15.10.2012

Trassensicherung: Regelwerk verquer

Netzausbau zwischen Energie-, Fachplanungs- und Raumordnungsrecht

Trassensicherung: Regelwerk verquer

Netzausbau zwischen Energie-, Fachplanungs- und Raumordnungsrecht

Beschleunigung führt nicht immer zum Ziel: Problematisches Regelwerk zur Trassensicherung. | © Michael Tieck - Fotolia
Beschleunigung führt nicht immer zum Ziel: Problematisches Regelwerk zur Trassensicherung. | © Michael Tieck - Fotolia

Das auch zeitliche Gelingen der politisch ausgerufenen Energiewende hängt ganz wesentlich davon ab, ob die für die Versorgung mit Windenergie erforderlichen großräumigen Energietrassen und -leitungen in hinreichender Zahl und Länge sowie in der gebotenen Zügigkeit realisiert werden können. Die Politik hat hierfür, getreu der Maßgabe „Neue Aufgaben erfordern neue Instrumente“, ein energierechtliches Regelwerk, insbesondere das „Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz“ (NABEG) geschaffen, demzufolge besagte Aufgabe der Trassensicherung durch eine „Bundesfachplanung“ bewältigt werden soll – und hiermit die Bundesnetzagentur betraut, eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministers. Ungeachtet aller politischer Hintergründe, auch und gerade solcher ressortegoistischer Art, birgt diese Entwicklung eine Vielzahl sehr grundlegender, vornehmlich verfassungsrechtlicher Probleme, die zu teilweise heftigen Diskussionen im Schrifttum geführt haben, wobei die überwiegend positive Aufnahme durch die sich insoweit vornehmlich artikulierende (fach)anwaltliche Seite auffällt.

Der föderalistische Aspekt

1. Als problematisch stellen sich die interessierenden Vorschriften schon unter föderalistischen Aspekten dar, konkretisiert in der Frage nach der diesbezüglichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Der Gesetzgeber nimmt für sich das „Recht der Wirtschaft“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) in Anspruch. Überwiegendes dürfte indes für eine Zuordnung in den Bereich der „Raumordnung“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG) sprechen, wird doch mit der Bundesfachplanung ein großräumiges Koordinierungsinstrument im Zwischenfeld von Raumordnungsverfahren und Raumordnungsplanung geschaffen (das denn auch das Raumordnungsverfahren in seinem Anwendungsbereich verdrängt und konfligierenden Raumordnungsplanungen der Länder vorgeht). Die jeweiligen Konsequenzen der Zuordnung sind nicht unerheblich: Als „Recht der Wirtschaft“ muss das NABEG den verfassungsgerichtlich strikt interpretierten Anforderungen des bundeseinheitlichen Regelungserfordernisses (Art. 72 Abs. 2 GG) genügen, als „Raumordnung“ unterliegt es der nach dem Wortlaut des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GG unbeschränkten Abweichensbefugnis der Länder.

Demokratische Legitimation der Bundesnetzagentur

2. Auch die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur bewegt sich kompetenzrechtlich keineswegs auf der sicheren Seite. Die allenfalls tragfähige Verwaltungszuständigkeit des Bundes nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG verlangt u. a., dass es sich bei der zu erfüllenden Aufgabe um eine solche zentraler, also bundesweiter Art handelt. Das mag man bei der Bundesfachplanung noch annehmen können, nicht aber bei der Durchführung der nachfolgenden Planfeststellungsverfahren, sofern der Bund dies, was das Gesetz zulässt, an sich, genauer: in den Zuständigkeitsbereich der Bundesnetzagentur, zieht.


Überdies stellen sich hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Agentur Fragen, jedenfalls dann, wenn sie im Rahmen der Energiefachplanung ebenso weisungsfrei handeln sollte bzw. könnte, wie sie dies qua Europarecht in ihren sonstigen (Haupt-)Aufgabebereichen als Regulierungsbehörde tun muss. Dafür lässt sich ihre Funktion als „Raumregulierungsbehörde“ im Rahmen der Bundesfachplanung, wie es oben umrissen worden ist, anführen.

Die Frage nach der Systemgerechtigkeit

3. Indem derartiges raumordnerisches, also gesamtplanerisches Handeln als fachplanerisches Tätigwerden („Bundesfachplanung“) deklariert wird, ist ferner die Frage nach der Einhaltung der Systemgerechtigkeit als Ausdruck des verfassungsrechtlichen Willkürverbots und der Rechtsstaatlichkeit diskussionsbedürftig. Abweichungen von einfachgesetzlichen Leitlinien und Konzeptionen, hier des Raumordnungsrechts und der insoweit vorrangigen Zuständigkeit der Länder, bedürften besonderer Legitimation. Dass sich diese allein aus der Eilbedürftigkeit der Trassensicherung und des (Energie-)Leitungsbaus ableiten lässt, wie der Gesetzgeber meint(e), lässt sich durchaus bezweifeln. Denn jener Dringlichkeit hätte auch mit den erprobten Instrumenten des Raumordnungsrechts, ggf. unter dessen Fortentwicklung durch Einführung eines Raumordnungsverfahrens des Bundes mit Bindungswirkungen für die Übergangsbereiche der Trassen an den Ländergrenzen, Rechnung getragen werden können.

Die Effektivität des Rechtsschutzes

4. Des Weiteren wirft die Effektivität des Rechtsschutzes in Anbetracht dessen Probleme auf, dass die Bundesfachplanung zwar verbindlich sein soll, dies allerdings nur für das Planfeststellungsverfahren – und deshalb auch nur im Wege der Inzidentüberprüfung im Rahmen eines gerichtlichen Vorgehens gegen den Planfeststellungsbeschluss kontrollierbar sein soll. Das mag für die herrschende Auffassung vom „konzentrierten“ Rechtsschutz ohne Weiteres hinnehmbar sein, für die Befürworter eines „phasenspezifischen“ Rechtsschutzes aber sicherlich nicht – und auch nicht für die hiermit eng zusammenhängende Sicht, derzufolge gegen normatives Unrecht unmittelbar Rechtsschutz eröffnet sein muss.

Bundesfachplanung oder Bundesraumordnung?

5. Da der Bundesfachplanung ein Vorrang nur gegenüber Landesplanungen eingeräumt worden ist, also nicht gegenüber den Planungen des Bundes, gilt es alternativ an Einsatzmöglichkeiten der Bundesraumordnung zum Zwecke der Trassensicherung etc. zu denken. Insoweit bildet der Raumordnungsplan nach § 17 Abs. 1 ROG die Grundlage einer solchen bundesweiten räumlichen Planung für den Ausbau der erneuerbaren Energien, und zwar in Konkretisierung des (Raumordnungs-)Grundsatzes in § 2 Abs. 2 Nr. 6 Satz 8 ROG. Dem kann zugleich ein erhöhtes Maß an Verteilungsgerechtigkeit im Raum und damit ein Akzeptanzvorteil bei den Bürgern beigemessen werden. Als nachteilig dürfte allerdings die bloße Berücksichtigungspflicht einzuschätzen sein, die jener Bundesplan gegenüber den Adressaten, etwa den für Planfeststellungen zuständigen Behörden, auslöst. Ein weiterer denkbarer, ja naheliegender Weg wäre daher die Fortschreibung der möglichen Inhalte des (Bundes-)Raumordnungsplans nach § 17 Abs. 2 ROG, nämlich um die hier fraglichen Energietrassen – das bei gleichzeitiger Lösung der Planinhalte aus dem bislang geforderten alleinigen Bezug zur verkehrlichen Anbindung im Rahmen der Bundesverkehrsplanung. Ein solches Vorgehen hätte den Vorteil, dass die Planfestlegungen Verbindlichkeit und damit trassensichernde Wirkung zeitigten. Allerdings wäre der Ausschluss dieser Bindungswirkung gegenüber den Bundesländern nach § 17 Abs. 2 Satz 2 ROG ersatzlos zu streichen.

Die transeuropäische Energieinfrastruktur

6. Bedeutung im vorliegenden Kontext wird schließlich einer Verordnung der EU-Kommission zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur zukommen, die im Entwurf vorliegt. Hiernach müssen die Mitgliedstaaten binnen sechs Monaten nach Erlass der Verordnung eine zuständige Behörde für die Genehmigung von Energieleitungsvorhaben „von gemeinsamem Interesse“ benennen. Jene Vorhaben sind in den vier vorrangigen Stromkorridoren zu verwirklichen, die Anhang 1 des Verordnungsentwurfs im europaweiten Zuschnitt benennt (Offshore-Netz der nördlichen Meere, Nord-Süd-Stromverbindungsleitungen in Westeuropa, diejenigen in Mittel- und Südosteuropa, Stromverbund für den Energiemarkt im Ostseeraum). Daraus findet sich teilweise abgeleitet, besagte zentrale Behörde könne nur die Bundesnetzagentur sein – und, weil ihr die Zuständigkeit für die Genehmigung der Energieleitungen zukomme, zeige sich umso mehr, dass die Zuständigkeit für die Planfeststellung der Elektrizitätsleitungen durch Rechtsverordnung auf die Bundesnetzagentur übertragen werden müsse.

Demgegenüber tritt mit Blick auf die Ermittlung und Feststellung der Vorhaben von gemeinsamem Interesse, was konzeptionell der Bundesfachplanung entsprechen dürfte, das raumordnerische Charakteristikum hervor: Nicht nur ist dies einer sog. regionalen Gruppe – und damit nicht der „zuständigen Behörde“ – anheimgegeben, sondern haben bei diesem Auswahlprozess nach dem Europarecht auch (und gerade) neben wirtschaftlichen explizit soziale und ökologische Gesichtspunkte der Tragfähigkeit eine Rolle zu spielen.

Was die Zulassungsebene anbelangt, also die „umfassende Entscheidung“ in der Diktion des Verordnungsentwurfs, ist beachtlich, dass Unionsrecht die innerstaatliche Kompetenzordnung nicht verändern kann; damit bleibt es bei besagten Anforderungen des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG, insbesondere bei dem Problem, ob es sich bei der „umfassenden“ Genehmigung für Elektrizitätsleitungen um eine zentral zu erledigende Aufgabe handelt. Dass sich an der vorstehend konstatierten Kleinteiligkeit des Vorhabenzuschnitts allein deshalb etwas ändert, weil es sich um zu verwirklichende Elektrizitätsleitungen mit europaweiter Bedeutung und entsprechend weiträumigem Verlauf handelt, erscheint nicht zwingend, erweitern sich doch damit nicht automatisch die Grenzen der Problemverarbeitungskapazität des Verfahrens. Gegenteiliges ließe sich allenfalls auf die nach Vorstehendem wenig realitätsnahe Annahme stützen, der Verordnungsentwurf eröffne mangels diesbezüglicher Regelung keinerlei Abschnittsbildungen. Selbst dann beruhte aber die verfassungsrechtliche Vereinbarkeit einer Betrauung der Bundesnetzagentur mit den Aufgaben der „umfassenden Genehmigung“ auf Besonderheiten der europaweiten Netzinfrastruktur – so dass hieraus keine (Rück-)Schlüsse auf die Zulässigkeit eines Transfers im nationalen Maßstab des NABEG nach dessen §§ 2 Abs. 2, 31 Abs. 2 auf die Bundesnetzagentur abgeleitet werden können.

Hinweis der Redaktion: Der Autor ist Referent bei den 2. HEUSSEN-Energierechtsgesprächen am 23. Oktober 2012 an der European Business School (EBS) für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden. Sein Thema: „Planerische Rechtsfragen des Netzausbaus – EnWG und NABEG im Zusammenspiel mit der Gesamtplanung“ (Siehe nachfolgende Anzeige).

 

Prof. Dr. Wilfried Erbguth

Juristische Fakultät, Universität Rostock
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