15.12.2011

Inklusion nicht zum Nulltarif

Kein Anwendungsfall von Konnexität – Replik zu PUBLICUS 2011.11

Inklusion nicht zum Nulltarif

Kein Anwendungsfall von Konnexität – Replik zu PUBLICUS 2011.11

Der Freistaat Bayern wird die Kommunen bei ihrer Aufgabe nicht im Regen stehen lassen. | © filograph - Fotolia
Der Freistaat Bayern wird die Kommunen bei ihrer Aufgabe nicht im Regen stehen lassen. | © filograph - Fotolia

Mit dem Gesetz zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Schulbereich hat der Bayerische Landtag einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg hin zu einem inklusiven Schulsystem in Bayern gesetzt. Besonders erfreulich ist die fraktionsübergreifende Geschlossenheit bei dieser für die gesamte Gesellschaft wichtigen Frage. Klar ist aber auch: Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif – Leistungen des Staates und der Kommunen sind daher zwingend erforderlich. So hat der Freistaat für den Einstieg in die Inklusion z.B. 200 zusätzliche Stellen für die Jahre 2011 und 2012 zur Verfügung gestellt.

Auf dieser Basis konnte Bayern mit 41 Schulen, die das Schulprofil „Inklusion“ tragen, in das Schuljahr 2011/12 starten. Hiermit leistet der Freistaat bereits einen wichtigen ersten finanziellen Beitrag zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Weitere Schritte sind erforderlich und werden folgen. Neben dem Freistaat sind dabei auch die Kommunen gefragt. Denn: Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist gemeinsame Aufgabe von Staat und Kommunen. Diese Tatsache berücksichtigt Reiner Knäusl, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Bayerischen Städtetages, in seinem Beitrag zu Konnexität und Inklusion (PUBLICUS 2011.11) aber leider nicht. Sein Vorwurf, der Freistaat drücke sich bei der Inklusion um seine Zahlungspflicht, ist daher unbegründet.

Konnexität bedeutet: Wenn der Staat den Kommunen eine neue Aufgabe überträgt oder besondere Anforderungen an die Aufgabenerfüllung stellt, muss er Mehrbelastungen der Kommunen finanziell ausgleichen. Dies ist ein richtiges und wichtiges Prinzip der Bayerischen Verfassung. Die Voraussetzungen für die Konnexität nach Art. 83 Abs. 3 der Bayerischen Verfassung sind bei dem Gesetz zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im schulischen Bereich aber nicht erfüllt.


Inklusion ist für die Kommunen keine neue Aufgabe

Erster und wichtigster Grund: Das Gesetz zur Inklusion an Schulen schafft für die Kommunen keine neue Aufgabe. Schließlich konnten Schülerinnen und Schüler mit Behinderung oder sonderpädagogischem Förderbedarf auch bisher schon die allgemeinen Schulen besuchen. Aufwendungen für behinderte Schülerinnen und Schüler sind bereits seit 1994 Teil des Schulaufwands der Regelschule, den in der Regel die Kommunen tragen. Dies ist unverändert geblieben. Im Zuge der Bemühungen um mehr Integration müssen sich die Kommunen als Schulaufwandsträger daher den Veränderungen, die z.B. durch die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention erforderlich werden, genauso stellen wie der Freistaat. Unverhältnismäßige Maßnahmen werden ihnen dabei nicht abverlangt.

Denn: Die Kommunen können – wie bisher – die Aufnahme eines Kindes oder eines Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Förderschwerpunkten Sehen, Hören sowie körperliche und motorische Entwicklung in ihre jeweilige Regelschule ablehnen, wenn für sie erhebliche zusätzliche Kosten entstehen. Auch werden Schulen mit dem Profil „Inklusion“ nur im breiten Konsens der gesamten Schulfamilie eingerichtet. Zudem ist die Einrichtung von Klassen mit festem Lehrertandem von der Zustimmung des Sachaufwandsträgers abhängig – dies galt bisher schon für die Einrichtung von Kooperationsklassen. Von einer Verpflichtung der Kommunen durch den Staat kann insoweit keine Rede sein.

Außerdem begründet die Aufgabe der Schulen zu inklusivem Unterricht keinen unmittelbaren Anspruch des Einzelnen gegen Freistaat und Kommunen. Es gelten vielmehr die Vorschriften des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) und des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes (BaySchFG), die diesen Auftrag konkretisieren – so z.B. auch der bereits genannte Zustimmungsvorbehalt der Sachaufwandsträger. Das neue BayEUG ist aber gerade auf einen schrittweisen Prozess angelegt, auch wenn es das Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention klar benennt und an die gesamte Schulgemeinschaft richtet.

Barrierefreiheit schon bisher verlangt

Auch die Vorgabe, Schulgebäude barrierefrei zu errichten, ist nicht neu, sondern war im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren schon bisher in der Bayerischen Bauordnung enthalten. So gelten auch die Regelungen der Bauordnung zu bestehenden öffentlichen Einrichtungen unverändert fort – hier täuscht sich Knäusl. So heißt es bereits bisher in der Bayerischen Bauordnung: „Bei bestehenden baulichen Anlagen (…) soll die Bauaufsichtsbehörde verlangen, dass ein gleichwertiger Zustand hergestellt wird, wenn das technisch möglich und dem Eigentümer wirtschaftlich zumutbar ist.“

Barrierefreiheit ist nicht erst seit der UN-Behindertenrechtskonvention ein wichtiges Thema, sondern wurde schon in den vergangenen Jahrzehnten von Menschen mit Behinderung angemahnt und in der Öffentlichkeit thematisiert. Wir haben uns alle vielleicht nur nicht hinreichend damit befasst – da sind andere Länder in Europa weiter. So mussten und müssen sich z.B. die Kommunen fragen lassen: Was geschieht mit dem Schüler eines Gymnasiums, der nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt, wenn das Schulhaus nicht barrierefrei ist? Muss er deswegen etwa in ein anderes Gymnasium (das es im ländlichen Bereich in der Nähe unter Umständen gar nicht gibt) wechseln? Selbst wenn der Schüler im konkreten Einzelfall zum Besuch einer Förderschule berechtigt wäre: Es gibt gar keine Gymnasien zur sonderpädagogischen Förderung. Der Besuch des (Regel-)Gymnasiums muss daher für den Schüler im Rollstuhl sichergestellt sein. Kann dann aber etwas anderes für einen entsprechenden Schüler der Mittelschule gelten, nur weil dieser die Alternative eines Förderschulbesuchs hat? Wohl kaum. Zu beachten ist dabei auch, dass der Besuch der Förderschule teilweise mit weiten Fahrtstrecken oder – aufgrund der Entfernung – gar mit einem Heimaufenthalt verbunden sein kann.

Schließlich darf nicht vergessen werden, dass barrierefreie Gebäude nicht nur Menschen mit Behinderung zugutekommen. Das wissen am besten diejenigen, die schon einmal vorübergehend ein Handicap hatten, oder aber auch Mütter, die z.B. neben ihrem Schulkind auch noch ein Kind haben, das im Kinderwagen geschoben werden muss.

Mehr Kinder werden Chance zur Inklusion nutzen

Das seit dem laufenden Schuljahr geltende Gesetz zur Inklusion schafft also keine neue Aufgabe für die Kommunen. Es kann aber dazu führen, dass künftig mehr Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf ihre Möglichkeit nutzen, an allgemeinen Schulen unterrichtet zu werden. Staat und Kommunen werden daher für ihre Kinder mehr Geld investieren müssen. Warum diese Kosten aber allein vom Staat zu bezahlen sind, lässt Knäusl in seinem Bericht offen.

Bund, Länder und Kommunen durch UN-Konvention verpflichtet

Außerdem gilt: Die UN-Behindertenrechtskonvention ist durch Bundesgesetz in Deutschland umgesetzt worden und bindet damit Bund, Länder und Kommunen gleichermaßen. Der Freistaat hatte diesbezüglich gar keinen Entscheidungsspielraum. Neue Zuständigkeiten für die Kommunen sind nicht begründet worden. Außerdem sind die kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene bei der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention angehört worden und haben keine inhaltlichen Vorbehalte gegen die Ratifizierung der Konvention in deutsches Recht geäußert.

In der Sache einig – Einigkeit auch bei Kostenverteilung notwendig

Das Miteinander von Menschen mit und ohne Förderbedarf ist eine gute und wichtige Sache – darin sind sich alle Beteiligten einig. Einigkeit muss aber auch bei der Kostenverteilung praktiziert werden. Schulaufwand ist Sache der Kommunen – Personalaufwand ist Sache des Freistaates; der Freistaat unterstützt die Kommunen bei ihrer Aufgabe im Wege des Finanzausgleiches. Dass der Freistaat die Kommunen bei ihrer Aufgabe nicht im Regen stehen lassen wird, wurde bereits mehrfach betont. Nur vollständig aus ihrer Mitverantwortung entziehen können sich die Kommunen nicht.

 

Ministerialdirektor Dr. Peter Müller

Dr. Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München
n/a