15.11.2012

Regulativ für Ratingagenturen

Aktueller Stand der europäischen Reformbestrebungen

Regulativ für Ratingagenturen

Aktueller Stand der europäischen Reformbestrebungen

Europäische Reformbestrebungen: Die Macht der Ratingagenturen soll begrenzt werden. | © Marco2811 - Fotolia
Europäische Reformbestrebungen: Die Macht der Ratingagenturen soll begrenzt werden. | © Marco2811 - Fotolia

Als die damals noch weißen Krähen dem griechischen Gott Apollon Nachricht von der Untreue seiner Geliebten Koronis überbrachten, habe dieser im Zorn ihr Gefieder schwarz gefärbt und ihren Gesang in Krächzen verwandelt. Seitdem gelten Rabenkrähen (corvus corone) nicht Wenigen als Unglücksboten. Der aktuelle Unmut der europäischen Politik über die Ratingagenturen als Übermittler schlechter Ratings europäischer Staaten und ihrer Anleihen wirkt mitunter ähnlich fehlgeleitet. Allerdings ist auch festzustellen, dass die offensichtlich zu positiven Ratings einiger strukturierter Finanzinstrumente mitursächlich für die Finanzmarktkrise gewesen sein und den Gesetzgeber daher zu Recht auf den Plan gerufen haben könnten.

Hintergrund der europäischen Regulierungsbestrebungen

Ratingagenturen und ihre Ratings sind für die Kapitalmärkte von großer Bedeutung. Das liegt nicht nur daran, dass die Teilnehmer den Ratings renommierter Agenturen vertrauen und ihre Anlageentscheidungen danach ausrichten. Es war auch der europäische Gesetzgeber, der den Ratings mit Erlass aufsichtsrechtlicher Regelwerke (CRDI-IV, SolvencyII) eine zentrale Bedeutung beispielsweise für die Ermittlung der Eigenkapitalanforderungen an Banken gegeben hat.

Im Zuge der Finanzkrise im Jahr 2008 sind vor allem die drei großen Ratingagenturen Standard&Poor‘s, Moody‘s und Fitch vermehrt in die Kritik geraten. Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, strukturierte Finanzinstrumente fahrlässig zu gut bewertet und dadurch falsche Investitionsanreize gesetzt zu haben. Erneute Kritik wurde im Zusammengang mit der europäischen Staatsschuldenkrise an den Herabstufungen finanziell angeschlagener europäischer Staaten laut, die teilweise als überzogen oder gar willkürlich angesehen wurden. Die Kritik mündete in einem Wunsch nach einem regulativen Rahmen für Ratingagenturen und Ratings.


Geltender Regulierungsrahmen und aktueller Kommissionsentwurf

Der europäische Gesetzgeber hat diesem Wunsch bereits mit einer Reihe von Vorschriften entsprochen: Durch die sog. EU-Ratingverordnung ((EG) Nr.1060/2009 vom 07.12.2009) wurden Ratingagenturen mit Sitz in der EU erstmals Registrierungs- und Verhaltenspflichten unterworfen. Durch die Verordnung (EU) Nr. 513/2011 wurde die Zuständigkeit für die Aufsicht über Ratingagenturen auf die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) übertragen und dieser ein umfangreiches Aufsichtsinstrumentarium (bspw. Informations-, Untersuchungs- und Sanktionsrechte) zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen eine Reihe weiterer Rechtsakte, bspw. über die von den Ratingagenturen an die ESMA zu entrichtenden Gebühren und die Anforderungen an Inhalt und Format periodisch zu übermittelnder Ratingdaten.

Da die EU-Kommission den Regulierungsrahmen jedoch als noch nicht ausreichend ansieht, hat sie im November 2011 Vorschläge für eine erneute Änderung der EU-Ratingverordnung (KOM(2011)747 endg.) sowie für eine Änderungen der OGAW- (2009/65/EG) und der AIFM-Richtlinie (2011/61/EU) vorgelegt. Diese Vorschläge verschärfen die geltenden Vorschriften deutlich.

Zivilrechtliche Haftung

Beispielsweise schreibt der Verordnungsentwurf erstmals eine zivilrechtliche Haftung von Ratingagenturen vor (Art.1 Nr.20 KOM(2011)747 endg.): Im Falle vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verstöße gegen die Vorschriften der EU-Ratingverordnung sollen die Ratingagenturen betroffenen Anlegern zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn sich der Verstoß auf ein Rating ausgewirkt hat und die Anleger beim Erwerb der Finanzinstrumente auf dieses vertraut haben. Da Anleger regelmäßig keinen näheren Einblick in die internen Verfahren der Ratingagenturen haben, sieht der Verordnungsentwurf zudem eine umfangreiche Beweislastumkehr zugunsten der Anleger vor.

Rückgriff auf und Qualität von Ratings

Dem als zu stark empfundenen Vertrauen institutioneller Marktteilnehmer in Ratings möchte die EU-Kommission dadurch abhelfen, dass sie die aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten, zum Zwecke der Risikoermittlung auf externe Kreditrisikobewertungen abzustellen, einschränkt und die Institute vermehrt zur Vornahme eigener Kreditrisikobewertungen zwingt (Art.1 Nr.6 KOM(2011)747 endg.). Um den Instituten die notwendigen Daten zu liefern, sollen die Emittenten strukturierter Finanzinstrumente weitreichenden Transparenzpflichten unterliegen (Art.1 Nr.11 KOM(2011)747 endg.). Wenn Emittenten ihre Finanzinstrumente extern bewerten lassen wollen, sollen sie grundsätzlich mindestens zwei Ratings von voneinander unabhängigen Ratingagenturen in Auftrag geben (Art.1 Nr.11 KOM(2011)747 endg.). Zudem verschärft der Kommissionsentwurf die Anforderungen an die Ratingprozesse (vgl. Art.1 Nrn.10 und 19 KOM(2011)747 endg.), schreibt die Veröffentlichung der Ratings im sog. Europäischen Rating Index (Art.1 Nr.14 KOM(2011)747 endg.) vor und ermächtigt die ESMA zum Erlass detaillierender technischer Standards (Art.1 Nr.18 KOM(2011)747 endg.).

Unabhängigkeit und Vermeidung von Interessenkonflikten

In der Regel werden Ratingagenturen nicht von Investoren, sondern Emittenten beauftragt und bezahlt (sog. Issuer-Pays-Modell). Dies hat Zweifel an der Unabhängigkeit der Ratings geweckt, so dass die EU-Ratingverordnung hierzu bereits einige Vorschriften macht. Diese hält die Kommission jedoch nicht für ausreichend und führt ein sog. Rotationsprinzip ein (vgl. Art.1 Nr.8 KOM(2011)747 endg.), das vorschreibt, wie lange eine Ratingagentur einen einzelnen Emittenten und wie oft sie seine Schuldtitel innerhalb bestimmter Zeiträume bewerten darf, bevor sie durch eine andere Agentur ersetzt werden muss. Beauftragt der Emittent mehrere Agenturen, ist zunächst der Austausch zumindest einer, später auch der anderen Agentur(en) notwendig. Eine erneute Beauftragung ist erst nach einem Zeitraum von vier Jahren (sog. „Cool-off Periode“) wieder zulässig. Neben dem Rotationsprinzip enthält der Entwurf auch Vorschriften über die Struktur der Anteilseigner der Ratingagenturen.

Vorschriften für Länderratings

Den angeblichen Missständen bei Ratings über Schuldtitel von Mitgliedstaaten der EU möchte die Kommission durch spezielle Vorschriften für Länderratings Rechnung tragen. Beispielsweise sollen diese künftig mindestens alle sechs statt zwölf Monate aktualisiert werden (Art.1 Nr.10 KOM(2011)747 endg.). Auch sollen die Ratingagenturen das Zustandekommen ihrer Länderratings aufdecken und diese, um Marktstörungen zu vermeiden, immer erst nach Handelsschluss und mindestens eine Stunde vor Öffnung der Handelsplätze in der EU veröffentlichen.

Reaktionen und aktueller Stand

Der Verordnungsentwurf hat starke Kritik von weiten Teilen der Wirtschaft auf sich gezogen. Er beinhalte Zielkonflikte, löse einen hohen Administrationsaufwand aus, sei offensichtlich nicht auf andere europäische Gesetzgebungsvorhaben abgestimmt (SolvencyII) und werde Kosten und Wettbewerbsnachteile für die europäischen Unternehmen nach sich ziehen. Beispielsweise würde das Rotationsprinzip die Volatilität von Ratings unnötig erhöhen und daher global tätige Investoren vom europäischen Kapitalmarkt abschrecken. Auch sei angesichts aufsichtsrechtlicher Anforderungen an die Bewertung und das Steuern von Risiken fraglich, wie externe Ratings ohne unzumutbaren Aufwand gerade für kleinere Banken und Versicherungen ersetzt werden sollen. Die Idee einer unbeschränkten zivilrechtlichen Haftung sei überzogen und würde die Agenturen zu drastischen Gebührenerhöhungen zwingen. Ferner lasse die ESMA die für den Umfang der ihr zugedachten Aufgaben notwendige Ausstattung vermissen.

Inwieweit der Entwurf Gesetz wird, ist noch nicht abzusehen. Der im Gesetzgebungsverfahren federführende Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) hat eine Reihe von Änderungsvorschlägen unterbreitet. So mildert er bspw. die Vorschriften zum Rotationsprinzip ab, indem er Fristen verlängert (Änderungsvorschläge 72 bis 75), schreibt jedoch gleichzeitig vor, dass Zweitratings unter bestimmten Umständen nur bei kleinen Agenturen in Auftrag gegeben werden dürfen (Änderungsvorschlag92). Auch enthält er weitere Verbote zu Länderratings (Änderungsantrag88) und Fusionen und Übernahmen von Ratingagenturen (Änderungsantrag71) sowie eine Verschärfung der Vorschriften zu Anteilseignerstrukturen (Änderungsantrag117).

Weitere Änderungsvorschläge stammen vom Europäischen Rat (Beschränkung des Rotationsprinzips auf sog. Wiederverbriefungen) und vom Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (keine Beweislastumkehr der Haftungsvorschriften hinsichtlich der Kausalität des Verstoßes für den Schaden des Anlegers).

Ausblick

Wann mit einem Erlass der neuen Vorschriften zu rechnen ist, hängt davon ab, wie schnell sich die zuständigen europäischen Gesetzgebungsorgane auf finale Fassungen einigen können. Die Verordnung wird nach Inkrafttreten in weiten Teilen unmittelbar, in einigen Teilen jedoch erst nach dem Verstreichen von Übergangsfristen (bspw. hinsichtlich der Anteilseignerstrukturen) Geltung entfalten. Die Richtlinie wird nach Inkrafttreten hingegen noch der Umsetzung in nationales Recht bedürfen. Derzeit ist dafür eine Frist von zwölf Monaten vorgesehen.

 

Matthias Doetsch

wiss. Mitarbeiter BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt a.M.
 

Dr. Christoph Schmitt

Rechtsanwalt BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt a.M.
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