15.04.2014

Demografischer Wandel: Chancen nutzen

Die Wohnungswirtschaft als Ankerakteur kommunaler Demografiepolitik

Demografischer Wandel: Chancen nutzen

Die Wohnungswirtschaft als Ankerakteur kommunaler Demografiepolitik

Der Schlüssel für die wirksame Förderung der selbstständigen Lebensführung liegt in den Altersbildern. | © fotomek - Fotolia
Der Schlüssel für die wirksame Förderung der selbstständigen Lebensführung liegt in den Altersbildern. | © fotomek - Fotolia

Deutschland kann sich dem demografischen Wandel nicht entziehen. Vor allem in Kommunen – in der kleinräumigen Perspektive des Landkreises, der Stadt oder Gemeinde – machen sich die Folgen einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung negativ bemerkbar. Gleichzeitig sind Kommunen, die sich auf den demografischen Wandel einstellen, gegenüber anderen Gemeinden im Vorteil. Städte mit einem breiten Angebot an privaten und öffentlichen Dienstleistungen, mit einem altersaffinen Wohnungsmarkt und einer Vielzahl gut erreichbarer medizinischer und gesundheitswirtschaftlicher Akteure haben die Nase im interkommunalen Wettbewerb vorn.

Eine Schlüsselrolle kommt in diesem Zusammenhang der Wohnungswirtschaft zu, da die selbstständige Lebensführung in der eigenen Wohnung einer der dominanten Wünsche Alternder ist, aber nach wie vor ein enormer Aufholbedarf bei der Versorgung mit altersgerechtem Wohnraum besteht. Diese Lücke zu schließen liegt auch im wirtschaftlichen Eigeninteresse der Wohnungswirtschaft: Ältere Mieter in der Wohnung zu halten, ist ein wichtiger Garant für die Auslastung der Wohnungsbestände. Aus diesem Grund stellt sich die Wohnungswirtschaft den Herausforderungen des demografischen Wandels mit zahlreichen Initiativen zur altersgerechten Ertüchtigung der vorhandenen Wohnungsbestände. Damit schlüpfen die Vermieter auch in die neue Rolle des sozialen Dienstleisters. Denn altersgerechtes Wohnen braucht neben der baulichen Anpassung von Wohnraum und Wohnumfeld ebenfalls das Engagement für die sozialen, instrumentellen und kommunikativen Bedürfnisse einer alternden Mieterschaft.

Wissenschaftliche Begleitung eines Modellvorhabens zum altersgerechten Wohnen in Wernigerode (Sachsen-Anhalt)

Welche konkreten Wirkungen dies auf das Angebotsportfolio der Wohnungswirtschaft hat, wurde im Rahmen des Begleitforschungsprojektes „Koordination und Moderation in Servicepartnernetzwerken der ostdeutschen Wohnungswirtschaft“ (komoserv) unter der Leitung von Prof. Dr. Birgit Apfelbaum an der Hochschule Harz untersucht. Eine Vollerhebung im Bestand eines Wernigeroder Wohnungsbauunternehmens sollte u. a. Aufschluss über die Akzeptanz von Wohnraumberatung, gewünschte Zusatzdienstleistungen und die Techniknutzung im Alter geben. An eine qualitative Vorstudie schloss sich eine Mieterbefragung per Fragebogen an. Als Ergebnis der Begleitforschung konnten konkrete Handlungsempfehlungen für die Wohnungswirtschaft entwickelt werden. Ein wesentliches Resultat ist die Aufforderung an die Verantwortlichen in den Wohnungsbauunternehmen und ihrer Netzwerkpartner, die Differenzierung innerhalb der Gruppe der älteren Mieter zur Grundlage eines zielgruppenspezifischen Kommunikationskonzeptes zu machen. Die älteren Mieter sind eine Fiktion. Es handelt sich vielmehr um eine Gruppe, deren Mitglieder sich insbesondere durch den gesundheitlichen Zustand, den Grad der Mobilität, die Einbindung in soziale Netzwerke und das Alter unterscheiden.


Vor dem Hintergrund der subjektiv hohen Lebenszufriedenheit der älteren Mieter erweist sich die Altersgruppe der 50- bis 65-Jährigen eindeutig als primär zu erreichende Zielgruppe. Fast 50 Prozent der in der Mieterbefragung erfassten Mitglieder dieser Altersgruppe äußern konkrete Modernisierungswünsche in Bezug auf die altersgerechte Gestaltung der Wohnung. Das ist im Vergleich mit anderen Altersgruppen der Spitzenwert. Offensichtlich sind diese Mieter für das Thema des altersgerechten Wohnens besonders sensibilisiert.

Hinzu kommt eine wichtige „Brückenfunktion“ in die Generation ihrer oft noch lebenden, hochaltrigen Eltern. Denn Mieter, die 80 Jahre und älter sind, zeigen zwar eine ähnlich hohe Bereitschaft, eine Wohnraumanpassung tatsächlich vorzunehmen. Allerdings gibt es in dieser Personengruppe eine ausgeprägte Zurückhaltung, den Modernisierungswunsch zu äußern und eine Wohnberatung in Anspruch zu nehmen. Obwohl der Bedarf an altersgerechter Wohnraumanpassung bei gezieltem Nachfragen geäußert wird, ist es für Mitglieder dieser Mietergruppe wahrscheinlicher, sich mit ungünstigen Lebensumständen zu arrangieren, als von sich aus aktiv nach – durchaus vorhandenen und leicht erreichbaren – Auswegen zu suchen. Die alltagspraktische Unterstützung der Kinder für ihre hochaltrigen Eltern und das gemeinsame Anliegen, einen Umzug in die Pflegeeinrichtung nach Möglichkeit zu vermeiden, kann als einer der wesentlichen Ansatzpunkte für Wohnraumanpassung bei über 80-Jährigen gelten.

Dies gilt sicher auch für die Inanspruchnahme von gewerblichen Dienstleistungen bei zunehmender Hilfe- und Pflegebedürftigkeit. Unterstützung im Alltag, so wurde im Rahmen der Mieterbefragung ermittelt, leisten vornehmlich Familienangehörige, Freunde und Nachbarn. Trotzdem wird die Bedeutung von professionellen Leistungen steigen, die – wohnungswirtschaftlich organisierte – Servicepartner-Netzwerke erbringen. Diese Netzwerke bieten nach dem Baukastenprinzip den Mietern bedarfsgerechte Dienstleistungen an und können so „einen gleitenden Übergang von vollständiger Selbstständigkeit bis zu abgestufter, betreuender und pflegender Unterstützung“ in der eigenen Wohnung ermöglichen. Dabei agieren die Unternehmen der Wohnungswirtschaft als Ankerakteure, die mit dem Vertrauensbonus ihrer Mieter den Netzwerken Seriosität verleihen und zur Nutzung motivieren.

Die Ergebnisse der Forschung sind nun in der Buchpublikation „Die Wohnungswirtschaft als Netzwerkakteur der kommunalen Demografiestrategie. Altersgerechte Erweiterungen des Angebotsportfolios als Schlüssel zu Mieterbindung und -gewinnung“ zusammengefasst, die im Oktober 2013 als Band 17 der Schriften zur angewandten Verwaltungsforschung im Verlag Karla Grimberg erschienen ist.

Alter(n)sbilder als Schlüssel zur Erreichung alternder Zielgruppen

Die Veröffentlichung enthält einen überraschenden Befund: Trotz fehlender altersgerechter Wohnbedingungen ist die Resonanz der Alternden, auch im Fall gesundheitlicher Beeinträchtigungen, auf die Angebote zur Wohnraumanpassung und Alltagsunterstützung mäßig. Der artikulierte Wunsch nach Beratung und der objektive Unterstützungsbedarf lagen auch bei den Mietern des untersuchten Wohnungsbestandes in Wernigerode weit über der tatsächlichen Nachfrage nach Wohnraumberatung und -anpassung.

Dafür vermutet das Forschungsteam um Prof. Dr. Birgit Apfelbaum und Thomas Schatz M.A. drei wesentliche Gründe: Erstens setzt das optimistische Selbstbild der Alternden hohe Zugangsschwellen für die Reflexion von Morbidität, Pflegebedarf und Sterblichkeit. „Altsein“ passt wenig zum eigenen Lebensgefühl. Zweitens verfügen ältere Menschen über effektive psychologische Mechanismen, die auch in schwierigen Lebenssituationen ein hohes Maß an Zufriedenheit gewährleisten. Man „wurstelt sich durch“ und behauptet so die Souveränität über das eigene Leben, besonders in kritischen Phasen. Und drittens kann eine Ursache in den stereotypen Altersbildern der Verantwortlichen der Wohnungswirtschaft liegen. Ihnen gelingt es bisher nur unzureichend, die Heterogenität des Alters in ein angemessenes Begriffsinventar zur Ansprache der alternden Zielgruppe umzumünzen.

Der Schlüssel für die wirksame Förderung der selbstständigen Lebensführung bis ins hohe Alter liegt daher in den Altersbildern. Denn Altersbilder sind als verbreitete Vorstellung vom Alter und dem Altern grundsätzlich form- und veränderbar. Es ist darum eine zentrale Aufgabe für alle demografieorientierten Akteure auf kommunaler Ebene, jene Altersbilder zu fördern, welche die Nutzung von Assistenzleistungen und die Annahme von Hilfe als Teil des gelingenden Alters definieren. Am überzeugendsten wirkt stets das praktische Beispiel, weshalb „Alterspioniere“ – ältere Menschen, die ihren Altersgenossen etwas vorleben – von besonderer Bedeutung sind. Auf der anderen Seite ist die Sensibilisierung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für die Vielfalt der positiven Lebensentwürfe Alternder die Grundvoraussetzung, um mit ihnen eine gemeinsame Sprache zu finden und sie zu motivieren, sich helfen zu lassen.

 

Prof. Dr. Birgit Apfelbaum

Professorin für Kommunikations- und Sozialwissenschaften, Fachbereich Verwaltungswissenschaften der Hochschule Harz, Halberstadt
 

Thomas Schatz

M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachbereich Verwaltungswissenschaften der Hochschule Harz, Halberstadt
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