15.10.2012

EU-Beihilferecht – Der IDW PS 700

Prüfung und Darstellung beihilferechtlicher Risiken im Jahresabschluss

EU-Beihilferecht – Der IDW PS 700

Prüfung und Darstellung beihilferechtlicher Risiken im Jahresabschluss

Der IDW PS 700 verschärft die Prüfung staatlicher Beihilfen. | © VRD - Fotolia
Der IDW PS 700 verschärft die Prüfung staatlicher Beihilfen. | © VRD - Fotolia

Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen eine deutliche Verschärfung der Vorgaben des Europäischen Beihilferechts. Hiervon betroffen sind vor allem kommunale Unternehmen, die Beihilfen in Form von Kapitaleinlagen, Bürgschaften oder im Rahmen von Gewinnabführungsverträgen erhalten. Des Weiteren zeigt die Betrachtung zahlreicher Verfahren der EU-Kommission und vor deutschen Gerichten, dass die Gewährung von Beihilfen inzwischen mit einem erhöhten Klage- sowie Rückzahlungsrisiko verbunden ist. Beihilferechtliche Risiken können sich demnach auf die Aufstellung des Jahresabschlusses und des Lageberichts des begünstigten Unternehmens auswirken.

Als Reaktion auf die Entwicklungen des europäischen Beihilferechts hat der Hauptfachausschuss des IDW am 07. 09. 2011 einen entsprechenden Prüfungsstandard (IDW PS 700 Prüfung von Beihilfen nach Artikel 107 AEUV insbesondere zugunsten öffentlicher Unternehmen) verabschiedet.

Aufbau des Prüfungsstandards

Der grundlegende Aufbau des IDW PS 700 ist in drei wesentlichen Abschnitten zu skizzieren. Zu Beginn werden umfangreiche rechtliche Grundlagen beschrieben, um eine theoretische Basis und Sensibilität im Rahmen der Abschlussprüfung zu schaffen. Im weiteren Ablauf werden auf die Würdigung beihilferechtlicher Sachverhalte im Rahmen der Abschlussprüfung und auf etwaige Konsequenzen auf den Bestätigungsvermerk eingegangen.


Der Wirtschaftsprüfer hat insbesondere drei wesentliche Prüfungsschritte gem. IDW PS 700 Tz.41 ff. durchzuführen, um festzustellen, ob der Beihilfetatbestand aus Artikel 107 Abs. 1 AEUV (Durch den „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ [„AEUV“, sog. Lissabon-Vertrag] wurden zahlreiche Normen des früheren EG-Vertrages neu nummeriert. Die Beihilfevorschriften aus Artikel 87, 88 und 89 EG-Vertrag finden sich jetzt in Artikel 107, 108 und 109 AEUV) erfüllt ist. Gleichzeitig dienen die Prüfungsschritte der Beurteilung, ob die gesetzlichen Vertreter die erforderlichen Konsequenzen für die Bilanzierung und Lageberichterstattung gezogen haben.

1. Liegt eine Beihilfe vor?

Das grundsätzliche Beihilfeverbot nach Artikel 107 Abs. 1 AEUV greift bei vorliegen folgender Tatbestände:

– Es muss sich um eine Maßnahme zugunsten eines Unternehmens handeln (Anwendbarkeit)
– Die Maßnahme muss begünstigende Wirkung für das Unternehmen haben
– Die Maßnahme muss aus staatlichen Mitteln finanziert werden
– Es muss sich um eine selektive Maßnahme handeln, d. h. sie muss ein bestimmtes Unternehmen oder einen bestimmten Produktionszweig begünstigen
– Die Maßnahme muss die Gefahr einer Verfälschung des Wettbewerbs beinhalten sowie eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten hervorrufen.

Eine begünstigende Wirkung ist insb. dann nicht gegeben, wenn die Maßnahme die Kriterien i.S.d. Altmark-Trans-Urteils des EUGH erfüllt (EUGH , Urt. v. 24. 03. 2003, Rs C-280/00; die Erfüllung der vier Altmark-Trans-Kriterien führen zum Wegfall der begünstigenden Wirkung einer Maßnahme und damit zum Entfallen des Beihilfetatbestands insgesamt).

2. Durfte die Beihilfe an das Unternehmen gewährt werden, ohne dass es einer Notifizierung und Genehmigung durch die EU-Kommission bedarf?

In diesem Schritt hat der Wirtschaftsprüfer zu prüfen, ob gesetzliche Freistellungstatbestände erfüllt sind, und damit die Vorteilsgewährung ohne Notifizierung/Genehmigung der EU-Kommission zulässig war. Der IDW PS 700 nennt als Beispiele für mögliche Freistellungstatbestände die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung 800/2008/EG sowie insb. die Freistellungsentscheidung 2005/842/EG für Beihilfen im Bereich der Daseinsvorsorge. Die Freistellungsentscheidung setzt insb. einen Betrauungsakt als rechtsverbindliche Grundlage etwaiger Ausgleichsleistungen für Aufgaben der Daseinsvorsorge voraus.

3. Kann eine Rückforderung wegen „Bestandschutzes“ ausgeschlossen werden?

Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn es sich auf Grund des Fristablaufs für die Rückforderungsbefugnis der Kommission (Artikel 15 Abs. 1 der Verordnung (659/1999/EG) und um eine bestehende Beihilfe handelt. Die Frist zur Anordnung der Rückforderung beträgt 10 Jahre. Es ist zu beachten, dass es durch Maßnahmen der Kommission zu einer Unterbrechung des Fristablaufs kommen kann.

– Aus diesen Prüfungsschritten hat der Abschlussprüfer zu entscheiden, ob evtl. Konsequenzen aus beihilferechtlichen Sachverhalten ordnungsgemäß im Jahresabschluss und Lagebericht abgebildet wurden. Anschließend hat er die sich ggf. ergebenen Auswirkungen auf den Bestätigungsvermerk zu beurteilen. Dabei sind neben den allgemeinen Anforderungen des IDW PS 400 auch folgende beispielhaft aufgeführten Fallkonstellationen des IDW PS 700 bei der Bildung des Prüfungsurteils zu berücksichtigen:
– Sofern rechtliche Unsicherheiten über die Zulässigkeit von Beihilfen bestehen, die sich wesentlich auf die Rechnungslegung auswirken, hat der Abschlussprüfer zu beurteilen, ob die damit verbundenen Risiken zutreffend im Lagebericht dargestellt wurden.
– Sofern sich infolge beihilferechtlicher Vorgaben entwicklungsbeeinträchtigende oder bestandsgefährdende Tatsachen ergeben, sind diese ebenfalls im Lagebericht zu nennen und es hat ein Hinweis im Bestätigungsvermerk zu erfolgen.
– In Einzelfällen kann es sachgerecht sein, auch im Falle nicht vorliegender Bestandsgefährdung des Unternehmens gem. § 322 Abs. 3 S. 2 HGB auf die rechtliche Unsicherheit im Zusammenhang mit der Zulässigkeit einer Beihilfe im Bestätigungsvermerk hinzuweisen.
– Eine unangemessene Berichterstattung im Lagebericht über die mit den erhaltenen Beihilfen verbundenen Risiken führt bei wesentlichen Beanstandungen des Abschlussprüfers zu einer Einschränkung des Bestätigungsvermerks.
– Führt die Feststellung der Unzulässigkeit einer Beihilfemaßnahme und die damit verbundene Passivierung der Rückzahlungsverpflichtung zu einer bilanziellen Überschuldung, so sind zwei Varianten zu unterscheiden. Wird der Abschluss unter Abkehr vom Grundsatz der Unternehmensfortführung (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) aufgestellt, reicht es aus, im Bestätigungsvermerk gem. § 322 Abs. 2 S. 3 HGB auf die bestandsgefährdenden Risiken unter Bezugnahme auf die Darstellung im Anhang oder Lagebericht hinzuweisen. Wird der Abschluss unzulässigerweise unter dem Grundsatz der Unternehmensfortführung aufgestellt, ist der Bestätigungsvermerk zu versagen, gleichwohl wenn die bestandsgefährdenden Tatsachen im Lagebericht zutreffend dargestellt wurden.

Fazit

Die Ausführungen zeigen, dass die Anforderungen an den Wirtschaftsprüfer im Rahmen der Jahresabschlussprüfung in Bezug auf beihilferechtliche Risiken vielfältig und komplex sind. Im Einzelfall wird der verantwortliche Wirtschaftsprüfer demnach die Einholung juristischen Rats nicht vermeiden können, um sein Prüfungsurteil mit hinreichender Sicherheit treffen zu können.

Es bleibt festzuhalten, dass Verträge die unzulässig gewährte Beihilfen zum Gegenstand haben, unwirksam sein können und im Falle einer sog. Konkurrentenklage rückgängig zu machen sind. Staatliche Stellen sind verpflichtet, unzulässig gewährte Beihilfen zurückzufordern. Auswirkungen auf den Jahresabschluss des begünstigten Unternehmens können sich demnach vor allem durch die Pflicht zur Bilanzierung von (Rückzahlungs-)Verpflichtungen und die damit verbundene erfolgswirksame oder erfolgsneutrale Verminderung des Eigenkapitals ergeben. Generell ist zu beachten, dass es nicht zu einer Beeinträchtigung des Postulats des „True and fair Views“ kommt. Darüber hinaus kann sogar die Annahme der Unternehmensfortführung infrage zu stellen sein, da Beihilfen in vielen Fällen dem begünstigten Unternehmen in einer wirtschaftlichen Schieflage zugebilligt werden. Dies würde zu Berichtspflichten im Rahmen der Berichterstattung über Risiken der zukünftigen Entwicklung im Lagebericht führen. Des Weiteren hat der Abschlussprüfer im Rahmen der Prüfung des Lageberichts gänzlich zu beurteilen, ob beihilferechtliche Risiken adäquat im Lagebericht dargestellt werden.

Das EU-Beihilferecht beeinflusst zunehmend strategische Entscheidungen in öffentlichen Unternehmen. Das hat Folgen auch für den Jahresabschluss. Darüber und über weitere aktuelle beihilferechtliche Fragen informiert die Fachkonferenz „EU-Beihilferecht aktuell“ am 8. November 2012 in Düsseldorf (www.campus-kuk.de).

 

Tobias Adelfang

Dipl. Kfm., Mitarbeiter der BPG mbH, Krefeld
 

Dirk Bottermann

WP StB Dipl-Kfm., Geschäftsführer der BPG-Gruppe, Düsseldorf
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