15.10.2012

Migrationspolitik online gestalten

Mitwirkung über die Plattform ImmigrationPolicy2.0

Migrationspolitik online gestalten

Mitwirkung über die Plattform ImmigrationPolicy2.0

Mit Hilfe der Plattform sollen Kommunen ihr Wissen besser in die Migrationspolitik einbringen. | © peshkova - Fotolia
Mit Hilfe der Plattform sollen Kommunen ihr Wissen besser in die Migrationspolitik einbringen. | © peshkova - Fotolia

Migrationspolitik – bestehend aus Zuwanderungs- und Integrationspolitik – wird in Deutschland und der EU zunehmend als gesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe verstanden. Dennoch können sich viele Akteure, wie z. B. die Kommunen in Deutschland, nur begrenzt an der politischen Willensbildung beteiligen, obwohl sie über Wissen und Erfahrungen zur Verbesserung von Migrationspolitiken verfügen. Diesen Umstand greift die neue Internetplattform ImmigrationPolicy2.0 auf. Sie macht die Chancen, die das Internet und inbesondere das Web 2.0 für die politische Partizipation bereithält, für den Bereich Migration und Integration nutzbar.

Ein Werkzeug zur partizipativen Gestaltungvon Migrationspolitiken

ImmigrationPolicy2.0 ist ein Online-Werkzeug zur Kooperation migrationspolitischer Akteure, d. h. Personen mit einem Interesse an oder Anliegen in diesem Politikbereich. Die Internetplattform eröffnet einen mehrsprachigen virtuellen Raum, in dem die Akteure als Nutzer – eingeteilt in Wohnbürger und Stakeholder (Fachleute) – auftreten und Migrationspolitiken der EU und ihrer Mitgliedsstaaten diskutieren und gemeinsam zu ihrer Weiterentwicklung beitragen. Anhand von Web 2.0-Anwendungen wie Diskussionsforen oder Wikis treten die Nutzer zu migrationspolitischen Fragestellungen in den Austausch; sie teilen ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Informationen zu bestehenden Politiken miteinander und bringen ihre Meinungen und Verbesserungsvorschläge ein.

ImmigrationPolicy2.0 zielt auf die politische Partizipation ihrer Nutzer bei der Gestaltung von Migrationspolitiken ab. Die Kooperationsaktivitäten der Plattform bieten eine Beteiligungmöglichkeit außerhalb der klassischen demokratischen Teilhabe wie dem nationalen oder kommunalen Wahlrecht. Indem etwa Bürger mit und ohne Migrationshintergrund, Drittstaatler oder Mitarbeiter öffentlicher Verwaltungen Probleme migrationspolitischer Verwaltungsverfahren aufzeigen, können Politikvertreter Handlungsbedarfe identifizieren und Änderungen vornehmen.


Die Zusammenarbeit der Nutzer soll innerhalb staatlicher oder über internationale Grenzen sowie – im Sinne eines Multi-Level-Governance-Ansatzes – über alle relevanten Regierungsebenen (EU, national, regional und lokal) hinweg erfolgen. Dabei entstehen horizontale und vertikale Kooperationsstrukturen, durch die Bottom-up-Politikbildungsprozesse angestoßen werden können. Nationale und EU-Migrationspolitiken sollen dadurch weiterentwickelt und (langfristig) harmonisiert werden.

Kommunen als ImmigrationPolicy2.0-Nutzer

In der EU besteht eine große Vielfalt an Migrationspolitiken, da sie mit unterschiedlichen Kompetenzschwerpunkten von verschiedenen Regierungsebenen gestaltet und umgesetzt wird. In einigen Mitgliedsstaaten spielt auch die lokale Ebene eine zentrale Rolle.

In Deutschland übernehmen die Kommunen einen Großteil der Verwaltungsaufgaben, die sich aus den Migrationspolitiken der übergeordneten Regierungsebenen von EU, Bund und Land ableiten. Die Kommunalverwaltungen sind verantwortlich für die Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen, die Ausstellung von Aufenthaltstiteln, die administrative Abwicklung von Einbürgerungen oder die Mitorganisation von Integrations- und Sprachkursen. Darüber hinaus sind viele Kommunen mit ihren Selbstverwaltungsrechten starke integrationspolitische Akteure; sie entwickeln eigene Integration fördernde Maßnahmen und Konzepte und koordinieren oftmals die örtliche Integrationsarbeit staatlicher und nicht-staatlicher Akteure.

Als „umsetzende Instanzen“ und Gestalter von Integrationspolitiken stellen Kommunen und ihre Verwaltungen einerseits eine migrationspolitische Interessensgruppe und andererseits Träger relevanten Wissens dar. So verfügen Mitarbeiter von Ausländerbehörden, die mit dem Vollzug des Zuwanderungsrechts betraut sind, über Einblicke in die „Praxistauglichkeit“ von Verwaltungsverfahren oder die kommunalen Integrationsbeauftragten über Erfahrungen mit der Entwicklung und Umsetzung lokaler Integrationspolitiken. Solche Informationen sind für die Fortentwicklung von Migrationspolitiken der EU-, Bundes- und Landesebene oder anderer Kommunen interessant. Gleichzeitg sind sie als Expertenwissen oft nur schwer zugänglich.

ImmigrationPolicy2.0 lässt Vertreter von Kommunen und der kommunalen Verwaltung zu Wort kommen, ihre Interessen formulieren und ihr Wissen im Bereich Migration und Integration mitteilen. Indem sie mit anderen Akteuren in den Austausch treten, können sie – so das Ziel – Einfluss auf die Gestaltung von Migrationspolitiken nehmen.

Kooperationsmöglichkeiten von Kommunen auf ImmigrationPolicy2.0

Im Sinne horizontaler Kooperation ist eine Vernetzung und Zusammenarbeit mit Akteuren der lokalen Ebene denkbar. ImmigrationPolicy2.0 kann von Kommunen als Kommunikationsinstrument genutzt werden, um beispielsweise mit Migrantenvertretern, Wohlfahrtsorganisationen, Politikern oder Bürgern im eigenen Regierungsgebiet lokale Migrationspolitiken zu diskutieren. Damit geht unter anderem die Chance einher, die traditionelle Kluft zwischen Ausländerbehörden und nicht-staatlichen integrationspolitischen Akteuren zu verringern. Darüber hinaus kann eine Kooperation auch mit anderen Kommunen in Deutschland oder weiteren EU-Mitgliedstaaten stattfinden; etwa, um die eigene Praxis innerhalb einer „Peergroup“ von Fachleuten zu reflektieren und Beispiele erfolgreicher Praktiken auszutauschen. Beispielsweise können sich Kommunen in Deutschland über die Nutzung von Ermessensspielräumen bei der Umsetzung von Verwaltungsverfahren verständigen.

Vertikale Kooperationsstrukturen meint die Herausbildung von Interaktionsbeziehungen zwischen Kommunen mit anderen Regierungsebenen. So könnten die Kommunen ImmigrationPolicy2.0 als Instrument nutzen, um die EU-Politik über die Umsetzung und Umsetzbarkeit von EU-Politiken in lokalen Strukturen zu informieren. Vergleichbare Beziehungen sollen ebenso zwischen Kommunen und der Landes- und Bundesebene entstehen. Auf diese Weise kann sich die kommunale Ebene in die Politikbildung in Deutschland und auf EU-Ebene einbringen.

Die horizontale und vertikale Kooperation auf der Plattform erlaubt es den Kommunen schließlich auch, sachlich fundierte Positionen zu migrationspolitischen Themen und Fragestellungen zu entwickeln, zu kommunizieren und damit zur politischen Willensbildung im Bereich Migration und Integration beizutragen.

Mittel der Kooperation auf ImmigrationPolicy2.0

Der „Kooperationsbereich“ bildet das Herzstück der Plattform. Hier steht den Nutzern mit Diskussionsforen, Blogs, Wikis und Umfragen eine Reihe interaktiver Werkzeuge zur Verfügung. Entsprechend der Eigenschaften der Web 2.0- Anwendungen können die Nutzer je nach Bedarf unterschiedliche Beiträge leisten.

Das Diskussionsforum ermöglicht die gezielte Interaktion einer größeren Zahl von Nutzern. Sie können Informationen, Erfahrungen und Meinungen zu migrationspolitischen Themen, wie z. B. die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen in Deutschland, austauschen. Der Verlauf von Diskussionen wird im Forum dokumentiert und so für andere Nutzer nachvollziehbar.

Blogs eignen sich hingegen dazu, die persönliche Sicht eines einzelnen Nutzers zu einem Thema umfassend darzustellen. Mitarbeiter kommunaler Verwaltungen können beispielsweise über ihre Arbeit in einer Ausländerbehörde reflektieren und Fragen zu strukturellen Problemen aufwerfen. Andere Nutzer lesen und kommentieren die Blogbeiträge.

Wikis dienen auf ImmigrationPolicy2.0 in erster Linie der Sammlung von Expertenwissen und der Schaffung einer gemeinsam geteilten Wissensgrundlage. So können beispielsweise Wikis zu aufenthaltsrechtlichen Regelungen, Verwaltungsverfahren genauso wie zu kommunalen Integrationsprogrammen verfasst und das systematisierte Wissen somit der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Eine Besonderheit des Kooperationsbereichs bilden die sogenannten Politikprozesse; grafische Modelle migrationspolitischer Verfahren. Nutzer, die als Fachleute (Stakeholder) auf der Plattform registriert sind, können diese Modelle selbst erstellen und im Kooperationsbereich der Plattform veröffentlichen. Dafür steht ihnen ein speziell entwickeltes Modellierungs-Tool zur Verfügung, das auf der Plattform heruntergeladen werden kann. Durch die Modelle können die Nutzer die Transparenz migrationspolitischer Prozesse erhöhen und sie einer gezielten Diskussion durch die Nutzergemeinde zuführen.

Schließlich erfüllt ImmigrationPolicy2.0 neben der Kooperationsfunktion auch eine „Agenda-Setting-Funktion“. Als nutzerorientierte Plattform mit Web 2.0-Elementen generieren die Nutzer die Inhalte selbst, so dass die Häufigkeit und Intensität von Diskussionen Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Bedeutung bestimmter Themen und Handlungsbedarf im Bereich Migration und Integration zulassen. Politikvertreter können diese Informationen nutzen, um Arbeitsschwerpunkte zu setzen.

Fazit

Trotz des berechtigten Interesses und relevanten Wissens verfügt die lokale Ebene in Deutschland (und in vielen anderen EU-Mtigliedsstaaten) über geringe Möglichkeiten, Einfluss auf die Migrationspolitik der Landes-, Bundes- und EU-Ebene zu nehmen. ImmigrationPolicy2.0 möchte einen Beitrag leisten, räumliche wie gesellschaftliche Grenzen zu überwinden und einen konstruktiven Dialog aller relevanten Akteure zu ermöglichen. Dafür stellt sie die notwendigen Kommunikations- und Kooperationsmittel bereit. Inwieweit es gelingt, mit ImmigrationPolicy2.0 die politische Partizipation im Bereich Migration und Integration zu verbessern und Bottom-up-Politikbildungsprozesse anzustoßen, hängt von der aktiven Beteiligung der Nutzer auf der Plattform ab.

Hintergrund

ImmigrationPolicy2.0 ist das Produkt des gleichnamigen Pilotprojekts, das von der EU-Kommission (Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien) gefördert und von einem internationalen Projektkonsortium aus IT-Experten und Fachorganisationen aus dem Bereich Migration in sechs europäischen Ländern (Deutschland, Estland, Griechenland, Italien, Serbien und Spanien) umgesetzt wird.

Das Projekt läuft insgesamt drei Jahre (September 2010 bis August 2013). Seit April 2012 ist die Beta-Version der Plattform im Internet verfügbar. Interessierte können sich unter http://immigrationpolicy2.cs.unipi.gr/immigration/index.jsp als Nutzer registrieren und die Plattform nach ihren Interessen inhaltlich mitgestalten. Kritik und Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der Funktionalität und Nutzerfreundlichkeit der Plattform können auf der Plattform oder persönlich beim nationalen Administrator eingereicht werden. Sie dienen der Weiterentwicklung der Plattform. Im Mai 2013 erscheint die überarbeitete Fassung.

Als Projektpartner in Deutschland entwickelt das europäische forum für migrationsstudien (efms), Institut an der Universität Bamberg, ImmigrationPolicy2.0 mit und steht als Ansprechpartner zur Verfügung.

 

Verena Krobisch

(Diplom-Soziologin) Wissenschaftliche Mitarbeiterin europäisches forum für migrationsstudien (efms) Institut an der Universität Bamberg
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