08.10.2021

Die Fischerin von Memmingen

… darf nicht beim jährlichen Stadtbachfischen ausgeschlossen werden

Die Fischerin von Memmingen

… darf nicht beim jährlichen Stadtbachfischen ausgeschlossen werden

Der Verein behandelt weibliche Vereinsmitglieder anders als männliche Vereinsmitglieder, ohne vereinsrechtlich dafür einen sachlichen Grund zu besitzen. ©sasun Bughdaryan - stock.adobe.com
Der Verein behandelt weibliche Vereinsmitglieder anders als männliche Vereinsmitglieder, ohne vereinsrechtlich dafür einen sachlichen Grund zu besitzen. ©sasun Bughdaryan - stock.adobe.com

Der Fischertag in Memmingen ist weit über Memmingen hinaus bekannt. Jährlich im Sommer wird dort vom Fischertagsverein Memmingen e.V. der Stadtbach ausgefischt. Heuer fiel die Veranstaltung jedoch wegen Corona aus. Dennoch sorgte der Fischertag nun sogar für bundesweites Aufsehen, weil er die Memminger Justiz beschäftigte. Und das kam so: Eine Frau wollte nicht einsehen, dass das Ausfischen nur Männern vorbehalten und sie von der Gaudi ausgeschlossen sei. Sie gewann schließlich sowohl vor dem Amtsgericht als auch vor dem Landgericht Memmingen. Letzteres ließ zwar im Urteil vom 28.7.2021 (Az. 13 S 1372/20) wegen grundsätzlicher Bedeutung des Falls und zur Fortbildung des Rechts die Revision zu. Auf diese verzichtete der Verein jedoch nach eingehender interner Erörterung.

Die Klägerin, eine Tierärztin, gab sich nach Abschluss des Verfahrens „überglücklich“ und will im nächsten Jahr mitfischen. Die Entscheidung des Landgerichts, die in der Begründung, aber nicht im Ergebnis von der amtsgerichtlichen Entscheidung abweicht, beruht (sehr gerafft und z.T. angelehnt an die Pressemitteilung des Gerichts) auf folgenden Erwägungen:

Vereinsautonomie gemäß Art. 9 Grundgesetz (GG)

Der Fischertagsverein sei, so das Landgericht, aufgrund der ihm zustehenden, durch Art. 9 GG verfassungsrechtlich geschützten Vereinsautonomie grundsätzlich frei bei der Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb der Mitgliedschaft sowie bei der Aufnahme neuer Mitglieder im Verein und in der Untergruppe der Stadtbachfischer. Deshalb komme ein Aufnahmeanspruch nur ausnahmsweise und unter besonderen Umständen in Betracht. Diese Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Klägerin einen Aufnahmeanspruch einfordern könne, lägen nach Auffassung des Landgerichts deswegen nicht vor, weil kein wesentliches eigenes Interesse der bereits langjährig im Verein aufgenommenen Klägerin verletzt sei. Die Klägerin könne in vielfältiger Weise am sozialen Leben in der Stadt Memmingen, insbesondere am Vereinsleben und am Fischertag teilnehmen. Durch die Nichtzulassung am Ausfischen erleide sie keinen gravierenden Nachteil. Das allgemeinpolitische Ziel der Klägerin, Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern durchzusetzen, sei kein ausreichendes eigenes Interesse der Klägerin.


Aus denselben Gründen bestehe auch kein Aufnahmeanspruch der Klägerin wegen eines Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.

Recht der Vereinsmitglieder auf Gleichbehandlung

Ein Aufnahmeanspruch der Klägerin ergibt sich nach Auffassung des Landgerichts aber wegen eines Verstoßes des Fischertagsvereins gegen das Recht der Vereinsmitglieder auf Gleichbehandlung. Der Verein behandele weibliche Vereinsmitglieder anders als männliche Vereinsmitglieder, ohne vereinsrechtlich dafür einen sachlichen Grund zu besitzen. Ein Sonderrecht für Männer sei vereinsrechtlich nur zulässig, sofern diese Ungleichbehandlung vom Vereinszweck gedeckt sei. Nach § 2 der Satzung sei Zweck des Vereins der Dienst für Heimatpflege, Heimatkunde, Kultur und Umweltschutz. Dieser Zweck werde insbesondere verwirklicht durch die Durchführung und Gestaltung des Fischertages und die Pflege des Stadtbaches sowie des heimischen Brauchtums. Im Kern gehe es somit insbesondere um das Erinnern an die jahrhundertealte Tradition des Stadtbachausfischens, nicht aber darum, an eine althergebrachte Rollenverteilung der Geschlechter zu erinnern. Dieser festgeschriebene Vereinszweck erfordere es nicht, Frauen vom eigentlichen Ausfischen auszuschließen und lediglich als „Kübelfrauen“ neben dem Bach zuzulassen.

Zudem habe sich die tatsächlich seit langem gelebte Vereinspraxis jedenfalls von einer absolut getreuen Nachbildung historischen Geschehens in den vergangenen Jahren faktisch entfernt. Neben das Erinnern an Traditionen sei gleichermaßen der Spaßfaktor getreten. Das originalgetreue Nachbilden einer vermeintlichen Tradition stehe damit jedenfalls auch faktisch nicht mehr im Vordergrund des praktischen Vereinslebens. Die Tradition sei unstreitig bereits in mehrfacher Weise aufgeweicht, indem beispielsweise die Zugangsvoraussetzungen zur Teilnahme für Männer herabgesetzt worden seien. Das Teilnahmerecht erfordere nicht mehr wie früher einen mindestens zehn Jahre dauernden Wohnsitz, sondern jetzt nur noch fünf Jahre. Nach einer fünfjährigen Zugehörigkeit zur Untergruppe der Stadtbachfischer entfalle das Teilnahmerecht auch nicht mehr nach einem Wegzug aus Memmingen. Dass der Verein nicht sklavisch an vermeintlichen Traditionen festhalte, zeige sich insbesondere auch daran, dass bei den Stadtbachfischern keine traditionelle historische Kleidung getragen werden müsse und bei dem (vom Verein ebenfalls ausgerichteten) Wallensteinfest Frauen ohne weiteres in Männerkleidung auch traditionelle Männerrollen wie diejenigen von Soldaten übernähmen.

Mittelbare Wirkung des Grundrechts von Art. 3 GG bleibt offen

Die Kammer ließ offen, ob das verfassungsrechtliche Gebot von Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG, d. h. für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen, auch zwischen den Parteien, somit im Privatrecht, im Wege einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte anzuwenden gewesen wäre. Das Landgericht konnte diese Frage, die das Amtsgericht noch bejaht hatte, deshalb offenlassen, weil es zu dem Ergebnis kam, dass ein Aufnahmeanspruch der Klägerin schon aus vereinsrechtlichen Gründen bestünde.

Höchstrichterliche Entscheidung durch den BGH wäre wünschenswert gewesen

Wie eingangs erwähnt, kam das Verfahren nicht zum BGH. Schade, denn das Landgericht hatte hierzu in der Entscheidung ausgeführt:

„Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Alt. 1 ZPO liegen vor. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, weil der Rechtsstreit entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen aufwirft, die sich über den Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen können und deshalb für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind. Die Folgen einer Ungleichbehandlung von Vereinsmitgliedern nach dem Geschlecht betrifft nicht nur die Parteien dieses Verfahrens, sondern berührt das Allgemeininteresse in besonderem Maße, weil es sich um einen Verein mit rund 5.000 Mitgliedern handelt, darunter ca. 1.500 Frauen.

Eine Leitentscheidung des Revisionsgerichts zu der Frage, ob der Vereinszweck (die Bewahrung der Tradition) den Ausschluss von Frauen beim Ausfischen im Stadtbach erfordert oder dieser Vereinszweck auch gemeinsam von Männern und Frauen gefördert werden kann, ist überdies zur Fortbildung des Rechts nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO notwendig.“

Hinweis zur Volltextveröffentlichung:

Die ausführliche und juristisch interessante Entscheidung des Landgerichts Memmingen findet sich im Volltext unter www.bayern-recht.de .

 
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