Die Kommunen im föderalen Schuldenstaat
Deutscher Landkreistag 2023
Die Kommunen im föderalen Schuldenstaat
Deutscher Landkreistag 2023

Im März 2023 konnte der Deutsche Landkreistag sein 30. Professorengespräch in Folge seit März 1994 wieder unbehelligt durch coronabedingte Einschränkungen, die in den Jahren 2020 bis 2022 jeweils zu Verschiebungen des Gesprächs in den (Früh-)Sommer geführt hatten,1Dazu Henneke, VBlBW 2020, 265–272, 2022, 187–197 sowie 353–362 und die von Henneke in den Schriften zum deutschen und europäischen Kommunalrecht als Bände 57–59 herausgegebenen Tagungsbände: „Bauen und Wohnen auf dem Lande und in der Stadt“, „Funktionsfähigkeit des Bundesstaates und der Kreise auf dem Prüfstand“ sowie „Kommunalrelevanz des Vertrages der Ampelkoalition“. durchführen. Dass angesichts der zu zahlreichen ausgabenträchtigen Staatsinterventionen in den Krisenjahren 2020 bis 2022 durch Corona und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine führenden Maßnahmen die rasant zunehmende Staatsverschuldung mit ihren Auswirkungen auch auf die Kommunen thematisch behandelt werden musste, war geradezu unausweichlich. Eine aktive Mitwirkung der Präsidenten des Bundesrechnungshofs und des Rechnungshofes des Landes Rheinland-Pfalz sowie des Vorsitzenden des Unabhängigen Beirats des Stabilitätsrates im DLT-Professorengespräch 2023 drängte sich dabei auf.
I. Aktualität und Relevanz
Die tatsächliche Grundlage des Gesprächs bildeten die rund um das Professorengespräch publizierten Beiträge „Krisenfinanzierung im Bundesstaat“,2Henneke, Die Verwaltung 2022, 399–440; erschienen im April 2023. sowie „Notlagennettokreditaufnahmen im Jahr der Zeitenwende“,3Henneke, DVBl. 2023, 324–330. die Stellungnahme des Präsidenten des Bundesrechnungshofs als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung vom 01.03.20234Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV), Kontrollverlust bei den Bundesfinanzen verhindern, Verkrustungen des Bundeshaushalts aufbrechen, Gz: 0001990. und der Themenbeitrag des Rechnungshofs Rheinland-Pfalz aus dem Februar 2023: „Schuldenbremse und Übernahme kommunaler Liquiditätskredite“ sowie der Beschluss des BVerfG vom 22.11.20225BVerfG, Beschl. v. 22.11.2022, DVBl. 2023, 151; dazu Henneke, DVBl. 2023, 324, 329 f. zu einem Eilantrag von 297 Mitgliedern des Deutschen Bundestages. 2019 schien die Welt der öffentlichen Finanzen noch in Ordnung zu sein, obwohl man auch schon seinerzeit wusste, dass
- die Ausstattung der Bundeswehr völlig marode war,
- deutlich vermehrte finanzwirksame Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen sein würden und
- die Niedrig- bzw. Negativzinsphase irgendwann an ihr Ende gelangen würde.
Sei’s drum: Der Bund erzielte 2019 einen Überschuss im Kernhaushalt von 13,3 Mrd. Euro, die Länder in ihrer Gesamtheit – im letzten Jahr vor Geltung der bereits 2009 normierten Schuldenbremse auch für sie – von 10,3 Mrd. Euro und die Kommunen in den 13 Flächenländern von 4,51 Mrd. Euro, zusammen also mehr als 28 Mrd. Euro.
Im März 2020 begann die Verkettung von Krisen beginnend mit Corona, fortgesetzt mit dem Klimaschutzbeschluss des BVerfG vom 24.03.20216BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, BVerfGE 157, 30. und den daran angeknüpften Erwartungen, dem Sturzregen und Hochwasser an der Ahr und an der Erft am 14./15.07.2021 mit verheerenden Schäden an Leib und Leben der Bevölkerung sowie an Hab und Gut von Privatpersonen, Unternehmen und der öffentlichen Infrastruktur – und schließlich den vielfältigen Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine seit dem 24.02.2022.
1. Bund
Der Bund hat darauf mit folgenden neun Maßnahmenpaketen reagiert:
- Nachtragshaushaltsgesetz 2020 vom 27.03.2020,7Dazu Henneke (Fn. 2), 403.
- Nachtragshaushaltsgesetz 20208Dazu Henneke (Fn. 2), 404.
- Haushaltsgesetz 2021,9Dazu Henneke (Fn. 2), 405.
- Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit der – letztlich für die Coronafolgenbekämpfung nicht benötigten – Ausweitung der Kreditermächtigung über weitere 60 Mrd. Euro,10Dazu Henneke (Fn. 2), 406.
- Aufbauhilfegesetz für die Bewältigung der Hochwasserfolgen an Ahr und Erft mit einem Umfang von 30 Mrd. Euro,11Dazu Henneke (Fn. 2), 407.
- Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit Umwidmung der für die Coronafolgenbekämpfung nicht benötigten 60 Mrd. Euro für den Energie- und Klimafonds,12Dazu Henneke (Fn. 2), 407 ff.
- 100 Mrd. Euro Sondervermögen Bundeswehr,13Dazu Henneke (Fn. 2), 415.
- Haushaltsgesetz 202214Dazu Henneke (Fn. 2), 412 ff. sowie schließlich
- das mit einer Kreditaufnahme von 200 Mrd. Euro bestückte Stabilisierungsfonds-ÄndG vom 28.10.2022.15Dazu Henneke, DVBl. 2023, 324, 325 f.
Der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung hat in seiner Stellungnahme vom 01.03.2023 darauf hingewiesen, dass sich in den Jahren 2020 bis 2023 die Kreditaufnahme des Bundes im Bundeshaushalt sowie die für das Sondervermögen Bundeswehr und für den Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds beschlossenen Kreditermächtigungen auf rund 800 Mrd. Euro summieren. Zu diesen kommt 2023 die Inanspruchnahme der Allgemeinen Rücklage in Höhe von 40,5 Mrd. Euro, welche ebenfalls durch die Aufnahme von Krediten finanziert werden muss. Hieraus ergibt sich ein Gesamtbetrag der in Anspruch genommenen und geplanten Kredite von 847,4 Mrd. Euro, was zu der Gesamtverschuldung des Bundes in den 71 Jahren von 1949 bis 2019 von 1299,7 Mrd. Euro in Relation gesetzt und mit der Mahnung verbunden wird,16BWV (Fn. 4), 5. dass diese Krediteinnahmen sowohl nach ihrer Höhe als auch nach der Art und Weise ihrer haushaltsmäßigen Abwicklung „zu erheblichen finanzwirtschaftlichen sowie verfassungs- und haushaltsrechtlichen Verwerfungen führen, die die Gefahr eines Kontrollverlustes bei den Bundesfinanzen bergen“.
Hinzugefügt wird,17BWV (Fn. 4), 7 ff. dass die sich zwischen 2021 und 2023 verzehnfachende Zinsbelastung auf eine Höhe von etwa 40 Mrd. Euro im Jahre 2023 letzte Haushaltsspielräume raube und die Tilgung der Krisenkredite ab 2028 bzw. 2031 für jeweils drei Jahrzehnte künftige Generationen erheblich belasten werde.18BWV (Fn. 4), 9 f. Zudem entkerne die Flucht in Sondervermögen mit der „Bunkerung“ erheblicher Milliardenbeträge und „Kreditaufnahmen auf Vorrat“ den Bundeshaushalt und höhle zudem ab 2023 die Schuldenregel aus.19BWV (Fn. 4), 13 f. Daher liege die Schlussfolgerung auf der Hand,20BWV (Fn. 4), 14 ff. auch in der Haushaltspolitik eine Zeitenwende einzufordern, insbesondere durch
- eine perspektivische Verringerung der Bundeszuschüsse für alle Sozialversicherungszweige,
- eine Verlagerung von konsumtiven zu investiven Ausgaben mit Zukunftswirkung sowie
- die Vermeidung neuer Maßnahmen ohne Klärung ihrer langfristigen Finanzierungsmöglichkeiten bzw. die Bereitstellung einer Gegenfinanzierung durch das Beenden anderer Maßnahmen.
2. Länder und Kommunen
Aber auch in den meisten Ländern wurden coronabedingt die Notlagenklauseln der erst seit Anfang 2020 für sie verbindlich geltenden Schuldenbremse aktiviert,21Dazu ausf.: Henneke (Fn. 2), 417 ff. wozu bisher zwei landesverfassungsgerichtliche Entscheidungen ergangen sind.22HessStGH, NVwZ 2022, 147; dazu ausf.: Henneke, DVBl. 2022, 195 sowie ders. (Fn. 2), 429 ff. sowie VerfGH RhPf, Der Landkreis 2022, 186; dazu Gröpl, ZG 2022, 141, 153 ff.; Henneke (Fn. 2), 432 ff.; ders., DVBl. 2023, 324, 325. In den Ländern ist zudem insbesondere auf eine Ergänzung in Art. 117 Abs. 4 LV RhPf,23GV RhPf, 2022, 105. wonach eine Schuldübernahme des Landes keine Einnahmen aus Krediten darstellen soll,24Dazu ausf.: Henneke, ZG 2022, 167; ders., Der Landkreis 2022, 366; ders., Der Landkreis 2022, 749; T. I. Schmidt, NVwZ 2022, 756; Droege, NVwZ 2022, 770; Ranscht-Ostwald, Jahrbuch für öffentliche Finanzen 1-2022, S. 187, S. 197 f. den Transformationsfonds für den Strukturwandel im Saarland25ABl. 2022 I, S. 1511; dazu ausf.: Henneke, DVBl. 2023, 324, 326 f. und das auf der Feststellung einer Notsituation beruhende nordrhein-westfälische Haushaltsgesetz 202326Dazu Henneke, DVBl. 2023, 324, 327 ff. zu verweisen. Die Kommunen erhielten in dieser Zeit erhebliche vertikale Transferleistungen vonseiten des Bundes und der Länder.27Dazu ausf.: Wohltmann, Der Landkreis 2020, 636; ders., Der Landkreis 2021, 539 sowie 665; ders., Der Landkreis 2022, 487 sowie 604; ders., in FS Henneke, 2022, S. 363; sowie Henneke (Fn. 2), 419 ff.
a. Verschuldungsmöglichkeiten und Grenzen für Bund und Länder nach Art. 109 Abs. 3 GG
Eingangs befassten sich auf dieser Grundlage Prof. Dr. Hanno Kube (Heidelberg) und Prof. Dr. Hans-Günter Henneke (Berlin) mit den verfassungsrechtlichen Verschuldungsmöglichkeiten und Grenzen für Bund und Länder nach Art. 109 Abs. 3 GG, wobei Kube sowohl Bund und Länder in den Blick nahm, während sich Henneke auf landesrechtliche Besonderheiten konzentrierte.
b. Art. 109 Abs. 3 i. V. m. Art. 115 Abs. 2 GG
Kube hob eingangs hervor, dass die Zahlen der Nettoneuverschuldung seit 2020 geradezu atemberaubend angestiegen seien, was dazu führen werde, dass der Bund 2023 allein an Zinsen rund 40 Mrd. Euro aufbringen müsse. Die Tilgungspflichten aus den Notlagekreditaufnahmen träten für viele Jahre hinzu und würden zudem durch die effektiven Lasten aus dem EU-Wiederaufbaufonds Next Generation ergänzt. Die demografische Herausforderung, die Klimakrise, der digitale Wandel und andere große Zukunftsaufgaben müssten aber dennoch bewältigt werden.
[…]
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in den Verwaltungsblättern Baden-Württemberg 7/2023, S. 265.
----------
- 1Dazu Henneke, VBlBW 2020, 265–272, 2022, 187–197 sowie 353–362 und die von Henneke in den Schriften zum deutschen und europäischen Kommunalrecht als Bände 57–59 herausgegebenen Tagungsbände: „Bauen und Wohnen auf dem Lande und in der Stadt“, „Funktionsfähigkeit des Bundesstaates und der Kreise auf dem Prüfstand“ sowie „Kommunalrelevanz des Vertrages der Ampelkoalition“.
- 2Henneke, Die Verwaltung 2022, 399–440; erschienen im April 2023.
- 3Henneke, DVBl. 2023, 324–330.
- 4Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV), Kontrollverlust bei den Bundesfinanzen verhindern, Verkrustungen des Bundeshaushalts aufbrechen, Gz: 0001990.
- 5BVerfG, Beschl. v. 22.11.2022, DVBl. 2023, 151; dazu Henneke, DVBl. 2023, 324, 329 f.
- 6BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, BVerfGE 157, 30.
- 7Dazu Henneke (Fn. 2), 403.
- 8Dazu Henneke (Fn. 2), 404.
- 9Dazu Henneke (Fn. 2), 405.
- 10Dazu Henneke (Fn. 2), 406.
- 11Dazu Henneke (Fn. 2), 407.
- 12Dazu Henneke (Fn. 2), 407 ff.
- 13Dazu Henneke (Fn. 2), 415.
- 14Dazu Henneke (Fn. 2), 412 ff.
- 15Dazu Henneke, DVBl. 2023, 324, 325 f.
- 16BWV (Fn. 4), 5.
- 17BWV (Fn. 4), 7 ff.
- 18BWV (Fn. 4), 9 f.
- 19BWV (Fn. 4), 13 f.
- 20BWV (Fn. 4), 14 ff.
- 21Dazu ausf.: Henneke (Fn. 2), 417 ff.
- 22HessStGH, NVwZ 2022, 147; dazu ausf.: Henneke, DVBl. 2022, 195 sowie ders. (Fn. 2), 429 ff. sowie VerfGH RhPf, Der Landkreis 2022, 186; dazu Gröpl, ZG 2022, 141, 153 ff.; Henneke (Fn. 2), 432 ff.; ders., DVBl. 2023, 324, 325.
- 23GV RhPf, 2022, 105.
- 24Dazu ausf.: Henneke, ZG 2022, 167; ders., Der Landkreis 2022, 366; ders., Der Landkreis 2022, 749; T. I. Schmidt, NVwZ 2022, 756; Droege, NVwZ 2022, 770; Ranscht-Ostwald, Jahrbuch für öffentliche Finanzen 1-2022, S. 187, S. 197 f.
- 25ABl. 2022 I, S. 1511; dazu ausf.: Henneke, DVBl. 2023, 324, 326 f.
- 26Dazu Henneke, DVBl. 2023, 324, 327 ff.
- 27Dazu ausf.: Wohltmann, Der Landkreis 2020, 636; ders., Der Landkreis 2021, 539 sowie 665; ders., Der Landkreis 2022, 487 sowie 604; ders., in FS Henneke, 2022, S. 363; sowie Henneke (Fn. 2), 419 ff.