13.10.2023

Polizeiliche Videoüberwachung von Versammlungen

Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen

Polizeiliche Videoüberwachung von Versammlungen

Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen

Videoüberwachung kann insbesondere mit einer Vielzahl von Straftaten begründet werden. | © minzpeter - Fotolia
Videoüberwachung kann insbesondere mit einer Vielzahl von Straftaten begründet werden. | © minzpeter - Fotolia

Die Verfahrensbeteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der offenen Videoüberwachung des Breslauer Platzes in Köln, der nördlich an den Hauptbahnhof anschließt, sowie der angrenzenden Straßen und Wege. Aufgrund der Anordnung des Polizeipräsidenten von Köln vom 25.10.2019 sind an drei Punkten auf dem Breslauer Platz insgesamt sieben Videokameras (vier statische sog. „Multifokus“-Kameras und drei Kameras mit Schwenk-, Neige- und Zoomfunktion [sog. „PTZ-Kameras“]) angebracht worden.

Begründet wurde die Maßnahme mit einer Vielzahl von Straftaten, die in diesem Bereich seit Jahren begangen worden seien, sodass der Platz als Kriminalitätsschwerpunkt anzusehen sei. Die besondere Lage am Bahnhof, die hohe Passantenfrequenz und die Vielzahl an unübersichtlichen Zuwegungen führten dazu, dass die Beschaffenheit des Ortes die Begehung von Straftaten besonders begünstige. Schließlich sei sichergestellt, dass beim Verdacht von Straftaten unverzüglich Polizeikräfte vor Ort einträfen.

Die Behördenleiteranordnung ist am 14.02. und 27.11.2020 sowie zuletzt am 26.11.2021 verlängert worden, wobei der Breslauer Platz hinsichtlich der Kriminalitätsbelastung jeweils als Teil des (größeren) Videoüberwachungsbereichs Hauptbahnhof/Dom angesehen wird. Der Antragsteller macht geltend, die Videoüberwachung sei rechtswidrig und greife in seine Rechte ein.


VersG NRW – § 16 Abs. 1, 2

PolG NRW – § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2

Zu den Voraussetzungen, unter denen ein öffentlicher Platz per Video überwacht werden darf, wenn dort eine Versammlung stattfindet.

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.05.2022 – 5 B 137/21

Aus den Gründen

Über die im Tenor bezeichneten Maßgaben zu Versammlungen hinaus hat der Antragsteller keinen Anspruch darauf, dem Antragsgegner durch einstweilige Anordnung die Videoüberwachung (Videobeobachtung und Videoaufzeichnung) des Breslauer Platzes (und der einbezogenen Nebenstraßen) in Köln zu untersagen. Er hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Der Antragsteller hat – mit Ausnahme der tenorierten Maßgaben – keinen Anordnungsanspruch dahin gehend, dass die Videoüberwachung durch den Antragsgegner im Bereich des Breslauer Platzes in Köln einschließlich Neben- und Seitenstraßen unterlassen wird. Insoweit sind seine (Grund-)Rechte voraussichtlich nicht verletzt. Die Grundrechte schützen den Bürger vor ihnen zuwiderlaufenden Beeinträchtigungen jeder Art. Dies erfasst auch durch schlichtes Verwaltungshandeln (Verwaltungsrealakt) entstehende Beschränkungen.

Infolgedessen kann der Bürger, wenn ihm eine derartige Rechtsverletzung droht, unmittelbar gestützt auf das jeweils beeinträchtigte Grundrecht Unterlassung verlangen, sofern ihm nicht bereits das einfache Gesetzesrecht einen Anspruch vermittelt. Dem Antragsteller kommt ein Unterlassungsanspruch nicht zu.

Eingriff in Recht auf informationelle Selbstbestimmung rechtmäßig

Ein Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus dem in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG wurzelnden Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, in aller Regel selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen.

In den Schutzbereich dieses Rechts wird im Fall der offenen Videoüberwachung des öffentlichen Raums durch die Polizei eingegriffen. Das durch die Videoüberwachung gewonnene Bildmaterial kann und soll dazu genutzt werden, belastende hoheitliche Maßnahmen gegen Personen vorzubereiten, die in dem von der Überwachung erfassten Bereich bestimmte unerwünschte Verhaltensweisen zeigen.

Die offene Videoüberwachung eines öffentlichen Ortes kann und soll zugleich abschreckend wirken und insofern das Verhalten der Betroffenen lenken. Dies gilt schon für die bloße Videobeobachtung („Kamera-Monitor-Prinzip“), weil diese gegenüber dem menschlichen Auge eine weit großflächigere und intensivere Beobachtung – auch über große Entfernungen und bei schwierigen Lichtverhältnissen – ermöglicht. Durch die zusätzliche, hier durchgeführte Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials werden die beobachteten Lebensvorgänge zudem technisch fixiert und können in der Folge abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden.

So besteht die Gefahr, dass eine Vielzahl von Informationen über bestimmte identifizierbare Betroffene gewonnen wird, die sich jedenfalls theoretisch zu Profilen des Verhaltens der betroffenen Personen in dem überwachten Raum verdichten lassen könnten.

Der Eingriff in das Grundrecht entfällt nicht dadurch, dass lediglich Verhaltensweisen im öffentlichen Raum beobachtet werden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet nicht allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre, sondern trägt in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch den informationellen Schutzinteressen des Einzelnen Rechnung, der sich in die Öffentlichkeit begibt.

Am Maßstab des einstweiligen Rechtsschutzes gemessen ist es hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller durch den Betrieb der Videoüberwachung auf dem Breslauer Platz in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nachteilig betroffen ist. Es ist zu erwarten, dass er den überwachten Bereich in absehbarer Zeit betreten wird.

Der Antragsteller wohnt in der Stadt Köln. Angesichts der zentralen Lage des Breslauer Platzes unmittelbar hinter dem Hauptbahnhof und damit seiner Funktion als zentraler Umsteigepunkt für öffentliche Verkehrsmittel besteht die naheliegende Möglichkeit, dass er von der Videoüberwachung auf dem Platz erfasst werden wird. Zudem hat der Antragsteller nachvollziehbar dargelegt, bereits an Versammlungen auf diesem Platz teilgenommen zu haben.

Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erweist sich aber als rechtmäßig. Er beruht mit § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 PolG NRW auf einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage und ist formell sowie materiell rechtmäßig.

(…)

Kein Eingriff in Versammlungsfreiheit – vorbehaltlich der tenorierten Maßgaben

Dem Antragsteller kommt auch kein Unterlassungsanspruch wegen eines zu befürchtenden Verstoßes gegen sein aus Art. 8 Abs. 1 GG folgendes Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu. Insoweit waren dem Antragsgegner zur Sicherung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG aber Maßgaben zu erteilen.

Vorliegend ist ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit unter Berücksichtigung der im Tenor benannten Maßgaben nicht zu befürchten. Der Antragsgegner hat dargelegt, dass die in der Örtlichkeit vorhandenen Videokameras bei Versammlungen abgeschaltet werden.

Zusätzlich werde seit November 2020 die Optik der statischen Kameras mit einem Rollo verschlossen, auf denen eine durchgestrichene Kamera zu sehen sei; die drei PTZ-Kameras würden gegen den Mast gedreht, an dem sie jeweils befestigt sind. Aufgrund der Verwendung neuer PTZ-Kameras ohne Glaskuppel sei die Ausrichtung der Kamera jedenfalls nunmehr auch unproblematisch erkennbar.

Die Einstellung der Videoüberwachung bei Versammlungen ist auch in der Behördenleiteranordnung vom 14.02.2020 sowie in der internen Handlungsanweisung vom 17.02.2017 niedergelegt worden. Die von dem Antragsgegner genutzten Hinweisschilder weisen auf die Einstellung der Videobeobachtung und der Bildaufzeichnung bei Versammlungen in textlicher Form sowie durch ein Piktogramm hin.

Dies zugrunde gelegt überschreitet das bloße Vorhandensein der vorübergehend deaktivierten Videoüberwachungsanlage am Versammlungsort – vorbehaltlich der tenorierten Maßgaben – nicht die Schwelle zum Grundrechtseingriff.

Es ist nicht davon auszugehen, dass bei Zugrundelegung eines objektiven Beurteilungsmaßstabs ein verständiger Dritter allein wegen der Existenz der weiterhin unverhüllten PTZ-Kameras von der Teilnahme an der Versammlung Abstand nehmen würde. Dass diese tatsächlich gegen den Mast gedreht werden, kann von jedermann in der Örtlichkeit überprüft werden.

Eine andere Bewertung ergibt sich dabei auch nicht daraus, dass – wie der Antragsgegner auch einräumt – in der Vergangenheit die kurzzeitige Aktivierung der Videokameras aufgrund einer fehlerhaften Umsetzung der internen Handlungsanweisung erfolgt ist.

Allerdings ist der Antragsgegner gehalten, über seine bisherige Handhabung (vgl. die interne Handlungsanweisung vom 17.02.2017) hinaus die Videoüberwachung nicht nur für den angemeldeten Versammlungszeitraum einzustellen, sondern auch den typischerweise anzunehmenden Zeitraum des Eintreffens auf dem Platz bzw. der unmittelbaren Vorbereitung der Versammlung und der Abreise der Teilnehmer zu berücksichtigen.

 

Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Neuen Polizeiarchiv 8/2023, Lz. 794.

Ministerialrat Dr. Dr. Frank Ebert

Ministerialrat a.D. Dr. Dr. Frank Ebert

Leiter des Thüringer Prüfungsamts a.D., Erfurt
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