15.11.2012

Die angemessenen Kosten der Unterkunft

Berechnung anhand aufbereiteter Daten qualifizierter Mietspiegel

Die angemessenen Kosten der Unterkunft

Berechnung anhand aufbereiteter Daten qualifizierter Mietspiegel

Welche Miethöhe ist \"angemessen\" im Grundsicherungsrecht? Der Mietspiegel gibt Auskunft. | © motorradcbr - Fotolia
Welche Miethöhe ist \"angemessen\" im Grundsicherungsrecht? Der Mietspiegel gibt Auskunft. | © motorradcbr - Fotolia

Das Bayerische Landessozialgericht (BayLSG) hat in seinem Urteil v. 11.07.2012, Az. L 16 AS 127/10, eine Methode entwickelt, um aus dem bereits vorhandenen Datenmaterial eines qualifizierten Mietspiegels mit Hilfe eines schlüssigen und nachvollziehbaren Konzepts die für eine bestimmte Haushaltsgröße maßgebende Angemessenheitsgrenze i.S.d. §22 SGB II zu berechnen. Für die Angemessenheitsgrenzen nach § 35 SGB XII ist die Methode gleichermaßen anwendbar.

Die von den Grundsicherungsträgern zu übernehmenden Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II bzw. § 35 SGB XII sind bis zur Grenze der Angemessenheit zu übernehmen. Diese Angemessenheitsgrenze oder Referenzmiete berechnet sich nach ständiger Rechtsprechung aus dem Produkt aus der für die Anzahl der dem Haushalt angehörigen Personen maßgebenden Quadratmeterzahl und dem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von Wohnungen, die nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügen, keinen gehobenen Wohnstandard aufweisen und deshalb im unteren Segment der nach der Größe in Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk liegen, der den Vergleichsmaßstab bildet (BSGE 97, 254 Rdnr. 20). Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Anforderungen an die Berechnung dieser Angemessenheitsgrenze insbesondere seit 2009 zunehmend verschärft. Es verlangt, dass der Grundsicherungsträger ein Konzept vorlegt, das schlüssig und hinreichend nachvollziehbar ist. In der Praxis hat das BSG in einer Reihe von Fällen die Erklärungsmodelle großer Städte für die von ihnen angewandten Angemessenheitsgrenzen für unzureichend erklärt. Viele Grundsicherungsträger und die für die Finanzierung der Kosten für Unterkunft nach dem SGB II zuständigen Landkreise und kreisfreien Städte bemühen sich derzeit, schlüssige und nachvollziehbare Konzepte zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen zu entwickeln, die den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung genügen. Hierbei bestehen erhebliche Unsicherheiten, beginnend bei der Frage, was unter einfachen Wohnungen des unteren Segments überhaupt zu verstehen ist, bis hin zu den mit der Berechnung verbundenen mathematischen, insbesondere statistischen, Problemen. Schließlich stellt sich die für alle Kostenträger in der Praxis entscheidende Frage, wie sich der Kostenaufwand bei der Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen minimieren lässt, insbesondere dadurch, dass auf bereits vorhandene Datensammlungen zurückgegriffen werden kann.

Das Urteil des BayLSG, das für die Angemessenheitsgrenzen bei Ein-Personen-Haushalten im Gebiet der Stadt München in den Jahren 2007 und 2008 ergangen ist, zeigt einen Weg auf, um mit vertretbarem Aufwand aus dem vorhandenen Datenmaterial eines qualifizierten Mietspiegels zu mathematisch fundierten Aussagen hinsichtlich der angemessenen Kosten einfacher Wohnungen im unteren Marktsegment zu kommen.


1. Kriterien für Wohnungen einfachen Standards im unteren Marktsegment

Zur Bestimmung des Begriffs der Wohnungen einfachen Standards des unteren Segments hat sich das Gericht von der Überlegung leiten lassen, dass dieses Segment jedenfalls dann hinreichend abgedeckt wird, wenn ein Fünftel (20%) der Wohnungen im Bereich der für die Haushaltsgröße maßgeblichen Wohnungsgröße die Mietobergrenze nicht überschreitet. Damit hat das Gericht allen Versuchen eine Absage erteilt, bestimmte Ausstattungsmerkmale eines derartigen Wohnungstypus zu definieren, um dann die tatsächliche prozentuale Verteilung so definierter Wohnungen zu untersuchen. Alle derartigen Versuche waren im zu entscheidenden Fall gescheitert. Da im vorliegenden Fall bewiesen werden konnte, dass die streitige Mietobergrenze das untere Fünftel des Wohnungsmarktes abdeckte, konnte das Gericht offenlassen, ob in München auch noch ein geringerer Marktanteil als ein Fünftel ausreichend wäre; ebenso wenig war zu entscheiden, ob in anderen Vergleichsräumen mit ungünstigerer Sozialstruktur als München das von der Mietobergrenze abzudeckende „untere Marktsegment“ größer als das untere Fünftel anzusetzen wäre.

2. Das Datenmaterial des qualifizierten Mietspiegels als Ausgangspunkt zur Überprüfung der Kriterien

Das Datenmaterial des Mietspiegels München 2007 – eines qualifizierten Mietspiegels – bildete nach Ansicht des Gerichts eine geeignete Datengrundlage, um die Ausgangshypothese, dass mindestens ein Fünftel der Wohnungen im Bereich der maßgeblichen Wohnungsgröße die Mietobergrenze nicht überschreiten darf, zu überprüfen. Zwar würden für den Mietspiegel nur Bestandsmieten erfasst und nicht aktuelle Mietangebote; jedoch sei die Aktualität des Datenmaterials dadurch gesichert, dass nur solche Mietverhältnisse erfasst würden, deren Nettokaltmieten in den letzten vier Jahren vor dem Stichtag angepasst wurden. Zugunsten der Hilfebedürftigen wirke sich aus, dass bei der Datenermittlung für den Mietspiegel weder mietpreisgebundener Wohnraum noch bestimmte Wohnungen der untersten Kategorie (z. B. Wohnungen in einfacher Wohnlage, ohne eigenen Raum für die Küche, ohne Toilette oder nur mit Gemeinschaftsbad, Wohnungen im Untergeschoss) berücksichtigt wurden. Damit würden zum einen Wohnungen mit subventionierten Preisen außer Betracht gelassen, obwohl diese Hilfebedürftigen zumutbar seien, und zum anderen werde der BSG-Rechtsprechung Rechnung getragen, wonach Wohnungen mit nicht nur „unterem“, sondern sogar „unterstem“ Ausstattungsgrad nicht in die Datenbasis einbezogen werden dürften (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 Az. B 14 AS 65/09 R, Rdnr. 31 und BSG, Urteil vom 13.04.2011 Az. B 14 AS 85/09 R, Rdnr. 23).

Das Datenmaterial des Mietspiegels 2007 erfasste nur einen Bruchteil aller mietspiegelrelevanten Wohnungen Münchens und beruhte auf einer Stichprobe. Dazu waren etwa 100.000 Telefonnummern durch einen Zufallsgenerator erzeugt und von den Ermittlern angerufen worden. Da dieses Verfahren aber zur Auswertung von lediglich ca. 3.000 mietspiegelrelevanten Wohnungen führte, stellte sich die Frage, ob die so gefundene Stichprobe noch repräsentativ war. Eine Stichprobe ist repräsentativ, wenn die Auswahl der Stichprobe aus der Grundgesamtheit rein zufällig erfolgt, ohne dass eine systematische Verzerrung gegenüber der zu repräsentierenden Grundgesamtheit stattfindet. Das Gericht hat die Repräsentativität der Stichprobe im vorliegenden Fall bejaht. Sie bildet die Grundvoraussetzung aller nachfolgenden statistischen Berechnungen.

3. Ermittlung der Bruttokaltmieten des qualifizierten Mietspiegels

Das Datenmaterial des qualifizierten Mietspiegels wurde dadurch aufbereitet, dass für jede Wohnung statt der Nettokaltmiete die Bruttokaltmiete, definiert als Bruttowarmmiete abzüglich Heizkosten, errechnet wurde, weil die Bruttokaltmiete den nach der BSG-Rechtsprechung maßgeblichen Wert darstellt. Die Möglichkeit, die Mietobergrenze aus zwei Teilwerten zu errechnen, nämlich einem für die Nettokaltmiete, berechnet aus dem Datenmaterial des Mietspiegels, und einem für die kalten Betriebskosten, errechnet aus Betriebskostenspiegeln, hat das Gericht verworfen. Denn Betriebskostenspiegel weisen durchschnittliche Betriebskosten pro Quadratmeter für bestimmte Betriebskostenarten aus. Sie ermöglichen die Berechnung der für eine bestimmte Wohnung zu erwartenden durchschnittlichen Betriebskosten. Damit ermöglichen sie aber keine Berechnung der durchschnittlichen Betriebskosten von einfachen Wohnungen des unteren Segments. Denn sie enthalten keine Information darüber, welche Betriebskostenarten (z. B. Gärtner, Hausmeister, Aufzug) bei solchen Wohnungen überhaupt anfallen und ob ihre Höhe den durchschnittlichen Kosten aller Wohnungen entspricht.

Außerdem wurden in die Bruttokaltmiete einbezogen auch Zuschläge für Garage, Abstellplatz, Berechtigung zur Untervermietung, Gartenbenutzung etc., obwohl diese Zuschläge bei der Mietspiegelberechnung abgezogen werden, weil es sich um Kosten handelt, die nach § 22 SGB II erstattungsfähig sein können.

4. Hochrechnung der Bruttokaltmieten auf den Stichmonat

Die so ermittelten Bruttokaltmieten wurden von dem für die Mietspiegelerhebung geltenden Stichmonat auf den 1. Juli des Kalenderjahres, für das die Angemessenheitsgrenze zu ermitteln war, hochgerechnet. Die Hochrechnung erfolgte anhand des allgemeinen Verbraucherpreisindex für Deutschland, da genauere Indizes für den Münchener Mietwohnungsmarkt nicht zur Verfügung standen. Die Bestimmung von mehr als einer Angemessenheitsgrenze pro Kalenderjahr hat das Gericht als nicht praxisgerecht abgelehnt. Dabei hat es die Berechnung auf die Verhältnisse zur Jahresmitte als beste Näherung betrachtet.

5. Bestimmung der Datenbasis für Wohnungen im Bereich der maßgeblichen Wohnungsgröße

In dem so erstellten Datensatz wurde der Bereich der relevanten Wohnungen im Bereich der für die Haushaltsgröße maßgeblichen Wohnfläche (hier: Wohnungen „um die 50 qm“ als der für Ein-Personen-Haushalte in Bayern angemessenen Größe) durch einen vom Gericht zum Sachverständigen bestellten Professor für Statistik dadurch bestimmt, dass Wohnungen aus dem Bereich von 4 qm unterhalb bis 4 qm oberhalb der maßgeblichen Größe (hier also Wohnungen von 46 bis 54 qm) in die Datenbasis einbezogen wurden, allerdings mit mathematisch nach dem sog. Kernregressionsverfahren bestimmten unterschiedlichen Gewichtungsfaktoren (Faktor 1 für Wohnungen mit genau 50 qm, mit zunehmendem Abstand von 50 qm fallend bis 0). Hierbei handelte es sich um die für die nachfolgenden statistischen Berechnungen maßgebende Stichprobe.

6. Überprüfung der Mietobergrenzen anhand des 20%-Kriteriums in der Stichprobe

Innerhalb der so gefundenen Datenbasis der Wohnungen „um die 50 qm“ – also der für die statistischen Berechnungen relevanten Stichprobe – wurde bestimmt, welchen prozentualen Anteil die Wohnungen bis zu der zu überprüfenden Mietobergrenze (bezogen auf die Bruttokaltmiete) hatten. Dieser Anteil betrug 26,9 % im Jahr 2007 (Stichtag 01.07.2007), bezogen auf eine zu überprüfende Mietobergrenze von 496,45 € Bruttokaltmiete. Ebenso ließ sich bestimmen, wo die Mietobergrenze lag, die von genau 20 % der Wohnungen „um die 50 qm“ nicht überschritten wurde: Dieser Wert lag für 2007 bei 460,15 €. Für 2008 ergaben sich geringfügig abweichende Werte.

7. Übertragung der Stichprobe auf die Grundgesamtheit

Die nächste Frage war nun, ob und wie sich die vorstehend aus der Stichprobe ermittelten Ergebnisse auf die Realität, d.h. auf die Grundgesamtheit aller mietspiegelrelevanten Wohnungen im Vergleichsraum, übertragen ließen. Gegen die Zulässigkeit solcher Rückschlüsse wird immer wieder eingewandt, die Stichprobe sei im Verhältnis zur Gesamtzahl der Wohnungen im Vergleichsraum zu klein. Diese Frage ließ sich mit Hilfe des Sachverständigen objektivieren. Eine bestimmte, anhand einer Stichprobe ermittelte Aussage lässt sich auf die dahinter stehende Grundgesamtheit immer nur mit einer bestimmten Irrtumswahrscheinlichkeit sowie mit einer gewissen Unschärfe übertragen. Der Grad der Unschärfe hängt sowohl von der Größe der Stichprobe (je größer die Stichprobe, desto geringer die Unschärfe) als auch vom Grad der geforderten Gewissheit, dem sog. Vertrauens- oder Konfidenzniveau, ab. Dabei wurde im vorliegenden Fall die Stichprobengröße unter Berücksichtigung der unter Nr. 5 beschriebenen Gewichtungsfaktoren bestimmt (Wohnungen mit nicht exakt 50 qm Wohnfläche wurden mit Faktoren < 1 gewertet), so dass sich statt der realen Stichprobengröße von 331 Wohnungen im Bereich von 46 bis 54 qm Wohnfläche eine für die weiteren Berechnungen gewichtete Stichprobengröße von nur 242,88 Wohnungen ergab.

Der Sachverständige konnte nun anhand der gewichteten Stichprobengröße von 242,88 für das Jahr 2007 errechnen, dass auf einem Konfidenzniveau von 97,5 % für die Grundgesamtheit die Aussage zutrifft, dass der Anteil der Wohnungen „um die 50 qm“, die die zu überprüfende Bruttokaltmiete von 496,45 € nicht überschritten, größer als 21,4 % war. Umgekehrt ausgedrückt, lag die Irrtumswahrscheinlichkeit, also die Wahrscheinlichkeit, dass der Anteil in Wirklichkeit kleiner als 21,4 % war, bei 2,5 %. Damit konnte auf einem Konfidenzniveau, das wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, gezeigt werden, dass ein Anteil von über 20 % des mietspiegelrelevanten Wohnraums die Mietobergrenze nicht überschritt. Ob auch ein niedrigeres Konfidenzniveau zu akzeptieren gewesen wäre, brauchte nicht entschieden zu werden.

Bezüglich der Frage, wie hoch die Bruttokaltmiete war, die von 20 % der Wohnungen „um die 50 qm“ nicht überschritten wurde, errechnete der Sachverständige bezogen auf die Grundgesamtheit für das Jahr 2007 einen Wert von 485 €, der auf einem Konfidenzniveau von 97,5 % von 20 % der Wohnungen nicht überschritten wurde. D.h. die Wahrscheinlichkeit, dass die 20 %-Grenze in Wahrheit höher als 485 € lag, war kleiner als 2,5 %. Der Grundsicherungsträger hätte also im Jahr 2007 die zu übernehmenden angemessenen Kosten für Unterkunft (ohne Heizung) für Ein-Personen-Haushalte in München auf eine Bruttokaltmiete von sogar nur 485 € begrenzen können.

8. Verteilung des Wohnraums über das Stadtgebiet

Schließlich führte der Sachverständige eine Reihe von Berechnungen durch, mit denen gezeigt werden konnte, dass sich der von der Mietobergrenze abgedeckte Wohnraum hinreichend gleichmäßig über das Stadtgebiet verteilte und eine „Ghettoisierung“ nicht zu befürchten war. Dazu wurde insbesondere für jeden der 25 Stadtbezirke nach verschiedenen gestaffelten Mietobergrenzen dargestellt, ob im Vergleich zu anderen Stadtbezirken eine Über- oder Unterrepräsentation von Wohnungen bis zu einer bestimmten Mietobergrenze vorlag.

Folgende Leitsätze lassen sich formulieren:

1. Die vom Grundsicherungsträger zur Begrenzung der angemessenen Kosten der Unterkunft i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gezogene Mietobergrenze ist jedenfalls dann ausreichend, wenn sich aus dem repräsentativ gewonnenen Datenmaterial eines qualifizierten Mietspiegels nach anerkannten statistischen Methoden
– auf einem hinreichend hohen Konfidenzniveau errechnen lässt, dass mindestens ein Fünftel der Wohnungen im Bereich der für die Haushaltsgröße nach der Produkttheorie maßgeblichen Wohnungsgröße die Mietobergrenze nicht überschreitet, und
– weitere Daten und Auswertungen sicherstellen, dass sich die von der Mietobergrenze abgedeckten Wohnungen in zumutbarer Weise über den gesamten Vergleichsraum verteilen.

2. Das Jobcenter München (vormals: ARGE München) war berechtigt, die für einen Ein-Personen-Haushalt im Gebiet der Landeshauptstadt München nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu übernehmenden angemessenen Kosten für Unterkunft
– im Jahr 2007 auf eine Bruttokaltmiete in Höhe von 496,45 € (Nettokaltmiete von 441,45 € + kalte Betriebskosten von 55 €) und
– im Jahr 2008 auf eine Bruttokaltmiete von 504,21 € (Nettokaltmiete von 449,21 € + kalte Betriebskosten von 55 €) zu beschränken.

Das sehr umfangreiche Urteil ist in vollem Wortlaut veröffentlicht unter www.sozialgerichtsbarkeit.de.

 

Michael Randak

Richter am Bayerischen Landessozialgericht, München
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