09.04.2020

Corona-Krise: Entschädigungen für Unternehmen

Zur Reichweite des Entschädigungsanspruchs nach § 56 IfSG

Corona-Krise: Entschädigungen für Unternehmen

Zur Reichweite des Entschädigungsanspruchs nach § 56 IfSG

Steht Betrieben, die wegen Covid-19 schließen mussten, Entschädigung zu? | © Marcus - stock.adobe.com
Steht Betrieben, die wegen Covid-19 schließen mussten, Entschädigung zu? | © Marcus - stock.adobe.com

Zahlreiche Gewerbebetriebe mussten angesichts des Coronavirus schließen. Stehen den Unternehmen jetzt Entschädigungen nach § 56 IfSG zu? Die Frage ist umstritten.

I. Fragestellung:

Aufgrund des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie wurden weitreichende Öffnungsverbote oder Betriebsbeschränkungen für Gewerbebetriebe angeordnet. Besonders betroffen sind Hotels, Gaststätten, Veranstaltungsorte und Einzelhändler.

Rechtsgrundlage all dieser Maßnahmen ist das Infektionsschutzgesetz (IfSG). Die Zuständigkeit für den Erlass von Schutzmaßnahmen nach diesem Gesetz liegt bei den Bundesländern. Aus diesem Grund ergingen deutschlandweit unterschiedliche Bescheide, Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen. Allen diesen Regelungen ist jedoch gemein, dass gewisse Betriebe mit starkem Publikumsverkehr teilweise oder vollständig geschlossen bleiben müssen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Teilweise sind diese Unternehmen aufgrund der angeordneten Maßnahmen bereits von einer Insolvenz bedroht.


Fraglich ist, ob den betroffenen Unternehmen Entschädigungsansprüche gegen das jeweilige Bundesland zustehen.

II. Bisheriger Stand der Debatte

Die wohl überwiegende Anzahl der bisher zu dieser Frage veröffentlichten Artikel und Stellungnahmen kommt zu dem Schluss, dass Entschädigungsansprüche nicht bestehen. Begründet wird dies insbesondere damit, dass es sich um rechtmäßige Maßnahmen handle. Entschädigungsansprüche auf Grund rechtswidrigen Behördenhandels kämen daher nicht in Betracht. Das IfSG sehe zwar durchaus Entschädigungen für rechtmäßige Maßnahmen vor, Betriebsschließungen würden von den Entschädigungsnormen des IfSG jedoch nicht erfasst.

Dabei konzentriert sich die bisherige Debatte auf die (fehlende) Anwendbarkeit des § 65 IfSG. Ein Rückgriff auf § 56 IfSG wird oft mit der kurzen Begründung ausgeschlossen, dieser gewähre nur dann eine Entschädigung, wenn einem Krankheitsverdächtigen die Ausübung seines Berufs untersagt wird oder er sich in Quarantäne begeben muss. Die Schließung von Betrieben – ohne dass ein Krankheitsverdacht vorliegt – begründe hingegen keinen Entschädigungsanspruch gemäß § 56 IfSG.

III. Rechtsauffassung der Autoren

  1. Es besteht ein Entschädigungsanspruch

Den Unternehmen stehen unter den in Ziff. 2. benannten Bedingungen Entschädigungen nach § 56 IfSG zu.

Auch wir gehen davon aus, dass die ergangenen Verbote rechtmäßig sind. Das Infektionsschutzgesetz wurde zwar noch nie in dieser drastischen Form angewendet, die gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse dürften aber eine sehr weite Auslegung der Eingriffsbefugnisse des Staates rechtfertigen. Die Rechtmäßigkeit der Eingriffe beruht unserer Ansicht nach jedoch gerade darauf, dass den betroffenen Unternehmen eine Entschädigung zu gewähren ist, wenn die Verbote existenzbedrohende Umsatzeinbußen auslösen. Um eine Verhältnismäßigkeit der Eingriffe zu wahren, muss auch die Entschädigungsregelung des § 56 IfSG verfassungskonform weit ausgelegt werden. Ohne einen Entschädigungsanspruch wären jedenfalls Maßnahmen, die existenzbedrohende Umsatzeinbußen auslösen, rechtswidrig.

Das Argument, § 56 IfSG erfasse nur Krankheitsverdächtige, vermag nicht zu überzeugen. Derjenige in dessen Betrieb bisher keine Verdachtsfälle aufgetreten sind, kann entschädigungsrechtlich nicht schlechter gestellt werden, als derjenige, der unter einem konkreten Krankheitsverdacht steht. Die Systematik des IfSG hält die Behörden an, gezielt gegen Kranke und Krankheitsverdächtige vorzugehen. Aufgrund der besonders schnellen Ausbreitung der Covid-19-Pandemie mussten die Parlamente und Behörden der Bundesländer von diesem Grundsatz abweichen und Unternehmen, in denen selbst keinerlei Verdacht vorliegt, den Betrieb untersagen. Im Gegenzug müssen aber auch die Entschädigungsnormen auf diese – nicht unter Krankheitsverdacht stehenden – Betriebe angewandt werden (dazu im Einzelnen sogleich unter III.).

Uns ist bewusst, dass die dargestellte Auslegung des § 56 IfSG zu hohen Zahlungspflichten der Bundesländer führen könnte. Insgesamt erscheint es nur recht und billig, wenn Unternehmen, die zum Schutz der Allgemeinheit mit existenzbedrohenden Verboten belegt werden, auch von der Allgemeinheit entschädigt werden.

  1. Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs

Eine Entschädigung ist jedoch nicht in jedem Fall zu gewähren. Vielmehr müssen unserer Ansicht nach die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:

a. Die Fortführung des Unternehmensbetriebes ist aufgrund eines Verbotes auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes gänzlich unmöglich oder sehr stark eingeschränkt. Das Verbot muss sich gegen das Unternehmen selbst richten oder zumindest die konkrete Gewerbeart betreffen (z.B. Anordnung der Schließungen aller Gaststätten). Nicht ausreichend ist hingegen, dass ein Geschäft/Unternehmen weiter betrieben werden darf, aufgrund von Kontaktverboten oder Ausgangssperren jedoch einen Rückgang des Umsatzes zu verzeichnen hat.

b. Das Verbot darf nicht nur kurzfristig gelten. Betriebsschließung von wenigen Tagen sind entschädigungsfrei hinzunehmen.

c. Der Betrieb muss aufgrund der Schließung/Beschränkung existenzbedrohende Umsatzeinbußen zu verzeichnen haben.

  1. Umfang der Entschädigung

Bei dem Entschädigungsanspruch handelt es sich nicht um einen vollumfänglichen Schadenersatz und auch nicht um einen vollen Ersatz des entgangenen Gewinns. Grundsätzlich werden nur der Verdienstausfall sowie weiterlaufende nicht gedeckte Betriebsausgaben „in angemessenem Umfang“ ersetzt.

Das Unternehmen muss sich zudem anrechnen lassen, wenn es weitere Einnahmen generiert bzw. hätte generieren können (z.B. Onlinehandel). Auch staatlichen Unterstützungsleistungen (wie z.B. die in Berlin teilweise bereits ausgezahlten Soforthilfen für Solo-Selbstständige oder Kleinstunternehmen) sind von der Entschädigung in Abzug zu bringen. Sollten ausreichend Hilfsgelder zur Verfügung gestellt werden, ist ohnehin davon auszugehen, dass betroffene Unternehmen auf eine Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen verzichten werden.

Fraglich ist zudem, ob auch Zeiträume in die Berechnung der Entschädigung einbezogen werden dürfen, in denen (strikte) Ausgangssperren bestanden, die Betriebe also unabhängig von der Schließungsanordnung nicht von Kunden aufgesucht werden hätten können.

IV. Herleitung der Rechtsgrundlage im Einzelnen

  1. Entschädigungsanspruch nach § 65 IfSG

In den juristischen Foren wird derzeit insbesondere § 65 IfSG als potentielle Entschädigungsgrundlage diskutiert. Dieser ist jedoch unserer Ansicht nach nicht einschlägig. Dies liegt insbesondere daran, dass § 65 IfSG die Zerstörung von Eigentum zur Bekämpfung des Ausbruchs von Krankheiten (z. B. Schlachten von Rindern oder Schweinen) entschädigen soll. Solche gezielten Eigentumseingriffe zur Verhinderung einer Übertragung eines Erregers auf den Menschen sind nach §§ 16, 17 IfSG zulässig und werden nach § 65 IfSG entschädigt.

Die Betriebsschließungen beruhen jedoch auf den §§ 28 ff. IfSG, welche Maßnahmen zur Bekämpfung bereits ausgebrochener Krankheiten regeln. Für eine analoge Anwendung des § 65 IfSG dürfte es aufgrund des eindeutigen Wortlauts an einer Regelungslücke fehlen. Eine analoge Anwendung ist aber auch nicht erforderlich: Die hier in Rede stehenden Fälle werden durch eine speziellere Entschädigungsvorschrift (§ 56 IfSG) erfasst.

  1. Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG

Den Unternehmen stehen nach § 56 IfSG Entschädigungen für Betriebsschließungen zu. Dies ergibt sich aus Folgendem:

a. „Klassischer“ Anwendungsfall des § 56 IfSG

Nach § 56 IfSG steht einzelnen Arbeitnehmern oder Selbständigen eine Entschädigung zu, wenn ihnen persönlich als Krankheitsverdächtige die Ausübung ihres Berufs untersagt wird oder sie aufgrund eines Krankheitsverdachts unter Quarantäne gestellt werden. Nach einer Gesetzesänderung vom 27.03.2020 werden zudem solche Erwerbstätige entschädigt, die ihrem Beruf nicht mehr nachkommen können, weil die Betreuungseinrichtung für ihre unter 12 Jahre alten Kinder geschlossen sind und sie keine andere Betreuungsmöglichkeit haben.

Selbständige erhalten in diesen Fällen den Verdienstausfall und — wenn eine Existenzbedrohung besteht — auch die weiterlaufenden, nicht gedeckten Betriebsausgaben in angemessenem Umfang erstattet.

Bei Arbeitnehmern greift die Entschädigung dann, wenn der Arbeitgeber nicht mehr zur Zahlung des Gehaltes verpflichtet ist. Dies wird in der Regel bei der Dauer einer Arbeitsverhinderung auf Grund eines Berufsverbots, einer Quarantäneanordnung oder eines Betreuungsnotstands von mehr als ca. 10 Tagen der Fall sein.

 b. Anwendbarkeit des § 56 IfSG auf Betriebsschließungen/-beschränkungen

In der Literatur wird die Auffassung vertreten, § 56 IfSG finde keine Anwendung auf juristische Personen. Zudem sei § 56 IfSG ausschließlich in den Fällen anwendbar, in denen einer Person die Berufsausübung untersagt wird, weil sie selbst Krankheitsverdächtiger ist.

Ein solchermaßen restriktives Verständnis der Entschädigungsvorschrift vermag jedoch in Anbetracht der weitreichenden Grundrechtseingriffe durch die Exekutive nicht zu überzeugen. Erforderlich ist daher eine verfassungskonforme Auslegung des § 56 IfSG. Um eine Verhältnismäßigkeit der Eingriffe zu wahren, muss § 56 IfSG auch auf juristische Personen angewandt werden können. Darüber hinaus sind Entschädigungen für Betriebsschließungen/-beschränkungen auch dann zu gewähren, wenn in dem betroffenen Unternehmen selbst keinerlei Verdachtsfälle bestehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die eingangs dargestellten Voraussetzungen erfüllt sind.

Für diese verfassungskonforme Auslegung des § 56 IfSG streiten insbesondere die nachfolgenden Argumente

  • Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einem Beschluss zur Vorgängervorschrift des § 56 IfSG (§ 49 Bundes-Seuchengesetz) mit den einem Tätigkeitsverbot innewohnenden Eingriffen in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG und — bei längerfristigen und existenzgefährdenden Maßnahmen – in das Grundrecht aus Art. 14 GG befasst. Das Bundesverfassungsgericht führt in seinem Beschluss vom 29.04.1981 (1 BvL 11/78) aus: „Gemessen an diesen Grundrechten wären Tätigkeitsverbote im Interesse der Allgemeinheit sicherlich zulässig, aber unter Umständen nur dann verhältnismäßig, wenn den Betroffenen eine Entschädigung gewährt wird, die demgemäß nicht im freien Belieben des Gesetzgebers stünde.“ Um eine Rechtmäßigkeit der Verbote sicherzustellen, müssen also im Einzelfall Entschädigungen möglich sein. Daher ist § 56 IfSG entsprechend verfassungskonform auszulegen.
  • Bei genauer Betrachtung der Eingriffsmöglichkeiten zur Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten (§§ 28 ff. IfSG) ging der Gesetzgeber offensichtlich davon aus, dass einschneidende Maßnahmen in die Berufs- und Eigentumsfreiheit primär gezielt gegen „Störer“ (Kranke, Krankheitsverdächtige etc.) vorgenommen werden sollen. Die Entschädigungsnormen sind daher ebenfalls primär auf die Entschädigung der in Anspruch genommenen Einzelpersonen angelegt. Aufgrund der besonders schnellen Ausbreitung der Covid-19-Pandemie musste der Gesetzgeber von diesem Grundsatz abweichen und Unternehmen, in denen selbst keinerlei Verdacht vorliegt, den Betrieb untersagen. Im Gegenzug zur weiten Auslegung der Eingriffsbefugnis ist auch die Entschädigungsnorm weit auszulegen.
  • Der Gesetzgeber wollte mit § 56 IfSG ausnahmsweise eine Entschädigung für den „Störer“ (in diesem Fall: Krankheitsverdächtigen) schaffen. Nach den Grundsätzen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts steht eine Entschädigung nur dem „Nichtstörer“ zu. Geht man davon aus, dass Betriebe, in denen keinerlei Verdachtsfälle vorhanden sind, „Nichtstörer“ sind, muss daher erst Recht eine Entschädigung erfolgen. Ordnet man diese Betriebe auf Grund der Möglichkeit der Begegnung von Menschen als Anlass setzenden „Störer“ ein, so läge wiederum eine Analogie zum krankheitsverdächtigen Störer des § 56 IfSG auf der Hand.
  • Die Gesetzesbegründung des Vorläufergesetzes spricht dafür, dass der Gesetzgeber durchaus auch für Betriebe Entschädigungen vorsehen wollte. Er hatte in den sechziger Jahren jedoch den Einzelkaufmann als Regelfall im Blick. Im Jahr 2020 muss der § 56 IfSG anders gelesen werden.
  • Das in der Literatur bemängelte Fehlen eines „Sonderopfers“ steht einem Anspruch zumindest dann nicht im Wege, wenn eine Existenzbedrohung des Betriebs ausgelöst wird. Kürzere Betriebsschließungen sind dementsprechend voraussichtlich entschädigungslos hinzunehmen. Andauernde Betriebsschließungen, die ein Insolvenzrisiko bergen, können hingegen Ansprüche begründen.
  • Ein „Sonderopfer“ für die Allgemeinheit könnte zudem darin liegen, dass teilweise gezielt gegen bestimmte Betriebe (Gaststätten, Hotels, Einzelhandel) vorgegangen wird, während andere Betriebe – teilweise auch mit erheblichem Publikumsverkehr – ganz oder teilweise geöffnet bleiben dürfen.
  • Ein Entschädigungsanspruch könnte jedoch ggf. für die Zeiträume entfallen, in denen (strikte) Ausgangssperren bestehen, Kunden also ohnehin nicht zu den Betrieben gelangen könnten.
  1. Entschädigungsansprüche außerhalb des IfSG

Das IfSG sperrt andere Entschädigungsansprüche nach dem Wortlaut des Gesetzes und der Gesetzesbegründung nicht. Ein Rückgriff auf das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht oder den Grundsatz des enteignenden Eingriffs ist jedoch entbehrlich, da § 56 IfSG als speziellere Norm bereits eine Entschädigung gewährt.

V. Fazit

Nach alledem sprechen die besseren Argumente dafür, dass den von Betriebsschließungen/-beschränkungen betroffenen Unternehmen in verfassungskonformer Auslegung des § 56 IfSG ein Entschädigungsanspruch zusteht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie aufgrund der Dauer und der Reichweite der Maßnahmen in ihrer Existenz gefährdet werden.

 

Jakob Hans Hien

Rechtsanwalt, Knauthe, Berlin
 

David K. Shaverdov

Rechtsanwalt, Knauthe, Berlin
n/a