08.07.2020

Für jeden Zweck das Passende: Aktenplan für die Akten, Produktplan für den Haushalt

Teil 1: Produktorientierte Aktenpläne

Für jeden Zweck das Passende: Aktenplan für die Akten, Produktplan für den Haushalt

Teil 1: Produktorientierte Aktenpläne

Ein Aktenplan ist stets ein kunstvoll geschaffenes Ordnungssystem. | © irina - stock.adobe.com
Ein Aktenplan ist stets ein kunstvoll geschaffenes Ordnungssystem. | © irina - stock.adobe.com

Für Baden-Württemberg haben sich die Herausgeber des Kommunalen Aktenplans 21, Gemeindetag und Landkreistag, nach gründlichen Erörterungen 2013 dafür entschieden, den Kommunalen Aktenplan in der klassischen 0-9-Struktur weiterzuentwickeln. Seitdem arbeitet die Aktenplan-Redaktion in dieser Richtung. Trotzdem taucht bei der Einführung des Neuen Kommunalen Haushaltsrechts mitunter die Frage auf, warum der Kommunale Aktenplan nicht der Systematik des Kommunalen Produktplans folgt.

Produktorientierte Aktenpläne

Aktuell wird die Frage meist dann, wenn die Einführung eines Dokumentenmanagementsystems (DMS) bevorsteht und in zeitlicher Nähe der Produktplan eingeführt wurde oder wird. Dann stellen manche Verwaltungen einerseits fest, dass sie für die DMS-Einführung unbedingt einen Aktenplan benötigen. Über Suchmaschinen alleine lässt sich eine rechtskonforme und praxistaugliche elektronische Aktenführung nicht sicherstellen. Andererseits runzelt manche Hauptamtsleitung die Stirn, weil der vor Jahrzehnten eingeführte Kommunale Aktenplan (0 bis 9-Aktenplan) – angelehnt an die kamerale kommunale 0 bis 9-Haushaltsgliederung – bei ihnen keine Anwendung und Pflege mehr findet. Je weniger der bisherige Aktenplan und generell das behördliche Schriftgut gepflegt wurde, desto lauter scheint der Ruf nach einem neuen Aktenplanwerk analog zur Gliederungssystematik des Produktplans zu vernehmen zu sein.

Resonanz zum Kommunalen Aktenplan

Demgegenüber äußert sich die Mehrzahl der Kommunalverwaltungen, die mit dem Kommunalen Aktenplan gut oder einigermaßen zurechtkommen, selten positiv: Man hat ihn halt. Bei etwa 90 Seminaren für die Verwaltungsschule des Gemeindetags und für die Verwaltungsakademie in Baden-Württemberg zu Themen der Schriftgutverwaltung wurde seit 1992 jeweils abgefragt, wie es um die Schriftgutverwaltung in den einzelnen Landkreisen, Städten und Gemeinden bestellt ist. Insgesamt dürften Mitarbeitende aus etwa 700 Kommunalverwaltungen an den Kursen teilgenommen haben. Es gab dabei zwar stets großen Informationsbedarf und teilweise Verunsicherung – warum sonst sollte man einen derartigen Kurs besuchen –, man hat aber in den Verwaltungen meist den Kommunalen Aktenplan und empfindet es als Mangel, ihn nur ungenügend anzuwenden. Kommunen, die den Kommunalen Aktenplan nicht anwenden, lassen sich an zwei Händen abzählen, meist sind es größere Städte. Unter den kleineren Kommunen erscheint vor allem denjenigen ein produktbasierter Aktenplan als Heilmittel, die die Ablage ihres Schriftguts in früheren Zeiten vernachlässigt haben, sodass Unordnung entstand. Das lag dann aber nicht am Aktenplan, sondern daran, dass die Kultur der Schriftgutverwaltung generell gelitten hat. In ihren Augen schimmert ein produktorientierter Aktenplan besonders verlockend, weil er sich dasjenige Ziffernsystem zunutze machen würde, das die Verwaltungen derzeit mit großer Mühe für den Haushaltsplan einführen. Sie weisen auf Synergieeffekte hin, damit geht die Hoffnung nach größerer Akzeptanz einher.


Produktorientierter Aktenplan im Vergleich

Sicherlich, prinzipiell wäre ein produktorientierter Aktenplan machbar. Ein Aktenplan ist stets ein kunstvoll geschaffenes Ordnungssystem für Schriftgut, das einen gewissen Abstraktionsgrad hat. Wer sagt denn, welcher Art die Abstraktion sein muss? An dieser Stelle setzen mitunter Glaubenskriege ein, die unnötig sind. Viel sinnvoller ist es, den Ansatz zu einem produktorientierten Aktenplan mit dem Kommunalen 0 bis 9-Aktenplan zu vergleichen, zunächst strukturell, dann hinsichtlich des Erstellungs- und Umstellungsaufwands. Manches ist schlichte Mathematik, anderes betriebswirtschaftlich kalkulierbar, mitunter muss auch einfach ein Fragezeichen unterstrichen werden. Als Vergleich können mittlerweile Aktenpläne herangezogen werden, die Kommunen in Bundesländern erstellt haben, in denen die Kommunalen Landesverbände keinen landesweit einheitlichen Aktenplan für den kommunalen Bedarf erstellt haben, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland. Dort entsteht derzeit mit einem in jeder Kommune zu leistenden Tiefergliederungs-Aufwand zu einem vom Produktplan abgeleiteten Rahmen-Aktenplan eine vielgestaltige Landschaft von Aktenzeichen, die nur noch auf oberster Ebene standardisiert sind.

In Baden-Württemberg bieten die Kommunalen Landesverbände ihren Mitgliedern traditionell einen landesweit einheitlichen Aktenplan für den kommunalen Bedarf an. Hier untersuchte eine Arbeitsgruppe 2013 und 2014 die Wirkungen eines produktbasierten neuen Aktenplans und sprach sich einstimmig für die Fortführung des 0 bis 9-Aktenplans aus.

Externe Orientierung des Produktplans

Ein wichtiges Vergleichskriterium sind der primäre Zweck des jeweiligen Gliederungssystems und dessen Auswirkungen. Zweck des Produktplans Baden-Württemberg ist, „dass die Leistungen der Verwaltung unter den Gesichtspunkten Mengen, Kosten, Zeit und Qualität betrachtet und über Ergebnisse des Verwaltungshandelns gesteuert werden können“. Die genannten Ergebnisse des Verwaltungshandelns sind die Produkte. Ein wesentliches Instrument zur Erreichung des Ziels soll der angestrebte interkommunale Vergleich sein, ein Wettbewerb unter den Kommunen, der einen Prozess des „voneinander Lernens“ („best practice“) in Gang setzen sollte. Der Produktplan dient gleichzeitig in hohem Maße Zwecken der Finanzstatistik, was in Baden-Württemberg schon hinsichtlich der Verwaltungssteuerung „einige schmerzhafte Kompromisse“, so das Vorwort des Produktplans, erforderlich machte. Zusätzlich engten Anforderungen der IT-Technik den Spielraum bei der Gestaltung des Produktplans ein.

Ergebnisse des behördlichen Handelns im Mittelpunkt

Allen genannten Zwecken dient der Produktplan dadurch, dass er standardisierte Kennziffern für eine vergleichende Betrachtung des Verwaltungshandelns erhebt. Weil viele Verwaltungen die ihnen übertragenen Aufgaben mit sehr unterschiedlichen Personen, Standards und Methoden erledigen, sind sie auf der Tätigkeitsebene nur schwer miteinander vergleichbar. Deshalb wurde als Beobachtungs- und Vergleichsstandard beim Produktplan das gewählt, was beim Verwaltungshandeln herauskommt. Unabhängig davon, wie eine Verwaltung beispielsweise eine Kraftfahrzeugzulassung durchführt, egal ob sie davon große Teile elektronisch, mit einem oder mehreren Sachbearbeitenden erledigt, am Schluss hält der Antragsteller doch immer einen Bescheid über Zulassung oder Nichtzulassung in der Hand. Auf diesem Phänomen baut die Systematik des Produktplans auf. Er stellt also die Ergebnisse des behördlichen Handelns in den Mittelpunkt, die externen Ausprägungen des Verwaltungshandelns. Das Denken hinter dem Produktplan lässt sich ein Stück weit mit dem vom Front-Office beim Unternehmensmanagement vergleichen. Die Ergebnisse des Verwaltungshandelns sind vor allem jene Produkte, die die Kunden im Front Office nachfragen können.

Das Back-Office hingegen, das sich mit allen Vorgängen, die für die Erstellung des Produkts erforderlich sind, befasst, bleibt im Schatten. Aufgrund der externen Produktorientierung spielen zunächst alle internen Vorgänge, die zur Erstellung des Produktes führen und die für die Tätigkeit der Behörde an sich erforderlich sind, eine untergeordnete Rolle. Das Neue Kommunale Haushaltsrecht versucht, Kostentransparenz durch das Instrument der internen Verrechnungen herzustellen. Die Frage heißt: Wie soll Schriftgut intern „verrechnet“ werden? Was ist dann noch der Vorgang in einer Akte? Wie kann dann das von der obersten Rechtsprechung geforderte Prinzip der Aktenmäßigkeit des Verwaltungshandelns verwirklicht werden?

Hilfskonstrukte sind risikobehaftet

Die Orientierung des Produktplans an externen Produkten führt zu seiner relativen thematischen Schwäche hinsichtlich mancher Tätigkeiten des Verwaltungshandelns. Für interne Vorgänge, die Kosten produzieren und nicht einzelnen Produkten zugeordnet werden können, hat der bundeseinheitliche Produktrahmenplan als Behelf einen eigenen Produktbereich Innere Verwaltung eingefügt. Dieses Hilfskonstrukt umfasst Steuerungs-, Steuerungsunterstützungs- und Serviceleistungen. Daneben bildet dieser Produktbereich noch weitere Leistungen ab, die nicht einmal „klassische“ interne Produkte darstellen, etwa die Aufgaben der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die Kommunalaufsicht, das Abgabenwesen und Aufgaben des Grundstückverkehrs und der Grundstückverwaltung. Kann dieses Konglomerat mit allen Themen aus den Bereichen des kommunalen Verfassungsrechts, des Verwaltungsaufbaus, der Verwaltungsorganisation oder der Beziehungen zu staatlichen Organen oder übergreifenden Fachfragen zurechtkommen? Sicherlich lassen sich die Produktpläne bei der Weiterentwicklung zu Aktenplänen um Stellen ergänzen, denen diese Aufgaben zugeordnet werden können. Hilfskonstrukte laufen jedoch stets große Gefahr, zu Systembrüchen und strukturellen Mängeln zu führen. Denn der Aktenplan benötigt im Kern ein selbsterklärendes und für alle nachvollziehbares Begriffssystem.

Interne Orientierung des Aktenplans

Der klassische Kommunale Aktenplan hat eine andere Grundorientierung als der Produktplan. Er wird aus den Aufgaben einer Behörde entwickelt und orientiert sich an den internen Verwaltungsvorgängen, unabhängig davon, ob diese eher einem „Front-office“-Bereich oder einem „Back-office“-Bereich zuzuordnen wären. Er hat damit aber auch den „Back-office“-Bereich im Blick, in dem die Mehrzahl der Verwaltungsvorgänge, bei denen Schriftgut anfällt, stattfindet. Damit zielt er sehr stark auf die Art und Weise, in der eine Kommunalbehörde ihre Aufgaben wahrnimmt, unabhängig davon, ob Bürger die Ergebnisse nachfragen. Da das Schriftgut in einer Verwaltung bei allen Vorgängen im Back-Office-Bereich ebenso wie derjenigen im Front-Office-Bereich entsteht, kann es leichter mithilfe eines Aktenplans organisiert werden, der beide Bereiche im Blick hat, als einem, der sein Hauptaugenmerk auf den Front-Office-Bereich legt.

Auch Verwaltungsgerichte müssen in aller Regel der Frage nachgehen, wie eine Verwaltungsentscheidung zu Stande kam. Deshalb wird bei ihrer Entscheidungsfindung der Back-Office-Bereich eine große Rolle spielen und muss sorgfältig dokumentiert werden.

 

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

Der Beitrag erschien in „Die Gemeinde“ (BWGZ 01/2020).

 

Prof. Dr. Wolfgang Sannwald

Projektleiter des Kommunalen Aktenplans 21 Baden-Württemberg
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