04.11.2020

Die Teilstrecke einer Verkehrsanlage im Stadtumbaugebiet

Erschließungsbeitragsrecht und Besonderes Städtebaurecht

Die Teilstrecke einer Verkehrsanlage im Stadtumbaugebiet

Erschließungsbeitragsrecht und Besonderes Städtebaurecht

Die Lage eines Grundstücks in einem beschlossenen Stadtumbaugebiet hat keinen Einfluss auf die Erhebung von Erschließungsbeiträgen. | © Zhao jiankang - stock.adobe.com
Die Lage eines Grundstücks in einem beschlossenen Stadtumbaugebiet hat keinen Einfluss auf die Erhebung von Erschließungsbeiträgen. | © Zhao jiankang - stock.adobe.com

Dürfen Erschließungsbeiträge erhoben werden, wenn es sich um die Herstellung einer Teilstrecke einer Verkehrsanlage handelt, die von einem Stadtumbauprogramm erfasst wird? Wie sich zeigt, gilt hier Anderes als bei Grundstücken innerhalb förmlich festgelegter Sanierungsgebiete.

I. Ausgangsfall

Die Gemeinde stellt im Jahr 2017 die nach natürlicher Betrachtungsweise einheitliche, beidseitig angebaute, 1.000 m lange Innerortsstraße X erstmals endgültig her. Eine Teilstrecke dieser Erschließungsstraße von 500 m wird von einem Stadtumbauprogramm erfasst, dessen Festlegung als Stadtumbaugebiet gemäß § 171b BauGB im Jahr 2015 beschlossen worden ist. Das Grundstück des Herrn E liegt an dieser im Stadtumbaugebiet verlaufenden Teilstrecke. Herr E wendet sich gegen seine Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag und macht geltend, die Grenze des Stadtumbaugebietes begründe vergleichbar der Grenze eines förmlich festgelegten  Sanierungsgebietes eine rechtliche Beschränkung der räumlichen Ausdehnung der Straße X als beitragsfähiger Erschließungsanlage mit der Folge, dass die innerhalb des Stadtumbaugebietes liegende Teilstrecke nicht mehr zur beitragsfähigen Erschließungsstraße zähle und sein Grundstück deshalb erschließungsbeitragsfrei sei. Das führt auf die Frage, ob die Grenze des Stadtumbaugebietes im Erschließungsbeitragsrecht die gleichen rechtlichen Folgen wie die Grenze eines förmlich festgesetzten Sanierungsgebietes hat.

II. Grundstücke innerhalb förmlich festgelegter Sanierungsgebiete

§ 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB ordnet an, dass dann, wenn „im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 Abs. 2 (BauGB) hergestellt“ werden, „Vorschriften über die Erhebung von Beiträgen … auf Grundstücke im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet nicht anzuwenden sind“. Der dadurch bewirkte Ausschluss einer Erhebung von Erschließungsbeiträgen zugunsten bestimmter Grundstückseigentümer in einer Gemeinde findet seine Rechtfertigung darin, dass die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage im – gemäß § 142 Abs. 3 Satz 1 BauGB durch eine Sanierungssatzung – förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB grundsätzlich eine Ordnungsmaßnahme im Sinne des § 146 Abs. 1 BauGB ist und die Eigentümer von innerhalb des Sanierungsgebiets gelegenen Grundstücken gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB zur Finanzierung von Ordnungsmaßnahmen an die Gemeinde Ausgleichsbeträge zu leisten haben. Müssten sie für die gleiche Ordnungsmaßnahme noch zusätzlich Erschließungsbeiträge zahlen, führte das zu einer wirtschaftlichen Doppelbelastung dieser Eigentümer, die der Gesetzgeber durch die Ausschlussregelung des § 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB vermeiden wollte.[1]


Der Begriff „Erschließungsanlage“ in § 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB deckt sich in räumlicher Hinsicht nicht stets mit z.B. dem einer beitragsfähigen Anbaustraße (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB). Wie der Gesetzgeber durch die Regelung des § 130 Abs. 2 Satz 2 BauGB deutlich gemacht hat, ist die Anwendbarkeit des § 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB nicht abhängig davon, dass eine im Sanierungsgebiet verlaufende Straße in räumlicher Hinsicht einer beitragsfähigen Anbaustraße entspricht. Vielmehr begründet § 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB eine Ausnahme von der grundsätzlichen Maßgeblichkeit der natürlichen Betrachtungsweise für die Bestimmung von Anfang und Ende einer Anbaustraße; eine solche Anlage verliert ihre Qualität als beitragsfähige Erschließungsanlage dort, wo sie in ein förmlich festgelegtes Sanierungsgebiet übergeht, so dass die entsprechende Verkehrsanlage in einem solchen Fall in zwei verschiedene selbständige Anlagen zerfällt.[2] Soweit eine bei natürlicher Betrachtungsweise einheitliche Innerortsstraße von einer (nicht ein vereinfachtes Sanierungsverfahren im Sinne des § 142 Abs. 4 BauGB anordnenden) Sanierungssatzung erfasst wird und dem Finanzierungssystem des Sanierungsrechts unterliegt, kann „alleine die nicht im Sanierungsgebiet verlaufende Straßenstrecke“ eine beitragsfähige Erschließungsanlage sein.[3] Die Grundstücke, die an die im Sanierungsgebiet verlaufende Teilstrecke angrenzen, sind folglich erschließungsbeitragsfrei.

III. Grundstücke innerhalb beschlossener Stadtumbaugebiete

Mit Gesetz zur Anpassung an EU-Richtlinien vom 24. Juni 2004 (BGBl. I S. 1359) sind die Regelungen der § 171a bis 171d BauGB über den Stadtumbau als Dritter Teil in das Besondere Städtebaurecht eingefügt und durch Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes bei der Entwicklung in Städten und Gemeinden vom 22. Juli 2011 (BGBl. I S. 1509) fortgeschrieben worden. Ziel der Gesetzesvorhaben war es, der besonderen und in Zukunft zunehmenden Bedeutung von Stadtumbaumaßnahmen in Reaktion auf die Strukturveränderungen insbesondere in Demographie und Wirtschaft und den damit einhergehenden Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung Rechnung zu tragen.[4] Stadtumbaumaßnahmen sind gemäß § 171a Abs. 2 Satz 1 Maßnahmen, „durch die in von erheblichen städtebaulichen Funktionsverlusten betroffenen Gebieten Anpassungen zur Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen vorgenommen werden“. Die Gemeinde legt nach § 171b Abs. 1 Satz 1 BauGB das Gebiet, in dem Stadtumbaumaßnahmen durchgeführt werden sollen, als Stadtumbaugebiet durch Beschluss fest. Anders als im Sanierungsrecht erfolgt die Festlegung also nicht im Wege einer Rechtsnorm durch Satzung, sondern durch einfachen Beschluss des dafür zuständigen kommunalen Gremiums.[5]

Nach § 171b Abs. 4 BauGB sind die §§ 164a und 164b BauGB als Vorschriften der Städtebauförderung im Stadtumbaugebiet entsprechend anzuwenden. Während § 164a BauGB den Einsatz, d.h. die Verwendung von Städtebauförderungsmitteln bestimmt, regelt § 164b BauGB die Bereitstellung von Finanzmitteln durch den Bund. Dementsprechend können staatliche Städtebauförderungsmittel zur Deckung der Kosten für die Vorbereitung sowie für die einheitliche und zügige Durchführung der Stadtumbaumaßnahmen eingesetzt werden. Das betrifft Kosten für die Erstellung des kommunalen Entwicklungskonzepts und die Festlegung des Stadtumbaugebietes ebenso wie Kosten für die Durchführung der konkreten städtebaulichen Maßnahmen auf den Grundstücken im Stadtumbaugebiet.[6]

Dagegen enthalten die §§ 171a bis d BauGB keine Bestimmung, die eine entsprechende Anwendung der sanierungsrechtlichen Ausschlussregelung des § 154 Abs. 1 Satz 3 BauGB anordnet. Dazu besteht auch kein Anlass. Anders als Grundstücke innerhalb eines förmlich festgelegten Sanierungsgebietes werden nämlich Grundstücke innerhalb eines beschlossenen Stadtumbaugebietes, die von einer durch dieses Gebiet verlaufenden beitragsfähigen Erschließungsstraße erschlossen werden, einzig mit Erschließungsbeiträgen für die erstmalige endgültige Herstellung dieser Verkehrsanlage, nicht aber auch mit Kosten für Stadtumbaumaßnahmen durch die Erhebung von Ausgleichsbeträgen belastet. Deren Eigentümer haben keinen Beitrag zur Finanzierung derartiger Maßnahmen zu leisten, so dass eine wirtschaftliche Doppelbelastung durch Erschließungsbeiträge und derartige Finanzierungsleistungen entfällt, die Grund für die rechtliche Teilung einer Verkehrsanlage in Teilstrecken innerhalb und außerhalb des förmlich festgelegten Sanierungsgebietes ist.[7]  Folglich hat die Lage eines Grundstücks in einem beschlossenen Stadtumbaugebiet anders als die Lage in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiets keinen Einfluss auf die Erhebung von Erschließungsbeiträgen.

IV. Ergebnis

Anders als im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet werden im Stadtumbaugebiet mit Kosten für die Durchführung der jeweiligen Stadtumbaumaßnahmen nicht die Eigentümer der Grundstücke in dem betreffenden Gebiet belastet; vielmehr werden diese Kosten durch Städtebauförderungsmittel finanziert. Deshalb scheidet für Eigentümer von Grundstücken in Stadtumbaugebieten eine wirtschaftliche Doppelbelastung durch Erschließungsbeiträge einerseits und eine Beteiligung an den Kosten für Stadtumbaumaßnahmen andererseits schon vom Ansatz her aus, so dass kein Grund für die Teilung einer Verkehrsanlage in Teilstrecken innerhalb und außerhalb des Stadtumbaugebietes besteht. Angesichts dessen ist die Argumentation des Herrn E nicht geeignet, Zweifel an der Rechtmäßigkeit des an ihn gerichteten Erschließungsbeitragsbescheids zu begründen.

[1] Vgl. so schon die Begründung im Regierungsentwurf zum Städtebauförderungsgesetz, BT-Drucksache VI/510, S. 30; ferner u.a. BVerwG, Beschluss v. 21.1.2005 – 4 B 1.05 -.

[2] U.a. OVG Greifswald, Urteil v. 30.6.2004 – 1 L 189/01 – LKV 2005,75.

[3] OVG Lüneburg, Beschluss v. 26.11.2009 – 9 LA 175/08 -.

[4] Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucksache 15/2250, S. 32.

[5] Vgl. Roeser in Schlichter/Stich u.a., Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, § 171b Rn. 4.

[6] U.a. Roeser, a.a.O., § 171b Rn. 15.

[7] Im Ergebnis ebenso OVG Lüneburg, Urteil v. 24.8.2020 – 9 LB 146/17 -.

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator, vormals Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin
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