15.11.2012

VBL-Satzung unwirksam

Urteile des BGH erleichtern Ausstieg aus der VBL

VBL-Satzung unwirksam

Urteile des BGH erleichtern Ausstieg aus der VBL

Mit dem Urteil des BGH ergeben sich für austrittswillige Unternehmen wirtschaftlich neue Perspektiven. | © Thomas Pajot - Fotolia
Mit dem Urteil des BGH ergeben sich für austrittswillige Unternehmen wirtschaftlich neue Perspektiven. | © Thomas Pajot - Fotolia

Die Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes ist seit geraumer Zeit in Finanzierungsschwierigkeiten. Gründe dafür liegen in der demografischen Entwicklung und in der Entwicklung des Beschäftigungsstandes. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun mit zwei Urteilen vom 10.10.2012 (IV ZR 10/11, IV ZR 12/11) die Bedingungen für einen Ausstieg erleichtert. Für die verbleibenden Mitglieder dürften daraus langfristig höhere Finanzierungslasten resultieren.

Kommunen und Unternehmen, die die Altersversorgung ihrer Mitarbeiter über die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) regeln, müssen sich heute zwei wesentlichen Tatsachen stellen: Die Umlagebasis schmälert sich, gleichzeitig wachsen die Versorgungsverpflichtungen stetig. Versorgungsleistungen und die dafür aufgewandten Kosten stehen in einem deutlichen Missverhältnis.

Die Arbeitnehmer erwerben Versorgungsansprüche, die sich aus einer Beitragshöhe von 4 % der Entgelte ergaben. Diesen Leistungen steht ein Finanzierungsaufwand von ca. 10% gegenüber (VBL-Abrechnungsverband West).


Arbeitgeber prüfen Beteiligung an VBL

Aus diesem Grund stellen viele Arbeitgeber die Beteiligung an der VBL auf den Prüfstand. Häufig erzwingt ein starker Kostendruck zu Einsparungen bei den Personalkosten. Bisher sahen sich Beteiligte regelmäßig wegen der damit verbundenen finanziellen Belastungen an einem Ausstieg gehindert.

Bei der Versorgung über die VBL erwerben die Versorgungsberechtigten nämlich einen Rechtsanspruch auf Versorgungsleistungen. Dieser ist unabhängig vom Fortbestand des Beteiligungsverhältnisses des Arbeitgebers.

Der Ausstieg eines Beteiligten erzwingt die Ausfinanzierung der bestehenden Versorgungsansprüche. Hierzu dient die Zahlung eines Gegenwerts. Dessen Berechnung hat die VBL in § 23 Abs. 2 ihrer Satzung geregelt. Der Gegenwert ist innerhalb eines Monats ab Mitteilung über seine Höhe in einem Einmalbetrag fällig.

Zu den Bedingungen der Satzung war die Finanzierung eines Ausstiegs aus der VBL praktisch ausgeschlossen.

BGH erklärt die Satzungsbestimmungen der VBL für unwirksam

Von den Beteiligten, die den Ausstieg dennoch wagten, setzten sich einige gerichtlich gegen die Gegenwertforderung zur Wehr. Mittlerweile waren zwei ehemalige Beteiligte erfolgreich: Der BGH hat mit zwei Urteilen vom 10. Oktober 2012 (IV ZR 10/11 und IV ZR 12/11) entschieden, dass die Regelung des § 23 Abs. 2 VBL-Satzung wegen unangemessener Benachteiligung der ehemaligen Beteiligten unwirksam sind. Er hat höchst umstrittene Rechtsfragen wie folgt entschieden:

  • Die Regelung der Gegenwertforderung in der VBL-Satzung beruhe nicht auf einer Grundsatzentscheidung der Tarifvertragsparteien.
  • Bei der Gegenwertforderung handele es sich nicht um eine Hauptleistungspflicht aus dem Versicherungsverhältnis.
  • Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 BGB erfordere die Offenlegung aller Berechnungsgrundlagen für die Bestimmung des Gegenwerts.

Damit ist der Weg für eine uneingeschränkte AGB-Kontrolle der Satzungsbestimmungen der VBL, die allgemeine Versicherungsbedingungen darstellen, frei. Nach Auffassung des BGH benachteiligt die einschlägige Regelung des § 23 Abs. 2 VBL-Satzung den ausgeschiedenen Beteiligten unter drei Aspekten:

  • Versicherten, die mangels Erfüllung der fünfjährigen Wartezeit noch keine unverfallbaren Versorgungsansprüche erworben haben.
  • Ausgestaltung der Gegenwertforderung als sofort fällige Einmalzahlung.
  • Intransparenz der Regelung, weil nicht alle Berechnungsgrundlagen des Gegenwerts offengelegt würden.

Heilung unwirksamer AGB durch das Versicherungsunternehmen?

Durch die Unwirksamkeit des § 23 Abs. 2 sei die VBL-Satzung lückenhaft geworden. Der BGH bejaht die Möglichkeit der ergänzenden Auslegung. Er nimmt die ergänzende Vertragsauslegung aber nicht selbst vor, sondern räumt der VBL als Versicherungsunternehmen die Möglichkeit der ergänzenden Vertragsauslegung ein. Die VBL kann die

Unwirksamkeit der bestehenden Regelungen durch die Schaffung wirksamen Satzungsrechts heilen. Das neue Satzungsrecht erfasse auch die Rechtsverhältnisse ehemaliger Beteiligter, die vor Bekanntmachung der neuen Satzungsregelung bereits ausgeschieden waren.

Gegenwärtig kein Anspruch auf Gegenwert

Gegen alle Arbeitgeber, die aus der VBL ausgestiegen sind, besteht derzeit kein Anspruch auf Zahlung eines Gegenwerts. Es fehlt schlicht an einer wirksamen Anspruchsgrundlage. Sämtliche ehemaligen Beteiligten der VBL, die in der Vergangenheit auf der Grundlage der unwirksamen Regelung des § 23 Abs. 2 VBL-Satzung Gegenwertzahlungen geleistet haben, können diese unter dem Aspekt der ungerechtfertigten Bereicherung nach § 812 Abs. 1 BGB heraus verlangen. Die Zahlung erfolgte ohne Rechtsgrund. Im Einzelfall ist zur Realisierung etwaiger Ansprüche die Frage der Verjährung zu prüfen.

Hieran ändert auch der Änderungstarifvertrag Nr. 6 zum ATV vom 24. November 2011 nichts – jedenfalls nicht für solche Arbeitgeber, die über die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände an den ATV gebunden sind. Den Änderungstarifvertrag Nr. 6 haben nur die Bundesrepublik und die Tarifgemeinschaft deutscher Länder unterzeichnet. Jedenfalls diejenigen Arbeitgeber, die durch die VKA vertreten werden, sind durch den 6. Änderungs-TV nicht gebunden. Für diese Arbeitgeber liegt auch gegenwärtig eine Grundentscheidung der Tarifparteien über die Gegenwertforderung nicht vor. Auch in Zukunft gilt insoweit der Grundsatz der vollen AGB-rechtlichen Überprüfbarkeit der Satzungsbestimmungen der VBL.

Höchstmaß an Rechtsunsicherheit hinsichtlich Fälligkeit und Höhe des Gegenwerts

Indem der Bundesgerichtshof der VBL eine zweite Chance einräumt, wirksames Satzungsrecht zu erlassen, schafft er für die Beteiligten eine unerträgliche Rechtsunsicherheit. Auf welcher Grundlage sollen diese die Entscheidung über den Austritt oder den Verbleib in der VBL treffen?

Der BGH hat zwar während der mündlichen Verhandlung am 10. Oktober 2012 angedeutet, wie eine wirksame Satzungsbestimmung aussehen könnte. So hat er statt der Verpflichtung zur Einmalzahlung auf die intensiv diskutierte „Erstattungslösung“ verwiesen. Es ist aber keineswegs sicher, dass die VBL den Anregungen des IV. Senats folgen wird. Derzeit ist noch nicht vorherzusehen, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Inhalt die VBL von der Möglichkeit der Heilung der unwirksamen Satzungsbestimmungen Gebrauch machen wird. Nach meiner Prognose wird es das Ziel der VBL sein, die Umlagebasis zu erhalten. Die VBL hat in der Revisionsverhandlung am 10. Oktober 2012 klargestellt, dass die Knebelung ausstiegswilliger Beteiligter Ziel der Satzungsbestimmungen sei. Die unangemessene Benachteiligung ehemaliger Beteiligter diene gerade dazu, „gute Risiken“ zu einem Verbleib in der VBL zu zwingen. Es gehört nicht viel Fantasie dazu sich vorzustellen, dass die Neufassung der Satzung nur die notwendigen Konzessionen an die Entscheidung des Bundesgerichtshofs machen wird. Dann wird die VBL-Satzung mit Sicherheit erneut Gegenstand einer gerichtlichen AGB-Kontrolle sein. Rechtssicherheit werden die VBL und die Arbeitgeber erst in einigen Jahren erlangen.

Bedeutung für öffentliche Zusatzversorgungskassen

Die Urteile betreffen nicht nur die VBL, sondern sämtliche Zusatzversorgungseinrichtungen des öffentlichen Dienstes. Die Satzungen der u.a. kommunalen Zusatzversorgungskassen sehen sämtlich zumindest die Ausgestaltung des Ausgleichsbetrages als Einmalzahlung eines Barwertes vor und sind nach Maßgabe der Urteile vom 10. Oktober 2012 intransparent. Damit benachteiligen auch diese Satzungsbestimmungen ihre (ehemaligen) Mitglieder unangemessen und sind folglich unwirksam.

Ausstieg jetzt!

Die Auferlegung einer Gegenwertforderung, die der Höhe und den Zahlungsbedingungen nach angemessen ist, hat zur Folge, dass der Ausstieg aus der umlagefinanzierten Zusatzversorgung sich für „gute Risiken“ als kostengünstiger darstellt als der Verbleib. Die Beendigung der Beteiligungsverhältnisse durch die guten Risiken führt unweigerlich zu einer Steigerung der Finanzierungslasten für die verbleibenden Beteiligten. Dann rücken immer mehr Beteiligte sukzessive in eine Situation, in der für sie angesichts der gestiegenen Umlageverpflichtungen ein Ausstieg aus der VBL wirtschaftlich günstiger wäre. Im Ergebnis müssten dann diejenigen Beteiligten, die immense Versorgungsverpflichtungen eingegangen sind, diese auch bedienen. Genau dieses Szenario will die VBL ja mit den überzogenen Gegenwertforderungen verhindern.

Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist es für die „guten Risiken“ unter den VBL-Beteiligten das Gebot der Stunde, einen Ausstieg so frühzeitig wie möglich umzusetzen, wenn er sich als die wirtschaftlich bessere Alternative darstellt. Ehemalige Beteiligte sollten zeitnah die ohne Rechtsgrund geleisteten Gegenwertzahlungen zurückfordern bzw. geltend gemachte Forderungen zurückweisen.

 

Dr. Martin Kolmhuber

Rechtsanwalt und Partner Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln
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