15.11.2012

Gestalten statt Kürzen

Wie Länder und Kommunen die Schuldenbremse meistern können

Gestalten statt Kürzen

Wie Länder und Kommunen die Schuldenbremse meistern können

Die Schuldenbremse will gemeistert sein. | © M. Schuppich - Fotolia
Die Schuldenbremse will gemeistert sein. | © M. Schuppich - Fotolia

Länder und Gemeinden stehen in den kommenden sieben Jahren vor ihrer wohl größten finanzpolitischen Herausforderung seit Gründung der Bundesrepublik: Ab 2020 ist die Aufnahme neuer Kredite zur Haushaltsfinanzierung wegen der sogenannten Schuldenbremse tabu. Die öffentliche Hand darf dann im Prinzip nur noch so viel ausgeben, wie sie durch Steuern, Abgaben und Finanzzuweisungen einnimmt.

Wie ehrgeizig diese Selbstverpflichtung ist, zeigt der Blick zurück: Die Länder haben letztmalig im Jahr 1963 weniger Kredite aufgenommen als getilgt, den Gemeinden gelang dies noch nie. Auch die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes stimmen skeptisch. Im ersten Halbjahr 2012 stieg die Verschuldung weiter – in den Gemeinden um annähernd vier Prozent, auf Landesebene sogar um über sechs Prozent.

Damit die Schuldenbremse nicht zu einer unkontrollierten Vollbremsung wird, muss die öffentliche Hand den fiskalpolitischen Kurs entschlossen und unverzüglich ändern. In unserer aktuellen PwC-Studie „Auf dem Weg zu einer Konsolidierung der Haushalte – die Finanzsituation in den Bundesländern“ haben wir erstmals analysiert, wie sich die Schuldenbremse auf das Verhältnis von Ausgaben und verfügbarem Budget in Ländern und Kommunen auswirkt.


Auf Basis der Finanzsalden des Jahres 2011 wurde ermittelt, wie stark die Ausgaben bis 2020 sinken müssen – oder gegebenenfalls auch steigen dürfen – um das Konsolidierungsziel zu erreichen. Zum verfügbaren Budget – der sogenannten Finanzmasse – zählen im Wesentlichen Steuereinnahmen, Mittel aus dem Länderfinanzausgleich sowie Bundesergänzungszuweisungen.

Sonstige unmittelbare Einnahmen, beispielsweise Gebühren, wurden mit den jeweiligen Ausgaben verrechnet und die Ausgabenseite um Zins- und Pensionsverpflichtungen bereinigt. Um besser vergleichbare und weniger konjunkturabhängige Aussagen machen zu können, haben wir die künftige Finanzsituation der Länder und der zugehörigen Gemeinden nicht in Euro und Cent, sondern im Verhältnis zum Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer berechnet.

Im Ergebnis zeigt sich, dass zehn Bundesländer bis 2020 stärker sparen bzw. effizienter wirtschaften müssen als der Durchschnitt. Spielraum für überdurchschnittliche Ausgabenzuwächse gibt es demgegenüber nur in zwei Ländern: in Baden-Württemberg und Bayern.

Bremen und das Saarland sind am stärksten gefordert

Vor den größten Herausforderungen stehen Bremen und das Saarland. Beide Länder müssen ihre Ausgaben im Verhältnis zur 2020 verfügbaren Finanzmasse deutlich stärker senken als das durchschnittliche westdeutsche Flächenland. Der Quotient von jeweils rund 70 Prozent indiziert sogar reale Ausgabenkürzungen. Überdurchschnittlich hohe Einsparungen sind auch in den ostdeutschen Flächenländern (mit Ausnahme Sachsens), in Hessen, Rheinland-Pfalz, Berlin und Nordrhein-Westfalen notwendig, allerdings dürfen hier die Ausgaben zumindest nominell noch steigen.

In einer komfortablen Lage sind die südlichen Bundesländer. Bayern und Baden-Württemberg könnten 2020 rund 13 Prozent mehr als der Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer ausgeben, ohne zusätzliche Schulden zu machen (siehe Abb. 1).

Quelle: PwC-Studie „Auf dem Weg zu einer Konsolidierung der Haushalte – die Finanzsituation in den Bundesländern“, Abb. 12, September 2012

Die Länder haben letztmalig im Jahr 1963 weniger Kredite aufgenommen als getilgt; den Gemeinden gelang dies noch nie.

Altlasten wiegen schwer

Bemerkenswerterweise sind die Länder, denen die Schuldenbremse besonders starke Anstrengungen abverlangt, nicht zwangsläufig einnahmeschwach. Ob ein Land besser oder schlechter auf 2020 vorbereitet ist, hängt vielmehr in erster Linie von der Höhe der Schulden und Pensionsverpflichtungen ab (siehe Abb. 2).

Quelle: PwC-Studie „Auf dem Weg zu einer Konsolidierung der Haushalte – die Finanzsituation in den Bundesländern“, Abb. 12, September 2012

Bleiben Schulden und Versorgungslasten ausgeklammert, steht Bremen gut da: Der Stadtstaat hat 2020 voraussichtlich gut ein Drittel mehr an Finanzmasse pro Kopf zur Verfügung als das Durchschnittsland. Werden Zinsen und Pensionen jedoch einberechnet, verfügt Bremen nur noch über eine um knapp zehn Prozentpunkte höhere Finanzmasse, was für einen Stadtstaat sehr wenig ist. Das Saarland fällt bei Berücksichtigung von Zinsen und Pensionen sogar von 98,6 Prozent des Durchschnittswerts auf 82,7 Prozent. Demgegenüber hat Sachsen im Jahr 2020 unbereinigt nur eine Finanzmasse von 93,8 Prozent des westdeutschen Durchschnitts zur Verfügung, wegen des geringen Verschuldungsgrads steigt die relative Finanzmasse nach Zinsen und Pensionen jedoch auf knapp 114 Prozent.

Patentrezepte gibt es nicht

Da sich Zins- und Pensionsverpflichtungen nur langfristig zurückführen lassen, stellt sich die Frage, welche Konsolidierungshebel in Ländern und Gemeinden überhaupt zur Verfügung stehen. Angesichts der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen – Stadtstaaten und Großstädte beispielsweise haben eine gänzlich andere Wirtschafts- und Sozialstruktur als die Flächenstaaten – gibt es kein Patentrezept. Schließlich ist es unvermeidlich, dass ein Land mit schwächerer Wirtschaft und höheren Arbeitslosenquoten vergleichsweise mehr Geld für soziale Aufgaben aufwendet. Um Kürzungen nach dem Rasenmäher-Prinzip zu vermeiden, müssen sich Länder und Kommunen auf die Suche nach Effizienzreserven machen und sich dem Vergleich mit strukturell ähnlichen, effizienter wirtschaftenden Einheiten stellen.

Bayern und Hessen beispielsweise können sich gleichermaßen auf eine starke Wirtschaft stützen, stehen im Länderfinanzausgleich auf der ‚Geberseite’ und haben überdurchschnittlich hohe Einnahmen. Dennoch muss Hessen seinen Haushalt anders als Bayern bis 2020 stark konsolidieren. Der Grund findet sich auf der Ausgabenseite: Das Land Hessen und die hessischen Kommunen geben in den meisten Aufgabenbereichen je Einwohner nicht nur mehr aus als Bayern, sondern auch mehr als im Bundesdurchschnitt. So wendet Hessen im Bereich politische Führung und Zentralverwaltung rund 75 Euro pro Kopf mehr auf als der Durchschnitt aller Länder, Bayern hingegen 57 Euro weniger.

Demografischer Wandel als Chance

Ansatzpunkte für eine intelligente Haushaltskonsolidierung bietet zudem der demografische Wandel. Angesichts des zu erwartenden Bevölkerungsrückgangs in vielen Ländern sind zahlreiche öffentliche Angebote überdimensioniert. Beispielsweise ist absehbar, dass in Westdeutschland nicht jede frei werdende Lehrerstelle wiederbesetzt werden muss: Bis 2020 werden die Schülerzahlen in den großen Flächenländern um etwa 15 Prozent zurückgehen, im Saarland sogar um mehr als 20 Prozent. Auf der anderen Seite wird die Alterung der Gesellschaft an anderen Stellen höhere Ausgaben als heute notwendig machen. In jedem Fall kann es sich kein Land und keine Kommune leisten, den demografischen Wandel als Einflussfaktor bei der Bedarfsplanung bis 2020 zu vernachlässigen.

(Quelle: PwC-Studie „Auf dem Weg zu einer Konsolidierung der Haushalte – die Finanzsituation in den Bundesländern“, September 2012)

 

Peter Detemple

Partner, PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Leiter des Bereiches Public Management Consulting, Frankfurt
 

Alfred Höhn

Partner bei PwC und Leiter des Bereiches öffentlicher Sektor, Berlin
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