24.01.2022

„Corona-Entschädigungen“ für Lockdown (2)

Vorbehalt des Gesetzes als Barriere – Teil 2

„Corona-Entschädigungen“ für Lockdown (2)

Vorbehalt des Gesetzes als Barriere – Teil 2

Ein Beitrag aus »Bayerische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Bayerische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Unternehmer, zum Beispiel Gastwirte, Hoteliers, Betreiber von Sport- und Freizeiteinrichtungen, sehen sich als Verlierer des coronabedingten Lockdowns, insbesondere des ersten. Der Wunsch, dafür entschädigt zu werden, ist ungebrochen. Man zeigt sich überzeugt, das Recht der staatlichen Ersatzleistungen in seiner gegenwärtigen Ausprägung vermittle einschlägige Ansprüche. Hält dies einer juristischen Analyse stand? (Teil 2)

1. Belastende Regelungen als Quelle der Schäden

In der Entschädigungspraxis stößt man sehr häufig auf das Argument, eine Entschädigung müsse auf der Basis des enteignenden Eingriffs oder über die geschilderte analoge Anwendung anderer Anspruchsgrundlagen zuerkannt werden, weil nur so die Verhältnismäßigkeit der zugrunde liegenden infektionsschutzrechtlichen Maßnahme (im Folgenden: Primärmaßnahme) gewahrt werden könne. Weiter wird geltend gemacht, die den Lockdown bewirkenden infektionsschutzrechtlichen Regelungen verursachten bei den betroffenen Unternehmern kompensierungspflichtige Sonderopfer. Im Folgenden wird unterstellt, dass diese Behauptungen zutreffen, also erstens die Verhältnismäßigkeit der Primärmaßnahmen von Entschädigungen abhängt und zweitens die betroffenen Unternehmer tatsächlich Sonderopfer erleiden. Gleichwohl führt dies nicht zum Erfolg. Von welchen Primärmaßnahmen sprechen wir? Es sind diejenigen Anordnungen auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes, die unmittelbar das Herunterfahren der Unternehmenstätigkeit bewirkt haben. Dabei handelt es sich um Regelungen entweder per Rechtsverordnung oder per Verwaltungsakt. Dieser Typus an Primärmaßnahmen tritt im Zusammenhang mit dem Anspruch aus enteignendem Eingriff nur sehr selten in Erscheinung. Die Rechtsprechung des BGH offenbart dies: Generell sind die Institute des enteignenden Eingriffs sowie des allgemeinen Aufopferungsanspruchs vorwiegend durch Schäden geprägt, welche durch Realakte des Staates18 hervorgerufen worden sind.19 Die unmittelbar regelungsbedingten Schäden, wie sie hier gegeben sind, verkörpern die Ausnahme.20 Der BGH hat sogar formuliert, zumeist gehe es um atypische und unvorhergesehene Nachteile.21 Wenn auch selten, so findet man doch auch nach Aufgabe desmateriellen Enteignungsbegriffs Anfang der 1980er-Jahre22 Regelungen als Ausgangspunkt für Ansprüche aus enteignendem Eingriff, vorwiegend im Zusammenhang mit Planfeststellungen.23 In jüngerer Zeit hat der BGH über einen Anspruch aus enteignendem Eingriff nach strafverfolgungsrechtlicher Beschlagnahme eines Presserzeugnisses entschieden.24

a) Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Primärmaßnahmen

Staatliche Maßnahmen im Bereich des Infektionsschutzes sind geeignet, die unterschiedlichsten Grundrechte einzuschränken. Die Maßnahmen des Lockdowns berühren massiv die Berufsfreiheit der betroffenen Unternehmer; diese beklagen auch Eingriffe in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum.25 Welche Freiheitsgrundrechte auch immer betroffen sind, jeder Eingriff kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn er verhältnismäßig ist. Seit Etablierung der so genannten ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts26 kann nicht mehr angezweifelt werden, dass auch außerhalb einer Enteignung27 die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum von der Gewährung einer angemessenen Entschädigung abhängen kann.28 Generell jedoch verkörpert die Gewährung einer Entschädigung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur die Ultima Ratio: Das gesetzliche Eingriffsrecht muss grundsätzlich vielmehr so ausgestaltet sein, dass es der von den betroffenen Freiheitsgrundrechten vorgesehenen Bestandsgarantie Rechnung trägt.29 Die grundrechtlich geschützten Güter – egal ob das Freiheitsgrundrecht tätigkeits- (z. B. Berufstätigkeit, Freizügigkeit, Meinungsäußerung) oder substanzbezogen (z. B. körperliche Unversehrtheit, Eigentum) ist – als solche dürfen nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt sein. Der Staat hat in erster Linie dafür zu sorgen, dass es erst gar nicht zu Unverhältnismäßigkeiten kommt (z. B. durch Übergangsvorschriften, Ausnahmen, Befreiungen). Wenn doch, hat die betreffende staatliche Maßnahme im Prinzip zu unterbleiben. Weist die staatliche Maßnahme aber Priorität auf, kann es hinzunehmen sein, dass sie gleichwohl durchgeführt wird und die grundrechtliche Bestandsgarantie einer bloßen Wertgarantie weicht.30 Die Verhältnismäßigkeit der prioritären staatlichen Maßnahme wird dann ausnahmsweise31 durch Gewährung einer finanziellen Kompensation gewahrt.32


Obwohl stets nur in Zusammenhang mit Art. 14Abs. 1GGunter dem Topos der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung erörtert, sind Entschädigungsregelungen zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen nicht per se auf das Eigentum beschränkt. Insbesondere im Rahmen von Art. 12Abs. 1GG erscheint ein Umschlagen von der Bestands- zur Wertgarantie denkbar;33 denn die mit Eingriffen in die Berufsfreiheit typischerweise verbundenen Nachteile dürften grundsätzlich durch finanziellen Ausgleich kompensierbar sein.34 Was aber oft übersehen wird: Die ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung als solche – egal, ob sie im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 GG oder eines anderen Freiheitsgrundrechts auftritt – verkörpert keine Entschädigungsgrundlage, sondern begründet vielmehr die Notwendigkeit einer solchen.35 Die besagte Entschädigungsgrundlagemuss in ihren wesentlichen Facetten parlamentsgesetzlich geregelt sein. Ohne Weiteres erschließt sich, dass im Infektionsschutzrecht als klassischem Sektor der Eingriffsverwaltung der parlamentarische Gesetzgeber berufen ist, detaillierte Ermächtigungsgrundlagen beziehungsweise Befugnisnormen vorzusehen. Diesem Auftrag wird der Gesetzgeber nur dann in verfassungskonformer Weise gerecht, wenn er ein verhältnismäßiges „Gesamtpaket“ anbietet. Dabei spielt keine Rolle, ob der Eingriff in die Grundrechtssphäre der einzelnen Unternehmer schon unmittelbar durch Gesetz oder erst durch Verwaltungsakt in Ausfüllung einer gesetzlichen Befugnisnorm geschieht. Jedenfalls muss das gesetzliche Reglement gewährleisten, dass das normenkonforme Gebrauchmachen von einer Befugnisnorm durch die vollziehenden Behörden nicht zu unverhältnismäßigen Ergebnissen führt. Der Gesetzgeber, und niemand anderer, muss das Eingriffsszenario „zu Ende denken“ und dementsprechende Vorkehrungen treffen. Dazu gehört unter Umständen eben auch die Abwendung unverhältnismäßiger Ergebnisse mittels Gewährung einer Entschädigung. In Fällen ausgleichspflichtiger Inhaltsbestimmungen36 stellt die Entschädigung einen elementaren Teil des Eingriffsregimes insgesamt dar.37 Ohne sie geht die verfassungsrechtliche Ausgewogenheit verloren. Die Entschädigungsregelung steht nicht außerhalb des Eingriffsregimes, sondern ist dessen Baustein. Das aber macht die Entschädigung zur Aufgabe des Gesetzgebers,38 so wie der Gesetzgeber von Verfassungs wegen auch die Primärmaßnahmen als solche zu regeln hat.

Der Vorbehalt des Gesetzes verbietet, dass der Gesetzgeber nur „Stückwerk abliefert“. Das gilt im Prinzip auch dann, wenn die rechtlichen Auswirkungen bei Erlass des Gesetzes nicht vollständig absehbar gewesen sein sollten,39 Unverhältnismäßigkeiten können angesichts dessen nicht durch richterrechtliche Institute wie den enteignenden Eingriff oder den allgemeinen Aufopferungsanspruch oder durch analoge Heranziehung bestehender Entschädigungsregelungen geheilt werden.40 Zu diesem Ergebnismuss auch gelangen, wer für die Fälle gänzlich unvorhersehbarer Unverhältnismäßigkeiten ausnahmsweise diese Anspruchsgrundlagen als „Notbehelf“ zulassen möchte. Denn die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns waren sehr wohl vorhersehbar: Der Gesetzgeber des Infektionsschutzgesetzes war sich dessen bewusst, dass der Infektionsschutz auch die Schließung von gewerblichen Betrieben notwendig machen kann. Entsprechende Eingriffsbefugnisse existieren nämlich seit jeher: Bereits das Bundes- Seuchengesetz sah mit § 43 von Anfang an die Möglichkeit vor, Maßnahmen gegen die Allgemeinheit zu treffen. Wenn entsprechende Anordnungen aber zum tradierten Arsenal an infrage kommenden Schutzmaßnahmen gehören, müssen die wirtschaftlichen Folgen dessen für die betroffenen Unternehmer aus der Sicht des Gesetzgebers geradezu auf der Hand gelegen haben.

b) Regelungsbedingtes Sonderopfer

Der parlamentarische Gesetzgeber ist auch vor dem Hintergrund gefordert, dass eine regelungsbedingte Sonderopferposition ungehindert auf die Primärmaßnahme durchschlägt und diese rechtswidrig macht. Jedes Sonderopfer impliziert nach der Rechtsprechung des BGH einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Der BGH definiert das Sonderopfer als besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für dieAllgemeinheit.41 Konkreter hat er formuliert, es sei zu fragen, ob eine Beeinträchtigung einer geschützten Rechtsposition vorliege, durch die – wenn kein Ausgleich in Geld erfolge – der Rechtsinhaber unverhältnismäßig oder im Verhältnis zu anderen ungleich in unzumutbarer Weise belastet werde.42 Neuerdings judiziert der BGH, es müsse geprüft werden, ob die Einwirkungen auf die Rechtsposition des Betroffenen im Verhältnis zu anderen, ebenfalls betroffenen Personen eine besondere Schwere aufwiesen oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirkten.43 Wie ist es zu erklären, dass dem BGH zufolge dieser Gleichheitsverstoß nicht samt und sonders die Rechtswidrigkeit und Aufhebbarkeit der Primärmaßnahme nach sich zieht? Diese Frage drängt sich auf, weil ein Anspruch aus enteignendem Eingriff gerade eine rechtmäßige staatliche Maßnahme voraussetzt. So liegt die Annahme nicht fern, womöglich existierten mehrere Ebenen der Rechtswidrigkeit.

Die Lösung ist einfach: Es ist der Rechtsgedanke des § 906 BGB, der den Begriff der Rechtswidrigkeit (der Primärmaßnahme) „auffasert“. Das Gros der Fälle des enteignenden Eingriffs dreht sich um bloße Kollateralschäden und erscheint daher wie geschaffen, um just nach diesem Rechtsgedanken beurteilt zu werden. Bei den im Zuge des Anspruchs aus enteignendem Eingriff diskutierten Sonderopfern handelt es sich nämlich in der Regel um faktische Beeinträchtigungen durch öffentliche Anlagen im weitesten Sinn; diese Beeinträchtigungen werden entweder durch den Betrieb der Anlagen oder durch Baumaßnahmen an denselben hervorgerufen. Der Staat tritt an sich nicht anders als jeder störende private Nachbar auf. Zu einer öffentlich-rechtlichen „Affäre“ wird das Ganze nur, weil der Betrieb der Anlage zu den öffentlichen Aufgaben zählt und daher die daraus entstehenden Rechtsbeziehungen auch öffentlich-rechtlicher Natur sein können. So müssen Emissionen (nicht beschränkt auf den Begriff des BImSchG) einer öffentlichen Anlage öffentlich-rechtlich und nichtunmittelbar nach § 906BGBbeurteiltwerden. Die anzuwendenden rechtlichen Kriterien sind jedoch dieselben. Streng genommen gilt hier also das Nachbarschaftsrecht des BGB – wenn auch nur in Analogie.44 Was gibt § 906 BGB vor? Nach § 906 Abs. 1 BGB sind unwesentliche Einwirkungen hinzunehmen.

Solche unwesentlichen Einwirkungen begründen, wenn sie von öffentlichen Anlagen ausgehen, kein Sonderopfer. Wesentliche Einwirkungen können nicht stets unterbunden werden. Vielmehr müssen sie hingenommen werden, wenn sie ortsüblich und nicht auf zumutbare Weise zu verhindern sind; dann aber ist nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ein angemessener Ausgleich in Geld zu gewähren. Insoweit hat das Gesetz „dulde und liquidiere“ zum Prinzip erhoben. § 906BGBliefert eine gerechte Blaupause für jegliche Nachbarschaftskonflikte. Die frappierenden Parallelen zu privaten Nachbarschaftsverhältnissen rechtfertigen es, das Regelungskonzept des § 906 BGB auch bei im weitesten Sinn emittierenden öffentlichen Anlagen heranzuziehen. Genau die rechtlichen Differenzierungen, die § 906 BGB vorsieht, verfolgt der BGH im Rahmen des enteignenden Eingriffs in Zusammenhang mit im weitesten Sinn emittierenden öffentlichen Anlagen: Durch den Ausstoß solcher Emissionen, die bei einzelnen Nachbarn ein Sonderopfer bewirken, wird der Betrieb der öffentlichen Anlage nicht zwingend in der Weise rechtswidrig, dass seine Einstellung verlangt werden kann. Das Vorliegen eines Sonderopfers bei dem einzelnen Betroffenen mit dem damit verbundenen Gleichheitsverstoß schlägt nicht unbedingt auf die Rechtmäßigkeit des Betriebs insgesamt durch. Dazu kann es zwar durchaus kommen, allerdings nur bei (qualitativ und/oder quantitativ) inakzeptablen Auswirkungen. Diesseits dieser Grenze erzeugen wesentliche Einwirkungen einer öffentlichen Anlage ein Sonderopfer, das lediglich über den Anspruch aus enteignendem Eingriff (als Pendant zu § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB) auszugleichen ist, das aber nicht den Bestand der öffentlichen Anlage gefährdet. Der Vorbehalt des Gesetzes steht dieser Handhabung nicht entgegen, weil sich schon der Betrieb einer öffentlichen Anlage als solcher einer Regelung durch Gesetz entzieht; das gilt im Wesentlichen auch für mögliche Entschädigungsfragen.

Per Gesetz könnte im Entschädigungsbereich lediglich eine sehr allgemeine Anspruchsgrundlage, wie sie § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB für das Zivilrecht verkörpert, geschaffen werden. Das erscheint aber, da es sich lediglich um Kollateralschäden in Einzelfällen handelt, nicht geboten; ob Kollateralschäden vorhersehbar sind oder nicht, spielt insoweit keine Rolle.45 Bestätigung erfährt die Einschätzung, die Materie gehöre nicht zu den im Sinn des Vorbehalts des Gesetzes wesentlichen Entscheidungen, durch die juristische Behandlung von verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen. Dabei handelt es sich um Rechtsverhältnisse im Bereich des öffentlichen Rechts (auch und gerade außerhalb eines öffentlich-rechtlichen Vertrags), in denen bei besonders enger Beziehung zwischen Bürger und Staat46 Interessenkonflikte auftreten („vertragsähnliches Näheverhältnis“47), wie man sie üblicherweise im bürgerlichen Recht findet. Diese werden – ohne unmittelbare parlamentsgesetzliche Grundlage48 – mittels analoger Anwendung von Vorschriften des BGB oder auf der Basis allgemeiner Rechtsgrundsätze bewältigt. Auch die beschriebenen Nachbarschaftskonflikte, die in Ansprüche aus enteignendem Eingriff münden, können dieser speziellen Kategorie von öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen zugeordnet werden – auch sie sind „privatrechtsähnlich“. Warum muss dieses Modell für Sonderopfer, die durch den Lockdown entstanden sind, versagen? Die eintretenden Sonderopfer zeigen, wenn die Primärmaßnahme eine eingreifende Regelung verkörpert, gänzlich andere, weitreichendere rechtliche Wirkungen. Man hat es im Zuge des Lockdowns nicht mit einer bloßen „Nachbarschaftslage“ zu tun. Es geht nicht lediglich um faktische Einwirkungen einer öffentlichen Anlage, nicht um bloße Kollateralerscheinungen.

Die Nachteile, die als Sonderopfer reklamiert werden, beruhen vielmehr unmittelbar auf gesetzlichen Regelungen beziehungsweise auf deren Umsetzung per verbietendem Verwaltungsakt; sie gehören zum Wesen der Maßnahme. Entstünde hier bei einem unmittelbar von der eingreifenden Regelung Betroffenen tatsächlich ein Sonderopfer gerade durch diese oder deren Vollzug, wäre die Primärmaßnahme als solche durch den Gleichheitsverstoß „infiziert“. Denn der Gleichheitsverstoß ließe sich nicht von der eingreifenden Regelung rechtlich lösen; es bliebe kein „Hauptteil“ der Primärmaßnahme zurück, der als rechtlich unversehrt gelten dürfte. Diese drastischen rechtlichen Auswirkungen von Sonderopfern im Regelungssektor bedingen deren Bewältigung gerade durch den Gesetzgeber.

IV. Fazit

Die Begründungsansätze der vom ersten Lockdown betroffenen Unternehmer, mit denen eine Entschädigung erschlossen werden soll, führen nicht zum Ziel. Ein unterstelltes Sonderopfer lässt sich nicht über Rechtsanalogien oder die richterrechtlichen Institute des allgemeinen Staatshaftungsrechts bei rechtmäßigem Staatshandeln bewältigen. Dass der Gesetzgeber keine Entschädigungsregelung erlassen hat, kann allenfalls die Rechtswidrigkeit der Primärmaßnahme mit den entsprechenden entschädigungsrechtlichen Konsequenzen bewirken.49 Ein Liquidieren bei Rechtmäßigkeit der Maßnahmen oder bei Verzicht auf Primärrechtschutz scheidet jedoch aus.50

 

Besprochen in BayVBl. 12/2021.

 

18 Typische Beispiele für enteignende Eingriffe: Straßenbau, U-Bahn-Bau, Emissionen von Anlagen der öffentlichen Hand (z. B. Mülldeponie), kommunale Regenrückhaltebecken, Manöverfolgen.

19 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht Band II, 6. Aufl. 2000, § 72 Rn. 4, sieht den Anwendungsbereich des Anspruchs aus enteignendem Eingriff sogar komplett auf Realakte beschränkt. Vgl. zur Bandbreite der möglichen entschädigungsfähigen Eingriffe BGH NJW 1986, 2423/2424; BGH BayVBl. 1988, 186 = NJW 1988, 478/480; BGH NJW 2005, 1363.

20 Vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 338 f.

21 Vgl. BGH NJW 2013, 1736.

22 Als entscheidende Zäsur für den Wandel des Enteignungsbegriffs wird gemeinhin der sog. Nassauskiesungsbeschluss des BVerfG NJW 1982, 745 angeführt, vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 326 f.

23 Vgl. BGH NJW 1999, 1247.

24 BGH NJW 2017, 1322. Der BGH hat einen Anspruch mangels Sonderopfer abgelehnt; mit dem Problem des Vorbehalts des Gesetzes hat er sich nicht befasst.

25 Vgl. zur Betroffenheit in beiden Grundrechten Bethge/Dombert, NordÖR 2020, 329/332.

26 Vgl. grundlegend BVerfG NJW 1982, 633 (Pflichtexemplar); BVerfG NJW 1999, 2877 (Denkmalschutz).

27 Dort ergibt sich die Entschädigungsbedürftigkeit unmittelbar aus Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG.

28 Dass die den Lockdown bewirkenden infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen keine Enteignungen im Sinn Art. 14 Abs. 3 GG sind, ist offensichtlich; vgl. Kment, NVwZ, 2020, 687; vgl. allgemein zu den Merkmalen einer Enteignung BVerfG NJW 2017, 217/224 f.

29 Es besteht ein Primat substanzwahrender Vorkehrungen des Gesetzgebers, vgl. BVerfG NJW 1999, 2877/2879; BVerfG NJW 2017, 217/226; Melchinger, NJW 1991, 2524/2527.

30 Vgl. BVerfG NJW 2017, 217/225 f.

31 Vgl. eindrücklich BVerfG NJW 1999, 2877/2879; BVerfG NJW 2017, 217/226.

32 Wobei vom Grundsatz her Eingriffe entschädigungslos hinzunehmen sind, vgl. BVerfG NJW 1999, 2877/2878; der Staat muss Grundrechtseingriffe nicht „erkaufen“.

33 So wohl Shirvani, NVwZ 2020, 1457/1460 ff. Das BVerfG hat nicht erst jüngst anerkannt, dass die Indienstnahme Privater für staatliche Aufgaben (= Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG) unter Umständen eine Entschädigungsregelung erfordert, vgl. BVerfG NJW 1971, 1255; BVerfG NJW 1978, 1475; BVerfG NJW 1980, 2179.

34 Wobei der BGH auf Rechtsgüter des Art. 12 Abs. 1 GG aber weder den Anspruch aus enteignendem Eingriff noch den allgemeinen Aufopferungsanspruch anwenden möchte, vgl. BGH NJW 1994, 1468.

35 Missverständlich Berwanger, NVwZ 2020, 1804/1806, wenn von „mittelbarer Anspruchsgrundlage“ gesprochen wird.

36 Vgl. zur Frage, ob eine ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung vorliegt, Shirvani, NVwZ 2020, 1457/1460 ff. – pro; Berwanger, NVwZ 2020, 1804/1805 ff. – contra.

37 Den engen Zusammenhang zwischen Ausgleichsansprüchen und Inhaltsbestimmung betont Melchinger, NJW 1991, 2524/2528.

38 Vgl. BVerfG NJW 1999, 2877/2879.

39 Vgl. dazu Kluth in Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht Band II, § 72 Rn. 1. In diesen Fällen dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung nicht überspannt werden; sog. Salvatorische Entschädigungsklauseln müssen ausreichend sein (vgl. Kluth in Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht Band II, § 72 Rn. 23; strenger:

Melchinger NJW 1991, 2524/2531).

40 So auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 279 ff.; die Autoren wollen aber bei unvorhersehbaren Eigentumsverletzungen gleichwohl einen (Rest-)Anwendungsbereich für den Anspruch aus enteignendem Eingriff bejahen (vgl. S. 331 ff.).

41 Vgl. BGH NJW 1992, 3229/3232; BGH NJW 2013, 1736.

42 BGH NVwZ 1996, 930/931 f.

43 BGH NJW 2017, 1322/1324 f.

44 Vgl. BGH NJW 1984, 1876/1877: „öffentlich-rechtliches Gegenstück“ zu § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB; vgl. dazu Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 329.

45 Vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 328, 330, 346: Der BGH schließe nicht alle „Voraussehbarkeitsfälle“ aus.

46 Vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 403.

47 So Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 402.

48 Anders beim öffentlich-rechtlichen Vertrag – siehe z. B. Art. 62 Satz 2 BayVwVfG.

49 Wobei keine verwaltungsgerichtliche Entscheidung bekannt ist, die Maßnahmen des ersten Lockdowns gerade wegen des Fehlens einer Entschädigungsregelung für unverhältnismäßig befunden hat.

50 Vgl. dazu Kment, NVwZ 2020, 687.

 

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Die Serie: „Corona-Entschädigungen“ für Lockdown

 

 

 

Dr. Thomas Vießmann

Ministerialrat, Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege
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