12.04.2023

Kommunen in der Zeitenwende

Interview mit DStGB-Präsident Dr. Uwe Brandl

Kommunen in der Zeitenwende

Interview mit DStGB-Präsident Dr. Uwe Brandl

Es müssen kommunale Einwirkungs-, Mitsprache- und Kontrollrechte in der Gesellschaft gewahrt sein. ©alotofpeople – stock.adobe.com
Es müssen kommunale Einwirkungs-, Mitsprache- und Kontrollrechte in der Gesellschaft gewahrt sein. ©alotofpeople – stock.adobe.com

In diesem Beitrag stellt sich der seit 1.1.2023 amtierende Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB), Dr. Uwe Brandl, den Fragen von PUBLICUS. Dr. Brandl war bereits von 2018 bis 2020 Präsident des Verbandes und ist zudem u. a. seit 1993 erster Bürgermeister der bayerischen Stadt Abensberg (Landkreis Kehlheim). 

PUBLICUS: Herr Dr. Brandl, herausfordernde Zeiten, in dem Sie das Amt des Präsidenten wieder übernommen haben. Wie verliefen die ersten Wochen?

Brandl: Die Zeiten sind in der Tat herausfordernd, wir erleben ein seit dem Bestehen der Bundesrepublik nie dagewesenes Nebeneinander von Krisensituationen. Daher waren auch die ersten Monate in meiner zweiten Amtszeit als Präsident von einer hohen Dichte an politischen Terminen und Abstimmungen mit der Bundespolitik gekennzeichnet, unter anderem zu den Themen Energiekrise und Flüchtlinge. Es war und ist herausfordernd und spannend.


PUBLICUS: Die Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen, jetzt auch aus der Ukraine, stellt die Kommunen vor nicht unerhebliche Probleme. Welche Hilfen von Bund und Land vermissen Sie?

Brandl: Im vergangenen Jahr sind mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, hinzu kommt ein Anstieg bei den Asylbewerberzahlen. Das stellt die Kommunen vor gewaltige Herausforderungen bei der Unterbringung der Menschen. Ich habe den Eindruck gewinnen müssen, dass die Dimension der Herausforderung und vor allem die drohende Überforderung nicht gesehen oder aber nicht ernst genommen wird. Es ist zwingend notwendig, dass Bund und Länder ihre Erstaufnahmekapazitäten deutlich ausweiten, um die Kommunen zu entlasten. Wir erwarten ferner, dass wir die Kosten vollumfänglich erstattet bekommen. Die bisherigen Ansätze reichen bei weitem nicht. Was entscheidend ist, ist allerdings ein Einwirken auf Europa, die Grenzen sicherer zu machen und die Flüchtlinge angemessen zu verteilen. Auch die Rückführung muss deutlich verbessert werden.

PUBLICUS: Was ist aus Sicht des DStGB auf deutscher und europäischer Ebene zu tun, um dem Flüchtlingsstrom angemessen zu begegnen?

Brandl: Wir müssen endlich für eine europaweit gerechte Verteilung der Flüchtlinge sorgen. Derzeit nehmen wenige Länder, Deutschland vorneweg, sehr viele Menschen auf, andere dagegen nur sehr wenige. Um der Akzeptanz willen muss es gelingen, die illegale Migration in die EU zu begrenzen und auch innerhalb der EU dafür zu sorgen, dass Menschen nicht ungehindert weiterreisen können. Perspektivisch müssen wir es schffenn, das Dublin-Abkommen wieder wirksam werden zu lassen oder einen neuen Verteilmechanismus zu etablieren.

PUBLICUS: Wohnungen fehlen allenthalben, nicht nur bedingt durch Flüchtlinge und Asylbewerber. Vor allem auch bezahlbare Wohnungen. War die Veräußerung von vielen Sozialwohnungen vor einigen Jahren ein Fehler?

Brandl: Es war aus heutiger Sicht sicherlich nicht klug, dass einige Kommunen ihren Wohnungsbestand verkauft haben. Allerdings hat dies nicht unmittelbar mit der Frage der Sozialwohnungen zu tun. Die Sozialbindung läuft nach rund 20 Jahren aus. Es ist einfach nicht gelungen, ausreichend neuen sozialen und auch regulären Wohnraum zu schaffen. Das ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, der wir uns mit ganzer Kraft stellen müssen.

PUBLICUS: Das Aufhalten des Klimawandels ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wo sehen Sie den Beitrag der Kommunen? Halten Sie z.B. das Verbot von Schottervorgärten per Satzung für angebracht?

Brandl: Ein Verbot von Schottergärten wird den Klimawandel nicht entscheidend stoppen. Ob man zu diesem Mittel greift, ob Verbote durchsetzbar sind, müssen die Kommunen im Einzelfall entscheiden. Viel wichtiger ist es, dass die Kommunen seit vielen Jahren Vorreiter beim Klimaschutz sind. Wir arbeiten konsequent an der energetischen Sanierung unserer eigenen Immobilien, engagieren uns für den Ausbau erneuerbarer Energien und nachhaltigem Wasser und Gewässerschutz. Wir errichten Nahwärmenetze und etablieren regenerative Strommärkte, um die regionale Erzeugung und den Verbrauch vor Ort zu stützen. Allerdings geht das nicht von heute auf morgen, das ist eine gewaltige Aufgabe und wir müssen auch in die Lage versetzt werden, die notwendigen Investitionen zu tätigen. Träge Genehmigungsverfahren, eine kontraproduktive Regulatorik und der schleppende Netzausbau sind ärgerliche Hemmnisse, die dringend beseitigt werden müssen.

PUBLICUS: Eng mit dem Klima zusammen hängt ja die Energiewirtschaft. Diese bedarf eines Umbaus, verstärkt natürlich durch den Ausfall von russischem Gas und Öl in letzter Zeit. Wo geht es aus Ihrer Sicht zu langsam und wo werden falsche Akzente gesetzt?

Brandl: Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien, der ja jetzt noch einmal beschleunigt werden soll, müssen wir auch in der Lage sein, die erzeugte Energie zu verteilen und zu speichern und vor allem vollständig in die Netze zu bringen. Daher müssen wir in den kommenden Jahren auch einen Schwerpunkt auf den Ausbau der Verteilnetze und den Aufbau von Speicherkapazitäten legen. Nur wenn wir Erzeugung, Verteilung und Speicherung in einem Dreiklang denken, werden wir erfolgreich sein. Es ist volkswirtschaftlicher Wahnsinn, existierende Windräder und Photovoltaik in erheblichem Umfang vom Netz zu nehmen und dafür auch noch zu bezahlen.

PUBLICUS: Seit geraumer Zeit haben die Kommunen auch Personalnot. Am Horizont steht zudem der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Wie lassen sich diese Herausforderungen meistern?

Brandl: Der demografische Wandel schlägt jetzt auch in den Kommunen durch. In den kommenden zehn Jahren werden rund 500.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltungen in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Es ist zu befürchten, dass wir diese Stellen nicht alle wiederbesetzt bekommen, weil wegen des demografischen Kegels in allen Bereichen schlicht die Fachkräfte fehlen. Hier können digitale Werkzeuge zum Teil eine Lösung sein. Im Bereich der Kinderbetreuung fehlt massiv notwendiges Personal, daher werden wir in diesem Fall trotz aller Anstrengungen in große Schwierigkeiten kommen. Der Rechtsanspruch löst das Problem nicht, sondern verstärkt es. Darauf haben wir immer hingewiesen, wurden aber nicht gehört. Wir müssen die Ausbildung beschleunigen und flexibilisieren, auch neue Ausbildungseinheiten schaffen und notfalls darüber nachdenken, den Rechtsanspruch in einigen Regionen zunächst einmal auszusetzen, wenn wir keine neuen Kräfte finden.

PUBLICUS: Das nächste (Dauer-)Thema: Digitalisierung, hier sind viele Länder schon weiter als Deutschland. Die Umsetzung des seit 2017 existierenden Onlinezugangsgesetzes läuft nur schleppend. Woran liegt es?

Brandl: Bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes sind wir schlichtweg gescheitert. Dennoch oder gerade deswegen müssen wir alles daransetzen, die Verwaltung digital fit zu machen. Allerdings handelt es sich um ein hochkomplexes Projekt. Wir reden über den Bund, 16 Länder und mehr als 10.000 Kommunen, die sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen müssen. Da haben es kleinere Staaten sicherlich leichter und der Vergleich mit Ländern wie Estland greift etwas zu kurz. Digitalisierung heißt Abläufe neu zu denken und auch Vorschriften an den digitalen Verarbeitungsprozessen zu orientieren. Davon sind wir noch weit entfernt. Dennoch müssen wir hier dringend aufholen. Notwendig ist es jetzt, dass wir uns auf die wirklich wichtigen Verwaltungsleistungen konzentrieren und diese dann durchgehend ohne Systembrüche digital umsetzen. Nur dann können wir auch die Verwaltungen entlasten und eine Effizienzsteigerung erreichen.

PUBLICUS: Gibt es weitere Themen, die zu den großen Herausforderungen der Kommunen in den nächsten 10 Jahren gehören und Ihnen unter den Nägeln brennen, aber oben noch nicht angesprochen wurden?

Brandl: Ich bin davon überzeugt, dass wir ernsthaft über die Grenzen staatlicher Leistungsfähigkeit sprechen müssen. Gerade vor dem Hintergrund der Krisen und der veränderten Rahmenbedingungen kann der Staat nicht mehr alles, was wünschenswert wäre, leisten. Wir brauchen den Mut zum „Nein“ und die Besinnung auf die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips. Wir brauchen keine Ankündigungen, um kurzfristig politisch zu punkten. Wir brauchen vielmehr eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, was notwendig und prioritär ist, aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger, aber auch mit Blick auf den Standort Deutschland insgesamt. Und wir brauchen eine neue Kultur des demokratischen Miteinander. Solidarität satt Egoismus. Gemeinwohl statt Eigennutz als Maximen gesellschaftlichen Handelns und Entscheidens. Ein einfaches „Weiter so“ werden wir uns nicht leisten können.

PUBLICUS: Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine persönliche Frage. Bei der Bürgermeisterwahl in Ihrer Heimatgemeinde Abensberg im Sommer treten Sie nach drei Jahrzehnten im Amt nicht mehr an. Wie sieht Ihre weitere Lebensplanung aus?

Brandl: Ich freue mich sehr darauf, für die beiden Verbände, den Bayerischen Gemeindetag und den Deutschen Städte- und Gemeindebund in den kommenden knapp drei Jahren intensiver zur Verfügung stehen zu können. Daneben werde ich ab Oktober als geschäftsführender Vorstand eine gemeinnützige Stiftung leiten, die im Jugend- und Kulturbereich Großartiges leistet. Ich hoffe, dass ich mich insgesamt mehr auf das konzentrieren kann, was mich erfüllt und Freude macht. Dazu gehören besonders meine Familie, das Schreiben, Sport und Musizieren. Aber planen kann man viel, realisieren nur das, was die Gesundheit und der Herrgott zulassen.

PUBLICUS: Herr Dr. Brandl, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch.

Das Interview führte das PUBLICUS-Redaktionsmitglied Franz Königsperger.

 

Dr. Uwe Brandl

Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
 
n/a