07.02.2022

Moderne und digitale Polizei von morgen – Digitalisierung geht nur mit den Menschen!

Überblick über Digitalisierungschancen der Polizei

Moderne und digitale Polizei von morgen – Digitalisierung geht nur mit den Menschen!

Überblick über Digitalisierungschancen der Polizei

Ein Beitrag aus »Deutsches Polizeiblatt« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Deutsches Polizeiblatt« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Digitalisierung soll und muss die Polizei leistungsfähiger und flexibel machen. Dieser Beitrag versteht Digitalisierung als einen Wandel des analogen Lebens in digitale Formate. Ein Innovationsschub und eine Chance für die Polizei? In jedem Fall, doch Vorteile für die Beschäftigten stellen sich nicht automatisch ein. Informationstechnologien verändern die gesellschaftliche Kommunikation

Die aktuellen Ergebnisse der ARD/ZDF Onlinestudie1 belegen: Wir erleben einen Umbruch, der der industriellen Revolution in nichts nachsteht. Damit ist nicht die Digitalisierung an sich gemeint, die eine Veränderung der Arbeitswelt schuf. Es ist das Wirken im Netz insgesamt, private wie berufliche Dauerpräsenz. Verstärkt wird dies ggf. in den Jahren 2020 und 2021 durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Der Anteil der Internetnutzer in Deutschland lag im Jahr 2020 bei 94 % (2014: 79,1 %). In der Altersgruppe der sogenannten „Digital Natives“ (14 bis 29 Jahre) liegt dieser Anteil auch weiterhin bei nahezu 100 %. Online- Aktivitäten konzentrieren sich dabei auf die Nutzung von Streamingdiensten und auf Social Media. Dabei nutzen 68 % der Befragten täglich WhatsApp. Die sog. neuen Medien beeinflussen weiterhin das Kommunikations-, Sozial- und Sprachverhalten, die Sprachkultur und das Konsumverhalten in der Gesellschaft.

Digitalisierung verändert die Art des Arbeitens

Menschen, die sich noch an die Volkszählung von 1987 und die erbitterten politischen Begleitprozesse ab dem Jahr 1981 erinnern können, müssen mit Verwunderung auf die aktuellen Entwicklungen schauen. Ging es damals um die Angst, der Mensch werde gläsern, formuliert 2009 das Manifest der Digital Natives: „Das Virtuelle ist Teil der Realität, die Unterscheidung zwischen Arbeit und Privatheit wird in Teilen aufgegeben, die Digitalisierung ermöglicht es allen Menschen, Informationen zu verteilen, zu kommunizieren und sich auszutauschen.“


„Digital Natives“ sind Personen der gesellschaftlichen Generationen, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind. Diese Generationen werden die Gesellschaft und insbesondere auch die Polizei revolutionieren, denn sie sind mit den jüngsten Einstellungsjahrgängen Beschäftigte der Polizei. Seit dieser Zeit wird gefordert, starre Arbeitszeitmodelle abzuschaffen und globales Arbeiten unter Inkaufnahme verschiedener Zeitzonen zu ermöglichen. Nun – 12 Jahre später – sind diese Gedankengänge in der Polizei angekommen und zunehmend auch gelebte Realität. Jetzt muss es darum gehen, die damit einhergehenden unterschiedlichen Anforderungen und Interessenslagen zu ordnen.

Kommunikation und Partizipation

„Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Zitat von Paul Watzlawik) Kommunikation findet immer und überall statt. Und somit wird es auch ohne Steintafel im Zuge der Digitalisierung nicht zum Niedergang der Kultur und Zivilisation kommen. Dennoch sind bereits Veränderungen eingetreten, die sich beschleunigen werden. Die Erwartungen der Bevölkerung an die Transparenz staatlichen Handelns – wie auch an die Kommunikation und Information staatlicher Stellen – sind erheblich gestiegen. Rheinland-Pfalz versucht diesem Anspruch gesetzgeberisch Rechnung zu tragen. Einfach übersetzt könnte man sagen, dass die Verwaltung in Rheinland-Pfalz auf dem Weg zu einer „gläsernen Verwaltung“ ist. Für die Eingriffsverwaltung, wie die Polizei sie darstellt, ist dies Fluch und Segen zugleich. Soziale Medien schaffen die Möglichkeit, Sprache der Neuzeit zu verschriften. Persönliche Interaktionsmuster haben sich vom Gespräch hin zum digitalen Dialog verlagert. Jedoch ist die Sprache im digitalen Umfeld eine andere, als wir sie sonst üblich kennen.

Die Polizei darf sich insbesondere bei der Nachwuchsgewinnung diesen Kommunikationsformen nicht verschließen. Die Polizei Rheinland- Pfalz nutzt aus diesem Grund proaktiv soziale Medien für die Ansprache potenzieller Interessenten. Auch in der Darstellung ihrer Arbeit sollte die Polizei sich diesen Kommunikationsformen weiter öffnen, ohne dabei gleich über „jedes Stöckchen springen“ zu müssen. Die Polizei ist die Institution, welcher der Staat das verfassungsrechtlich legitimierte Gewaltmonopol zur Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit und zum Schutz der Demokratie anvertraut. Kommunikation und Sprache dürfen sich insofern nur so weit an die digitalen Kommunikationsformen anpassen, dass diese Rolle nicht in Zweifel gezogen werden kann. Vom Staat werden moderne Instrumente und eine Anpassungsfähigkeit an gesellschaftliche Innovation abverlangt.

Der Polizeiberuf ist größtenteils ein „Kontaktberuf “. Der persönliche Kontakt und die Möglichkeit, via Notruf oder das klassische Telefon „Notsituationen“ mitzuteilen, müssen erhalten bleiben. Die Polizei genießt ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung2. Dieses ist geprägt durch persönliche Präsenz und Ansprechbarkeit. Dies muss im analogen und im digitalen Lebensraum gelten. Digitale Möglichkeiten können und müssen die polizeiliche Dienstleistung sinnvoll ergänzen. Moderne und kreative Ideen, wie z. B. die Einstellung von Fachkräften wie Online-Redakteuren, IT-Spezialisten sind hier längst überfällig. Auch die Einführung der Onlinewache in Rheinland-Pfalz kann in diesem Zusammenhang mitgenannt werden. Solche Instrumente machen jedoch nur Sinn, wenn sie als eine Ergänzung insgesamt zu einer Entlastung beitragen (bei der Bevölkerung und den Beschäftigten der Polizei).

Kriminalitätsbekämpfung

Gerade bei der Entdeckung und Verfolgung von Straftaten sind polizeiliche Präsenz und Ermittlungsarbeit, aber auch ein adäquates digitales Kontakt- und Kommunikationsangebot durch die Polizei zwingend notwendig, um keinen rechtsfreien Raum entstehen zu lassen. Durch das veränderte Kommunikationsund Internetnutzungsverhalten haben sich Tatbegehungsformen verstärkt (z. B. Kinderpornografie), andere sind hinzugekommen. „Vor die Lage zu kommen!“ fällt insbesondere aufgrund der Globalisierung und Internationalität von Kriminalität und der Massedaten schwer. Die Einführung digitaler Ermittlungsmethoden hat bereits und wird auch weiterhin unweigerlich zu einer Arbeitsverdichtung führen. Techniken ermöglichen neue Ermittlungsansätze und bereits im Jahr 2006 hat das BVerfG darauf hingewiesen, dass staatliche Organe mit dem technischen Fortschritt Schritt halten müssen.

Die Polizei ist in Teilen zu langsam, weil sie in ihrer Ermittlungsarbeit nicht digital genug ist. Die Polizei kann Straftaten nur schwer aufklären, weil die digitale Welt und ihre damit einhergehende Anonymität die Täterkreise oftmals schützt. Der Grundsatz „die Taktik bzw. die Praxis folgt dem Recht“ stellt die Polizei tagtäglich vor weitere Herausforderungen. Zum einen ist eben die technische Entwicklung schneller als die Gesetzgebung und zum anderen führen die Globalisierung und Internationalität von Kriminalität im digitalen Raum zu rein praktischen Problemstellungen, wie z. B. Erschwernisse im Rahmen der Rechtshilfe, stringente Regelungen zum Datenschutz und Zuständigkeitsgerangel. Die Dienststellen der Polizei, insbesondere der Kriminalpolizei, müssen technisch und personell so ausgestattet werden, dass Verstöße auch so abgearbeitet werden können, wie das Strafprozessrecht dies von der Polizei verlangt. Die Polizei muss also personell und organisatorisch so aufgestellt werden, dass sie diesen Phänomenen ernsthaft und auf Augenhöhe mit den Kriminellen begegnen kann. In jedem Fall sind Mut und Haushaltsmittel vonnöten, der Polizei auch neue innovative ermittlungsunterstützende Tools an die Hand zu geben. Zu denken ist hier beispielsweise an die Nutzung von Künstlicher Intelligenz bei der Auswertung und Verarbeitung von Massendaten.

Einsatzbewältigung

Polizeiliche Alltagssituationen werden mobil vom Publikum aufgezeichnet und in Sekundenschnelle digital verbreitet. In dem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit dürfen taktische und praktische Erfordernisse nicht dem Transparenzgedanken geopfert werden. Darüber hinaus müssen die Persönlichkeitsrechte der Polizeibediensteten im Einsatz – aber auch darüber hinaus – hinreichend und besonders geschützt werden. Dies ist Aufgabe der Politik – als Gesetzgeber –, aber aus der Fürsorgeverpflichtung heraus auch des Dienstherrn und aller Führungskräfte. Die Beschäftigten verdienen ein proaktives Krisenmanagement, Rückendeckung und mediale Unterstützung, wenn sie in den sozialen Medien in Kritik geraten oder einem sog. „Shit-Storm“ ausgesetzt sind.

Organisationskultur in der Polizei, Aus- und Fortbildung

Geglückte Kommunikation setzt voraus, dass man – trotz Automatisierung – am Ende stets weiß, was man sagt, wie man es sagt und wem man es wie sagt! Daraus wachsen große Anforderungen an die Medienkompetenz der Polizeibeschäftigten, aber insbesondere auch an die Führungskräfte in ihrer Vorbildfunktion. Die auch heute noch mit guten Gründen sehr hierarchisch aufgestellte Polizei hat es in ihrer Geschichte stets und streng mit der Einhaltung des Dienstweges gehalten, der zudem beamtenrechtlich als eine der Dienstpflichten einzuordnen ist. Die Diskussions- und Beschwerdekultur in der Polizei folgt kulturell auch heute noch diesem Leitgedanken, die gelebte Realität ist oftmals eine andere. Im Spannungsfeld zwischen Partizipation auf der einen Seite und populistischen Strömungen auf der anderen Seite müssen Regularien gefunden werde, um die Polizei als Institution und die Beschäftigten zu schützen. Dass dies nicht immer leicht ist, liegt auf der Hand, denn der Charakter einer Bevormundung wird hier zwangsläufig immer empfunden werden. Die Schlüsselwörter könnten folgende sein: Mitbestimmung, Kommunikationsund Medienkompetenz.

Digitalisierung geht nur mit den Polizeibeschäftigten! Herausforderungen für die Berufs- und Personalvertretungen

Vor über 200 Jahren wurden zur Gewährleistung einer „reinen Demokratie“ die sog. Londoner Debattierklubs gegründet. Mit strengen Sprachregeln und Ritualen wurde so eine Streitkultur entwickelt und gelebt, welche der intellektuellen Oberschicht vorenthalten war. Die Digitalisierung führt die politische Debatte ins Herz der Gesellschaft. Dabei ist die Streitkultur eben nicht mehr elitär und intellektuell aufgeladen, sondern der demokratische Streit ist bei den Menschen. Dadurch fehlt es an Steuerungs- und Moderationsmechanismen. Meinung und Information sind emotional und subjektiv geworden und verbreiten sich wesentlich schneller. Demokratie und Mitbestimmung wird dadurch selbstbestimmter: auch in der Polizei. Das bedeutet, dass die Beschäftigten bei allen Themen „mitgenommen“ werden müssen. Die reine Teilnahme an der Information wird für ein langes und zufriedenes Berufsleben nicht ausreichend sein, die Beschäftigten müssen die ernsthafte Chance haben, mitzubestimmen und sich zu beteiligen.

Die Personalvertretungsgesetze werden sich in Zukunft diesen Bedürfnissen ebenfalls anpassen müssen. Dabei müssen Rechtsbegriffe angepasst und die Schutzund Mitbestimmungsrechte auf neue, flexibilisierte Arbeitsformen, wie etwa Cloudworking, Homeoffice, alternierende Telearbeit und mobiles Arbeiten, ausgeweitet werden. Bei allen Innovationserfordernissen muss immer der Mensch im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Insofern sind Investitionen in die Aus- und Fortbildung der in der Polizei Beschäftigten ebenso notwendig wie fundierte Regelungen zu flexiblen Arbeitszeitmodellen, welche auch dem Bedürfnis nach Vereinbarkeit von Leben und Beruf Rechnung tragen, aber auch Maßnahmen des Arbeitsund Gesundheitsschutzes beinhalten. Die Corona-Pandemie hat das digitale Arbeiten in der Polizei Rheinland-Pfalz ein gutes Stück „nach vorne gebracht und moderner gemacht“.

Die Möglichkeiten der alternierenden Telearbeit, Homeoffice und des mobilen Arbeitens wurden intensiv ausgeweitet. Mobiles Arbeiten schafft Flexibilität und Individualität in der täglichen Arbeitsbewältigung. Es wird aber auch zunehmend deutlich, dass sich die Schnittmenge zwischen Arbeitszeit und Freizeit immer mehr verdichtet hat. Da dies aber auch bereits vor Corona der Fall war, bedarf es eines gesunden Ausgleichs zwischen Belastung und Entlastung und somit einer gesunden „Work-Life-Balance“. Die Erwartungen an ständige Erreichbarkeit und kurze Reaktionszeiten der Beschäftigten müssen organisatorisch erfüllt werden und dürfen nicht mit der Inkaufnahme psychischer Belastungen der Beschäftigten einhergehen. Die Kultur „Gut ist nur, wer immer da ist und wer nicht immer da ist, ist eben nicht gut!“ verschwindet immer mehr aus der Polizei, aber es gibt noch Luft nach oben. Dass dies in den operativen Bereichen der Polizei anders gesehen werden muss, versteht sich von selbst. Der erste Schritt, sich auch in der Eingriffsverwaltung diesem kulturellen Wandel zu öffnen, ist getan. Es bieten sich Dienstvereinbarungen zu „Alternierender Telearbeit“, zum „flexiblen Arbeiten“ (incl. Homeoffice), zur „Nutzung mobiler Endgeräte“ etc. an, in welcher den dienstlichen Bedürfnissen ebenso Rechnung getragen wird, wie denen der Beschäftigten.

Neben Art und Umfang der unterschiedlichen Arbeitsformen können hier auch Aussagen zum Datenschutz, zum Gesundheitsschutz, zur Aus- und Fortbildung usw. getroffen werden. Die Polizei Rheinland- Pfalz ist diesen Weg der Dienstvereinbarungen jüngst gegangen und geht damit als gutes Beispiel voran. Darüber hinaus sind seit 2013 die Gefährdungsbeurteilungen „psychischer Belastungen am Arbeitsplatz“ gesetzlich zwingend vorgeschrieben. Die Durchführung solcher hilft dabei, die mit der Digitalisierung und der Arbeitsverdichtung einhergehenden psychischen Belastungen nicht nur frühzeitig zu erkennen, sondern gleichzeitig auch unmittelbar Maßnahmen zu treffen, die solchen Belastungen bereits mit der Aufnahme der Tätigkeit entgegenwirken.

Den Menschen sehen, eine Vertrauenskultur etablieren und jedem Beschäftigten – soweit es eben geht – eine größtmögliche Vereinbarkeit von Leben und Beruf ermöglichen – das muss die Zukunft der Polizei sein. Dies jedoch immer mit Augenmaß und ohne den Auftrag aus dem Auge zu verlieren und traditionell Bewährtes aufzugeben. Aus diesem Grund ist ein ganz wesentlicher erfolgskritischer Faktor die Beteiligung aller Generationen in der Polizei. Im Rahmen der Digitalisierung ist die Fähigkeit vonnöten, den richtigen Rahmen zu erkennen. Nicht all das nutzen, was möglich ist, sondern das, was wirklich für die konkrete Aufgabenerledigung sinnvoll ist. Das Ziel aller muss es sein, die Digitalisierung im Sinne der Polizeibeschäftigten aktiv zu gestalten und die Voraussetzungen für gute Dienstleistungen und gute Ermittlungsarbeit im digitalen Zeitalter zu schaffen.

 

Erschienen im DPolBl 3/2021

 

1 Vgl. https://www.ard-zdf-onlinestudie.de/files/2020/2020-10-12_Onlinestudie2020_Publikationscharts.pdf (Zugriff: 11.02.2021).

2 Vgl. https://www.infratest-dimap.de/umfragenanalysen/bundesweit/umfragen/aktuell/vertrauenin-die-polizei/ (Zugriff: 15.02.2021).

 

 

Sabrina Kunz

Polizeidirektorin, Vorsitzende des Hauptpersonalrats Polizei Rheinland-Pfalz, Mainz
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