30.11.2020

Die Untersagung von religiösen Zusammenkünften aufgrund einer Corona-Verordnung

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Die Untersagung von religiösen Zusammenkünften aufgrund einer Corona-Verordnung

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Die Fundstelle Hessen« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Der Antragsteller ist katholischen Glaubens und besucht regelmäßig die heilige Messe. Bis zum 19.04.2020 sind sämtliche Gottesdienste in dem Bistum, in dem der Antragsteller wohnt, abgesagt worden, obwohl das Bistum beabsichtigte, alle notwendigen hygienischen Maßnahmen zu beachten. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (HessVGH) hat den Antrag auf Außervollzugsetzung des § 1 Abs. 5 Corona-Verordnung abgelehnt. Der Antragsteller begehrt vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung (eA) mit dem Antrag, den Beschluss (HessVGH) aufzuheben und die Regelung in der Corona-Verordnung, wodurch religiöse Zusammenkünfte untersagt werden, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug zu setzen.

Der Antrag ist unbegründet.

Notwendigkeit einer Folgenabwägung

Zwar sieht § 32 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) vor, dass das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch eA regeln kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl geboten ist. Die Verfassungsbeschwerde als Verfahren der Hauptsache muss nicht gleichzeitig eingereicht sein. Sofern die noch einzureichende Verfassungsbeschwerde von vorne herein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, ist dem Antrag auf Erlass einer eA der Erfolg zu versagen. Ist der Ausgang des Hauptverfahrens offen, so sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die eA nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstehen, wenn die eA ergehen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg versagt bliebe. Vorliegend ist die Verfassungsbeschwerde, die noch zu erheben ist, zumindest nicht von vorneherein unzulässig oder unbegründet. Die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde bedarf einer eingehenden Prüfung, die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht vorgenommen werden kann. Über den Antrag auf Erlass der eA ist daher anhand der Folgenabwägung zu entscheiden.


Auswirkungen auf alle von der Regelung Betroffenen sind zu berücksichtigen

Die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe müssen so schwerwiegend sein, dass sie den Erlass einer eA unabweisbar machen.
Bei der Abwägung der Folgen sind die Auswirkungen auf alle, die von der angegriffenen Regelung betroffen sind, zu berücksichtigen, nicht nur die Folgen für den Antragsteller.
Sofern die eA nicht ergeht und die Verfassungsbeschwerde Erfolg hätte, so wäre die Untersagung religiöser Zusammenkünfte in der Corona-Verordnung zu Unrecht untersagt worden.

Die gemeinsame Feier der Eucharistie, des Opfergottesdienstes, ist nach katholischer Überzeugung ein zentraler Bestandteil des Glaubens, sodass das Verbot dieser Feier nicht durch andere Glaubensbetätigungen kompensiert werden kann und einen schweren Eingriff in die Religionsausübungsfreiheit darstellt.
Wird die Untersagung der Zusammenkünfte außer Vollzug gesetzt und dem Antrag des Antragstellers entsprochen, so ist zu erwarten, dass viele Menschen zu den Osterfeierlichkeiten kommen.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Untersagung von Zusammenkünften

Nach der Einschätzung des Robert-Koch-Instituts würde sich durch die Zusammenkünfte die Ausbreitung des Virus erheblich erhöhen und zwar auch durch Folgeinfektionen, weil die Infektion nicht nur diejenigen treffen würde, die am Gottesdienst teilgenommen haben. Der HessVGH hatte zu Recht angenommen, dass die Ausbreitung des hochinfektiösen Virus durch eine weitgehende Verhinderung sozialer Kontakte verlangsamt werden muss. Der Eingriff in die Glaubensfreiheit ist auf den 19.04. begrenzt und eine Fortschreibung des Verbots über den 19.04.2020 muss der Entwicklung der Corona- Pandemie Rechnung tragen, d. h. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein und ggf. das Verbot von Gottesdiensten unter Auflagen und regional gelockert werden.

Das Gleiche gilt auch für andere Religionsgemeinschaften, die alle durch die Corona- Verordnung betroffen sind. Gemeinsame Zusammenkünfte sind in allen Religionsgemeinschaften ein zentraler Bestandteil der Religionsausübung. Der Antrag auf einstweilige Anordnung war unter dem Gesichtspunkt der hochinfektiösen Krankheit COVID-19 und der Befristung des Verbots bis zum 19.04. abzulehnen. Eine weitere Verordnung über den Termin hinaus, muss das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen.

Fundstelle He 2020/201

 
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