26.10.2022

Im Dienst der Verständlichkeit

Die Gesetzesredaktion der Bundesregierung

Im Dienst der Verständlichkeit

Die Gesetzesredaktion der Bundesregierung

Jedes neue Gesetz wird in seinem Entstehungsprozess mit sprachwissenschaftlicher Expertise geprüft. | © Fiedels - stock.adobe.com
Jedes neue Gesetz wird in seinem Entstehungsprozess mit sprachwissenschaftlicher Expertise geprüft. | © Fiedels - stock.adobe.com

„Wärme im Sinne dieses Gesetzes umfasst auch Kälte.“ Oder: „Mit dem Entwurf wird das Eheschließungsalter in Deutschland ausnahmslos auf 18 Jahre festgelegt.“ Solche Sätze können verwirren, finden sich dennoch gelegentlich in Gesetzentwürfen und lösen dann Heiterkeit in den Räumen der Gesetzesredaktion im Bundesjustizministerium (BMJ) aus.

Im ersten oben genannten Beispiel erkennen Juristen die Struktur einer Legaldefinition und mit dem zweiten Satz (aus der Begründung eines Gesetzes) sollte durchaus nicht das Heiraten ab 19 Jahren verboten werden – er war nur missverständlich formuliert. Die Gesetzesredaktion soll aber natürlich nicht nur derart Verwirrendes oder unfreiwillig Komisches aus Gesetzentwürfen tilgen. Ihre Aufgabe ist deutlich umfassender und soll im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Alte Klagen über kaum verständliche Gesetze

Die Klagen über schwer- oder gar unverständliche Gesetze sind sehr alt – fast ebenso alt wie das Bemühen, sie verständlicher zu machen. Berühmt geworden ist etwa die österreichische Kaiserin Maria Theresia, die vor mehr als 200 Jahren ihre Staatsdiener anwies, jedes Gesetz auch mithilfe eines „dummen Menschen“ prüfen zu lassen:


Dem „buta ember“ [ungarisch] sollte jedes neue Gesetz vorgelegt werden und die ministeriale Verwaltung sollte den Entwurf überarbeiten, wenn ihn dieser einfache Mensch ohne juristische Kenntnisse nicht verstehen konnte. Bekanntlich scheiterte die Kaiserin mit diesem Ansatz.

Immer wieder gab es in den verschiedenen Ländern und Rechtssystemen Forderungen, Gesetze doch bitte „einfach mal“ so zu formulieren, dass die „Rechtsunterworfenen“ verstehen konnten, wie sie sich denn nun verhalten sollten. „Einfach“ ging das allerdings nie.

Komplexes Verhältnis von Verständlichkeit und Recht

Denn zum einen ist das Verhältnis von Verständlichkeit und Rechtsstaatlichkeit nicht einfach: Das Recht eines Staates muss für Bürger und Bürgerinnen verständlich sein. Dies ist jedoch eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für einen funktionierenden Rechtsstaat, denn verständliche Gesetze allein bringen noch keine rechtsstaatlichen Verhältnisse. Zum anderen ist außer diesem nicht einfachen Verhältnis von Recht-Verstehen und Recht-bekommen-Können auch zu bedenken, dass an der Entstehung eines Gesetzes (in einem demokratisch verfassten Staat) verschiedene Institutionen und damit viele jeweils begrenzt befugte Personen beteiligt sind. Diese Eigenschaft, zusammen mit anderen Eigenschaften, macht die fachsprachliche Textsorte ‚Gesetz‘ zu einer wirklichen Herausforderung – aus linguistischer Sicht und in der praktischen Arbeit.

Die spezielle Textsorte ‚Gesetz‘ wurde theoretisch längst in diversen (rechts-)linguistischen Studien beschrieben; mit einem Zeitraum von etwas mehr als zehn Jahren relativ neu – zumindest in der Bundesrepublik Deutschland – ist jedoch, dass nun auch praktisch etwas für die Verständlichkeit von Gesetzen getan wird, indem linguistisches Knowhow in die Gesetzgebung eingebunden wird.

Einrichtung einer Gesetzesredaktion für die Bundesregierung: Wie es anfing

Gesetze und Verordnungen sollen nicht nur fachlich und juristisch einwandfrei sein, sondern auch sprachlich richtig und möglichst verständlich. So sieht es auch § 46 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien vor.

Wie eine empirische Studie belegt, wollen Bürger und Bürgerinnen Gesetze tatsächlich lesen und finden sie nicht verständlich genug.

Schon in den Anfängen des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland vor über 70 Jahren wurde dem Bundesjustizministerium die Verantwortung für die rechtsförmliche Prüfung von Ge-setz- und Verordnungsentwürfen und die Einheitlichkeit der Gesetzessprache übertragen.

Bis heute ist das BMJ die zentrale Stelle innerhalb der Bundesregierung, die die Entwürfe aller Bundesministerien in rechtlicher, förmlicher und sprachlicher Hinsicht prüft und hierzu seit 1991 auch das entsprechende legistische Standardwerk[1] herausgibt.

Der Fokus der Prüfungstätigkeit lag allerdings über Jahrzehnte klar auf dem Juristischen. Der Mehrwert und die Notwendigkeit einer routinemäßigen Beteiligung spezialisierter Sprachwissenschaftler beim Entstehungsprozess von Recht blieb lange Zeit unerkannt. Dies mag erstaunen, denn Recht gibt es nur über Sprache. Dennoch hatten Sprachexperten – außer in wissenschaftlichen Diskursen über Recht bzw. in der Rechtslinguistik – kaum etwas dazu zu sagen. Dies änderte sich erst 2006, als eine Bundestagsinitiative für verständliche Gesetze in ein gleichnamiges Pilotprojekt unter Federführung des BMJ mündete.

Dort zeigte sich: Die Entwürfe wurden verständlicher, wenn auch mit explizit sprachwissenschaftlicher Expertise an die Entwurfsarbeit herangegangen wird; eines der im Projekt bearbeiteten Gesetze (das Versorgungsausgleichsgesetz) erhielt sogar den Preis für gute Gesetzgebung.[2]

So wurde 2009 die heutige Gesetzesredaktion für die Bundesregierung eingerichtet, die nach nunmehr 12 Jahren aus dem Gesetzgebungsprozess nicht mehr wegzudenken ist. Organisatorisch ist die Gesetzesredaktion beim BMJ angesiedelt und besteht aus dem Sprachbüro und dem Redaktionsstab Rechtssprache. Das Sprachbüro im BMJ prüft Gesetz- und Verordnungsentwürfe des Bundesjustizministeriums und ist für Grundsatzfragen der Gesetzessprache zuständig. Der bislang extern betriebene Redaktionsstab Rechtssprache prüft die Entwürfe aller anderen Ressorts auf Verständlichkeit.

Verdichtete und voraussetzungsvolle Texte: Wie werden Gesetzestexte geprüft?

Gesetze sind linguistisch gesehen fach-sprachliche, höchst intertextuelle und formalisierte, an Institutionen gebundene Texte, die sowohl eine spezielle Autorenseite als auch eine gemischte Adressatenschaft haben. Diese sehr verdichteten Texte sind nicht ohne Weiteres für jedermann verständlich. Zum Verstehen (und Anwenden) dieser Texte sind vielmehr etliche Voraussetzungen zu erfüllen, die sich nicht innerhalb des Textes selbst finden: da keine Regelung für sich und aus sich allein zu verstehen ist, da Fachbegriffe oft nicht als solche zu erkennen sind, da „unsichtbare“, für den Laien nicht ersichtliche Beziehungen zu anderen Regelungen bestehen, da die Vagheit etwa durch unbestimmte Rechtsbegriffe der Eindeutigkeit entgegensteht, etc.

Zwar bedient man sich grundsätzlich des Deutschen, aber eben in der Ausformung der juristischen und daneben oft noch einer weiteren Fachsprache (z. B. des Luftverkehrs, des Finanzwesens, der Umwelttechnologie etc.), so dass hier komplizierte Fragen entstehen: Welche Fachwörter und Strukturen sind wann vielleicht doch entbehrlich und können ggf. wie ersetzt werden?

Die Sprachexperten begleiten diesen Prozess und haben darin eine Mittler-Position, die derjenigen von Übersetzern und Lehrern nicht unähnlich und auch deshalb sinnvoll ist. Gesetze dienen nicht nur der präzisen und effizienten Verständigung der (juristischen) Fachleute untereinander, sondern haben als Adressaten potenziell die gesamte Sprechergemeinschaft eines Staates.

Vereinfacht gesagt müssen prinzipiell alle das Recht verstehen, das sie „befolgen“ sollen. Als Staatsbürger und Staatsbürgerin in einer Demokratie ist Verständnis notwendig, wenn man Gesetze verantworten und verändern will.

Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass der Hauptadressatenkreis von Gesetz zu Gesetz sehr unterschiedlich sein kann. Während zum Beispiel das Straßenverkehrsgesetz von allen verstanden werden sollte, wird die Bundesnotarordnung überwiegend von Angehörigen dieser Berufsgruppe gelesen. Gesetzesredakteure „übersetzen“ also nicht nur zwischen den verschiedenen

„Sprachen“, sondern prüfen vor allem konkrete Gesetzentwürfe und sprechen als moderne Kommunikatoren mit Juristen und anderen Fachleuten über Sprache in diesen Entwürfen. Gesetzesredaktion ist also weder ein Korrektorat noch eine einseitige Textbearbeitung, sondern ein Rahmen, innerhalb dessen (gedankliche und sprachliche) Strukturen reflektiert und optimiert werden – durch Rückfragen, Anregungen oder indem verschiedene Lesarten oder Versionen beschrieben und zur Wahl gestellt und mit dem für den Entwurf verantwortlichen Referat besprochen werden. Manchmal offenbaren sich erst in diesem Prozess der politisch und fachlich neutralen Redaktionsarbeit inhaltliche Widersprüche und Probleme eines Entwurfs, die dann beseitigt werden können.

Wer kann Gesetzesredakteur werden?

Für diese Mittler-Tätigkeit innerhalb des komplexen Rechtsetzungsprozesses sind starke kommunikative (und gelegentlich auch mediationsähnliche) Fähigkeiten erforderlich. So ist es nicht verwunderlich, dass eine solide linguistische Ausbildung hierbei hilft.

Die Gesetzesredaktion der Schweiz (die Modell für die hiesige war) zeigt jedoch, dass Sprachexpertise auch ohne sprachwissenschaftliche Ausbildung möglich ist. Sie ergibt sich dann aus einem (vorausgesetzten) Sprachgefühl, dem Interesse an Sprache und Sprachwissenschaft sowie aus einer fundierten Ausbildung innerhalb der Redaktionstätigkeit und aus einer Menge an Erfahrung.

Reizvoll an dieser manchmal schweren Aufgabe ist u. a. der Kontakt zu vielen verschiedenen Arbeitseinheiten in der Bundesregierung, zu Partnereinheiten im Ausland und zu Wissenschaftseinrichtungen. Austausch ist in aufgebauten Netzwerken möglich, über eigene Artikel in Fachzeitschriften und Vorträge auf Konferenzen (das BMJ selbst veranstaltet regelmäßig Europäische Symposien zur Verständlichkeit von Rechtsvorschriften[3]; das 5. Symposium[4] fand 2021 mit mehreren Hundert Teilnehmern statt). Die Arbeit erfordert eine gewisse Flexibilität (weil Akteure wechseln und der Rechtsetzungsprozess sich beschleunigt) – was jedoch aufgewogen wird durch die Tatsache, hier an einer rechtlich und staatsbürgerlich relevanten Schnittstelle zu arbeiten und dabei in linguistischer Hinsicht auf neue Weise wirksam zu werden.

Stand und Ausblick

Die Gesetzesredaktion für die Bundesregierung war und ist erfolgreich: Jedes Jahr prüft sie hunderte Gesetzentwürfe, die meisten von ihnen werden verbessert. Gerade wurde die Gesetzesredaktion wissenschaftlich evaluiert[5]: Ihr wurde ein gutes Zeugnis ausgestellt, aber auch Optimierungspotential aufgezeigt. Die Gesetzessprache verständlicher zu machen ist kein „einfaches“ Geschäft! Es gibt noch viel zu tun.

Was dieses „Geschäft“ so herausfordernd macht ist u. a. die Tatsache, dass sowohl die Gesetzessprache als auch der sie mitformende Gesetzgebungsprozess schwer änderbar sind. Hinzu kommt ein schwach ausgeprägtes Wissen über die Textsorte ‚Gesetz‘. Das ist aus linguistischer Perspektive erstaunlich, schließlich bewirken Gesetze doch etwas in der Welt und werden als grundlegend für unser Zusammenleben erachtet.

Nötig und sinnvoll wäre daher dreierlei: – die Professionalisierung der an der Entstehung eines Gesetzesentwurfs Beteiligten auch hinsichtlich der sprachlichen Gestaltung von Rechtsvorschriften (z. B. in einem bereits im aktuellen Koalitionsvertrag verankerten Zentrum für Legistik) sowie

–             die Erhöhung der Bekanntheit der Textsorte ‚Gesetz‘ durch politische Bildung und Öffentlichkeitsarbeit (etwa durch Veranstaltungen und Veröffentlichungen) sowie

–             eine Ergänzung des Jurastudiums um eine linguistische Komponente, die künftigen Juristen und Juristinnen unabhängig von ihrem späteren Einsatz-ort als Rechtsanwender oder -gestalter das nötige Wissen zu den Hintergründen und Feinheiten ihrer besonderen Fachsprache an die Hand gibt.

Da die Textsorte ‚Gesetz‘ auch künftig Merkmale haben wird, die die Verständlichkeit einschränken, wird die Gesetzesredaktion auch weiterhin viel zu tun haben. Schließlich spielt das Recht im Alltag von Menschen (mit ihren verschiedenen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Einschränkungen) eine immer größere Rolle.

In einer digitalisierten Welt können Laien jederzeit und von allen Orten aus auf Gesetzestexte zugreifen (und tun dies auch), um sich über ihre Rechte zu informieren. Dementsprechend müssen Gesetze heute verständlicher werden als zu den Zeiten, da die wenigen mit Gesetzen beschäftigten Staatsdiener noch Ärmelschoner trugen.

Dieser Beitrag stammt aus dem „Wirtschaftsführer für junge Juristen“.

[1] Handbuch der Rechtsförmlichkeit: http://hdr.bmj. de/ vorwort.html.

[2] Der Preis für gute Gesetzgebung wird von der Deutschen Gesellschaft für gute Gesetzgebung vergeben, die 2019 bereits zum sechsten Mal besonders gelungene Gesetze gekürt hat.

[3] https://www.bmj.de/SharedDocs/Artikel/DE/ 2021/ 0310_EuropaeischesSymposium.html.

[4] Baumann, Konferenzbericht 5. Europäisches Symposium des BMJV, Zeitschrift für Europäische Rechtslinguistik Bd. 2021: https://journals.ub.uni- koeln.de/index.php/zerl/article/view/ 1264.

[5] https://zerl.uni- koeln.de/rubriken/sonderausgabe- 2021/vogel- schmallenbach- 2021- evaluation- geset-zesredaktion- bund- verstaendlichkeitsoptimierung.

 

Alexandra Kratz

Leiterin des Referats „Rechtsprüfung, Gesetzesredaktion, Allgemeines Verwaltungsrecht“ im Bundesministerium der Justiz
 

Dr. Antje Baumann

Sprachwissenschaftlerin in der Gesetzesredaktion im Bundesministerium der Justiz
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