15.02.2012

Ohne doppelten Boden

BGH beanstandet unzulässige Übersicherung in Bauverträgen

Ohne doppelten Boden

BGH beanstandet unzulässige Übersicherung in Bauverträgen

Keine Sicherheit durch zu viel Sicherung? Auftraggeber müssen Verlust der Sicherungsrechte infolge Übersicherung vermeiden. | © Vanessa - Fotolia
Keine Sicherheit durch zu viel Sicherung? Auftraggeber müssen Verlust der Sicherungsrechte infolge Übersicherung vermeiden. | © Vanessa - Fotolia

Die – auch von der öffentlichen Hand – in Bauverträgen häufig verwendete Kombination aus Vertragserfüllungs- und Gewährleistungssicherheit ist nicht unüblich. In der Regel sind entsprechende Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Auftragsgebers festgeschrieben und betragen jeweils rund 5 % der Auftragssumme. Am 5. Mai 2011 entschied jedoch der Bundesgerichtshof, dass sich ein Auftraggeber nicht parallel über beide Klauseln absichern kann, wenn dies eine unzulässige Übersicherung zulasten des Auftragnehmers darstellt (BGH, Urt. v. 05. 05. 2011, AZ: VII ZR 179/10; vorgehend: OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 10. 2010, AZ: 10 U 97/09).

Der Rechtsfall

Im Rahmen eines VOB/B-Bauvertrags legten die Vertragsparteien die AGB des Auftraggebers zugrunde. Demnach verpflichtete sich der Auftragnehmer, als Sicherheit für die Vertragserfüllung eine Bürgschaft in Höhe von 5 % der Auftragssumme zu stellen, die neben Vertragserfüllungs- und Überbezahlungsansprüchen auch Gewährleistungsansprüche absichern sollte. Der Auftragnehmer war im Gegenzug berechtigt, die Umwandlung dieser Sicherheit in eine Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von 5 % der Abrechnungssumme zu verlangen, sobald die Schlussrechnung vorliege und alle bis dahin erhobenen Ansprüche erfüllt seien. Diese Gewährleistungsbürgschaft hatte der Auftraggeber erst nach der vorbehaltlosen Annahme der Schlusszahlung zurückzugeben.

Daneben behielt der Auftraggeber laut AGB weitere 5 % der Auftrags- bzw. Abrechnungssumme als Gewährleistungssicherheit ein, die der Auftragnehmer durch Stellung einer weiteren Bürgschaft ablösen konnte.


Aus beiden Bürgschaften war jeweils „auf erstes Anfordern” zu zahlen. Als der Auftraggeber tatsächlich Rückzahlungsforderungen gegen den Auftragnehmer stellte, nahm er entsprechend dieser Regelung den Bürgen aus der Vertragserfüllungsbürgschaft in Anspruch.

BGH bemängelt Übersicherung

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs verneinte die Wirksamkeit der in den AGB getroffenen Sicherungsabreden und damit einen Anspruch des Auftraggebers gegen den Bürgen. Mit dieser Entscheidung trat der BGH der Vorin-stanz (OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 10. 2010, AZ: 10 U 97/09) entgegen. Denn die Sicherungsabreden könnten dazu führen, dass der Auftraggeber für einen Zeitraum über die Abnahme hinaus wegen Gewährleistungsansprüchen in Höhe von insgesamt 10 % der Auftrags- bzw. Abrechnungssumme gesichert sei. Das sei aber nicht durch das Sicherungsinteresse des Auftraggebers gerechtfertigt und verstoße daher gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Beide Klauseln – die Vertragserfüllungs- und die Gewährleistungsbürgschaft – seien deshalb unwirksam.

Kundenfeindlichste Auslegung

Der BGH stellte zunächst fest, dass der Auftraggeber laut der vereinbarten Sicherungsklauseln auch über den Zeitpunkt der Abnahme hinaus wegen Gewährleistungsansprüchen eine Sicherheit in Höhe von 10 % der Auftrags- bzw. Abrechnungssumme verlangen könnte. Denn laut den AGB sollte die Vertragserfüllungsbürgschaft erst nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung zurückgegeben werden. Eine solche vorbehaltlose Abnahme der Schlusszahlung durch den Auftragnehmer ist aber nicht zwingend, sondern es kann noch längere Zeit Streit über offene Forderungen des Auftragnehmers bestehen.

Im vorliegenden Fall legte der Bundesgerichtshof daher die verwandten Klauseln so aus, dass Sicherheiten über einen gewissen Zeitraum kumulativ – also nebeneinander – bestehen können.

Kein Zugriff auf die Liquidität des Auftragnehmers

Um die Sicherheiten zu reduzieren, konnte der Auftragnehmer laut AGB den Sicherheitseinbehalt zur Vertragserfüllung in eine Gewährleistungsbürgschaft umwandeln. Dazu hätte er allerdings eine Bürgschaft auf erstes Anfordern stellen müssen.

Auf diese Weise wäre er nach dem Klauselwerk gezwungen, dem Auftraggeber jederzeitigen und auch ungerechtfertigten Zugriff auf seine Liquidität einzuräumen. Dies würde ihn unangemessen belasten, denn bis zur Klärung etwaiger Ansprüche des Auftraggebers wäre er weniger liquide.

Bisherige Rechtsprechung zur Besicherung

In Praxis und Rechtsprechung wird die Vereinbarung einer Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10 % der Auftragssumme und einer Gewährleistungssicherheit in Höhe von 5 % der Abrechnungssumme als üblich und zulässig anerkannt (vgl. OLG München, Urt. v. 22. 12. 2009, AZ: 9 U 1937/09). Die maximale Obergrenze für Gewährleistungssicherheiten liegt in AGB in der Regel bei 5 %. Der gegenüber Vertragserfüllungsbürgschaften niedrigere Prozentsatz (max. 10 %) gilt vor allem, weil der Auftraggeber mit der Abnahme die erbrachten Bauleistungen als im Wesentlichen vertragsgerecht entgegengenommen hat. Die Höhe der Sicherheit von max. 5 % für Gewährleistung trägt dem Umstand Rechnung, dass das Sicherungsinteresse des Auftraggebers nach Abnahme deutlich geringer ist als in der Vertragserfüllungsphase.

Der Bundesgerichtshof hat in der Vergangenheit auch schon eine Vereinbarung als wirksam angesehen, die eine Sicherheit durch kombinierte Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft von 6 % vorsah (BGH IBR 2004, 311 = NZBau 2004, 322). Wenn – wie in dem hier zu beurteilenden Sachverhalt – die Sicherungsregelungen in den AGB jedoch dazu führen, dass der Auftraggeber für Gewährleistung Sicherheit in Höhe von 10 % beanspruchen kann, entspricht dies nach Meinung des Gerichts nicht mehr seinem Sicherungsinteresse.

Der BGH urteilte daher, dass das Klauselwerk – das übrigens häufig von öffentlichen Auftraggebern in ihren AGB verwendet wird – in diesem Fall unwirksam ist, weil der Auftragnehmer hierdurch unangemessen benachteiligt wurde (gem. § 307 Abs. 1 BGB).

Beachtung der Vergabebedingungen

Wie der BGH in der Entscheidung hervorhebt, ist in den Vergabebedingungen in § 14 Nr. 2 VOB/A a. F. bzw. § 9 Abs. 8 VOB/A n. F. vorgesehen, dass die Sicherheit für Mängelansprüche 3 % der Abrechnungssumme nicht überschreiten soll. Eine hiervon abweichende Vereinbarung ist zwar möglich – selbst wenn der Auftraggeber verpflichtet ist, die Vergabebedingungen (VOB/A) anzuwenden. Dann besteht jedoch das Risiko, dass überhöhte Sicherheiten zur Unwirksamkeit wegen unangemessener Benachteiligung nach § 307 BGB führen. Eine Sicherheitsregelung von 10 % würde die in Verträgen mit der öffentlichen Hand als üblich angesehene Sicherung bei Weitem überschreiten. Der BGH unterstreicht also neben den allgemeinen Grundsätzen die zwingende Beachtung der Vergabebedingungen für die öffentliche Hand.

Fazit

Mit dieser Entscheidung bekennt sich der BGH zur „kundenfeindlichsten” Auslegung von AGB, was der gesetzgeberischen Intention entspricht, dass die Deutung dieses Regelwerks zulasten des Verwenders erfolgen soll (§ 305c Abs. 2 BGB). Zugleich bestätigt das Urteil die bislang von Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Höchstgrenzen von Vertragserfüllungsbürgschaften einerseits und Gewährleistungsbürgschaften andererseits und es bekräftigt die Anwendung der Vergabebedingungen der öffentlichen Hand.

Ebenso überzeugt die Auffassung des BGH, dass er im Ergebnis beide Klauseln – Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft – für unwirksam erachtet. Selbst wenn die Klauseln jede für sich genommen rechtlich nicht zu beanstanden wären, ergibt sich die Unangemessenheit aus der Gesamtwirkung beider Klauseln. Auftraggeber, die auf „Nummer sicher” gehen wollen, müssen also aufpassen, dass sie nicht aufgrund der „Übersicherung” sämtlicher Sicherungsrechte verlustig gehen.

 

Dr. Barbara Schmidt

Rechtsanwältin, Partnerin Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Leipzig
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