20.10.2022

Debattieren – die ungelehrte Kernkompetenz

Wie man den Umgang mit der Sprache des Rechts lernt

Debattieren – die ungelehrte Kernkompetenz

Wie man den Umgang mit der Sprache des Rechts lernt

© zenzen – stock.adobe.com
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Sprache ist das Werkzeug eines jeden Juristen. Während Handwerker in ihrer Ausbildung lernen, wie man mit Hammer und Säge umgeht, lernen angehende Juristen in ihrem Studium kaum etwas über ihr Werkzeug. Dieser Beitrag soll aufzeigen, wie man den richtigen Umgang mit der Sprache lernt und worauf es in der Ausbildung und im Berufsleben ankommt. Hierbei wird ein besonderer Fokus auf die umfangreichen Fähigkeiten gelegt, die man in einem Debattierclub lernen kann. 

Was macht einen guten Juristen aus?

Um zu verstehen, warum Sprache und Debattieren so wichtig sind, stellt sich zunächst die Frage, was einen guten Juristen ausmacht. Natürlich muss ein guter Jurist die Gesetze kennen und relevante Urteile zitieren können. Damit allein überzeugt man aber weder das Gegenüber am Verhandlungstisch, noch das Gericht im Gerichtssaal, noch die nächste Instanz, die das Urteil überprüft.

Auch wenn sich die Juristerei gerne als Rechtswissenschaft bezeichnet, so ist sie weit davon entfernt, eine exakte Wissenschaft zu sein.[1] Es gibt selten Ergebnisse, die richtig oder falsch sind. Welche Meinung als richtig angesehen wird und welche als falsch, hängt immer davon ab, wovon die Mehrheit gerade überzeugt ist. Dies ist der springende Punkt: Als Jurist muss man überzeugen. Und hierfür braucht man neben juristischen Kenntnissen vor allem sprachliches Geschick.


Unzureichendes Studium

Dies lernt man jedoch nicht im Studium. In kaum einem anderen Studium muss man so wenig reden und vortragen wie in den Rechtswissenschaften. Während in anderen Studiengängen jedes Semester mehrere Vorträge verlangt werden, musste ich in meinem Studium genau zweimal den Mund aufmachen: einmal in der mündlichen Schwerpunktprüfung und einmal im mündlichen Staatsexamen. Dass hiervor viele Studierende Angst haben oder sogar daran scheitern, ist dann nicht weiter verwunderlich.

Aber auch bei der schriftlichen Argumentation sieht es nicht viel besser aus. Im ersten Semester wird einem irgendwann mal beigebracht, dass man mit dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, der Systematik und dem Sinn und Zweck argumentieren soll. Zu diesem Zeitpunkt hat man jedoch noch gar keinen Überblick, wie Jura funktioniert, geschweige denn, was ein Meinungsstreit ist. Bis man das verstanden hat, haben viele schon wieder vergessen, wie eine Auslegung und Argumentation aussehen soll. Das führt dazu, dass in Klausuren häufig nur auswendig gelerntes Wissen ohne größeren Zusammenhang wiedergegeben wird.

Warum das Studium hier weiterhin so rückständig ist, ist unerklärlich. Hier ist eine Reform dringend nötig. Zum Teil wurde das bereits erkannt und es werden beispielsweise Schlüsselqualifikationen wie „Rhetorik für Juristen“ angeboten. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wir sind aber immer noch weit davon entfernt, dass Sprache und Debattieren ein integraler Bestandteil des Studiums werden.

Die Lösung: Ein Debattierclub

Wenn man diesbezüglich nicht auf das Studium bauen kann, muss man sich anderweitig umsehen. Zu Beginn meines Studiums bin ich zufällig auf den örtlichen Debattierclub gestoßen. Ich bin davon ausgegangen, dass ich sicher ein guter Debattant sein werde, da debattieren und argumentieren mein tägliches Brot im Studium sind. Letztlich war es aber genau andersherum: Weil ich debattieren gelernt habe, war ich gut in meinem Studium. Reden lernt man nur durch reden, wusste schon Cicero. Wo kann man das besser lernen, als in einem Verein, der nichts anderes tut, als reden?!

In Debattierclubs wird in zwei oder vier Teams gegeneinander über ein vorgegebenes Thema debattiert. Die Fragestellungen können aus allen Bereichen der Gesellschaft kommen und umfassen neben Politik auch wirtschaftliche oder fiktive Themen.[2]

Nach Bekanntgabe der Aufgabe haben die Teams 15 Minuten Zeit, sich vorzubereiten, bevor die Debatte beginnt. Das bedeutet, man muss spontan reagieren und versuchen, sinnvolle Argumente zu finden, auch wenn man sich in einem Bereich nicht gut auskennt. Genauso wie es einem in einer Klausur passieren kann, oder wenn der Prozessgegner ein unbekanntes Argument vorbringt. Jede Debatte wird von unabhängigen Juroren bewertet. Hierbei werden je nach Format entweder nur inhaltliche Aspekte[3] oder sowohl inhaltliche als auch rhetorische Aspekte[4] betrachtet. Zudem gibt es nach jeder Debatte Feedback der Juroren, sodass man weiß, was gut läuft und woran man noch arbeiten muss.

Im Folgenden sollen die fünf Kategorien, nach denen im Format der Offenen Parlamentarischen Debatte bewertet wird, näher beschrieben werden und was man hieraus für die juristische Arbeitsweise lernen kann.[5]

Sprachkraft

Mit der Sprachkraft wird bewertet, wie die Rede in sprachlicher Hinsicht wirkt. Unterstützt die Stimme den Inhalt und werden die richtigen Worte gewählt? Der beste Inhalt kommt nicht an und kann dementsprechend nicht überzeugen, wenn die Sprache monoton oder langweilig ist. Auf der anderen Seite wirken auch übertriebene Betonung und Emotionen oftmals unglaubwürdig. Es geht darum, den passenden Ton zu finden, der in der jeweiligen Situation angemessen ist. So kann ein flammendes Plädoyer das richtige sein, wenn es darum geht, dass dem Mandanten geglaubt wird und wenn man seine Geschichte in den Vordergrund stellen möchte.

Wird hingegen um bloße Rechtsfragen gestritten, so sollte der Ton sachlich, aber bestimmt sein. Generell sollten Stimme und Sprache stets Sicherheit und Überzeugung ausdrücken. Man sollte daher mit kräftiger Stimme sprechen, ohne dabei zu schreien. Unnötige Füllwörter und Relativierungen sollte man vermeiden. Wenn man selbst nicht so klingt, als wäre man überzeugt vom eigenen Standpunkt, wird man es schwer haben, andere Personen hiervon zu überzeugen. Durch anschauliche Bilder und Beispiele bleiben die Worte besser im Kopf, was ebenfalls der Überzeugung dient.

Auftreten

Beim Auftreten wird bewertet, wie sehr die Körpersprache das Gesagte unterstützt. Hier geht es darum, mit Gestik, Mimik und Körperhaltung zu überzeugen. Mit Gestik kann man das Gesagte untermalen und betonen und dadurch Bilder im Kopf der Zuhörenden erzeugen. Die Gestik kann ebenfalls Ruhe und Souveränität ausstrahlen. Man denke nur an die allseits bekannte Merkel-Raute, bei der die Finger ruhig aufeinanderliegen und jederzeit bereit sind, eine Geste auszuführen. Mit passender Mimik werden Emotionen erzeugt, die uns im Innersten ansprechen.

Durch unsere Spiegelneuronen nimmt man die Stimmung des Gegenübers unbewusst in sich auf. Mimik ist daher ein starkes Mittel, unser Publikum auf subtile Weise emotional mitzunehmen. Die Körperhaltung ist wie die Sprachkraft sehr gut geeignet, um Selbstsicherheit auszustrahlen. Ein sicherer, aufrechter Stand wirkt direkt überzeugender, als wenn man sich klein macht und nervös zappelt oder gar zittert.

Kontaktfähigkeit

Mit der Kontaktfähigkeit bewertet man den sprachlichen, emotionalen und inhaltlichen Umgang mit dem Publikum. Insbesondere wird hier betrachtet, wie man auf Zwischenfragen und Zwischenrufe reagiert. Überall, wo man mit anderen diskutiert und debattiert, muss man damit rechnen, dass Einwände erhoben werden. Schlagfertigkeit ist damit eines der wichtigsten Kompetenzen, die erforderlich sind, um die eigene Ansicht souverän und geschickt zu vertreten.

Sachverstand

Beim Sachverstand wird bewertet, ob das Gesagte richtig ist. Dies meint einerseits die schlichte inhaltliche Richtigkeit, andererseits aber auch die Stärke der Argumentation. Je ausführlicher und spezifischer die Begründung ist, desto überzeugender ist die Argumentation.

Urteilskraft

Mit der Urteilskraft bewertet man, ob das Richtige gesagt ist. Hierbei sollte man darauf achten, Argumente nach Relevanz zu priorisieren. Ebenfalls werden Aufbau und Struktur der Rede sowie die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegenseite bewertet.

Zum Schluss: ein paar konkrete Tipps

Einige Dinge, die mir als Korrektor oder Richter immer wieder auffallen, sollen nicht unerwähnt bleiben. Wenn man diese Punkte beachtet, erzielt man auf einfache Weise ohne größeren Aufwand eine spürbar bessere Wirkung.

Struktur und Relevanz

Jede Argumentation muss so strukturiert sein, dass der Zuhörer oder Leser jederzeit weiß, wo man gerade ist und vor allem, warum man den jeweiligen Punkt gerade darlegt. Viel zu oft werden Dinge erläutert, bei denen die Relevanz für den Streitpunkt nicht deutlich wird. Wenn die Argumentation aber keinen Einfluss auf die Streitfrage hat (oder dieser nicht verständlich ist), dann kann man mit dieser auch nicht überzeugen. Um die Relevanz deutlich zu machen, sollte man daher (sowohl in einer Klausur als auch in Plädoyers und Urteilen) klare Obersätze verwenden.

Stil

Eng damit verknüpft ist die Frage, welcher Stil verwendet wird. Klassisch unterscheidet man hier zwischen dem Gutachtenstil und dem Urteilsstil. Durch die Verwendung des Gutachtenstils in der Klausur macht man deutlich, welche Prüfung gerade aus welchem Grund erfolgt. Durch den Urteilsstil im Plädoyer oder im Urteil wird klar, für welches Ergebnis man argumentiert. Beides führt auf seine Art und Weise dazu, dass die Argumentation nachvollziehbarer wird.

Art der Argumentation

In der Praxis ist es wichtig, dass man mit obergerichtlicher Rechtsprechung argumentiert. In vielen Fällen muss man hier deutlich machen, warum die zitierte Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall anwendbar ist, oder zumindest einen vergleichbaren Fall betrifft. In einer Klausur hingegen sollte man sich (wie im ersten Semester gelernt) an den klassischen Auslegungsmethoden orientieren und diese Schritt für Schritt abarbeiten. Dies wirkt viel souveräner als wenn man auswendig aufsagt, dass die eine Ansicht dieses meint und die andere Ansicht jenes. Allein durch die Beachtung dieses Tipps verbessert man sich in Klausuren direkt um ca. ein bis drei Punkte.

Zusammenfassung

Obwohl das Argumentieren (oder mit anderen Worten: das Debattieren) zu den wichtigsten Kompetenzen eines jeden Juristen gehört, sucht man sie im Studium vergebens. Solange sich hieran nichts ändert, ist die beste Möglichkeit, dies zu trainieren, die Teilnahme an einem Debattierclub. Der Kinofilm „Contra“, der unter Mitwirkung von Debattanten entstanden ist, zeigt eindrucksvoll (wenn auch natürlich überzeichnet), wie man durchs Debattieren erfolgreich werden kann.

Ganz abgesehen davon macht das Debattieren auch einfach Spaß und man lernt nette und spannende Leute kennen. Da viele Uni-Städte mindestens einen Debattierclub haben,[6] besteht die vielfältige Möglichkeit, dort einmal vorbeizuschauen. Und vielleicht sehen wir uns dann bald auf dem einen oder anderen Turnier.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem „Wirtschaftsführer für junge Juristen“.

[1] In sehr provokanter Weise wurde diese Fragestellung bereits 1847 von Julius von Kirchmann aufgeworfen (Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft: ein Vortrag, gehalten in der juristischen Gesellschaft zu Berlin, Springer Verlag, 1848).

[2] Einen Themen-Generator mit (fast) allen bisher in Deutschland debattierten Themen findet man unter: https://www.streitkultur.net/generator/.

[3] So im Format „British Parliamentary Style“: https://www.streitkultur.net/debattieren/bps/.

[4] So im Format „Offene Parlamentarische Debatte“: https://www.streitkultur.net/debattieren/opd- service/# regeln.

[5] Ausführlich zu den Kategorien: Regeln der Offenen Parlamentarischen Debatte, abrufbar unter https://www.streitkultur.net/wp- content/uploads/ 2020/ 07/Regelwerk- V12.pdf (S. 14 f.).

[6] Eine Übersicht der deutschsprachigen Debattierclubs ist zu finden unter https://www.vdch.de/selbst- debattieren/.

 

Alexander Ropertz

Strafrichter am Amtsgericht Stuttgart, Präsident des Debattierklub Stuttgart
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