01.04.2020

Das Ende der Vollstreckung von Geldforderungen durch Kommunen?

Ein Diskussionsbeitrag

Das Ende der Vollstreckung von Geldforderungen durch Kommunen?

Ein Diskussionsbeitrag

Für Außenstehende ein richtiges Verwirrspiel. | © peterschreiber.media - stock.ado
Für Außenstehende ein richtiges Verwirrspiel. | © peterschreiber.media - stock.ado

Eine Änderung der Abgabenordnung führt dazu, dass zahlreiche Regelungen in den Vollstreckungsgesetzen der Länder gegen Bundesrecht verstoßen und nicht mehr angewendet werden dürfen – eine Problematik, die die Verwaltungspraxis bisher möglicherweise noch gar nicht realisiert hat.

Die Ausgangslage

Schuldet ein Bürger oder eine Firma der öffentlichen Hand Geldforderungen, so werden diese regelmäßig in letzter Konsequenz zwangsweise eingezogen. Es kann sich hier um Steuern, Gebühren, Beiträge und sonstige Kosten handeln. Die öffentliche Hand muss sich hierzu nicht, wie ein Gläubiger privatrechtlicher Geldforderungen, der Hilfe der Gerichte bedienen. Vielmehr steht den Behörden hierzu ein umfassendes Instrumentarium zur Verfügung, wonach diese die Vollstreckung selbst vornehmen können. Beispielhaft seien hier nur erwähnt: die Finanzämter vollstrecken nach der Abgabenordnung, die Gerichte nach dem Justizbeitreibungsgesetz und entsprechender landesrechtlicher Vorschriften, Bundesbehörden nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes (gegebenenfalls unter Zuhilfenahme des Hauptzollamts), Kommunen wie Kreise und Stadtverwaltungen nach den jeweiligen einschlägigen Landesgesetzen.

Die einzelnen Landesgesetze regeln dabei die Möglichkeiten der Behörden äußerst unterschiedlich. Einige Landesgesetze enthalten sehr detaillierte Regelungen der Eingriffsbefugnisse (z.B. Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen). Andere Bundesländer, wie z.B. Baden-Württemberg und Sachsen, verweisen auf die entsprechenden Regelungen der Abgabenordnung. Dabei sind die möglichen Instrumentarien in den einzelnen Bundesländern wiederum unterschiedlich ausgestaltet, gleich ob diese im Landesrecht geregelt sind oder durch einzelne Verweisungen auf die Abgabenordnung. Dieser Umstand allein ist im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller Steuerschuldner und Abgabenpflichtigen bereits bedenklich. So müssen beispielsweise in Baden-Württemberg Dritte nach dem hier geltenden Landesrecht Auskunft über Rechtsverhältnisse des Abgabenschuldners geben (ein Vermieter ist verpflichtet, die Bankverbindung des Mieters (des Schuldners) der Vollstreckungsbehörde bekanntzugeben, was diese dann für eine Kontenpfändung nutzen kann. Bei gleichem Sachverhalt steht einer Vollstreckungsbehörde in Sachsen dieses Recht nicht zu. Es gäbe weitere zahlreiche Beispiele, die die landesrechtlichen Unterschiede aufzeigen.


Den landesrechtlichen Regelungen ist allerdings eines gemeinsam. Sie enthalten Vorschriften, die mehr oder weniger detailliert oder mehr oder weniger durch Verweis auf die Abgabenordnung Vorschriften enthalten, durch Offenbarung oder Verwertung bereits vorliegender personenbezogener Daten des Steuerpflichtigen, bzw. Abgabenpflichtigen Möglichkeiten der Vollstreckung zu eröffnen.

Das Problem

Nach § 30 Abs. 4 Nummer 2 AO in der bis zum 24. Mai 2018 geltenden Fassung war unter anderem die Offenbarung der durch das Steuergeheimnis (§ 30 Abs. 1 AO) geschützten Daten zulässig, soweit sie durch ein Gesetz ausdrücklich zugelassen war.

Durch Art. 17 Nummer 8 b/cc des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2541), der am 25. Mai 2018 in Kraft getreten ist, ist § 30 Abs. 4 Nummer 2 AO dahingehend geändert worden, dass eine Offenbarung oder Verwertung der durch das Steuergeheimnis geschützten Daten nur noch zulässig ist, soweit sie durch Bundesgesetz ausdrücklich zugelassen ist.

Die Grundaussage dieser Gesetzesänderung (bezogen auf den hier angesprochenen Regelungsbereich) besteht darin, dass eine Durchbrechung des Datenschutzes durch Verwertung und/oder Offenbarung nur noch durch eine ausdrückliche Regelung in einem Bundesgesetz, aber nicht mehr durch ein Landesgesetz oder eine kommunale Satzung angeordnet werden kann (vgl. BT-Drucksache 18/1 2.6.2011, Seite 82).

Die praktischen Auswirkungen

Die Verwaltungspraxis hat bisher die Problematik dieser Gesetzesänderung meines Erachtens noch nicht realisiert. Einzelne Bundesländer sehen datenschutzrechtliche Probleme bei ihren Landesgesetzen, die die Verwertung bekannter Daten regeln (z.B. die bekannte Bankverbindung aufgrund freiwilliger Zahlungen für die Vollstreckung anderweitiger offener Forderungen). Die Auswirkungen sind aber weitaus größer.

Einige beispielhafte Sachverhalte nach dem Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz von Baden- Württemberg (LVwVG):

  • Vollstreckungsersuchen an den Gerichtsvollzieher, § 15a LVwVG Offenbarung von Daten aufgrund eines Landesgesetzes an den Gerichtsvollzieher
  • Amtshilfeersuchen nach § 4 LVwVG: Offenbarung von Daten aufgrund eines Landesgesetzes gegenüber der ersuchten Behörde
  • Abnahme der Vermögensauskunft durch Gerichtsvollzieher aufgrund § 16 LVwVG: Offenbarung von Daten gegenüber dem Gerichtsvollzieher, bei Eintragung im Schuldnerverzeichnis auch gegenüber Dritten aufgrund eines Landesgesetzes
  • Selbstabnahme der Vermögensauskunft aufgrund § 16 LVwVG , Eintragung beim Amtsgericht: Offenbarung von Daten aufgrund eines Landesgesetzes gegenüber anderen berechtigten Gläubigern, Verwertung der Daten für die Vollstreckung
  • Lohnpfändungen, Kontenpfändungen und weitere Forderungspfändungen aufgrund § 15 VwVG: Offenbarung von Daten gegenüber dem Drittschuldner aufgrund eines Landesgesetzes, Verwertung der Daten einer Drittschuldnererklärung
  • Anwendbarkeit des § 93 AO durch Verweis in § 15 LVwVG auf § 249 Abs. 2 AO Verwertung von Daten (Bp oben: Vermieter)
  • Überhaupt: Einschaltung von staatlichen Vollstreckungsorganen aufgrund landesrechtlicher Regelungen.

Eine solche Aufstellung kann beliebig für jedes Bundesland gefertigt werden, je nach Ausgestaltung mit teils gravierender, teils mit marginal geringerer Auswirkung auf die Vollstreckungspraxis.

Zu beachten ist außerdem, dass die Kommunalabgabengesetze regelmäßig auf die Abgabenordnung verweisen (Baden-Württemberg: § 3 KAG), sodass diese hier angestellten Überlegungen (über die Vollstreckung aller öffentlich-rechtlicher Forderungen hinaus!) nicht nur für die Realsteuern (Grund-, und Gewerbesteuer) sondern auch für sonstige öffentlich-rechtliche Forderungen wie andere Steuerforderungen, Gebühren und Beiträge, ggf. auch bei der Erhebung und deren Festsetzung bedeutsam sind.

Hier muss unbedingt zeitnah Abhilfe erfolgen!

Nach der Neufassung der Abgabenordnung verstoßen zahlreiche Regelungen in den Vollstreckungsgesetzen der Länder gegen Bundesrecht und dürfen nicht mehr angewendet werden. Auch weitere landesrechtliche Gesetze und Satzungen können betroffen sein. Hier muss unbedingt zeitnah Abhilfe erfolgen!

Entweder durch ein bundesweites einheitliches Vollstreckungsgesetz (nach den bisherigen Erfahrungen: undenkbar!) oder einer raschen Rückkehr zum „alten“ § 30 AO, der nicht nur ein Bundesgesetz sondern auch eine landesgesetzliche Regelung erlaubte.

Teilweise wurde ausweislich der BT-Drucksache 18/12611 der Beratungsverlauf und das Beratungsergebnis des Gesamtpaketes der Gesetzesänderungen dahingehend kritisiert, dass eine sorgfältige Prüfung und Beratung aufgrund des Zeitdruckes nicht möglich war.

Das kann man auch als Chance verstehen:

Eine Regelung zu finden, die konform mit der Datenschutzgrundverordnung praktikable und rechtssichere Regelungen schafft, die die Verwaltungsvollstreckung der kommunalen Vollstreckungsbehörden wieder ermöglicht, und das möglichst zeitnah und bitte (!) unter dem oben erwähnten Zeitdruck.

 

Ass. jur. Peter Rothfuss

Stadtrechtsdirektor a.D.
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