09.09.2024

Crowdworking in der öffentlichen Verwaltung?

Einsatzmöglichkeiten dieser neuartigen Form der Arbeitsorganisation

Crowdworking in der öffentlichen Verwaltung?

Einsatzmöglichkeiten dieser neuartigen Form der Arbeitsorganisation

© Gefo  – stock.adobe.com
© Gefo – stock.adobe.com

Der Fachkräftemangel ist auch in der öffentlichen Verwaltung ein Thema. Crowdworking bietet das Potenzial, diesen etwas abzumildern.

Im Öffentlichen Dienst in Deutschland fehlen gemäß der Prognose in einer Studie von PricewaterhouseCoopers und deren globaler Strategieberatung „Strategy&“ im Jahr 2024 etwa 700.000 Fachkräfte. Dieses Fachkräftelücke würde sich gemäß dieser Studie ohne Gegenmaßnahmen bis zum Jahr 2030 auf 1,07 Millionen Fachkräfte erhöhen. Es besteht also dringender Handlungsbedarf, um die Handlungs- und Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung auch in Zukunft zu erhalten. Ein Baustein in diesem Kontext könnte der Einsatz einer neuartigen Form der Arbeitsorganisation sein: Crowdworking.

Bei Crowdworking handelt es sich um eine Form der Arbeitsorganisation, die in IT-affinen Ländern wie den USA und China in vielen Bereichen bereits zum Einsatz kommt. Auch in Deutschland setzen Unternehmen bereits Crowdworking ein, wenn auch oft unter anderen Bezeichnungen. Die Bezeichnung leitet sich aus dem Englischen Wort „Crowd“ (Menge) und „Working“ (das Arbeiten) ab. Sie entstand aus dem Wort „Crowdsourcing“, welches erstmals im Jahr 2006 durch den damaligen US-amerikanischen Journalisten (und heutigen Professor) Jeff Howe geprägt wurde. Crowdsourcing ist dabei der „weitere“ Begriff und umfasst auch andere Formen der Beschaffung und Quellenerschließung über eine größere Zahl an Menschen wie beispielsweise Crowdfunding, wo es um die Akquise von finanziellen Mitteln geht. Crowdworking ist so etwas wie eine „Teilmenge“ von Crowdsourcing; hier geht es um das Erbringen von Arbeit, für welche eine Einkommenserzielungsabsicht (Bezahlung oder eine andere Form von monetär quantifizierbarer Gegenleistung) besteht.


Fünf Charakteristika von Crowdworking

Es gibt unterschiedliche Abgrenzungen und Einordnungen von Crowdworking; hier soll die folgende als Basis dienen: Crowdworking beziehungsweise die entsprechenden Digitalen Plattformen (Crowdworking-Plattformen) zeichnen sich durch fünf Charakteristika aus:

  • „Offener Aufruf“: Auf einer Crowdworking-Plattform wird Arbeit gleichzeitig mehreren – oft einer recht großen Anzahl – potenziellen Bearbeitern (anstatt einzelnen bestimmten Individuen) mittels eines offenen Aufrufes angeboten. Diese potenziellen Bearbeiter selbst können aber vorausgewählt sein (beispielsweise eine Gruppe registrierter Teilnehmer auf dieser Plattform, welche bestimmte Berufsausbildungen oder Fachkenntnisse mitbringen).
  • Plattform-basiert: Ein signifikanter Teil der Arbeit wird elektronisch erbracht; die Plattform agiert dabei als Intermediär (und kann durch einen externen Anbieter oder durch die jeweilige Organisation selbst gemanaged werden).
  • Freiwilligkeit: Die Teilnehmer entscheiden selbst, ob sie ihre Arbeitsleistung auf einer solchen Plattform anbieten möchten.
  • Selbstselektion: Nach der generellen Entscheidung, ihre Arbeitsleistung auf einer Crowdworking-Plattform anzubieten, wählen die Teilnehmer (nicht der Plattform-Betreiber oder die Arbeit anbietende Institution), welche angebotene Arbeit sie annehmen möchten (oder nicht). Hier besteht also ein starker Gegensatz zur sonst in Organisationen üblichen Zuweisung von Arbeit (beispielsweise per Direktionsrecht).
  • Bezahlung: Im Gegensatz zu Crowdsourcing(-Plattformen), wo Arbeit nicht vergütet wird, erwarten die Teilnehmer bei Crowdworking(-Plattformen) eine Bezahlung oder ähnliche monetäre Kompensation.
Mögliche Vorteile von Crowdworking

Beim bisherigen Einsatz von Crowdworking haben sich viele potenzielle Vorteile im Vergleich zu „herkömmlichen“ Formen der Arbeitsorganisation herauskristallisiert:

  • Geschwindigkeit: Arbeit kann deutlich schneller geleistet werden. Ein Grund: Nicht selten haben Crowdworking-Plattformen sehr viele Teilnehmer. Die Arbeit kann beispielsweise in kleinere Arbeitspakete aufgeteilt werden, wodurch viele Teilnehmer gleichzeitig an einer Aufgabe arbeiten können. Am Ende wird das dann alles zusammengefügt. Viele Crowdworking-Plattformen haben zudem Teilnehmer aus verschiedensten Ländern der Welt. Arbeit kann beispielsweise in einem Land zu den dort regulären Arbeitszeiten erbracht werden. Danach wird diese beispielsweise am Spätnachmittag an Teilnehmer in einem anderen Land übergeben, wo der Tag gerade beginnt. Diese übergeben das dann wiederum, wenn bei ihnen der Feierabend anbricht. So können bei Einhaltung humaner Arbeitszeiten für die jeweiligen Teilnehmer bei Bedarf auch „Leerzeiten“ genutzt werden.
  • Innovation: Aufgrund der hohen Anzahl an Teilnehmern mit diversen Ausbildungen und beruflichen Hintergründen ist der Innovationsgrad insbesondere bei komplexerer Arbeit höher als bei einer recht homogenen Gruppe innerhalb einer Organisation.
  • Kosten: Die Kosten sind vielfach geringer als bei herkömmlichen Formen der Arbeitsorganisation. Ein Grund hierfür ist die größere Anzahl an Arbeitsangeboten und der Punkt, dass lediglich je nach Bedarf die jeweilige benötigte Arbeitsleistung abgenommen und bezahlt werden muss. In Zeiten, in denen eigene Mitarbeiter beispielsweise aufgrund von Krankheit oder der Einbindung in anderen wichtigen Projekten nicht verfügbar sind, kann Arbeit dennoch bei Bedarf erbracht werden. Hierbei ist aber allein schon aus ethischen Gründen darauf zu achten, dass die Teilnehmer fair bezahlt werden. Verschiedene deutsche Crowdworking-Plattformen haben sich hierzu bereits vor Jahren zu gemeinsamen Mindest-Standards verpflichtet.
  • Qualität: Weil auf Crowdworking-Plattformen meist Teilnehmer mit verschiedensten fachlichen Skills im Einsatz sind, ist die Qualität der erbrachten Arbeit nicht selten höher als bei der Erbringung durch einzelne Individuen einer Organisation, denen diese Arbeit zugewiesen wurde.
Einsatz in der Öffentlichen Verwaltung?

Es gibt viele Beispiele von sehr erfolgreichem Einsatz von Crowdworking in Unternehmen, selbst bei komplexer Arbeit: ein Beispiel ist das Luft- und Raumfahrtunternehmen Airbus, welches diese neuartige Form der Arbeitsorganisation für die Entwicklung einer Frachtdrone und die damit verbundenen Ingenieursleistungen eingesetzt hatte. Insofern stellt sich die Frage, ob Crowdworking auch in öffentlichen Verwaltungen eingesetzt werden kann – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des oben bereits erwähnten Fachkräftemangels –, und wenn ja, welche Rahmenbedingungen dabei beachtet werden müssen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Beschaffungsprozessen erfolgt hier ja keine Beauftragung einer bestimmten Person oder Organisation; im Vorfeld ist also nicht festgelegt, wer genau die jeweilige Arbeit übernimmt. Weil es sich bei den Beauftragten um Externe handelt, resultieren nicht zuletzt aus Datenschutz und anderen rechtliche Aspekten bestimmte Grenzen. Und in der öffentlichen Verwaltung müssten wie in anderen Organisationen auch zunächst einige Prozesse angepasst werden, um diese neuartige Form der Arbeitsorganisation nutzen zu können. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in der öffentlichen Verwaltung ist eine Diskussion und sorgfältige Prüfung der Einsatzpotenziale von Crowdworking aber einen Versuch wert. Crowdworking bietet jedenfalls das Potenzial, diesen Fachkräftemangel etwas abzumildern.

Thema bei 5. Ludwigsburger Digitalisierungsgesprächen

Die 5. Ludwigsburger Digitalisierungsgespräche des Instituts für Digitale Plattformen in Verwaltung und Gesellschaft (DPVG) der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen (HVF) Ludwigsburg am 25. September 2024 von 14:00-16:00 Uhr werden sich diesem Thema widmen. Unter dem Titel „Fachkräftemangel im Öffentlichen Dienst – Können Crowdworking-Plattformen Abhilfe schaffen?“ diskutieren nach einer Begrüßung durch die Rektorin der Hochschule, Dr. Iris Rauskala, vier Experten dieses Thema. Wie bei den Ludwigsburger Digitalisierungsgesprächen üblich, kommt je einer dieser Experten aus dem Bereich der Politik, der Verwaltung, der Wirtschaft und der Wissenschaft: Ronja Kemmer (MdB), Bundestagsabgeordnete und Mitglied sowie Obfrau im Ausschuss für Digitales des Deutschen Bundestages, Bürgermeister Thomas Schäfer, Chef der Verwaltung der Gemeinde Hemmingen und Mitglied im Verwaltungsrat des Zweckverbands 4IT, Dr. Arne-Christian Sigge, Vorstand der Content.de AG sowie Chief Executive Officer und Chief Technology Officer, sowie Junior-Professor Dr. Matthias Hirth, Fachgebietsleiter Nutzerzentrierte Analyse von Multimediadaten an der Technischen Universität Ilmenau. Nach der moderierten Diskussion „auf dem Podium“ besteht wie immer für alle Teilnehmer dieser Veranstaltung die Möglichkeit, Fragen zu stellen und mit den Referenten zu diskutieren.

Die Anmeldung kann unter folgendem Link vorgenommen werden: https://eveeno.com/LB-Digitalisierungsgespraeche5.

Fazit

Crowdworking ist eine neuartige Form der Arbeitsorganisation, die in sehr IT-affinen Ländern wie den USA und China bereits intensiv im Einsatz ist und auch in Deutschland schon von Unternehmen genutzt wird. Über Crowdworking-Plattformen erbrachte Arbeit bietet oft Vorteile im Bereich Geschwindigkeit, Innovation, Kosten und Qualität. Angesichts des Fachkräftemangels im Öffentlichen Dienst sollte diese neuartige Form der Arbeitsorganisation auch intensiv und sorgfältig auf deren potenziellen Einsatz in der Verwaltung geprüft werden.

 

 

Prof. Dr. Volkmar Mrass

Professur für Digitales Verwaltungsmanagement (DVM) und Direktor des Instituts für Digitale Plattformen in Verwaltung und Gesellschaft (DPVG), HVF Ludwigsburg
n/a