15.12.2011

Vergabe von Netz-Konzessionen

Vergaberecht und Rechtsschutz nach dem Beschluss des VG Aachen

Vergabe von Netz-Konzessionen

Vergaberecht und Rechtsschutz nach dem Beschluss des VG Aachen

Auch bei der Konzessionsvergabe bewegt sich der Auftraggeber nicht im rechtsfreien Raum. | © rcx - Fotolia
Auch bei der Konzessionsvergabe bewegt sich der Auftraggeber nicht im rechtsfreien Raum. | © rcx - Fotolia

Der Rechtsschutz gegen die Vergabe von Netz-Konzessionen nach § 46 EnWG durch die konzessionserteilende Gemeinde ist derzeit im Fokus der gerichtlichen und behördlichen Entscheidungspraxis. Noch gibt es hierzu seit Veröffentlichung des Gemeinsamen Leitfadens zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers von Bundeskartellamt (BKartA)-Bundesnetzagentur (BNetzA) vom 15. 12. 2010 keine weitreichende Entscheidungspraxis. Jedoch hat das BKartA erst kürzlich eine erste Entscheidung veröffentlicht (Konzessionsvergabe der Kreisstadt Dinkelsbühl (PDF). Weitere Verfahren vor dem BKartA sind aber noch anhängig.)

Während der Leitfaden die Rechtsauffassung von BKartA und BNetzA eindeutig darlegt und das BKartA indirekt Missbrauchsverfahren angekündigt hatte, kam die einstweilige Anordnung des VG Aachen eher überraschend. Darin untersagte das VG eine Konzessionsvergabe vorläufig (VG Aachen, Beschl. v. 13. 09. 2011, Az. 1 L 286/11). Anhand dieses Beschlusses soll nachfolgend kurz skizziert werden, inwieweit der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz bei Konzessionsvergaben zur Anwendung kommt.

Einstweilige Anordnung des VG Aachen – Was war passiert?

Auf den ersten Blick erscheint es überraschend, dass ein Verwaltungsgericht über den Abschluss eines Wegenutzungsvertrags nach § 46 EnWG entschieden hat. Denn gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG sind die Landgerichte ausschließlich zuständig für solche Rechtsstreitigkeiten, bei denen die Entscheidung ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach dem EnWG zu treffen ist. Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts erschließt sich aber, wenn man einen Blick auf den zugrundeliegenden Sachverhalt wirft.


Das VG Aachen hat mit Beschluss vom 13. 09. 2011 im einstweiligen Rechtsschutz der Gemeinde untersagt, einen Ratsbeschluss zu vollziehen, bis die Gemeinde eine neue Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts getroffen hat. Die Gemeinde hatte am 20. 07. 2011 beschlossen, das Angebot auf Abschluss eines Wegenutzungsvertrages eines Konzessionsbewerbers anzunehmen. Dies teilte sie dem Wettbewerber um diese Konzession per Brief am 21. 07. 2011 mit. Daraufhin beantragte dieser Wettbewerber die vorläufige Untersagung des Vollzugs des Ratsbeschlusses. Das VG Aachen hatte substantielle Bedenken, ob das vergaberechtliche Transparenzgebot eingehalten wurde.

Die Rechtswegzuständigkeit – Verwaltungsgericht oder Landgericht?

In diesem Verfahren geht es mithin um die Untersagung hoheitlichen Handelns, so dass grundsätzlich der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VwGO zu beschreiten wäre. Allerdings stellt sich in materiell-rechtlicher Hinsicht die Frage, ob die zu entscheidende Rechtsfrage – verletzt der Ratsbeschluss die einzuhaltenden Vorgaben bei dem (Neu-) Abschluss von Wegenutzungsverträgen i.S.v. § 46 EnWG – von einer Entscheidung nach dem EnWG abhängt. Wenn dies der Fall wäre, wäre gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG das Landgericht ausschließlich zuständig.

Das VG Aachen verweist in diesem Beschluss auf den eigenen Beschluss vom 22. 07. 2011, in dem das VG maßgeblich argumentiert, die Entscheidung in der Sache hänge nicht vom EnWG ab. § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG bestimme grundsätzlich nur die Verpflichtung der Gemeinde, ihre öffentlichen Verkehrswege diskriminierungsfrei durch Vertrag zur Verfügung zu stellen. Das VG leitet die „Kautelen“, unter denen ein solcher Vertrag zu schließen ist, unmittelbar aus dem Unionsrecht (u. a. Richtlinie EG 2003/54, EG 2003/55 – Beschleunigungsrichtlinien Strom und Gas) ab, deren Umsetzung das EnWG dient.

Es bleibt abzuwarten, ob diese Rechtsprechung Bestand hat. Denn § 46 Abs. 1 EnWG ordnet den diskriminierungsfreien Abschluss von Wegenutzungsverträgen an und auch § 46 Abs. 3 EnWG enthält Vorgaben, die beim Abschluss von Wegenutzungsverträgen zu beachten sind. Insofern kommen die (nachfolgend dargestellten) Grundsätze des Vergaberechts wohl nur über das Tatbestandsmerkmal „diskriminierungsfrei“ zur Anwendung – jedoch nicht unmittelbar. Der § 46 EnWG dient ja gerade – wie das Verwaltungsgericht selbst feststellt – der Umsetzung der Beschleunigungsrichtlinien Strom und Gas. Geht man vor diesem Hintergrund von einer Entscheidungserheblichkeit des EnWG aus, wäre das VG Aachen nicht zuständig gewesen. Es hätte die Klage als nicht zulässig abweisen oder an das zuständige Landgericht verweisen müssen (Vgl. Keßler, Berliner Kommentar zum Energierecht, Band 2, 2. Auflage, 2010, Rn.11).

Gegen diesen Beschluss ist zwischenzeitlich von allen Verfahrensbeteiligten Beschwerde zum OVG Münster eingelegt worden. Das Beschwerdeverfahren wird dort unter dem Aktenzeichen 11 B 1187/11 geführt; ein Verhandlungstermin ist noch nicht anberaumt worden.

Der vergaberechtliche Hintergrund – Anforderungen an eine Konzessionsvergabe

Aus vergaberechtlicher bzw. dienstleistungskonzessionsrechtlicher Perspektive enthält die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes keine Überraschungen:

Konzessionsvergaben können auch auf Primärrechtsebene auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Anerkanntermaßen findet das (Kartell-)Vergaberecht nach den §§ 97 ff. GWB für – wie hier – Dienstleistungskonzessionen zwar keine Anwendung. Hintergrund hierfür ist, dass nach Art. 1 Abs. 1 der Rechtsmittelrichtlinie (RL 89/665/EWG) der Anwendungsbereich des Rechtsschutzes auf den Anwendungsbereich der Vergabekoordinationsrichtlinie (RL 2004/18/EG) beschränkt ist und Dienstleistungskonzessionen von letztgenannter Richtlinie ausgenommen sind. Auf nationaler Ebene finden in dieser Folge daher auch eine primärrechtliche Nachprüfung von Konzessionsvergaben vor den Vergabespruchkörpern nach den §§ 102 ff. GWB keine Anwendung (siehe dazu beispielsweise BGH, Beschl. v. 08. 02. 2011, Az. X ZB 4/10 und OLG München, Beschl. v. 25. 03. 2011, Az. Verg 4/11).

Hieraus darf – und dies macht die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes deutlich – jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass Vergaben auf dem Gebiet der Dienstleistungskonzession im rechtsfreien Raum und gänzlich ohne primärrechtliche Überprüfungsmöglichkeit durch unterlegene Bieter stattfinden. So hat der Europäische Gerichtshof bereits mehrfach hervorgehoben, dass öffentliche Stellen, die einen Vertrag über Dienstleistungskonzessionen abschließen – ungeachtet des Umstandes, dass diese nicht der Richtlinie 2004/18/EG unterfallen (s.o.) –, die Grundregeln des EG-Vertrages und hierbei insbesondere das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie die daraus folgenden Transparenzpflichten zu beachten haben (siehe dazu zuletzt EuGH, Urt. v. 10. 03. 2011, Az. C-274/09). Danach hat die konzessionserteilende Stelle ohne zwangsläufig eine Verpflichtung zur Ausschreibung zu implizieren, zu Gunsten der potentiellen Konzessionsnehmer einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherzustellen, der die öffentlichen Dienstleistungskonzessionen im Wettbewerb öffnet. So führt der Gerichtshof aus, dass ein völliges Fehlen einer Ausschreibung im Fall der Vergabe einer Dienstleistungskonzession weder den Anforderungen nach Art. 49 AEUV (früher Art. 43 EGV) und 56 AEUV (früher Art. 49 EGV) noch den Grundsätzen der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und der Transparenz entsprechen würde (EuGH, Urt. v. 13. 11. 2008, Az. C-324/07; Urt. v. 21. 07. 2005, Az. C-231/03; Urt. v. 13. 04. 2010, Az. C-91/09 und Urt. v. 06. 04. 2006, Az. C-410/04).

Neben einem angemessenen Grad an Öffentlichkeit wird zudem gefordert, dass die konzessionserteilende Stelle die für die Auswahl des Bestbieters zugrundeliegenden Zuschlags- bzw. Vergabekriterien (Preis, Qualität der Leistung etc.) sowie die wesentlichen technischen und wirtschaftlichen Leistungs- bzw. Rahmendaten der zu vergebenden Konzession gegenüber allen Interessenten offenlegt. ?In diesem Sinne führt auch das Verwaltungsgericht zutreffend aus, dass zu einer die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts sichernden Verfahrensgestaltung insbesondere gehöre, dass „behördliche Auswahlkriterien den Bewerbern so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass sie sich darauf einstellen können und Chancengleichheit gewährleistet ist“. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass alle Interessenten gleich und diskriminierungsfrei behandelt werden (so auch schon VG Hannover, Urt. v. 09. 08. 2011, Az. 7 A 5683/10 und VG Münster, Beschl. v. 09. 03. 2007, Az. 1 L 64/07).

Diese verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen wären allerdings wirkungslos, wenn ein Bieter diese Mindeststandards nicht gerichtlich einfordern und das Vergabeverfahren im Wege einer Primärrechtskontrolle überprüfen lassen könnte. Diese Überprüfungsmöglichkeit gebietet nicht zuletzt Art. 19 Abs. 4 GG, wonach dort, wo auf materieller Ebene ein subjektives Recht besteht, auch dessen Durchsetzung vor Gericht eröffnet sein muss. So kommt auch das Verwaltungsgericht Aachen zutreffend zu dem Ergebnis, dass der Antragstellerin in dem konkreten Fall einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO zu gewähren war. Das Verwaltungsgericht Aachen reiht sich hierbei jedoch nur in eine bereits bestehende Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte ein. So haben vor ihm bereits andere Verwaltungsgerichte den Verwaltungsrechtsweg für Konzessionsvergaben eröffnet (siehe dazu beispielsweise VG Mainz, Beschluss vom 30. 08. 2010, Az. 6 L 849/10; OVG Münster, Beschl. v. 04. 05. 2006, Az. 15 E 453/06; Beschl. v. 09. 03. 2007, Az. 1 L 64/97; VG München, Beschl. v. 17. 10. 2007, Az. M 7 K05.5966).

Keine Pflicht zu Vorabinformation

Dass diese gerichtliche Kontrollmöglichkeit noch nicht in dem Maße in das Bewusstsein der Marktteilnehmer sowohl auf Auftraggeber- als auch auf Konzessionärsseite getreten ist, mag nicht zuletzt auch an Folgendem liegen: Im Kartellvergaberecht besteht die Informations- und Wartepflicht nach § 101a GWB (früher § 13 VgV a. F.), wonach der Auftraggeber vor Zuschlagserteilung diejenigen Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll, zu informieren hat.

Sinn und Zweck dieser Regelung ist, dass der nicht berücksichtigte Bieter die Möglichkeit erhalten soll, die beabsichtigte Zuschlagsentscheidung, soweit sie ihn in seinen subjektiven Rechten verletzt, vor den Vergabenachprüfungsinstanzen überprüfen zu lassen. Denn nach Zuschlagserteilung ist eine solche Nachprüfung grundsätzlich nicht mehr möglich, § 114 Abs. 2 S. 1 GWB.

Nach überwiegender Meinung besteht für Konzessionsvergaben keine solche Vorab-Informationspflicht, auch nicht analog § 101a GWB. Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass die Rechtsmittelrichtlinie – wie bereits oben dargelegt – nur den Anwendungsbereich der Vergabekoordinationsrichtlinie erfasst und Dienstleistungskonzessionen davon eben ausgenommen sind ( siehe dazu beispielsweise VK Arnsberg, Beschl. v. 26. 10. 2005, Az. VK 15/05; siehe dazu kritisch Vavra, VergabeR 2010, S.351 ff. und Burgi, NZBau 2005, S. 610 ff.).

Die (fehlende) Vorab-Information bei den Konzessionsvergaben kann aber auch für den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz unmittelbare Folgen haben. So führt das Verwaltungsgericht Aachen aus, dass ein effektiver Rechtsschutz nach den Grundsätzen des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO nicht mehr eröffnet sei, wenn der streitbefangene Vertrag zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits unterzeichnet worden sei. Der öffentliche Auftraggeber könne von dem einmal geschlossenen Vertrag grundsätzlich nicht mehr einseitig zurücktreten, so dass es dann auch an dem notwendigen Anordnungsgrund, d. h. der Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz, fehle.

In dem konkreten Fall war der Konzessionsvertrag noch nicht unterschrieben, da der Zuschlagserteilung ein Gemeinderatsbeschluss vorausgehen musste und die Antragstellerin hierdurch Kenntnis von der beabsichtigten Zuschlagserteilung erhielt. Bis zum Vollzug des Gemeinderatsbeschlusses durch den Bürgermeister blieb der Antragstellerin also hinreichend Zeit für die Einleitung des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO.

Zusammenfassung und Ausblick

Zusammenfassend zeigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen einmal mehr, dass Gaskonzessionsverträge in aller Regel Dienstleistungskonzessionen darstellen. Das streng formalisierte Kartellvergaberecht findet dabei keine Anwendung. Gleichwohl macht das Verwaltungsgericht deutlich, dass auch die Vergabe von Konzessionen nicht in einem rechtsfreien Raum stattfindet und einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. Um den Mindeststandards des Europäischen Gerichtshofes für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen gerecht zu werden, empfiehlt es sich, das Konzessionsverfahren an bekannten Verfahrensarten, insbesondere dem Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb nach der VOL/A, anzulehnen.

 

Jan-Michael Dierkes

Rechtsanwalt White & Case LLP, Hamburg
 

Dr. Florian-Alexander Wesche

Rechtsanwalt, Local Partner White & Case LLP, Düsseldorf
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