15.04.2014

Der gesunde Menschenverstand…

Energiewende: Eine Reform des EEG erfordert die Reform des EnWG

Der gesunde Menschenverstand…

Energiewende: Eine Reform des EEG erfordert die Reform des EnWG

Netzausbau für Kohlestromeinspeisung kommt die Umwelt und den Steuerzahler teuer zu stehen. | © mbpicture - Fotolia
Netzausbau für Kohlestromeinspeisung kommt die Umwelt und den Steuerzahler teuer zu stehen. | © mbpicture - Fotolia

Die Energiewende erfordert die Abregelung von konventionellen Kraftwerken, soweit ausreichend Erneuerbare Energien zur Verfügung stehen. Die konventionelle Stromerzeugung wird aber keineswegs in nennenswerter Weise an die Stromerzeugung aus Wind und Sonne angepasst. Als Ergebnis werden bei Starkwindlagen von Jahr zu Jahr wachsende Mengen elektrischer Energie exportiert, 2013 hatte Deutschland trotz Stilllegung von Kernkraftwerken einen Rekord-Nettostromexport, der 2014 noch deutlich übertroffen werden wird. Deutsche Kohlekraftwerke ersetzen dadurch die Stromerzeugung in ausländischen Kraftwerken.

Bedarfsplan legt die falsche Fährte aus

Die von uns auf der Basis von Daten der Bundesnetzagentur näher untersuchten geplanten Leitungen von Ostdeutschland nach Bayern (u. a. die im Bau befindliche 380-kV-Höchstspannungsleitung von Erfurt nach Redwitz/Nordbayern und der HGÜ-Korridor von Bad Lauchstädt bei Halle nach Meitingen nahe KKW Gundremmingen) geben hierzu ein besonders beredtes Beispiel (EW-eRK 6/2013, S. 320 ff.): Diese Leitungen sind ausschließlich für den Weiterbetrieb von ostdeutschen Braunkohlekraftwerken zeitgleich zu ostdeutscher Starkwindeinspeisung erforderlich.

Gemäß Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) von 2009, Netzentwicklungsplan (NEP) 2013 und Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) von 2013 sollen die Stromnetze für eine Einspeisung von Kohlestrom zeitgleich zu Starkwindeinspeisung ausgebaut werden, auch wenn dieser Kohlestrom zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit nicht erforderlich ist: Der Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien wird damit irrelevant. Leider resultiert wohl aus der geltenden Rechtslage (§ 12 Abs. 3 EnWG) eine Einspeisegarantie für Kohlekraftwerke und dadurch ein Netzausbau für Kohlekraftwerke. Damit steht der Bau dieser neuen Leitungen im Widerspruch zu den Zielen der Energiewende, nämlich weniger Kohlestrom und mehr Erneuerbare Energien. Warum sollen die dafür benötigten Leitungen die deutschen Stromverbraucher bezahlen? Und warum werden diese Leitungen in der Öffentlichkeit als energiewendebedingt dargestellt (energy2.0, 09/2013, S. 49)? Hier besteht dringender Reformbedarf.


Der geltende Bundesbedarfsplan für den Stromnetzausbau basiert zudem auf der gesicherten Einspeisung auch von sehr seltenen Windenergiespitzen. Für eine einmalige Windspitze an der Nordseeküste müsste hierfür im Extremfall eine neue Leitung nach Süddeutschland gebaut werden. Dies widerspricht nicht nur dem im Energiewirtschaftsgesetz vorgeschriebenen Gebot der wirtschaftlichen Zumutbarkeit, sondern auch dem gesunden Menschenverstand.

Netzausbau und Kostenbestimmung – schwere methodische Fehler

Ende 2013 hat die Bundesnetzagentur den Übertragungsnetzbetreibern Untersuchungen zu dynamischen Begrenzungen von Windenergiespitzen aufgetragen. Dabei werden diese Spitzen gegenüber einer pauschalen Kappung stärker begrenzt, allerdings nicht immer, sondern nur, wenn wirklich Netzengpässe drohen (Welchen Netzumbau erfordert die Energiewende? 2012, S. 153 ff.). Erste Ergebnisse sollen im April 2014 vorliegen. Auch die im aktuellen Berliner Koalitionsvertrag vorgesehene Möglichkeit der Abregelung von seltenen Windspitzen ist bei den derzeitigen Netzausbauplanungen ganz und gar unberücksichtigt, obwohl dadurch der Netzausbaubedarf deutlich verringert würde.

Schließlich berücksichtigt die Bestimmung des erforderlichen Netzausbaus nicht dessen Kosten. Als Eingangsdaten für die Netzplanung gehen nämlich auch im aktuellen Netzentwicklungsplan nur die variablen Erzeugungskosten der Kraftwerke ein (Merit Order), nicht aber die Kosten des für ihren Einsatz erforderlichen Netzausbaus – ein schwerer methodischer Fehler, der die gesamte Bedarfsanalyse des Netzentwicklungsplans fragwürdig macht. Ein Beispiel: Zusätzliche Nachfrage in Süddeutschland wird gemäß Netzentwicklungsplan grundsätzlich zuerst durch Kohlekraftwerke wegen ihrer gegenüber Gaskraftwerken niedrigeren variablen Kosten abgedeckt, auch wenn sie in Norddeutschland stehen und im Süden Gaskraftwerke verfügbar wären. Bei einem daraus resultierenden Übertragungsengpass von Nord nach Süd wird durch den Netzentwicklungsplan eine neue Leitung von Nord nach Süd eingestellt, ohne die dadurch bedingten Netzausbaukosten dem Kostenverursacher, nämlich dem Kohlekraftwerk zuzurechnen. Die Kosten für diesen unnötigen Netzausbau trägt der Stromverbraucher, der schon die Mehrkosten für die EEG-Vergütung trägt. Der Öffentlichkeit aber wird erklärt, die wachsende Einspeisung Erneuerbarer Energien verursache den erhöhten Netzausbaubedarf.

Einspeise- und Verbrauchsvorrang

Bis 2010 gab es nicht nur einen gesetzlichen Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien, sondern de facto auch einen Verbrauchsvorrang (neue energie, 02/2014, S. 16/17): Jedes Elektrizitätsversorgungsunternehmen musste bei einem bundesweiten EEG-Stromanteil von beispielsweise 20 % physikalisch 20 % seines Stromverkaufs als EEG-Strom vom vorgelagerten Übertragungsnetzbetreiber abnehmen, ein Weiterverkauf unter der durchschnittlichen EEG-Vergütung war nicht zulässig. Deshalb war jedes Elektrizitätsversorgungsunternehmen gut beraten, sowohl bei Eigenerzeugung als auch bei Lieferverträgen von vorneherein die physikalische Abnahmeverpflichtung von EEG-Strom zu berücksichtigen. Mit diesem System war sichergestellt, dass der aus Erneuerbaren Energien erzeugte Strom nicht nur vorrangig eingespeist, sondern auch tatsächlich in Deutschland verbraucht wurde. 2010 wurde die Abnahmeverpflichtung der Elektrizitätsversorgungsunternehmen für Erneuerbare Energien („Verbrauchsvorrang“) – auch von der Fachöffentlichkeit weitgehend unbemerkt – aufgehoben.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Einspeise- und Verbrauchsvorrang? Wird durch den Einspeisevorrang nicht zugleich auch ein Verbrauchsvorrang für Erneuerbare Energien erreicht? Man könnte einwenden, dass die vorrangige Einspeisung, Übertragung und Verteilung von Erneuerbaren Energien seit 2010 weiterhin gelten. Die Weiterführung unseres Beispiels zeigt jedoch: Die Elektrizitätsversorgungsunternehmen sind seit 2010 bei einem bundesweiten Erneuerbaren Stromanteil von beispielsweise 20 % nicht mehr verpflichtet, physikalisch 20 % ihres Stromverkaufs als Erneuerbaren Strom abzunehmen und an ihre Kunden weiterzuleiten. Vielmehr ist jedes Elektrizitätsversorgungsunternehmen nun völlig frei, seinen gesamten Strombedarf aus beliebigen Quellen zu decken, etwa durch Eigenerzeugung oder Fremdbezug aus Kohlekraftwerken.

Grundlegende Entscheidungen

Bei der anstehenden Reform des EEG und des EnWG geht es also um grundlegende Entscheidungen. Wodurch soll zukünftig die Reserveleistung für längere „Dunkelflauten“ von einer Woche und mehr (ZNER 06/2013, S. 577 f.; Speicher können derartig lange Flauten nicht überbrücken) sichergestellt werden?

  • Durch Braunkohlekraftwerke im Westen und im Osten mit starken neuen Übertragungsleitungen zu den süddeutschen Kernkraftwerksstandorten? Das ist eine technisch einfache und sichere Lösung, die aber den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv behindert und ihn letztlich polit-ökonomisch obsolet macht.
  • Oder besser durch schnell regelbare Reservekraftwerke in Süddeutschland, die den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien flankieren und zudem eine sehr kostengünstige Erhöhung der Übertragungsleistung bestehender Leitungen mittels Leiterseiltemperaturmonitoring ermöglichen würden (siehe auch PUBLICUS 2013.5, S. 12 ff. und PUBLICUS 2013.9, S. 10 ff.).
  • Warum auch immer der Bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer ein Moratorium für den Netzausbau gefordert hat, in der Sache hat er Recht:
  • Vor dem Bau weiterer Leitungen muss zwingend das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) reformiert werden. Bei ausreichender Erneuerbarer Stromerzeugung sollten zukünftig konventionelle Kraftwerke kein gesichertes Einspeiserecht mehr haben, insbesondere sollte hierfür und für seltene Windspitzen kein Netzausbau mehr erfolgen (ZNER 06/2013, S. 572).
  • Parallel dazu muss der Netzentwicklungsplan neu erarbeitet und dann das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) und das Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) entsprechend angepasst werden. Erst dann wissen wir, ob und in welchem Umfang tatsächlich neue Leitungen für die Energiewende erforderlich sind.

Fazit: Im Energiewirtschaftsgesetz sollte festgelegt werden, dass zukünftig die Netze nicht mehr für unnötige Kohlestromeinspeisung und für seltene Windenergiespitzen ausgebaut werden und damit nicht mehr von den Stromverbrauchern zu bezahlen sind. Wer einen derartigen Netzausbau fordert, sollte auch die resultierenden Kosten tragen.

Hinweis: Alle zitierten Veröffentlichungen sind abrufbar auf www.JARASS.com unter Energie, Veröffentlichungen.

Prof. Dr. Lorenz Jarass

Prof. Dr. Lorenz Jarass

M.S. (Stanford University, USA). Hochschule RheinMain, Wiesbaden
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