15.12.2011

Die Länder sind jetzt am Zug

Neues Infektionsschutzrecht muss bis zum 31.03.2012 umgesetzt werden

Die Länder sind jetzt am Zug

Neues Infektionsschutzrecht muss bis zum 31.03.2012 umgesetzt werden

Virus gegen Immunsystem: Die Häufigkeit von Infektionen in medizinischen Einrichtungen nimmt zu. | © Spectral-Design - Fotolia
Virus gegen Immunsystem: Die Häufigkeit von Infektionen in medizinischen Einrichtungen nimmt zu. | © Spectral-Design - Fotolia

Aus unterschiedlichsten Gründen wächst die Anfälligkeit gegenüber Infektionen, die in Einrichtungen des Gesundheitswesens oder Pflegeeinrichtungen erworben werden (sog. nosokomiale Infektionen). Experten gehen davon aus, dass sich allein in Deutschland jährlich bis zu 600.000 Patienten im Zusammenhang mit einer stationären oder ambulanten Behandlung eine Infektion zuziehen. Schätzungsweise zwischen 7.500 bis 15.000 von ihnen sterben jährlich daran.

Fachlichen Einschätzungen zufolge wären 20 bis 30 % dieser nosokomialen Infektionen und Todesfälle durch eine bessere Einhaltung der Infektionshygiene vermeidbar. Vor allem die Selektion und Weiterverbreitung von resistenten Krankheitserregern könnte durch eine sachgerechtere Verordnung von Antibiotika eingeschränkt werden. Das im Juli 2011 verabschiedete Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze soll vor diesem Hintergrund Abhilfe schaffen. Anliegen des Bundesgesetzgebers ist es, die Zahl der nosokomialen Infektionen, insbesondere mit resistenten Erregern, durch bessere Einhaltung von Hygieneregeln und eine sachgerechte Verordnung von Antibiotika sowie die Berücksichtigung von sektorenübergreifenden Präventionsansätzen zu senken.

Handlungsverpflichtung für die Länder

Die Länder werden verpflichtet, Verordnungen zur Infektionshygiene und zur Prävention von resistenten Krankheitserregern in medizinischen Einrichtungen zu erlassen. Derzeit haben lediglich Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Sachsen auf der Grundlage ihrer jeweiligen Landes-Krankenhausgesetze entsprechende Regelungen erlassen. Beispielgebend ist insoweit die nordrhein-westfälische Krankenhaushygieneverordnung. Länder, die bislang noch keine derartigen Hygienebestimmungen erlassen haben, befinden sich naturgemäß ungleich stärker in der Pflicht.


Für Krankenhäuser, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, in denen eine den Krankenhäusern vergleichbare medizinische Versorgung erfolgt, sowie für Dialyseeinrichtungen und Tageskliniken sollen die jeweils erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung, Erkennung, Erfassung und Bekämpfung von nosokomialen Infektionen und Krankheitserregern mit Resistenzen geregelt werden. Dabei sind insbesondere Regelungen zu treffen über hygienische Mindestanforderungen an Bau, Ausstattung und Betrieb der Einrichtungen, Bestellung, Aufgaben und Zusammensetzung einer Hygienekommission, die erforderliche personelle Ausstattung mit Hygienefachkräften und Krankenhaushygienikern und die Bestellung von hygienebeauftragten Ärzten sowie weitere Qualifikations-, Schulungs- und Informationsmaßnahmen.

Die Leiter von Krankenhäusern, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Dialyseeinrichtungen, Tageskliniken, Entbindungseinrichtungen und Behandlungs- oder Versorgungseinrichtungen, die mit einer der vorgenannten Einrichtungen vergleichbar sind, haben sicherzustellen, dass innerbetriebliche Verfahrensweisen zur Infektionshygiene in Hygieneplänen festgelegt sind.

Die Landesregierungen können überdies durch Rechtsverordnung vorsehen, dass Leiter von Zahnarztpraxen sowie Leiter von Arztpraxen und Praxen sonstiger humanmedizinischer Heilberufe, in denen invasive Eingriffe vorgenommen werden, sicherzustellen haben, dass innerbetriebliche Verfahrensweisen zur Infektionshygiene in Hygieneplänen festgelegt sind. Entsprechende Rechtspflichten für die zuletzt aufgeführten Einrichtungen bestehen also nur bei landesrechtlicher Konkretisierung.

Kompetenzerweiterung des Robert Koch – Instituts (RKI)

Durch das neue Gesetz wird am RKI die „Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie“ (Kommission ART) eingerichtet. Der Gesetzgeber hat sich von der Überlegung leiten lassen, dass Ärzte für ihre Therapieentscheidungen gut zugängliche und übersichtliche Informationen über die Resistenzlage, über Therapieprinzipien sowie über Therapie- und Diagnoseleitlinien benötigen, in denen die Standards für Diagnostik und Therapie benannt werden.

Die Zusammenstellung dieser Informationen soll eine zentrale Aufgabe der neuen Kommission ART sein. Sie soll allgemeine Grundsätze für Diagnostik und Antibiotika-Therapie unter Berücksichtigung der Infektionen mit resistenten Krankheitserregern empfehlen.

Verantwortlichkeiten

Die Leitungen von Krankenhäusern, Arzt- und Zahnarztpraxen und anderen enumerativ aufgeführten medizinischen Einrichtungen werden verpflichtet, die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft erforderlichen Präventionsmaßnahmen zur Infektionsvermeidung und gegen resistente Erreger durchzuführen. Die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) und die Empfehlungen der neuen Kommission ART werden mit einer dafür geltenden (widerlegbaren) Vermutungswirkung ausgestattet. Ähnliche Vermutungsregelungen gibt es bereits bei anderen gesundheitsrechtlichen Regelungsmaterien wie etwa im Medizinprodukterecht. Die widerlegbare Vermutung lässt im Einzelfall ein Unterschreiten der Empfehlungen zu, etwa wenn nicht erfüllte baulich-funktionelle Voraussetzungen durch betrieblich-organisatorische Maßnahmen kompensiert werden können. Die Vermutungswirkung entbindet andererseits die Adressaten nicht davon, den nach Erscheinen einer Empfehlung erfolgten wissenschaftlichen Fortschritt auch selbst zu verfolgen. Ein Überschreiten der Empfehlungen ist erforderlich, soweit diese objektiv nicht an den Stand der Wissenschaft angepasst sind.

Verbesserung der Informationswege

Nosokomiale Ausbrüche sind dem zuständigen Gesundheitsamt zu melden. Dieses stellt bei einer Meldung die erforderlichen Ermittlungen an und trifft notwendige Maßnahmen. Die Gesundheitsämter haben dem RKI über die zuständige Landesbehörde auch Informationen über nosokomiale Ausbrüche zu übermitteln. Zu den Informationen zählen vor allem Untersuchungsbefunde, wahrscheinlicher Infektionsweg, wahrscheinliches Infektionsrisiko sowie die Zahl betroffener Patienten. Infolge der Neuregelung soll das RKI in die Lage versetzt werden, die übermittelten Informationen über nosokomiale Ausbrüche auf epidemiologische Zusammenhänge hin zu untersuchen und die zuständigen Landesbehörden anhand der gewonnenen Erkenntnisse zu beraten oder, wenn Ausbrüche in anderen Krankenhäusern zu befürchten sind, durch Veröffentlichungen im Epidemiologischen Bulletin zu informieren.

Änderungen im SGB V

Verbesserungen in der hygienischen Versorgung sollen zudem durch Vergütungsanreize erzielt werden. Davon ausgehend, dass der besondere Aufwand, der sich aus der Sanierungsbehandlung einschließlich geeigneter Dokumentation zur Evaluation, den mikrobiologischen Verlaufskontrollen oder der Betreuung MRSA-infizierter oder -besiedelter Patienten ergibt, bisher nicht ausreichend berücksichtigt wird, wurde bestimmt, dass für die ambulante Sanierung (Therapie) einschließlich Beratung und Dokumentation von MRSA-besiedelten bzw. MRSA-infizierten Patienten sowie für diagnostische Untersuchungen auf eine Besiedlung in indizierten Fällen gemäß den von der KRINKO benannten Risikogruppen gesonderte Gebührenordnungspositionen aufzunehmen sind.

Zur Verbesserung der Patientensicherheit wird der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beauftragt, Anforderungen an die Qualität der Hygiene in der Versorgung festzulegen, beispielsweise zum internen Qualitätsmanagement oder zur Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Um eine Bewertung der Qualität der hygienischen Versorgung im Bereich der Krankenhäuser sicherzustellen, soll der G-BA außerdem Indikatoren festlegen, mit denen relevante Qualitätsaspekte der hygienischen Versorgung geprüft und zwischen den Einrichtungen verglichen werden können. Die Ergebnisse sollen in die Qualitätsberichte der Krankenhäuser aufgenommen werden. Zielsetzung ist, dass sich Patienten gezielt über die Hygienequalität in einzelnen Krankenhäusern informieren können.

Ausblick

Der Bundesgesetzgeber hat zutreffend erkannt, dass nachhaltige Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Zahl nosokomialer Erkrankungen zu senken. Bei der weiteren Umsetzung sind nunmehr die Länder am Zug – auf der Rechtsetzungsebene wie im Verwaltungsvollzug. Daneben wird es (noch) weiterer Anstrengungen aller Beteiligten im Gesundheitswesen bedürfen, denn Gesetze und Vorschriften nützen wenig, wenn im Alltag einfachste Hygieneregeln missachtet werden. Zu einem solchen Maßnahmenpaket gehört z. B. die Aufklärung der Bevölkerung zu den Themen „persönliche Hygiene“, „Krankenhaushygiene“ und „Antibiotika-Einsatz“, die Fortbildung für Ärzte zum angemessenen Umgang mit Antibiotika, die Förderung von Qualitätsnetzwerken zur Verbesserung von Hygienestandards, die Förderung von Aus- und Weiterbildung rund um das Thema Hygiene für alle im Bereich von Medizin und Pflege tätigen Beschäftigten u. a.m.

 

Dr. Frank Stollmann

Leitender Ministerialrat
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