14.12.2020

Radikalisierung in Zeiten von Corona

Wie Rechtsextremisten Ängste nutzen

Radikalisierung in Zeiten von Corona

Wie Rechtsextremisten Ängste nutzen

Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Publicus – Schwerpunkt Corona« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Corona-Pandemie fordert in vielerlei Hinsicht Opfer und im schlimmsten Fall die eigene Gesundheit. Um das zu verhindern und das Wohl der Menschen zu schützen, wurden in aller Welt mehr oder weniger drastische Maßnahmen ergriffen. Gerade in Europa sind diese tiefgreifend, in Deutschland stehen weitere Verschärfungen unmittelbar bevor. Die Maßnahmen wiederrum fordern jedoch ihrerseits Opfer, weil sie das physische gesellschaftliche Miteinander verhindern, in die persönliche Freiheit des Einzelnen eingreifen und wirtschaftliche Existenzen – trotz staatlicher Hilfen – zerstören können. Immer häufiger demonstrieren Gegner dieser Maßnahmen. Und immer häufiger sind unter ihnen Rechtsextremisten.

Die Initiative „Querdenken 711“ und die Proteste

Die Stuttgarter Initiative „Querdenken 711“ (die Zahl ist von der Stuttgarter Vorwahl 0711 abgeleitet) wendet sich gegen die getroffenen Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Pandemie. Sie ist politisch nicht klar zu verorten, vielmehr werden die Aktivisten als „Mischgruppe“ betrachtet. Auf den Demonstrationen vor Ort finden sich klare Leugner der Pandemie, die sich gegen den „Masken-Zwang“ wehren, Esoteriker und Verschwörungstheoretiker. Gerade diese halten die Pandemie entweder für erfunden oder das Virus Covid 19 für gezielt gezüchtet. Ziel sei die Entrechtung der Menschen, das Gefügigmachen durch einen „vermeintlichen Impfstoff“ oder eines Chips, der implementiert wird. Aufnahmen auf Plattformen von Youtube oder Beiträge in Foren und auf Social Media zeugen von einer unglaublichen Vielfalt diesbezüglicher Annahmen und pseudowissenschaftlichen Erklärungen. Motivlagen und Hintergründe der Leugner der Pandemie und Gegner der Maßnahmen sind dabei völlig unterschiedlich und nicht zu vereinheitlichen.

Verschwörungstheorien entstehen psychologisch bei Menschen aufgrund diffuser Angst- und Ohnmachtsgefühle. Es geht stets um eine unterlegene Perspektive gegen eine empfundene Übermacht. Gerade sie eignen sich zum Transport extremistischer Narrative und genau dafür werden sie benutzt.


Radikalisierung in der sozialen Isolation

Keine Frage: Die Gesellschaft steckt gegenwärtig in einer schwer kalkulierbaren Krise. Die Pandemie verursacht eine wenig greifbare Angst. Sie stellt einen unsichtbaren Kontrahenten dar, der nahezu unberechenbar ist. Noch dazu sind sich viele Personen hinsichtlich der Gefahr unschlüssig, da es eine große Gruppe von Infizierten gibt, die keine merklichen oder nur wenige äußerliche Symptome aufweisen. Doch auch diejenigen, die die mit der Pandemie einhergehenden Gefahren leugnen, zeigen Angst. Angst davor, ihre Rechte und ihr Vermögen zu verlieren. Angst und Ohnmacht führen schnell zur Wut und das fördert Radikalisierungstendenzen. Verschärft wird dieser Umstand durch die gesellschaftliche Isolation, in der Menschen nun einen Großteil ihres Lebens vor dem Computer verbringen. Das Korrektiv der realen Lebenswelt, das gesellschaftliche Miteinander mit Arbeitskollegen, Bekannten und Verwandten, verliert immer mehr an Gewicht. Besonders schwierig wird es, wenn die Betroffenen über zu viel Zeit verfügen, die mit dem Konsum schlechter Nachrichten verlebt wird. Die Algorithmen von Suchmaschinen und Nachrichtendiensten orientieren sich an den zuvor konsumierten Inhalten. Dies führt zu einer Verengung der Wahrnehmung und völligen Fokussierung auf Inhalte, die Ängste verbreiten, zumal sie sich im virtuellen Raum durch die Medienmeldungen immer weiter zu bestätigen scheinen. Die eigene Lebenswelt reduziert sich, Angst, das Gefühl von Ohnmacht und daraus entstehende Wut über diese Lage nehmen immer mehr Raum im persönlichen Empfinden ein und verengen damit den Korridor der Wahrnehmung. Die Emotionen müssen irgendwo hin.

In der Pandemie finden sich nun Personen und Initiativen, die genau diese Empfindungen ansprechen und die Menschen in ihren Ängsten abholen. Dies sowohl virtuell, als zum Teil auch auf offener Straße bei den Demonstrationen gegen die Corona-Verordnungen. Hier zeigen sich besonders Reichsbürger, Rechtsradikale und Rechtsextreme als Ansprechpartner und bieten den Betroffenen das Gehör und ein vermeintliches Verständnis, das sie aus zu vielen Kreisen nicht mehr erhalten.

Einschätzung

Die gegenwärtige Lage in der Pandemie ist kritisch, die Infektionszahlen sind auf einem zu hohen Niveau. Erste Notaufnahmen sind an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt und die Sterberaten sind höher, als sie das im Frühjahr waren. Währenddessen ist eine gereizte Stimmung festzustellen. Nicht wenige Menschen müssen um ihre Existenz bangen. Wirtschaftszweige wie Gastronomie, Hotellerie, des Eventmanagements oder Messewesens liegen brach, die wirtschaftlichen Folgen sind nicht abzusehen. Auch die nun im Eilverfahren zugelassenen Impfstoffe werden von Teilen der Bevölkerung mit gemischten Gefühlen betrachtet. Die gesellschaftliche Situation ist in dieser Zeit angespannt und fragil. Der persönliche Umgang mit der Pandemie und die Haltung zu den damit verbundenen Maßnahmen spaltet nicht nur die Bevölkerung, sondern auch Familien.

Extremisten jeglicher Couleur nutzen die angespannte Lage für sich aus. Vor allem Rechtsextremisten haben nun ein leichtes Spiel. Denn es ist bequem, die aktuellen Maßnahmen zu torpedieren und politische Entscheidungsträger zu diffamieren. An sich müsste es schlichtweg billig erscheinen, dass Menschen, die keinerlei Verantwortung übernehmen, diejenigen, die es tun, verunglimpfen und ihnen die schlechtesten Absichten unterstellen. Es geht weder Reichsbürgern noch Rechtsextremisten darum, die Menschen im Land vor irgendwelchen Gefahren zu schützen. Es geht ihnen um ihren Vorteil und darum, aus einer humanitären Katastrophe Kapital zu schlagen. Obwohl die Strategien offensichtlich sind, sehen zu viele Menschen darin „das kleinere Übel“.

Sicher gelten staatsfeindliche Absichten nur für einen Teil der Menschen, die bei den Demonstrationen mitlaufen und die friedlich ihren Protest – egal, wie man inhaltlich zu den einzelnen Positionen stehen mag – artikulieren. Das Problem liegt jedoch darin, dass es ihnen in ihrer Angst bereits egal ist, welche Personen an ihrer Seite stehen. Auch werden die Proteste gefährdungsintensiver: Das Gewaltpotential steigt, während die Hemmschwelle sinkt. Angesichts von Bildern, die zeigen, wie sich Demonstranten mit der Polizei gewalttätige Auseinandersetzungen liefern, erschreckt der Umstand, dass Eltern ihre Kinder zu den Protesten mitnehmen, umso mehr.

Fazit

Aktuell wird diskutiert, ob der Verfassungsschutz tätig werden muss. Wie auch immer die Behörde die Lage einschätzen wird, das zugrundeliegende Problem wird sie nicht lösen können. Es ist ein gesellschaftliches, das viel zu viele Menschen betrifft und in der angstgeladenen Atmosphäre einer bislang ungekannten Situation ein besorgniserregendes Ausmaß annehmen kann. Es wird zwingend nötig sein, die Ängste der Menschen, egal, ob sie begründet oder nicht nachvollziehbar sind, ernster zu nehmen. Die gegenwärtige Zeit ist von einem Gegeneinander geprägt, das stark von der beschworenen Solidarität abweicht, die sich alle eigentlich wünschen. Jeder Einzelne muss sich fragen, wie wir den Zugang zu den Menschen wiederfinden können, die wir emotional in der Pandemie und an Extremisten verlieren.

 

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung der Autorin wieder.

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
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