05.10.2022

Keine Überbrückungshilfe für Studierende in pandemiebedingten Notlagen

VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.08.2021 – 12 S 1057/21

Keine Überbrückungshilfe für Studierende in pandemiebedingten Notlagen

VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.08.2021 – 12 S 1057/21

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Das Verwaltungsgericht (VG) hatte die Ausbildungsförderbehörde im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, einem Studierenden auf dessen Antrag hin Überbrückungshilfen in pandemiebedingten Notlagen für die Kalendermonate Juli, August und September 2020 i. H. v. jeweils 500 € zu gewähren.

Zur Begründung dieser Entscheidung hatte das VG im Wesentlichen ausgeführt, dass Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrunds bzw. an dessen Glaubhaftmachung im Hinblick auf das Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes i. S. v. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) nicht überspannt werden dürften. Mit der begehrten Überbrückungshilfe solle allgemein denjenigen Studierenden geholfen werden, die sich nachweislich in einer pandemiebedingten Notlage befänden, die unmittelbar Hilfe benötigten und die keine andere Unterstützung in Anspruch nehmen könnten.

Begehre ein Studierender eine solche Überbrückungshilfe, gehe es um einen Lebenssachverhalt, bei dem gerichtlicher Rechtsschutz besonders zeitnah gewährt werden müsse, um überhaupt noch effektiv zu sein. Der Studierende habe hier unter Berücksichtigung seines gesamten Vorbringens im gerichtlichen Verfahren sowie unter Einbezug seines Vortrags im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren hinreichend glaubhaft gemacht, dass er sich weiterhin in einer schwierigen finanziellen Lage befinde und unmittelbar Hilfe benötige. Seine finanzielle Notsituation dürfte sich im Vergleich zu den Kalendermonaten Juli, August und September 2020 sogar noch verschärft haben, nachdem ihm nach Aktenlage im Februar 2021 letztmalig Arbeitslosengeld gem. § 136 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) i. H. v. 49,50 € gewährt worden sei.


Beschwerde der Ausbildungsförderbehörde hatte beim VGH Erfolg

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde der Ausbildungsförderbehörde hatte beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) Erfolg. Denn nach den Feststellungen des VGH ergab sich, dass jedenfalls ein glaubhaft gemachter Anordnungsgrund gem. § 123 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht gegeben ist. Der Beschluss des VG war daher zu ändern und der Antrag des Studierenden abzulehnen.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat der VGH grundsätzlich ausgeführt, dass das Gericht gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen kann, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dazu ist nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen, dass ein Anordnungsgrund besteht, d. h. eine vorläufige gerichtliche Entscheidung erforderlich ist, und ein Anordnungsanspruch gegeben ist, also die tatsächlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch erfüllt sind.

Grundsätzlich ausgeschlossen, da mit dem Wesen einer einstweiligen Anordnung nicht vereinbar, ist es, eine Regelung zu treffen, die rechtlich oder zumindest faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausläuft. Ausnahmen von diesem Verbot kommen nur in Betracht, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist, d. h. wenn andernfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, und zugleich ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.

Überbrückungshilfe ist keine rentengleiche Dauerleistung

Für die Beurteilung, ob ein glaubhaft gemachter Anordnungsgrund vorliegt, kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz an. Maßgebend ist daher, ob eine in diesem Zeitpunkt, hier also der Entscheidung über die Beschwerde, bestehende Dringlichkeit es rechtfertigt, eine sofortige Regelung zu treffen.

Grundlage der vom Studierenden begehrten Leistung ist Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. den „Zusätzlichen Nebenbestimmungen zur Durchführung der Überbrückungshilfe für Studierende in pandemiebedingten Notlagen (Richtlinien)“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) i. d. F. vom 26.05.2020. Diese Überbrückungshilfe ist keine rentengleiche Dauerleistung, sondern dient als nichtrückzahlbarer Zuschuss der Behebung einer akuten finanziellen Notlage in einem bestimmten Monat.

Hierzu hat der VGH auf Ziff. 4.1, 5.2 und 5.3 der RL verwiesen, die nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des VG in ständiger Verwaltungspraxis durch die Ausbildungsförderbehörde angewendet werden. Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes durch Erlass einer einstweiligen Anordnung in einem Fall dieser Art ist es, dem Betroffenen lediglich diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller, d. h. gegenwärtig noch bestehender Notlagen notwendig sind.

Regelungen über die einstweilige Bewilligung können daher grundsätzlich nur für die Gegenwart und die Zukunft, nicht aber für zurückliegende Zeiträume getroffen werden, weil i. d. R. davon auszugehen ist, dass in der Vergangenheit liegende Notsituationen von dem Betroffenen bereits bewältigt worden sind. Dies gilt nicht nur für die Zeit vor Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Gericht, sondern auch für spätere, im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits abgeschlossene Zeiträume.

Ansprüche für die Vergangenheit sind allein im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens weiterzuverfolgen

Eine Eilbedürftigkeit ist daher regelmäßig nicht gegeben, wenn die begehrte Leistung in der Vergangenheit liegende Zeiträume, insbesondere solche, die vor der Stellung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen, betrifft. Ausgehend hiervon hat der Studierende hier keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er hat nämlich am 28.07.2020, 19.08.2020 und 17.09.2020 Anträge auf Gewährung von Überbrückungshilfen für Studierende in pandemiebedingten Notlagen i. H. v. 500,00 € pro Monat jeweils für die Kalendermonate Juli, August und September 2020 gestellt.

Die Ausbildungsförderbehörde hat diese unverzüglich bearbeitet und stets noch innerhalb des betreffenden Monats, d. h. am 29.07.2020, 21.08.2020 und 18.09.2020, den Antrag für den jeweiligen Monat abgelehnt. Der hier streitgegenständliche Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war jedoch erst am 25.11.2020 gestellt worden.

Damit hat der Studierende etliche Wochen verstreichen lassen, bevor er geltend gemacht hat, er befinde sich in einer solchen finanziellen Notlage, dass er dieser monatlichen Überbrückungshilfen bedürfe. Weshalb es ihm vor diesem Hintergrund unzumutbar wäre, die von ihm geltend gemachten Ansprüche für die Vergangenheit allein im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens weiterzuverfolgen, ist von ihm nicht substantiiert unterbreitet worden. Auf die Frage, ob ihm überhaupt ein Anordnungsanspruch zur Seite stehen würde, kam es daher nicht mehr an.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.08.2021 – 12 S 1057/21 –.

 

Entnommen aus der FStHe, Heft 18/2022, Rn. 195.

 
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