07.12.2020

Die Coronakrise als Chance für den digitalen Unterricht

Ein Erfahrungsbericht

Die Coronakrise als Chance für den digitalen Unterricht

Ein Erfahrungsbericht

Ein Beitrag aus »Der Wirtschaftsführer« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Der Wirtschaftsführer« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Zeit des Rechtsreferendariats gilt gemeinhin als die Zeit der Praxis. Musste sich der angehende Jurist jahrelang mit theoretischen Leckerbissen wie der forderungsentkleideten Hypothek auseinandersetzen, ist die Vorfreude umso größer, endlich das wahre Leben in den Gerichtssälen der Republik kennenzulernen. Wäre da nicht ein kleines, aber hartnäckiges Virus. Ein Erfahrungsbericht aus Tübingen über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Lernens zu Corona-Zeiten.

Das Kontaktverbot und die ZPO

Das erste Staatsexamen erfolgreich gemeistert, den Ausbildungsplatz für das Referendariat in der gewünschten Stadt in der Tasche, die Vorfreude auf einen neuen Lebensabschnitt. Nach vielen Jahren der Theorie und langen Tagen in der Bibliothek verspricht der Eintritt in das Rechtsreferendariat die im Studium oft sehnlich vermisste Auseinandersetzung mit der juristischen Praxis.

Noch Anfang März 2020 war kaum absehbar, dass die Justiz ab April einen großen Sprung in das digitale Zeitalter wagen sollte. Ganz traditionell sollte der Einführungslehrgang für uns Tübinger Rechtsreferendare mit einer feierlichen Eröffnung in den Räumlichkeiten des Landgerichts Tübingen beginnen. Laut dem regulären Unterrichtsplan sollte sich dem ein etwa einmonatiger Einführungslehrgang über die ZPO anschließen, in dem sich dann auch unsere Arbeitsgemeinschaft (AG) von zwanzig Rechtsreferendaren zum ersten Mal kennenlernen sollte. Wir freuten uns auf das Lernen und Arbeiten in unserer kleinen Gruppe, einen intensiven Kontakt mit den Ausbildern und auf einzigartige Einblicke in die Mühlen der Justiz.


Doch dann kam Corona. Nach damals drastisch ansteigenden Infektionszahlen beschlossen Bund und Länder Mitte März 2020 umfassende Kontaktbeschränkungen. Fast allen Geschäften, Betrieben und Einrichtungen des öffentlichen Lebens wurde der reguläre Betrieb untersagt. Schulen, Kindergärten und Kitas schlossen ihre Türen.

Selbst dem optimistischsten Rechtsreferendar musste klar werden, dass an einen regulären Ablauf des Referendariats nicht zu denken war. Anstelle der Paragraphen der ZPO mussten wir uns plötzlich mit Rechtsverordnungen auseinandersetzen, die auf bis dato ungeahnte Weise unseren Alltag reglementierten. Sollte es nun Kontaktverbot statt ZPO heißen?

Allerdings hatte das Virus seine Rechnung ohne Hans-Jörg Scherer gemacht, damals noch Ausbildungsleiter für die Rechtsreferendare am Landgericht Tübingen. Bereits frühzeitig ließ er uns per E-Mail wissen, dass er uns zumindest gerne digital begrüßen würde, und schickte uns eine Einladung für ein Meeting mittels einer App namens Zoom. Von Zoom – heute kaum vorstellbar – hatten bis dato die wenigsten gehört, das galt selbst für uns Kinder des digitalen Zeitalters.

Versuchskaninchen und Vorreiter

Während in anderen Landgerichtsbezirken der Referendarunterricht ausgesetzt wurde und manche Bundesländer zunächst sogar ganz darauf verzichteten, Rechtsreferendare einzustellen, kamen wir Tübinger in den Genuss, sowohl Versuchskaninchen als auch Vorreiter der digitalen Referendarsausbildung zu werden. Im Gegensatz etwa zu den vielen Studenten, die vor geschlossenen Bibliotheken standen und deren Semesterstart nach hinten verlegt wurde, konnten wir dank unseres engagierten Ausbildungsleiters relativ normal mit der ersten Station beginnen.

Dabei entwickelten sich unsere beinahe täglichen Zoom-Sitzungen schnell zu einem wichtigen Bestandteil unseres ansonsten so eintönigen Alltags. Hoch motiviert und sich auch nicht zu schade, uns mittels krakeliger Computerzeichnungen wie zu guten alten Zeiten des Microsoft Paint in die Tiefen der ZPO einzuweihen, begrüßte uns Hans-Jörg Scherer meist morgens um neun Uhr gut gelaunt aus seinem Wohnzimmer. Während vor der Haustür das öffentliche Leben fast vollständig stillstand, glommen hinter den Gardinen die Bildschirme.

Vom Schreib- oder öfter noch dem Küchentisch des eigenen Zuhauses setzten wir uns mit der Vollstreckungsabwehrklage auseinander und kämpften uns gemeinsam durch die Fallstricke der Baumbachschen Formel. Dabei bot uns der Zoom-Unterricht eine unkomplizierte und unbürokratische Möglichkeit, bestens betreut den notwendigen Stoff zu erarbeiten und langsam aber sicher mit der Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen zu beginnen.

Mehr noch, der Digital-Unterricht stellte auch einen nicht zu unterschätzenden Stabilitätsanker dar. Die Schwere der ersten Wochen der Corona-Epidemie, von immer neuen Hiobsbotschaften und massiven Einschränkungen geprägt, wurde etwas gemildert durch das letzte Stück Normalität per Zoom. Die Regelmäßigkeit der Online-Treffen vermittelte dabei Struktur und Halt in der Unsicherheit des neuen Alltags. Das Mosaik der vielen Gesichter, die uns beinahe tagtäglich auf unseren Laptops begrüßten, gab der Krise ein schon fast freundliches Antlitz. Dass wir Referendare in diesen besonderen Zeiten der Unsicherheit mit der Last der Vorbereitung nicht allein gelassen wurden und mit Hans-Jörg Scherer immer einen engagierten Ansprechpartner hatten, ist sicherlich ein wichtiger Grundstein für unseren weiteren Erfolg im Rechtsreferendariat und auf dem Weg zum zweiten Staatsexamen.

Ein Schub für die digitale Justiz?

Eine besondere Absurdität der Corona-Pandemie ist, dass sie alte Normalitäten gänzlich in Frage stellt, andererseits aber auch offenlegt, welche Alltäglichkeiten uns überraschenderweise am meisten am Herzen liegen. Sie ließ eine Mischung aus Fortschritt und Sehnsucht nach Vergangenem entstehen. Unbestritten der Schwere der Krise, warf die Corona-Pandemie auch interessante Fragen auf. Insbesondere wurde die Justiz gezwungen, neu zu denken und sich der Digitalisierung aufgeschlossen zu zeigen. Bislang galt sie in dieser Hinsicht eher als etwas vermiefte Amtsstube, deren Schreibtische unter Papierbergen aus Akten ächzen. So schleppt sich die Einführung der digitalen Akte seit Jahren dahin, das elektronische Postfach für Rechtsanwälte (beA) gilt als hoch fehleranfällig. Da bot die zwingende Notwendigkeit der Corona-Krise, auf Sozialkontakte fast vollumfänglich zu verzichten, eben auch eine einzigartige Chance der Beschleunigung des Wandels hin zu mehr gelebter Digitalität.

Fortschritt entsteht, wenn sich eine neue Realität etabliert. Engagierte Ausbildungsleiter wie Hans-Jörg Scherer, die dabei ohne Scheu vor neuen Wegen und Formen des Unterrichtens in das kalte Wasser sprangen, übernahmen in  dieser Hinsicht eine zurecht vielgelobte Vorreiterrolle. Es ist heute gut vorstellbar, dass auch in Zukunft das Unterrichten in Präsenz durch einen Digital-Unterricht ergänzt und flankiert werden kann. Womöglich ist die Zukunft der Lehre und nicht nur der Referendarausbildung eine Art hybrides Lernen, das sowohl Elemente des Präsenz-, als auch des digitalen Unterrichts enthält.

Was etwa im Online-Unterricht besonders gut gelang, war das Erarbeiten vieler Einzelfälle anhand von Originalakten, meist in Gruppenkonstellationen. Unser Ausbildungsleiter vermied es ganz bewusst, das bewährte Prinzip des Präsenzunterrichtes uneingeschränkt auf den Online-Unterricht zu übertragen, sondern änderte sein Konzept dahingehend ab, dass er uns möglichst gut und oft in den Unterricht integrierte. Gefragt sind also Konzepte, wie ein Online-Unterricht möglichst effektiv eingesetzt werden kann.

Denn einen großen Nachteil hat der Online-Unterricht. Er lässt überraschend wenig mehrseitige Kommunikation zu. Zu einem wirklichen Austausch über den gelernten Inhalt kam es kaum, das unbefangene Nachfragen bei den Kollegen, das gemeinsamen Diskutieren und Hinterfragen – all dies gelingt nicht gut im reinen Online-Unterricht.

Wenig überraschend, entstand daher unter uns Rechtsreferendaren und auch unter vielen Lehrenden eine große Sehnsucht nach einer baldigen Rückkehr zur Normalität. Am dringendsten empfanden viele unter uns den Verlust der sozialen Kontakte. Es fällt schwer, seine AG kennenzulernen, wenn man wochenlang nur per Zoom kommunizieren kann. Ein Gruppen- und Gemeinschaftsgefühl kann so nur schwerlich entstehen. Mag die Digitalisierung die Zukunft sein, sie wird kaum das urmenschliche Bedürfnis nach Nähe und Kontakt stillen können. So entstand mit fortschreitender Zeit bei vielen eine große „Zoom-Müdigkeit“, zugleich wurde der Wunsch nach Rückkehr in die Lehrräume immer nachdrücklicher geäußert. Die alte Binsenweisheit, dass kaum etwas besser zum Lernerfolg führt als der gemeinsame Kaffeeklatsch oder der Austausch über einem abendlichen Glas Bier in der Kneipe, findet sich in dieser Beobachtung wieder. Denn schlussendlich ist und bleibt das Lernen ein überwiegend sozialer Prozess, der wie kein anderer vom Austausch und der Diskussion profitiert.

To Zoom or not to Zoom?

Es stellt sich mithin die Frage, welche Lehren sich aus der Corona-Krise hinsichtlich der Rechtsreferendarausbildung, aber auch bezüglich der Juristerei als solche ziehen lassen. Ist Zoom die neue Verheißung am juristischen Firmament, Symbol für die längst überfällige Digitalisierung?

Zugegeben, kaum ein Studium ist so analog wie das juristische. Seit Generationen müssen Studenten und Rechtsreferendare mühevoll die dicken roten Gesetzestexte zu den Examina mitschleppen. Ein kleines Update wäre da mehr als wünschenswert. Es ist an der Zeit, dass sich auch die Juristerei dem weltweiten digitalen Fortschritt endlich mit mehr Elan anschließt.

Ein erster, wichtiger Schritt ist dabei sicherlich durch die in Corona-Zeiten oft bewiesene Flexibilität und Aufgeschlossenheit für neue Methoden des digitalen Lernens und Unterrichtens gelungen. So zeigte die Justiz in der Corona-Krise, dass sie eben auch eine Institution sein kann, die schnell und innovativ auf bisher ungeahnte Herausforderungen reagieren kann. Das Bild vom papierschluckenden Justiziar kann damit seit Corona sicherlich als überholt gelten. Denn ein intensiver Kontakt mit dem Ausbildungsleiter gelingt auch per Zoom, solange dieser schnell und unkompliziert digital zu erreichen ist.

Gleichzeitig ist jedoch eine zu weitgehende Digitalisierung der Rechtsreferendarausbildung auch nicht wünschenswert. Problematisch daran ist insbesondere, dass sich dadurch Lernprozesse stark ins Private verlagern. Es mag zwar sehr bequem sein, den ersten Morgenkaffee parallel zum Zoom-Unterricht zu trinken, gleichzeitig fällt dadurch jedoch ein enorm wichtiges soziales Umfeld weg, welches sich als essentiell für den Lernerfolg bewiesen hat.

In der Tat hat sich in der Corona-Krise einerseits herausgestellt, welche bisher oft unterschätzten Vorteile der gute alte Präsenzunterricht bietet. Verständnis, Kreativität und neue Ideen entstehen eben am besten im Miteinander und nicht durch das bloß passive Starren auf einen Bildschirm.

Andererseits ist es durchaus möglich, im Online-Unterricht ebenfalls Formen der Kommunikation zu etablieren, die zum Lernerfolg beitragen können. Insbesondere die Fallbearbeitung in Kleingruppen anstelle von Frontalunterricht könnte dabei eine gelungene Nutzung der neuen Technik darstellen.

Die Corona-Pandemie wird uns wohl noch längere Zeit begleiten, das zweite Staatsexamen jedoch lässt bald nicht mehr lange auf sich warten. Von größter Wichtigkeit wäre es daher, wenn die Justiz den Rechtsreferendaren auch zusätzlich zum Online-Unterricht ein umfangreiches digitales Angebot zur Verfügung stellt. Dies gilt umso mehr, da die Nutzung der Bibliotheken bis auf weiteres stark eingeschränkt ist und Angebote, wie etwa beck-online.de, dadurch kaum zu nutzen sind.

So ist es insgesamt zwar sehr zu begrüßen, wenn einzelne Ausbildungsleiter wie Hans-Jörg Scherer eine Vorreiterrolle einnehmen und es ihnen gelingt, die Referendarausbildung an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Wichtig wäre es jedoch auch hier, die dafür erforderlichen Strukturen bundes- oder zumindest länderweit schnell und effektiv aufzubauen. Denn ein Blick über den Tübinger Tellerrand beweist, dass zu Beginn der Corona-Pandemie rein der Ausbildungsort ausschlaggebend war, ob die Möglichkeit bestand, die Referendarausbildung zu beginnen oder weiterzuführen. Wir Tübinger Rechtsreferendare waren in dieser Hinsicht sicherlich sehr privilegiert, die Qualität der Referendarausbildung sollte jedoch nicht ein bloßes Produkt des Zufalls sein. Die Justiz muss daher auch weiterhin Mut zur Digitalisierung beweisen, gleichzeitig aber nicht vergessen, dass der Lernerfolg auf essenziellen sozialen Faktoren basiert, die ein Programm wie Zoom kaum ersetzen kann.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

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Hjørdis Petersen

Rechtsreferendarin Landgericht Tübingen
n/a