15.02.2012

GG wie „Geistreich und Grün”

Strategische Marketingkonzepte für Kommunen im ländlichen Raum

GG wie „Geistreich und Grün”

Strategische Marketingkonzepte für Kommunen im ländlichen Raum

GG wie „Geistreich und Grün”

So wie man bei Reeperbahn und Hafen gedanklich sofort auf die Freie und Hansestadt Hamburg stößt, wie Bayreuth und die „Wagner-Festspiele” untrennbar erscheinen, so stehen Heidekraut, Heidschnucken und der Heidedichter Hermann Löns unverwechselbar für die Lüneburger Heide. Planwagenfahrten, Heidekönigin, Heideschinken… Obwohl die Region zwischen Hamburg, Bremen und Hannover allein aufgrund ihrer faszinierenden Landschaft zahlreiche Besonderheiten und Geheimnisse zu bieten hat, sind mit der Lüneburger Heide einige Klischees verbunden.

Der Landkreis Celle gehört zu den waldreichsten Landkreisen in Deutschland und rund 45 % (BRD = 30 %, Niedersachsen = 24 %) der kommunalen Gesamtfläche von rd. 183.000 ha sind allein Waldflächen. Mittendrin liegt die mehr als tausend Jahre alte Gemeinde Hermannsburg. Ein Besuch auf der Internetpräsenz (www.hermannsburg.de) der Gemeinde – man ahnt es wohl schon – zeigt Heideflächen und Heidschnucken. Gut, dass es in diesem Fall ein „aber” gibt.

Der zweite Blick bietet mehr

Auf den zweiten Blick erkennt der interessierte Betrachter deutlich mehr: Das in einem Landschaftsschutzgebiet gelegene Gemeindegebiet bietet den Einwohnern mehr als nur eine ländlich-idyllische Atmosphäre.


Allein die Bildungslandschaft mit Grund-, Haupt- und Realschule und Gymnasium sowie Hochschule machen Hermannsburg zum Bildungszentrum des nördlichen Celler Landes.

Hinzu kommen das bunte und innovative Angebot der Heimvolkshochschule sowie die Einrichtungen des Evangelisch-lutherischen Missionswerks (ELM), das als größter Arbeitgeber in Hermannsburg auch in Bezug auf Arbeits- und Ausbildungsplätze eine ganz besondere Bedeutung einnimmt. Den gut 8.500 Einwohnern bietet die an der Örtze gelegene Gemeinde Wohnkomfort in ländlich-gemütlicher Atmosphäre.

Der Hauptgeschäftsbereich in der Ortsmitte lockt mit einem erstaunlich umfangreichen Waren- sowie Dienstleistungsangebot und lässt kaum Wünsche offen. Ruhige Wohngebiete – zu erschwinglichen Preisen – und kurze Wegstrecken zum Zentrum prägen das Ortsbild. Auch als Ferienort wird Hermannsburg immer öfter angesteuert. Ein vielfältiges Erholungs- und Freizeitangebot, Reiterhöfe, Kutschenfahrten, große Wald- und weitläufige Heideflächen, auf denen Heidschnuckenherden grasen, laden zu Wanderungen, Rad- oder Paddeltouren ein. Da waren sie wieder: Heidekraut, Heidschnucken…

„Hermannsburg … das hat was”

Ach ja, der Schriftzug auf der Homepage, genau über den Heidebildern und Heidschnucken-Fotos: „Hermannsburg … das hat was”. Aber was? Klischees? Ein strategisches Leitbild? Genau dieser Frage sollte auf Anregung des Bürgermeisters und der Verantwortlichen aus Hermannsburg nachgegangen werden. Durch einen einstimmigen Beschluss des Verwaltungsrates der Gemeinde Hermannsburg wurde die NSI Consult Beratungs- und Servicegesellschaft aus Braunschweig damit beauftragt, genau diese Frage professionell zu beantworten. Nicht aus der Not heraus, sondern um die positive Entwicklung der Gemeinde Hermannsburg weiter voranzutreiben, wurde die Idee des „Strategischen Marketing Konzeptes” auf den Weg gebracht.

Marketing verfolgt am Ende der Prozesskette letztlich das Ziel einer „Verkaufsförderung”! Strategie ist die oberste Zielrichtung, die langfristig ausgerichtet sein muss, mit der sich die Bürgerinnen und Bürger identifizieren können, die von den Beteiligten vorgelebt werden sollte und zielgerichtet, sowohl nach innen als auch nach außen, kommuniziert werden muss.

Die Bedeutung eines Strategischen Marketingkonzepts

Und genau darum geht es den Verantwortlichen in Hermannsburg auch: Die Gemeinde soll sich durch ein strategisches Marketingkonzept, durch eine Markierung, zukünftig noch besser verkaufen.

Aus vielerlei Gründen ist Gemeindemarketing zu einem wichtigen Instrument für Städte und Gemeinden geworden. Neben dem Wettbewerb um Unternehmen, Kaufkraft und Wohnbevölkerung kommen die stetig steigenden Ansprüche von Bürgern an die Verwaltung beziehungsweise an das kulturelle und soziale Angebot der Gemeinde sowie der demographische Wandel, der zu einer Überalterung der Bevölkerung führt.

Gemeindemarketing vermittelt zwischen verschiedenen Interessengruppen und dient als Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Politik und Verwaltung und Externen wie Gästen, Touristen oder potenziellen Investoren. Insgesamt versteht sich Gemeindemarketing als Ansatz zur zielgerichteten Imagebildung und Vermarktung einer Gemeinde und basiert dabei auf dem Grundgedanken der Kundenorientierung und Innovation. Dabei soll die Standortqualität für die Bürger, Besucher sowie Gewerbetreibenden erhöht werden, die vorhandenen Potenziale effektiv und effizient ausgeschöpft und gleichzeitig auch Schwachstellen aufgedeckt werden.

Ein klares Selbstverständnis zu entwickeln, mit dem sich möglichst viele Bewohner und Besucher identifizieren können, erfordert eine aktive Zusammenarbeit aller Interessengruppen. Lokale Netzwerke und Interdependenzen sowie kommunaler Zusammenhalt sind notwendige Voraussetzung, um die Gemeinde als Wohn- und Wirtschaftsstandort sowie als Tourismusziel zu erhalten und nachhaltig weiterzuentwickeln. Im Rahmen eines ergebnisoffenen Prozesses sollte also unter aktiver Einbindung der Bürgerinnen und Bürger der Frage nachgegangen werden „Wofür steht Hermannsburg?”.

Die Umsetzung des Konzepts

Mithilfe geeigneter Methoden sollten Handlungsempfehlungen für eine „Markenbildung” (Profilbildung) für die Gemeinde herausgearbeitet werden. Basierend auf einer Projektskizze mussten die individuellen und speziellen Bedingungen, Gegebenheiten und vor allem Ideen vor Ort analysiert und in ein bestehendes Netzwerk eingebunden werden. Neben der Organisation, Steuerung und Methodenverantwortlichkeit oblag es dem externen Berater, das Gesamtprojekt durch entsprechende Impulse und Alternativkonzepte voranzutreiben sowie kritisch beratend zur Seite zu stehen. Die Abstimmung und Koordination mit der Verwaltung der Gemeinde war ebenso wesentlicher Bestandteil der angebotenen Leistung wie die Moderation und Leitung von öffentlichen Veranstaltungen und durchzuführenden Arbeitskreisen.

Die gemeinsame Planung umfasste folgende Schritte:

  • Allgemeine Beratung im Rahmen des Marketingkonzeptes
  • Abstimmung und Erstellung eines konkreten Projektplanes
  • Definition von Projektphasen, Arbeitspaketen, Meilensteinen, etc.
  • Vorstellung und Auswahl eines geeigneten Methodeneinsatzes
  • Planung der methodischen und didaktischen Gestaltung der Veranstaltungen
  • Planung der Vorgehensweise, insbesondere Zeit- und
    Maßnahmenplanung
  • Aggregation von Verantwortlichen und Mitwirkenden (Zielgruppenanalyse)
  • Bedarfsermittlung und Festlegung der konzeptionellen Schwerpunktsetzung

Daran schloss sich in einem zweiten Schritt die Erhebung des Ist-Bestandes an. Um die relevanten Potenziale offenzulegen sowie die bisherigen Gegebenheiten und Aktivitäten in Hermannsburg bestmöglich zu erfassen, bedurfte es eines geeigneten Instrumentariums zur Bestandsaufnahme. Bevor man entscheiden konnte, welche Ziele die Gemeinde verfolgen möchte, schien es sinnvoll, eine Potenzialanalyse durchzuführen, um darzulegen, wo die Stärken und Schwächen der Gemeinde liegen. Gewählt wurde neben einer Dokumentenanalyse die Methode einer repräsentativen Befragung vor Ort. Dazu wurde ein entsprechender Fragebogen konzipiert. Eine Beteiligung der Öffentlichkeit war auf unterschiedliche Weise möglich: persönlich face to face, im Rathaus, bei Banken, Kirchen, örtlichen Geschäften und Dienstleistern, aber auch per Internet. Im Vordergrund der Erhebung standen die Bereiche Wirtschaft, Infrastruktur, Tourismus sowie Wohn- und Lebensqualität.

Bürgerbeteiligung setzt bei allen Beteiligten Energien und Potenziale frei

Die Resonanz in Hermannsburg war unvorhersehbar hoch. Knapp 600 ernsthaft ausgefüllte Fragebögen bildeten zum einen eine ausgesprochen sichere Grundlage für die weiteren Schritte des Verfahrens und zeigten zum anderen eindrucksvoll, dass Hermannsburg die Menschen bewegt. Eine derartige Bürgerbeteiligung ist vorbildlich und setzt bei allen Beteiligten Energien und Potenziale frei. Bereits an dieser Stelle waren die Erwartungen mehr als übererfüllt. Die ausgewerteten und medial aufbereiteten Ergebnisse sollten der breiten Öffentlichkeit ausführlich präsentiert werden. Eine gut geplante und durch zahlreiche Medienberichte angekündigte Veranstaltung fand ein so großes Interesse, dass die neu gebaute Mensa des Schulzentrums bis auf den letzten Platz belegt war. Die zahlreichen Kommentare, Fragen und Anregungen belegten das Interesse und das Engagement der Bevölkerung, aktiv an der Weiterentwicklung ihrer Gemeinde mitzuwirken.

Wer an dieser Stelle ausschließlich Ruhm, Ehre und Lob als Ergebnis der aufwendigen Befragung erwartete, wurde enttäuscht. Zahlreiche Antworten spiegelten eine realitätsnahe Sichtweise der Gegebenheiten wider, in einigen Bereichen, wie zum Beispiel in puncto Sauberkeit, wurde sogar ein sehr strenger Maßstab der Bürgerinnen und Bürger angesetzt. Eine signifikante Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung war nicht zu erkennen. Im Rahmen der nächsten Projektphasen – der Ist-Analyse und der Soll-Konzeption – wurden die Ergebnisse gemeinsam mit der interessierten Öffentlichkeit diskutiert und analysiert. Methodisch erfolgten die Analyse der Ist-Situation und die Konzeptionierung des Soll-Szenarios durch Anwendung der SWOT-Analyse. Die Strength-Weakness-Opportunities-
Threats-Analyse verbindet die internen Potenzialfaktoren als Stärken (S) und Schwächen (W) mit den externen Einflussfaktoren Chancen (O) und Risiken (T). Dabei kann eine Konfrontationsmatrix erzeugt werden, die ein Handlungsfeld mit vier unterschiedlichen Aktionsräumen bietet.

Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken analysiert

Daher wurden in einem weiteren Schritt auf Basis der Befragungsergebnisse Stärken und Schwächen der Gemeinde Hermannsburg herausgearbeitet und mit Hilfe einer fachlichen Analyse mögliche Chancen und Risiken prognostiziert. Diese Betrachtung wurde in den drei Bereichen „Wirtschaft”, „Tourismus” sowie „Wohnen” differenziert durchgeführt.

Unter der Moderation der Beratungsfirma sollten in je zwei Abendveranstaltungen pro Themenfeld möglichst konkrete Ergebnisse herausgearbeitet werden. Alle Interessierten hatten die Möglichkeit, sich einem oder mehreren Arbeitskreisen anzuschließen, um dort an der Entwicklung des Marketingkonzeptes weiterhin aktiv mitzuwirken. Dank der guten und engagierten Mitarbeit von über 50 Bürgerinnen und Bürgern konnten an den angesetzten Terminen klare und aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden.

Nachdem die Ist-Analyse unter reger Mitwirkung der Bevölkerung zusammengestellt wurde, hat ein Team der Beratungs- und Servicegesellschaft aus den gemeinsam herausgearbeiteten Stärken und Schwächen sowie den möglichen Chancen und Risiken eine Zusammenfassung mit der bestmöglichen Schnittmenge präsentiert.
Auf diese Weise ist es gelungen, eine Markierung beziehungsweise ein Profil zu entwickeln, das sich zukünftig im Sinne der Hermannsburger positiv kommunizieren und vermarkten lässt. Als Ergebnis des aufwendigen Prozesses kamen die beiden Adjektive „geistreich” und „grün” heraus. Vor allem die Kombination „geistreich und grün” dient nicht nur als besonderes Alleinstellungsmerkmal für Hermannsburg, sondern ist gleichzeitig als mächtiges Kompliment für die Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaftstreibenden und selbstverständlich auch die Verantwortlichen aus Verwaltung und Politik anzusehen.

Die gemeinsam ausgearbeitete Soll-Konzeption umfasst zunächst allgemeine Handlungsempfehlungen zur langfristigen Orientierung:

  • Die Merkmale „grün und geistreich” müssen innerhalb und außerhalb des Gemeindegebietes kommuniziert werden, z. B. mit einer professionellen Werbekampagne, einem Slogan, einem Label, usw.
  • Die zukünftige Ausrichtung des gemeindlichen Denkens und Handelns an den beiden Merkmalen (Rat, VA, Bürgermeister und Verwaltung)
  • Einbindung der Merkmale in ein Netzwerk Hermannsburg (Kirchen, Schulen, Vereine, Wirtschaft, Kitas, soziale Einrichtungen, etc.)
  • Permanente kritisch-konstruktive Reflexion und Evaluation der beiden Merkmale (Befragung, etc.)
  • Konzeptionelle Ausrichtung muss nachhaltig durch konkrete, zielgerichtete Maßnahmen, Aktionen etc. gelebt werden.
  • Durch Kooperation (Nachbargemeinden, Landkreise, Land, Bund, etc.) soll die strategische Ausrichtung verfestigt und ausgedehnt werden.
  • Kreativität und Innovationskraft der Gemeinde und Region sollen genutzt werden, um Trends zu erkennen oder optimalerweise Trends setzen zu können.
  • Nachhaltigkeit durch „Institutionalisierung” sicherstellen! (Wirtschaftsförderung, Strategie-Rat, regelmäßige Arbeitskreistreffen, konkrete Handlungsempfehlungen realisieren)

Darüber hinaus wurde ein Maßnahmenkatalog von mehr als 40 sehr konkreten Vorschlägen fixiert, die im Sinne der zukünftigen strategischen Ausrichtung Hermannsburg zum einen Vorbild sein, zum anderen partiell auch umgesetzt werden sollen. Diese Ergebnisse wurden bereits in den politischen Gremien weiter beraten und durch einen erneut einstimmigen Verwaltungsausschussbeschluss abgesegnet. Zurzeit wird fleißig an einem großen Event gearbeitet, um allen Interessierten in einem angemessenen Rahmen und unter großer medialer Beachtung den aktuellen Stand zu präsentieren.

Innerhalb von nicht einmal neun Monaten ist es in Hermannsburg gelungen, ein konkretes Ergebnis, eine Markierung herauszustellen. Wofür steht Hermannsburg? Ganz einfach: geistreich und grün. Und eines ist jetzt schon sicher: „Was draufsteht, ist auch drin”. Diese Dynamik, dieser Enthusiasmus, diese Euphorie müssen jetzt genutzt werden, um nachhaltig das Denken und Handeln in und um Hermannsburg herum zu leben, spürbar und erfahrbar zu machen. Hermannsburg… das hat was!

Prof. Dr. Stefan Eisner

Prof. Dr. Stefan Eisner

Geschäftsführer, NSI Consult, Braunschweig
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