07.06.2021

Erfolgloser Eilantrag auf verbindliche Regelung der Triage

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 16.07.2020 – 1 BvR 1541/20

Erfolgloser Eilantrag auf verbindliche Regelung der Triage

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 16.07.2020 – 1 BvR 1541/20

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Mehrere Bürger haben beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Verfassungsbeschwerde verbunden mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingereicht, weil es keine gesetzliche Regelung gibt, nach welchen Kriterien ärztliche Hilfe geleistet werden muss, wenn die Krankenhauskapazitäten gemessen an den zu behandelnden Patienten zu gering sind. Über die Verfassungsbeschwerde ist noch nicht entschieden. Über die einstweilige Anordnung wird in dem vorliegenden Verfahren entschieden.

Die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beziehen sich darauf, dass der Gesetzgeber noch keine Vorgaben für eine Situation der sog. Triage und damit noch keine Regelung über konkrete Priorisierungsentscheidungen von ärztlichen Hilfeleistungen getroffen hat, so dass die Entscheidung den Ärzten vorbehalten bleibt. Die Antragsteller sind behindert, gehören einer Risikogruppe an und/oder leiden unter Vorerkrankungen. Sie sehen wegen einer fehlenden gesetzlichen Regelung ihr Grundrecht auf Gleichbehandlung, ihr Recht auf Leben und Gesundheit und ihr Recht auf Menschenwürde als verletzt an. Ferner fordern sie von der Bundesregierung, ein Gremium einzusetzen, damit die genannten Schutzpflichten erfüllt werden können.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte keinen Erfolg.


Die einstweilige Anordnung zur Verpflichtung des Gesetzgebers

Nach § 32 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) kann das BVerfG zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund einen Zustand vorläufig regeln, wenn dies aus einem wichtigen Grund des Gemeinwohls dringend geboten ist.

Die für die vorläufige Regelung sprechenden Gründe müssen so schwerwiegend sein, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabweisbar machen. Sofern die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes beantragt wird, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Vorliegend geht es aber darum, den Gesetzgeber erst zur Gesetzgebung zu verpflichten. Zum Zeitpunkt des Verfahrens und der Entscheidung sind das Infektionsgeschehen und die intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten nicht so knapp, dass es zu Priorisierungsentscheidungen kommen wird.

Auch die Einsetzung des geforderten Gremiums wird die Situation der Beschwerdeführer nicht verbessern, da das Gremium nicht die Kompetenz haben wird, verbindliche Regelungen zu erlassen, was aber gerade das Ziel der Beschwerdeführer ist. Die Aufgaben zwischen den Staatsgewalten sind in Exekutive, Legislative und Judikative aufgeteilt und der Erlass einer einstweiligen Anordnung greift in diese Aufteilung in erheblichen Maße ein, ungeachtet des organisatorischen und finanziellen Aufwands. Die einsteilige Anordnung bietet überdies keine verbindliche konkrete Behandlungsentscheidung.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung scheitert daher an den geltenden Maßstäben der Eilbedürftigkeit und des wichtigen Grundes und der vorzunehmenden Folgenabwägung hinsichtlich der Nachteile für die Beschwerdeführer. Die Frage, ob und wann gesetzgeberisches Handeln in Erfüllung einer Schutzpflicht des Staats gegenüber behinderten, kranken Menschen verfassungsrechtlich geboten ist, und welchen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum der Gesetzgeber für die konkrete medizinische Priorisierungsentscheidungen hat, bedarf einer eingehenden Prüfung, die dem Eilverfahren nicht zugänglich ist.

 

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 16.07.2020 – 1 BvR 1541/20 –.

Fundstelle He 2021/65

 

 
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