11.11.2020

Kein höheres Arbeitslosengeld II

Corona-Pandemie

Kein höheres Arbeitslosengeld II

Corona-Pandemie

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Das SG Konstanz hat es abgelehnt, ein Jobcenter vorläufig zu verpflichten, einem Empfänger von Arbeitslosengeld II zusätzliche Leistungen aufgrund der Corona-Pandemie zu gewähren. Das SG ist in einem gerichtlichen Eilverfahren zu dem Ergebnis gelangt, dass der geltend gemachte zusätzliche Bedarf für Lebensmittel und Schutzausrüstung nicht unabdingbar ist. Der 1955 geborene Leistungsberechtigte bezieht zusammen mit seiner Ehefrau seit Jahren Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende). Mit Schreiben vom 28.02.2020 wandte er sich an das Jobcenter und beantragte unter Hinweis auf die Corona- Pandemie zusätzliche Leistungen für eine Notbevorratung von Lebensmitteln für etwa zehn Tage, für eine Mundschutzmaske und für Desinfektionsmittel. Das Jobcenter lehnte den Antrag ab.

Begehrt wurde ein Darlehen oder ein Vorschuss

Mit Schreiben vom 15.03.2020 beantragte der Leistungsberechtigte einen Vorschuss seines Arbeitslosengeldes II für die gewünschte Notbevorratung. Er habe in den Supermärkten einen regelrechten Ansturm erlebt. Vor allem Toilettenpapier, Nudeln oder Mehl seien nicht mehr zu erhalten. Auch diesen Antrag lehnte das Jobcenter ab. Die Gewährung eines Darlehens für eine Lebensmittelbevorratung scheide aus, da beantragte Leistung durch den Regelbedarf abgedeckt sei. Für ein Darlehen gebe es keine gesetzliche Grundlage.

Der Leistungsberechtigte forderte 500 €

Der Leistungsberechtigte wandte sich darauf mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz an das SG. Er begehrte die vorläufige Verpflichtung des Jobcenters, ihm 500 € für Desinfektionsmittel/Hygieneartikel und Grundnahrungsmittel als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen zu gewähren. Das SG lehnte den Antrag ab. Schon das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs erschloss sich dem Gericht nicht mit der im Eilverfahren notwendigen Sicherheit.


In Betracht kamen weitere Leistungen i. R. d. Mehrbedarfe

Die hier in Frage kommenden Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 6 SGB II werden bei Leistungsberechtigten anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Handelt es sich hingegen nicht um einen laufenden, sondern um einen einmaligen Bedarf, kann nach § 24 Abs. 1 SGB II ein Darlehen für einen vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfassten und nach den Umständen unabweisbaren Bedarf gewährt werden.

Eine Notbevorratung begründet keinen unabweisbaren Bedarf

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) empfiehlt seit Längerem einen Notvorrat an Lebensmitteln und Getränken für 14 Tage. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich die Aufwendungen hierfür als einmaliger zusätzlicher Bedarf (§ 24 Abs. 1 SGB II) oder laufender Mehrbedarf (§ 21 Abs. 6 SGB II) darstellen. Es handelt sich jedenfalls um keinen unabweisbaren Bedarf, für den das Jobcenter gesondert Leistungen als Zuschuss bzw. Darlehen zu erbringen hätte. Vielmehr liegt eine solche Bevorratung im Bereich der eigenverantwortlichen Entscheidung des Leistungsberechtigten, wie er die Mittel des Regelbedarfs für Nahrungsmittel und Getränke einsetzt.

Der Notvorrat kann über längere Zeit aufgebaut werden

Dem Leistungsberechtigten ist es, wenn er sich für einen solchen Notvorrat entscheidet, zumutbar, diesen zeitlich gestaffelt aufzubauen und nach und nach aus den ihm gewährten Regelleistungen zu bezahlen. Auf der anderen Seite ist es ihm möglich, Lebensmittel und sonstige Produkte aus dem Notvorrat, deren Haltbarkeit abläuft, nach und nach zu verbrauchen und dadurch Aufwendungen für ihren Ersatz auszugleichen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 22.03.2018 – L 7 AS 3032/17) –.

Es ist keine Störung der Versorgung erkennbar

Etwas Anderes folgt auch nicht aufgrund der Einschränkungen, die die Corona-Pandemie aktuell für die Bevölkerung mit sich bringt. Die genannten Ratschläge des BBK beziehen sich zwar nicht speziell auf die Corona-Pandemie, sondern betreffen Notfälle und Katastrophen verschiedener Art, bspw. Hochwasser, größere Explosionen in Industrieanlagen und Erdbeben. Während in solchen Fällen eine vorübergehende Störung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Trinkwasser leicht denkbar ist, gilt dies für die Corona-Pandemie nicht.

Regelmäßige Einkäufe sind weiterhin möglich

Nach der Corona-Verordnung der Landesregierung vom 17.03.2020 bestehen zwar Einschränkungen für den Aufenthalt im öffentlichen Raum. Eine allgemeine Ausgangssperre ist jedoch nicht angeordnet worden. Zu den weiterhin geöffneten Einrichtungen gehören der Einzelhandel für Lebensmittel und Getränke einschließlich Bäckereien, Metzgereien, Hofläden, weiterhin Wochenmärkte sowie Apotheken und Drogerien. Damit ist es möglich, regelmäßig einkaufen zu gehen und den Bedarf an Lebensmitteln und weiteren wichtigen Gegenständen des täglichen Bedarfs zu decken. Niemand ist gezwungen, allein aufgrund der Corona-Pandemie Vorräte anzulegen, die über dasjenige hinausgehen, was in einem Haushalt auch sonst üblich ist.

Auch bei häuslicher Quarantäne ist die Lebensmittelversorgung sichergestellt

Auch eine drohende „häusliche Quarantäne“ begründet nicht die Notwendigkeit einer Notbevorratung. Der Leistungsberechtigte muss sich aktuell nicht abgesondert in seiner Wohnung aufhalten. Eine entsprechende Anordnung obliegt den hierfür zuständigen Behörden, also den Ortspolizeibehörden bzw. Gesundheitsämtern. Eine solche Anordnung durch die Behörden kann auf der anderen Seite deren Verpflichtung begründen, die so von den Einkaufsmöglichkeiten abgesonderten Personen nicht ohne notwendige Lebensmittel zu lassen. Die allgemeinen Ordnungsbehörden stehen dann in der Pflicht, die abgesonderten Personen mit den notwendigen Lebensmitteln zu versorgen.

Ein unvermeidbarer Anstieg der Verbraucherpreise ist nicht zu kennen

Ein unabweisbarer Mehrbedarf besteht auch nicht, weil Lebensmittel infolge der Corona- Pandemie allgemein teurer geworden sind. Es ist nicht plausibel, dass Grundnahrungsmittel nur zu höheren Preisen beschafft werden können, weil günstigere Produkte im Lebensmittelhandel aufgrund großer Nachfrage („Hamsterkäufe“) nicht mehr zu bekommen sind. Dazu bedürfte es konkreter Hinweise auf schwerwiegende Störungen der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, die aktuell aber nicht existieren. Das Sozialministerium Baden-Württemberg, die Bundesregierung wie auch die Handelsketten versichern, dass keine Versorgungsprobleme bestehen.

Es ist auf günstigere Lebensmittel auszuweichen

Das schließt nicht aus, dass in einzelnen Geschäften, an einzelnen Tagen bestimmte besonders nachgefragte Lebensmittel ausverkauft sind. Dem Leistungsberechtigten ist es aber zuzumuten, für eine kurze Zeit auf andere Lebensmittel – etwa auf Kartoffeln statt Nudeln – auszuweichen oder auf andere Geschäfte bzw. Einkaufsmöglichkeiten als die gewohnten zurückzugreifen. Zwar kann dies mit einem zusätzlichen Zeitaufwand verbunden sein. Doch dürften die gesetzlich erwarteten Aktivitäten des Leistungsberechtigten zur Arbeitssuche dies zulassen.

Verschiedene Einzelpositionen des Regelbedarfs fallen nur eingeschränkt an

Wenn es trotzdem im Einzelfall zu unvermeidbaren Mehrkosten kommen sollte, liegen diese in einem Bereich von wenigen Euro. Dies ist vom Leistungsberechtigten im Rahmen der pauschalen Betrachtung des Regelbedarfs hinzunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass viele im Regelbedarf enthalten Kosten aktuell nicht oder nur eingeschränkt anfallen können (41,43 € für Freizeit, Unterhaltung, Kultur, 35,99 € für Verkehr, 10,76 € für Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen).

Vorrangige Umschichtung innerhalb des Regelbedarfs

Soweit der Leistungsberechtigte auf zusätzliche Aufwendungen für Hygiene (Seife, Reinigungs-, Desinfektionsmittel) sowie auf Schutzmasken und Schutzkleidung verweist, ergibt sich auch hieraus kein unabweisbarer Bedarf. Zwar wird angesichts der Corona- Pandemie allgemein empfohlen, Abstand von anderen Personen zu halten, Berührungen zu vermeiden, bestimmte Regeln beim Husten und Niesen einzuhalten und sich regelmäßig die Hände zu waschen. Die Aufwendungen für Seife und vergleichbare Reinigungsmittel sind jedoch im Regelbedarf enthalten (34,26 € für andere Waren und Dienstleistungen, 16,42 € für Gesundheitspflege im Einpersonenhaushalt).

Vorrangig sind Umschichtungen innerhalb des Regelbedarfs

Schutzmasken, die ihren Träger wirksam vor Corona-Viren schützen (sog. FFP3-Masken), oder gar spezielle Schutzkleidung sind derzeit im allgemeinen Handel kaum erhältlich. Überdies entstehen durch Schutzmasken keine übermäßigen Kosten, die nicht durch Umschichtungen der laufenden Ausgaben bestritten werden könnten. So begnügt sich etwa die Stadt Jena, die für bestimmte Gruppen das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit vorgeschrieben hat, mit einem Schutz durch aus Baumwolle selbst geschneiderte Masken, Schals, Tücher, Buffs etc.

Unzählige Anträge bei den Jobcentern auf einen pandemiebedingten Mehrbedarf werden erwartet

Derzeit wird berichtet, dass bei den Jobcentern zahlreiche Anträge auf Bewilligung einmaliger Leistungen bzw. eines Mehrbedarfs gestellt werden, um sich auf eine häusliche Quarantäne vorzubereiten oder Anschaffungen im Zusammenhang mit der Corona- Pandemie zu tätigen. Anscheinend wird in verschiedenen Medien und Internetportalen dazu aufgerufen, entsprechende Anträge „massenhaft“ einzureichen und hierdurch Druck auf die Bundesregierung auszuüben.

Standpunkt der Bundesagentur für Arbeit

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat bereits einen Textbaustein zur Ablehnung entsprechender Anträge zur Verfügung gestellt (Fachliche Weisung zu § 67 SGB II, Stand 01.04.2020, https://www.arbeitsagentur.de/datei/ba146402.pdf): Kosten für eine vollwertige Ernährung sind danach in den Regelbedarfen (§§ 20, 23 SGB II) berücksichtigt. Eine einmalige Leistung kann nicht gewährt werden, weil diese nicht im abschließenden Katalog des § 24 Abs. 3 SGB II vorgesehen ist. Auch ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II (unabweisbare, laufende besondere Bedarfe in Härtefällen) kommt nicht in Betracht, da es sich um „laufende“ und auch „besondere“ Bedarfe handeln muss, was in Hinblick auf die begehrten Leistungen aber nicht der Fall ist. – (mk)

Sozialgericht Konstanz, Beschluss vom 02.04.2020 – S 1 AS 560/20 ER –.

Fundstelle BW 2020/152

 

Dr. Martin Kellner

Richter am Sozialgericht Freiburg i. Br.
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