15.12.2011

Die Wiederentdeckung des Beihilfenrechts

Ende des "Dornröschenschlafs" – Was erwartet die Kommunalwirtschaft?

Die Wiederentdeckung des Beihilfenrechts

Ende des "Dornröschenschlafs" – Was erwartet die Kommunalwirtschaft?

Auch Kommunen sind Unternehmen und unterliegen der beihilferechtlichen Kontrolle. | © K.-U. Häßler - Fotolia
Auch Kommunen sind Unternehmen und unterliegen der beihilferechtlichen Kontrolle. | © K.-U. Häßler - Fotolia

Seit 01. 01. 1958 ist die Unterstützung von Unternehmen jeder Art aus staatlichen Mitteln ohne Genehmigung der Europäischen Kommission strikt verboten. Gleichwohl dauerte es mehr als 50 Jahre, bis sich Ende der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts die Erkenntnis durchsetzte, dass dieses Verbot staatlicher Beihilfen auch für Tätigkeiten der öffentlichen Hand in nicht verselbständigten Organisationsformen und für öffentliche Daseinsvorsorgeleistungen gilt, sofern ein potentieller Marktbezug besteht. Diese Erkenntnis trifft vor allem Kommunen und deren Unternehmen. Jahrzehntelang konnte man – trotz eines latenten Problembewusstseins – die Frage nach der Beihilfenrechtskonformität öffentlicher Finanzierungen getrost dahingestellt sein lassen. Von den Steuerbehörden wurde Beihilfenrecht nicht geprüft, Wirtschaftsprüfer haben in aller Regel keine Abbildung derartiger Risiken in den Jahresabschlüssen verlangt, benachteiligte Privatunternehmen hatten keine Klagebefugnis und die Europäische Kommission in Brüssel war weit weg.

Der neue IDW-Prüfungsstandard PS 700

Seit diesem Jahr hat sich allerdings die relativ komfortable Situation der Kommunalwirtschaft deutlich geändert. Nach mehrjähriger Beratung hat das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) dem Berufsstand einen spezifischen Prüfungsstandard zur Bewertung beihilfenrechtlicher Risiken in den Jahresabschlüssen „… insbesondere … öffentlicher Unternehmen“ an die Hand gegeben. Der neue Prüfungsstandard „IDW PS 700“ wurde am 07. 09. 2011 vom Hauptfachausschuss des IDW verabschiedet und im Oktoberheft der IDW-Fachnachrichten veröffentlicht. Somit ist dieser Standard mit den dort festgesetzten Anforderungen in jedem Fall verbindlich für die im nächsten Jahr anstehenden Prüfungen der Jahresabschlüsse 2011 und natürlich aller Folgejahre. Verbindlich war nach Tz. 30 des IDW PS 201 sogar schon der Entwurf des neuen Prüfungsstandards zum Beihilfenrecht, der am 23. 06. 2010 veröffentlicht worden war. Schon bei den Jahresabschlüssen des Jahres 2010 hätten die Wirtschaftsprüfer also beihilfenrechtlichen Sachverhalten verstärkt nachgehen müssen.

Seit dem 07. 09. 2011 sind nun alle Vermeidungsstrategien definitiv abgeschnitten. Beihilfenrecht ist im Zweifel ein eigenes Prüfungsfeld in der Jahresabschlussprüfung öffentlich geförderter Unternehmen (IDW PS 700, Tz. 38), und die Prüfer haben darauf zu achten, „… ob Beihilfen im Jahresabschluss ordnungsgemäß abgebildet und die erforderlichen Angaben im Lagebericht gemacht sind“ (IDW PS 700, Tz. 2). Damit ändert sich nicht so sehr die rechtliche Situation, denn finanzielle Risiken aus rechtswidrigem Verhalten war immer schon legitimer Gegenstand jeder Abschlussprüfung. Was sich aber dramatisch verschiebt, ist die Wahrnehmungsper-spektive. Das Verbot staatlicher Beihilfen, das bisher immer ein Spezialistendasein fristete, wird mit dem neuen PS 700 ab sofort in das Bewusstsein jedes Abschlussprüfers gehoben, und adäquate Reaktionen auf festgestellte Risiken werden verbindlich vorgeschrieben. Zivilrechtliche Verträge, welche die Grundlage unzulässiger Beihilfen abgeben, sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BGH, Urt. v. 20. 01. 2004 – XI ZR 53/03) nichtig. Einer solchen Feststellung müsste in der Buchhaltung begünstigter Unternehmen bei strenger Rechtsanwendung durch die Passivierung einer Rückstellung für die Rückgewährverpflichtungen Rechnung getragen werden (IDW PS 700, Tz. 37).


Noch weitreichender sind die Auswirkungen, wenn es sich bei dem beihilfengewährenden Vertrag um einen Ergebnisabführungsvertrag zwischen Konzernunternehmen handelt. Dann ist nicht nur der Verlustausgleich rückabzuwickeln, sofern das überhaupt möglich ist, sondern es werden vor allem die im Querverbund in Anspruch genommenen Einsparungen bei Körperschafts- und Gewerbesteuer hinfällig, und zwar rückwirkend bis zur Bestandskraft des letzten Steuerbescheids.

Ob der Bestandsschutz für sogenannte Altbeihilfen (vgl. Art. 108 Abs. 1 AEUV) insoweit einen sicheren Rettungsweg eröffnet (so FG Köln, Urt. v. 09. 03. 2010 – 13 K 3181/05), erscheint angesichts der gegenteiligen Rechtsprechung des BFH (BFH, Urt. v. 22. 08. 2007 – I R 32/06) und der Neuregelung im Jahressteuergesetz 2009 durchaus fraglich.

Ein solcher „worst case“ kann, wie das IDW richtig bemerkt, die Existenz des begünstigten Unternehmens in Frage stellen (IDW PS 700, Tz. 37).

Deutsche Gerichte erlauben Konkurrentenklagen

Konkrete Brisanz gewinnt das europäische Beihilfenrecht aber noch von einer anderen Seite. Seit 2003 war in der deutschen Rechtsprechung anerkannt, dass zivilrechtliche Verträge, mit denen Unternehmen aus staatlichen Mitteln Vorteile im Wettbewerb gewährt werden, nichtig sind, wenn diese entgegen dem Gebot aus Art. 108 Abs. 3 AEUV der Europäischen Kommission nicht vorab zur Genehmigung vorgelegt wurden (vgl. BGH, Urt. v. 04. 04. 2003 – V ZR 314/02). Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine verbotene oder rechtfertigungsfähige Beihilfe vorliegt. Da die Finanzierung kommunaler Dienstleistungen aus öffentlichen Mitteln in den seltensten Fällen vorab von der Europäischen Kommission genehmigt wird, ist allein die Nichtigkeitsfolge schon ein reales Risiko. Dem hat der BGH in zwei Urteilen vom Februar dieses Jahres eine weitere Dimension hinzugefügt, die jedenfalls in den unternehmerisch interessanten Bereichen kommunaler Wirtschaftstätigkeit die Wahrscheinlichkeit, mit Beihilfenrecht konfrontiert zu werden, wesentlich erhöht.

In zwei Fällen, in denen es um selektive Vorteile für Ryan-air auf zwei staatlich und kommunal beherrschten Verkehrsflughäfen ging, hat der BGH festgestellt, dass ein Verstoß gegen die Notifizierungspflicht (Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV) und das entsprechende Durchführungsverbot (Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV) die öffentliche Hand unmittelbar zu einer Rückforderung der gewährten Vergünstigungen verpflichtet und dieser Rückforderungsanspruch auch von Konkurrenten des Begünstigten gerichtlich geltend gemacht werden kann (BGH, Urt. v. 11. 02. 2011 – I ZR 136/09; und I ZR 213/08). Seither kann jeder Konkurrent eines kommunalen Unternehmens gegen die vorteilsgewährende Stelle auf Rückforderung einer vermeintlichen Beihilfe klagen, allein mit dem Argument, dass die konkrete Zuwendung nicht bei der Europäischen Kommission notifiziert worden sei.

Beide Entwicklungen führen aus kommunaler Sicht zu einem ganz neuen Bedrohungsszenario: Bei marktnahen Leistungen, für die sich auch die Privatwirtschaft interessieren könnte, kann die Beihilfenrechtskonformität einer öffentlichen Finanzierung jederzeit durch – potentielle – Konkurrenten vor den Zivilgerichten in Frage gestellt werden; bei defizitären Dienstleistungen, die im Allgemeininteresse

erbracht werden, müssen die Abschlussprüfer in Zukunft jedem Beihilfenverdacht nachgehen.

Auch Kommunen sind „Unternehmen“

Den Kommunen wird das Leben damit besonders schwer gemacht. Einerseits sind sie aufgrund der Landesverfassungen und der einzelnen Gemeindeordnungen verpflichtet, eine Fülle von Daseinsvorsorgeleistungen zu günstigen Bedingungen zur Verfügung zu stellen, so dass die Allgemeinheit ihr Nutzungsrecht auch effektiv in Anspruch nehmen kann. Andererseits unterwirft das Beihilfenrecht jede öffentliche Finanzierung solcher Leistungen, die in einem potentiellen Wettbewerbsumfeld erbracht werden, harten Restriktionen, deren Einhaltung in Zukunft auch tatsächlich geprüft werden wird.

Eine Generalausnahme vom Beihilfenrecht für kommunale Tätigkeiten gibt es nicht. Lediglich die klassischen Hoheitsaufgaben und solidaritätsbasierte soziale Sicherungssysteme sind von vornherein einer beihilfenrechtlichen Kontrolle entzogen. Im Übrigen sind auch Kommunen mit ihren marktnahen Aktivitäten „Unternehmen“ im europarechtlichen Sinne. Der Unternehmensbegriff des europäischen Kartell- und Beihilfenrechts hat mit dem des deutschen Rechts nichts zu tun. Er ist rein funktional definiert. „Unternehmen“ im Sinne des Beihilfenrechts ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH „… jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“. Dazu zählen auch öffentlich-rechtliche Körperschaften, Ämter, Eigenbetriebe und sonstige Verwaltungseinheiten – erst recht verselbständigte kommunale Unternehmen. Jede Leistung, die von einer solchen Einheit erbracht wird und für die es unter denselben Bedingungen bei wirtschaftlich vernünftiger Betrachtung auch andere Anbieter geben könnte, unterliegt der Kontrolle des Beihilfenrechts.

Der öffentlich-rechtliche Status nach nationaler Einordnung ist als Verteidigung gegen europarechtliche Anforderungen also untauglich. Kommunen sind klassische Adressaten des Beihilfenrechts, und zwar nicht nur mit ihren Beteiligungsgesellschaften, sondern auch mit ihren Eigenbetrieben, ihren Regiebetrieben und prinzipiell sogar als öffentlich-rechtliche Körperschaft selbst.

Die Freistellungen des Europarechts konsequent nutzen

Was ein Überleben kommunaler Dienstleistungen mit gemeinwirtschaftlicher Ausrichtung möglich macht und in vollem Einklang mit dem Beihilfenrecht legalisiert, sind die von der Europäischen Kommission selbst geschaffenen Freistellungen. Für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse i. S. v. Art. 106 Abs. 2 AEUV sind dies in erster Linie die Rechtsakte des sog. „Altmark- oder Monti-Pakets“, und dort insbesondere die sog. Freistellungsentscheidung der Kommission vom 28. 11. 2005 (ABl.EU 2005 Nr. L 312/67) und der „Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen, die als Ausgleich für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gewährt werden“ (ABl.EU 2005 Nr. C 297/4).

Beide gewähren bewusst weitgefasste Ausnahmen von den beihilfenrechtlichen Beschränkungen für öffentliche Daseinsvorsorgeleistungen, die nicht mit vorrangiger Gewinnerzielungsabsicht erbracht werden. Allerdings sind die dort festgelegten Voraussetzungen sowohl von der Kommune als beihilfengewährender Stelle als auch von den davon begünstigten Unternehmen strikt einzuhalten. Kernelement jeder Rechtfertigung nach dem Altmark-Paket ist eine ordnungsgemäße Betrauung. Im Interesse einer dauerhaft leistungsfähigen Kommunalwirtschaft empfiehlt es sich, darauf besondere Sorgfalt zu verwenden.

Daran wird sich auch unter der anstehenden Reform des Altmark-Pakets nichts ändern.

 

Dr. Jan Deuster

Rechtsanwalt Becker Büttner Held, Köln
 

Dr. Christian Jung

LL.M., Rechtsanwalt Becker Büttner Held, Köln
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