. Damit kann also die Stromeinspeisung in das Netz bei Bedarf kurzfristig erhöht oder verringert werden.

Spiegelbildlich dazu wurden mit § 13 Abs. 4a EnWG aber auch auf der Verbraucherseite Rahmenbedingungen für Vereinbarungen der ÜNB über technisch und wirtschaftlich sinnvolle Zu- und Abschaltungen großer Lasten der Industrie festgelegt. Auch die Stromentnahme aus dem Netz kann also je nach Notwendigkeit kurzfristig verringert oder erhöht werden.

Vergütung der Bereithaltung von Lasten und Erzeugungsleistung

Leisten Kraftwerksbetreiber und Industrie durch die Bereithaltung von Erzeugungsleistung bzw. zu- und abschaltbaren Lasten einen Beitrag zur Sicherheit und Zuverlässigkeit des Stromnetzes, fragt sich, wie dieser Beitrag zu vergüten ist.

Weder für die Kraftwerkssteuerung noch für den Zugriff auf zu- und abschaltbare Lasten legt das Gesetz genaue Vorgaben zur Vergütung fest. Diese sollen nach § 13 Abs. 1a Satz 3 bzw. Abs. 4a Satz 4 EnWG durch die Regulierungsbehörden bzw. den Verordnungsgeber geregelt werden, weshalb verschiedene Vergütungsmodelle zur Debatte standen.

§ 13 Abs. 4a EnWG legt eine Orientierung an den Kosten von Versorgungsunterbrechungen nahe. Diese ist aber als Vergütungsansatz kaum sachgerecht, da schon der Umfang möglicher Kosten eines Netzausfalls nicht exakt zu beziffern ist. Selbst wenn man die Kosten ermitteln könnte, wären diese mit der Wahrscheinlichkeit eines Netzausfalls zu gewichten.

Genau dies ist aber faktisch unmöglich. Statistiken aus der Vergangenheit lassen das durch den Atomausstieg erhöhte Risiko von Netzausfällen und die zunehmende volatile Einspeisung aus erneuerbaren Energien unberücksichtigt. Prognosen über das Ausfallrisiko für die Zukunft erscheinen daher willkürlich.

Diskutiert wurde daher vor allem eine Orientierung der Vergütungssätze an den deutschen Regelenergiemärkten. Dafür spricht, dass der Eingriff in die Fahrweise von Kraftwerken oder der Zugriff auf industrielle Lasten in gleicher Weise wie die Möglichkeit eines Abrufs von Regelenergie einen Netzausfall verhindern kann.

Zudem wurde als Vergütungsmodell auch der Ansatz potenzieller Kosten für den Zubau ausreichender Erzeugungskapazitäten erwogen, der sich durch Steuerung von Kraftwerken oder industriellen Lasten vermeiden lässt. Auch dies erscheint prinzipiell sachgerecht. Denn die Beteiligung an Investitionskosten für den Bau alternativer Kraftwerke entspricht aus Sicht des ÜNB den Aufwendungen, die andernfalls zur Erhaltung der Netzstabilität bei einem strukturellen Mangel an Erzeugungsleistung anfallen würden.

Erwogen wurden schließlich Prämien analog zu den sog. Kapazitätsmärkten, wie sie bereits innerhalb und außerhalb Europas existieren. Je nach Ausgestaltung können derartige Märkte zwar durch fixe bzw. variable Preis- oder Kapazitätsvorgaben verlässliche Rahmenbedingungen für Kraftwerksinvestitionen schaffen. Derzeit erscheint aber eine hieran ausgerichtete Vergütung (noch) nicht sachgerecht. Weder lassen sich Kapazitätsmärkte hierzulande kurzfristig etablieren noch bieten die andernorts üblichen Kapazitätsprämien aufgrund der jeweils unterschiedlichen Erzeugungsstruktur eine belastbare Basis für eine angemessene Vergütung in Deutschland.

In Bezug auf die Vergütung abschaltbarer Lasten liegt seit dem 23. 01. 2012 ein Verordnungsentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) vor. Darin hat sich das BMWi für eine Vergütungslösung entschieden, die dem auf Regelenergiemärkten üblichen Leistungspreis ähnelt. So soll für die Bereithaltung für unverzögerte Lastabschaltungen – je nach der kontrahierten Lastgröße (mind. 50 Megawatt) und der tatsächlichen Verfügbarkeit der Lasten (mind. 7.000 Stunden pro Jahr) – eine gestaffelte Vergütung von bis zu 60.000 Euro pro Megawatt und Jahr gewährt werden. Im Grundsatz gilt: Je größer die Lastgröße und die tatsächliche Verfügbarkeit, desto höher die Vergütung.

Der Verordnungsentwurf befindet sich gegenwärtig in der Ressortabstimmung und wird nach Verabschiedung eines Kabinettsentwurfs zur Zustimmung an den Bundestag weitergeleitet. Ob sich der darin festgelegte Vergütungsansatz auch auf die Zuschaltung von Lasten und den Zugriff auf Erzeugungskapazitäten übertragen lässt, bleibt im weiteren Schritt zu prüfen.

Fazit: Sicherheit hat ihren Preis

Ungeachtet der noch nicht endgültig beendeten Debatte um mögliche Vergütungen ist eines klar: Ohne die Mobilisierung von Erzeugungsleistung und Verbrauchslasten werden sich der Atomausstieg und die mit ihm verbundenen Folgen für die Zuverlässigkeit des deutschen Stromnetzes kaum bewältigen lassen. Insbesondere zur Überbrückung der Versorgungsengpässe in den kommenden zwei Jahren sind die ÜNB dabei auf die Mithilfe der Kraftwerke aus der Kaltreserve (z. B. auch aus Österreich) und der Industrie angewiesen, um die Versorgungssicherheit in Deutschland auf (gewohnt) hohem Niveau zu halten. Die erforderliche Einbindung der Kaltreserve und der industriellen Abwurflasten wird dabei absehbar zu einem Anstieg der Entgelte für die Netznutzung führen, was in Zeiten ohnehin steigender Verbrauchspreise sicher eine unpopuläre Kunde ist.

Allerdings hat (Versorgungs-)Sicherheit ihren Preis. Diese Erkenntnis erscheint auf den ersten Blick trivial, geht aber in der öffentlichen Debatte häufig unter. Ebenso die Tatsache, dass Bereithalteprämien für Kraftwerksbetreiber und die Industrie gerade keine Geschenke sind, weil diese für eine werthaltige Leistung im Interesse der Systemstabilität erbracht werden.

 

Tigran Heymann

Rechtsanwalt, Becker Büttner Held, Berlin
 

Dr. Ines Zenke

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Partner Becker Büttner Held, Berlin
n/a